[Zum Zeugen gewandt:]
DR. SIEMERS: Die Torpedobewaffnung von Schnellbooten war in dem Versailler Vertrag nicht ausdrücklich gestattet, und deshalb wird Ihnen der Vorwurf gemacht. Handelt es sich bei diesem Verstoß lediglich um die fünf in dieser Urkunde genannten Schnellboote?
RAEDER: Jawohl, es waren fünf Boote, die wir als Wachboote in dem Schiffsbauersatzplan angefordert hatten, und die an sich keine Bewaffnung hatten.
DR. SIEMERS: Wie groß waren diese Boote?
RAEDER: Bestimmt nicht größer als 40 Tonnen, eher erheblich kleiner.
DR. SIEMERS: Sind noch mehr Boote während des Versailler Vertrags von dieser Sorte gebaut?
RAEDER: Ja, das kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen, jedenfalls haben wir keine armierten Boote darüber hinaus gehabt.
DR. SIEMERS: Ja, Verzeihung, das meine ich natürlich: noch mehr Boote bewaffnet.
RAEDER: Nein, nein. Es war ja so, daß wir an sich 12 plus 4 gleich 16 Torpedoboote von 200 Tonnen bauen konnten. Ein Torpedobootstyp aber von 200 Tonnen war in der Zeit nicht in brauchbarer Form herzustellen wegen der Frage der Motoren und der Frage der Seefähigkeit. Infolgedessen unterließen wir zunächst den Bau dieser Torpedoboote und behielten eine Anzahl ganz alter Torpedoboote aus dem Anfang des Jahrhunderts im Dienst, um mit ihnen die Besatzungen einüben zu können. Kämpfen konnte man mit diesen Booten nicht mehr. Um aber während dieser Zeit, wo wir diese Boote noch nicht ersetzen konnten, ein paar kampffähige, wenn auch kleine Boote zu haben, die bei der Absperrung der Ostsee von Nutzen sein konnten, ordnete ich an, daß diese Wachboote dafür eingerichtet würden, Torpedorohre an Bord zu nehmen. Um aber in diesem Jahre 1932, wo wir hofften, daß wir auf der Abrüstungskonferenz vielleicht weiterkommen würden, nicht durch offenkundige Verstöße unsere Lage zu verschlechtern, ließ ich immer nur ein Boot armieren, um die Armierung einzupassen und zu erproben und ließ dann die Armierung wieder ausbauen, so daß stets nur ein einziges Boot mit Armierung vorhanden war. Wir planten die Anbordgabe der Torpedorohre auf alle S-Boote erst dann, wenn die kontroll-politische Lage, also nach der Abrüstungskonferenz, es zuließe. Das sage ich in der Nummer 3 im Schlußsatz dieses Schreibens.
DR. SIEMERS: Ich darf also demnach feststellen, daß wir 16 Torpedoboote mit zusammen 3200 Tonnen hätten bauen dürfen?
RAEDER: Ja.
DR. SIEMERS: Und statt dessen fünf Schnellboote mit zusammen 200 Tonnen nur gebaut haben?
RAEDER: Jawohl.
DR. SIEMERS: Sie haben also letzten Endes mit dem von der Anklage vorgeworfenen Satz, diese Schnellboote nicht auf die Torpedoboote anzurechnen, endgültig gar nichts geheim machen wollen, sondern wollten es zur gegebenen Zeit mit der Kontrollkommission besprechen?
RAEDER: Jawohl.
DR. SIEMERS: Ich komme nun zu dem umfangreichsten Dokument hinsichtlich der Verstöße, welches die Anklage vorgelegt hat, und zwar Dokument Nummer C-32, US-50. Die Urkunde befindet sich im Dokumentenbuch 10-A, Seite 8, also in dem neuen Dokumentenbuch der Britischen Delegation.
In dieser Liste sind alle Verstöße zusammengestellt, und zwar unter dem 9. September 1933. Die Anklage weist mit Recht darauf hin, daß die Zusammenstellung sehr gründlich ist, und die Anklage hat sie genau so gründlich vorgetragen, obwohl es sich, wie ich glaube beweisen zu können, um letzten Endes kleine Dinge handelte. Ich bin daher aber gezwungen, im einzelnen zu diesem im einzelnen vorgetragenen Posten den Zeugen Stellung nehmen zu lassen. Der Verstoß Nummer 1 betrifft das Überschreiten der zugestandenen Minenzahl. In der Spalte 2 steht, daß nach dem Versailler Vertrag beziehungsweise durch die Kommission 1665 Minen zugestanden waren, daß wir aber nunmehr 3675 Minen besaßen, also zirka 2000 Minen zu viel. Ich darf Sie bitten, dem Gericht darzulegen, wieweit dieser Verstoß, der ja zweifellos vorliegt, von Bedeutung ist.
RAEDER: Ich darf noch vorausschicken, daß diese Liste angefertigt war für unseren Marinevertreter auf der Abrüstungskonferenz, damit der, falls diese Dinge erwähnt wurden, die Erklärung abgeben konnte. Infolgedessen ist sie so ausführlich geworden, wenn sie auch nur Belanglosigkeiten enthält zum größten Teil. Und dann möchte ich noch hinzufügen dem, was ich vorher sagte über die Angriffsgefahr von Polen, daß wir bei der damaligen politischen Lage auch immer befürchteten, daß die Polen, falls sie einen Einfall auf uns unternehmen, eine gewisse Unterstützung von See her auch durch Frankreich erhalten könnten, indem französische Schiffe, die damals öfter den polnischen Hafen Gdingen besuchten, durch die Ostsee-Eingänge Belte und Sund gegen unsere Küste vorgehen könnten. Aus diesem Grund spielte für uns eine Verteidigung der Ostsee-Eingänge durch Minen eine wichtige Rolle. Aus diesem Grunde haben wir diese Überschreitung vorgenommen, um wenigstens die Ostsee- Eingänge an den engen Stellen sperren zu können, was natürlich auch nur für eine gewisse Zeit möglich war. Man hätte mit diesen Minen nur eine Strecke von 27 Seemeilen absperren können. Damit hätte man einen Teil der Danziger Bucht, an der ja Gdingen lag, oder einen Teil der Belte sperren können, wenn man eine mehrreihige Minensperre auslegte, die einzige, die wenigstens für eine gewisse Zeit von Wirkung sein konnte. Also es handelte sich hier um reine Verteidigung, aber immerhin um die Überschreitung der zugestandenen Minenzahl aus den noch vorhandenen Kriegsbeständen.
DR. SIEMERS: Sie haben eben bei der Berechnung von 27 Seemeilen den gesamten Bestand genommen, den damals Deutschland hatte?
RAEDER: Jawohl.
DR. SIEMERS: Also nicht nur die Überschreitungszahl?
RAEDER: Nein, die Gesamtzahl.
DR. SIEMERS: So daß die Überschreitungszahl nur die Hälfte dieser Summe ist?
RAEDER: Ja.
DR. SIEMERS: Ich möchte gerne noch einen ungefähren Vergleich haben. Mir ist gesagt worden, zum Vergleich hierzu, daß von britischer Seite im ersten Weltkrieg in der Nordsee zirka 400000 bis 500000 Minen gelegt wurden. Ist Ihnen erinnerlich, ob diese Zahl ungefähr stimmt?
RAEDER: Ungefähr kann diese Zahl stimmen, genaues kann ich aber aus dem Gedächtnis darüber nicht sagen.
DR. SIEMERS: Ich glaube, das Ungefähre genügt, nur um einmal ein Bild für die Größenordnung zu zeigen.
Dazu noch eine zweite kleine Frage: Ist es richtig, daß die Luftwaffe durch Reichsmarschall Göring für eine Verminung von englischen Häfen von der Luftwaffe aus allein für eine Großaktion 30000 bis 50000 Minen ansetzte. Ist Ihnen das auch bekannt?
RAEDER: Das habe ich gehört.
DR. SIEMERS: Es kommt dann die zweite Position. Ich zitiere:
»Dauernde Einlagerung von Geschützen aus dem Nordseebereich für Ostsee-A-Batterien.«
Es handelt sich hierbei um 96 Geschütze, von denen allerdings nur sechs große Kaliber haben, die übrigen 90 kleines Kaliber. Darf ich Sie bitten, auch diesen Verstoß kurz darzulegen?
RAEDER: Ja, das ist an sich ein ganz geringfügiger Verstoß. Wir durften eine verhältnismäßig große Anzahl von Geschützen an der Nordseeküste haben, dagegen war die Ostseeküste planmäßig entblößt von Geschützen, da man eben den freien Eingang in die Ostsee sich erhalten wollte, während wir das größte Interesse hatten, die Ostsee abzusperren gegen Angriffe. Aus diesem Grunde legten wir Geschützrohre, die an sich in die Nordsee gehörten, die aber zu Reparaturen nach der Ostsee gebracht wurden, längere Zeit an der Ostsee in Schuppen fest, um im Falle eines Angriffes die Geschütze an der Ostseeküste wieder aufstellen zu können. Die Nordseeküste hatte sehr viele Geschütze und war ja auch, infolge der Untiefen, viel leichter zu verteidigen als die Ostseeküste. Das war der Verstoß.
DR. SIEMERS: Also praktisch nur eine Verschiebung von der Nordseeküste zur Ostsee, also auch gar keine Aufstellung, sondern nur Lagerung.
RAEDER: Ja.
DR. SIEMERS: Dann wird weiter vorgeworfen unter 3:
»Nichtverschrottung von Geschützen.«
Insgesamt sind erwähnt worden 99 Geschütze, wovon die zehn größten mit 28 cm tatsächlich verschrottet wurden. Ich darf Sie bitten, dazu Stellung zu nehmen.
RAEDER: Wenn wir neue Geschütze beschafften – zum Beispiel für das Panzerschiff »Deutschland« waren sechs 28 cm in Bau gegeben, oder für »Deutschland« und für die Kreuzer waren achtundvierzig 15 cm in Bau gegeben und so weiter –, so mußten wir eine entsprechende Zahl von alten Geschützen verschrotten. Wir haben nun von dieser Zahl zehn tatsächlich verschrottet. Die ganzen Geschütze wurden zur Verschrottung an das Heer abgegeben, und wir erhielten Quittung darüber, daß die Geschütze verschrottet sind. Uns wurde bekannt, daß die Geschütze vom Heer tatsächlich nicht verschrottet wurden, sondern, abgesehen von den zehn 28-Zentimetern, für die Armierung von bei einem Angriff anzulegenden Befestigungen verwendet werden sollten, da das Heer überhaupt keine solchen Geschütze hatte.
DR. SIEMERS: Ich möchte zeitlich klarstellen, daß dies doch wohl sinngemäß ein Verstoß sein muß, der längst vor Ihrer Zeit, also Ihres Amtsantrittes als Chef der Marineleitung, geschehen war.
RAEDER: Dies ist in den Jahren 1919 bis 1925 geschehen, zum größten Teil. Ich bin jedenfalls mit diesen Dingen nicht mehr befaßt worden.
DR. SIEMERS: Es kommt nun Ziffer 4; ich glaube, sehr einfach:
»Abweichung von den von der Entente vorgeschriebenen Aufstellungsorten für die Küstenbatterien.«
RAEDER: Ja, in früherer Zeit bis zum Weltkrieg wurden besonders die schweren Batterien, auch die mittleren Batterien, sehr eng nebeneinander oder vielmehr in den Batterien wurden die Geschütze sehr eng nebeneinander aufgestellt, wohl ausgerichtet. Nach den Erfahrungen des Weltkrieges stellte man die schweren und mittleren Geschütze in den Batterien weiter auseinander, damit ein einziger Treffer nicht gleich mehrere Geschütze zerstörte. Aus diesem Grunde haben wir diese schweren und mittleren Batterien aufgelockert, die Geschütze etwas weiter auseinandergestellt. Infolgedessen standen sie nicht mehr genau auf dem Platz, wo sie zur Zeit des Vertrages gestanden hatten. Sonst wurde aber nichts daran geändert.
DR. SIEMERS: Wären solche Punkte nicht ohne weiteres von der Kontrollkommission genehmigt worden, weil sie eine rein technische Natur hatten?
RAEDER: Ich kann es nicht sagen, weil ich an diesen Verhandlungen niemals teilgenommen habe.
DR. SIEMERS: Bei Ziffer 5 handelt es sich um Strecken von Bettungen für A-Batterien und Lagerung von Flakmunition. Nach Spalte 2 handelt es sich wiederum um Aufstellung auf einem anderen Gelände als von der Entente zugestanden. Gilt hierzu dasselbe wie das zur Ziffer 4 Gesagte?
RAEDER: Nein, doch nicht vollkommen, sondern wir wollten gerne die Flakbatterien dahin stellen, wo sie besonders nützlich waren und gut ausgenutzt werden konnten, während die Kommission sie an diesen Stellen nicht gern sah Infolgedessen ließen wir zwar die Flakbatterien an den Stellen, wo sie standen, bereiteten aber an anderen Stellen sogenannte Bettungen vor, und zwar sehr provisorische Holzbettungen, wo man im Falle eines Angriffes irgendeines Gegners dann die Flakgeschütze hätte aufstellen können, um sie möglichst wirksam auszunützen. Ebenso handelte es sich...
DR. SIEMERS: Also handelt es sich nur um Fundamente für eine Flakbatterie, also nur für Fundamente einer Verteidigung?
RAEDER: Jawohl, nur für Fundamente.
DR. SIEMERS: Es kommt dann Ziffer 6:
»Strecken von Bettungen im Kieler Bereich«
RAEDER: Der Kieler Bereich war ganz besonders von Kanonen entblößt, weil der Eingang durch die Belte bis nach Kiel möglichst unbewaffnet sein sollte und ungehindert sein konnte. Aus diesem Grunde war das Aufstellen von Geschützen im Kieler Bereich besonders verboten, und um im Ernstfalle dort irgendwelche Geschütze schnell aufstellen zu können, wurden auch dort Bettungen vorbereitet.
DR. SIEMERS: Als nächsten Punkt hat die Anklage Ziffer 7 vorgelesen:
»Überschreiten des zugelassenen Kalibers bei Küstenbatterien.«
»Küstenbatterien« zeigt ja bereits, daß es Verteidigung ist. Trotzdem ist es aber als Vorwurf erhoben.
RAEDER: Ja. Es steht hier. Es sind statt 17 cm – nein statt sechs 15 cm sind drei 17 cm aufgebaut worden. Es ist natürlich eine Abweichung insofern, als eben die Geschütze da stehenbleiben sollten, aber man kann an sich sehr zweifelhaft sein, ob an der Küste diese sechs 15 cm nicht viel besser wären als die drei 17 cm.
DR. SIEMERS: Ich sehe richtig, daß es in der Zahl weniger sind als zugestanden.
RAEDER: Ja.
DR. SIEMERS: Anstatt fünf 15 cm sind drei 17 cm?
RAEDER: Anstatt sechs...
DR. SIEMERS: Ach ja, statt sechs sind nur drei, und lediglich das Kaliber ist um 2 cm größer.
RAEDER: Ja.
DR. SIEMERS: Dann kommt Ziffer 8:
»Die Bewaffnung von M-Booten.«
M-Boote sind Minensuchboote.
RAEDER: Es waren diese alten Minensuchboote, die im Falle eines Angriffes auf die Ostsee den Zweck hatten, einmal Minen zu suchen und zweitens auch die Minensperren, die wir zum Abschluß der Ostsee an den Beltausgängen und so weiter legen wollten, zu kontrollieren und gegen leichte Streitkräfte zu verteidigen. Aus diesem Grunde gaben wir ihnen je ein 10,5-cm-Geschütz und ein MG C/30.
DR. SIEMERS: Praktisch eine minimale Bewaffnung?
RAEDER: Eine ganz minimale Bewaffnung.
DR. SIEMERS: Ziffer 9 können wir, glaube ich, schnell erledigen:
»Bewaffnung von sechs S-Booten und acht R-Booten.«
Die sechs S-Boote sind wohl die schon erst bei der Urkunde C-141 besprochenen?
RAEDER: Jawohl. Es steht hier: »Boote auf Torpedobewaffnung«.
DR. SIEMERS: Dann Ziffer 10:
»Aufstellung von Übungsflakbatterien.«
Ist das überhaupt ein Verstoß?
RAEDER: Ja, es war immerhin eine Flakbatterie. Es war aber nur deswegen, weil wir in der Nähe der Garnisonen, wo die Kasernen mit unseren Leuten waren, gerne eine Gelegenheit hatten, auch Flakschießübungen zur Übung abzuhalten, und deswegen stellten wir sie in die Nähe dieser Kasernen, womit aber nicht beabsichtigt war, sie dort im Verteidigungsfalle an dieser Stelle zu verwenden. Es war nur eine Zweckmäßigkeitsfrage für die Ausbildung.
DR. SIEMERS: Dann kommt Ziffer 11.
RAEDER: Allmählich werden die einzelnen Fälle immer lächerlicher. Also ich halte das für eine ziemliche Zeitverschwendung.
DR. SIEMERS: Ich glaube aber, Herr Großadmiral, es tut mir leid, daß ich Ihnen die Mühe machen muß, aber ich glaube, es ist notwendig, da die Anklage fast alle Positionen in dem Protokoll vorgelesen hat und aus der Art der Begründung ihre Tendenz zu Ihren Ungunsten auslegen wollte.
RAEDER: Also dann kommt die »Salutbatterie Friedrichsort«. Friedrichsort ist der Eingang zu Kiel, wo, wenn fremde Schiffe einlaufen, sie salutieren und wo der Salut beantwortet werden muß, und für die Beantwortung des Saluts hatte man uns zwei unbrauchbar gemachte 7,7-cm-Feldgeschütze zugebilligt, mit denen man also nicht Scharfschießen konnte, sondern nur mit Salutpatronen. Und wir hatten es für zweckmäßig gehalten, da schon dort ein Batterieunterstand vorhanden war, statt dieser zwei 7,7-cm-Geschütze vier vollverwendungsbereite 8,8 cm Flaks aufzustellen. Aber auch dies war schon lange vor der Zeit, wo ich Marinechef war.
VORSITZENDER: Wir vertagen uns nun.