HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zum Zeugen gewandt:]

Die Anklagebehörde hat darauf hingewiesen und glaubt, daraus schließen zu können, daß Sie bereits einen Tag nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler sich positiv für Hitler einsetzten durch dieses Rundschreiben. Ich bitte Sie, dazu Stellung zu nehmen.

RAEDER: Dieses Schreiben hatte mit dem Dienstantritt Adolf Hitlers nicht das geringste zu tun. Man wird zugeben, daß es unmöglich ist, vom 30. Januar abends bis zum 31. früh ein derartig umfangreiches Schreiben aufzusetzen, das immerhin stark durchdacht war, sondern es ist die Folge der von mir vorher schon erwähnten Hoffnung, daß schon unter der Regierung Papen und von Schleicher die Versailler Bestimmungen und die der Abrüstungskonferenz allmählich gelockert würden, da ja die Englische Delegation sich schon wiederholt ausgesprochen hatte für die allmähliche Einführung der Gleichberechtigung. Infolgedessen mußten wir daran denken, unsere Industrie, soweit sie für Rüstung in Frage kam, in einen möglichst guten Zustand zu versetzen, indem wir ihre Leistungsfähigkeit steigerten dadurch, daß wir ihre Konkurrenzfähigkeit steigerten. In dieser Richtung, wie ich in diesem Schreiben unter c) sage, bewegten sich damals die Bemühungen fast aller Länder, also auch derjenigen, die anders als Deutschland, keinen Beschränkungen unterlagen; England, Frankreich, Nordamerika, Japan und vornehmlich Italien machten die stärksten Anstrengungen, ihrer Rüstungsindustrie ihre Absatzgebiete zu sichern, und auf diesem Gebiete wollte ich ihnen folgen. Und dazu war nötig, daß innerhalb der Marineleitung der einzelnen Abteilungen ein Verständnis vorhanden war, daß man die Industrie unterstützen müßte, und zwar in der Weise, daß man nicht in zu kleinlichem Maße die technischen Dinge und Entwicklungen geheimhielt.

Ich setze deswegen unter c) auseinander, daß es weniger darauf ankommt, die einzelnen Kleinigkeiten geheimzuhalten, als im ganzen immer auf der Höhe und vornedran zu sein. Und im Schlußsatz sage ich:

»Zusammenfassend lege ich besonderen Wert darauf, daß auch nach Lockerung der heutigen Bindungen«, mit der wir immer rechneten, »der einschlägigen Industrie seitens der Marine nachhaltige Unterstützung gewährt wird, damit die Industrie Vertrauen auch im Ausland gewinnt und dadurch ihre Produkte absetzen kann.«

Das hat mit Hitler gar nichts zu tun und mit einer eigenmächtigen Aufrüstung ebenfalls nichts.

DR. SIEMERS: Können Sie sagen, wann Sie etwa diese Richtlinien Ihrerseits entworfen haben?

RAEDER: Also im Laufe des Monats Januar; ich will mal sagen, wir haben vielleicht Anfang Januar darüber eine Sitzung abgehalten, und ich habe es nachher zu Papier bringen lassen.

DR. SIEMERS: Also sicherlich doch wohl zwei das drei Wochen früher, als dieses Schreiben herausging.

RAEDER: Ganz bestimmt, ja.

DR. SIEMERS: Ich glaube, daß es selten ist, daß man von einer Behörde ein Schreiben bekommt, einen Tag, nachdem man als Chef der Behörde es erdacht hatte. Ich darf nur noch um eines Sie bitten, mir etwas zu sagen zu diesem Punkt: »Lockerung der heutigen Bindungen.« Das ist also Lockerung des Versailler Vertrags durch die Abrüstungskonferenz. Den haben Sie in dieser Urkunde viermal erwähnt, so daß ich annehme, daß das die Grundlage war.

RAEDER: Jawohl. Die ganze Atmosphäre war damals so unter den beiden Regierungen, die ich erwähnte, daß man damit rechnen konnte, daß eine Besserung eintreten würde.

DR. SIEMERS: Dies war die Grundlage, um die sich bereits, um nur einige Namen zu nennen, Stresemann, Brüning bemühten.

RAEDER: Jawohl.

DR. SIEMERS: Da Sie sich verpflichtet fühlten, dafür etwas Vorsorge zu tragen.

RAEDER: Jawohl.

DR. SIEMERS: Ich glaube, auf weitere Einzelheiten brauche ich nicht einzugehen. Ich habe die Urkunde immer und immer wieder gelesen und habe keinen Punkt finden können, aus dem die Anklage nationalsozialistische Ideen hergeleitet hat.

Ich komme dann zu der Urkunde C-140, es ist US- 51. Sie findet sich im Dokumentenbuch 10a, Seite 104.

RAEDER: Darf ich einmal unterbrechen? Wäre es nicht richtig, wenn ich jetzt noch das sagen könnte, was ich gerne in Ergänzung der Ausführungen in C-156 über Flugzeuge zu sagen habe?

DR. SIEMERS: Ich bitte um Entschuldigung. Es ist vielleicht praktisch, ehe ich auf ein neues Gebiet übergehe, die Versailler Verstöße vollständig zu erledigen. Ich habe dies vergessen.

Die Anklage hat die Urkunde C-156 vorgelegt. Ein Buch von Kapitän zur See Schüssler aus dem Jahre 1937, in welchem fast die gleichen Verstöße zusammengestellt sind, die in der Urkunde C-32 enthalten sind, so daß diese Urkunde damit gleichzeitig erledigt ist.

Darüber hinaus findet sich dort der U-Bootfall des Konstruktionsbüros in Holland, den wir auch schon erledigt haben. Es bleibt dann aber noch ein Punkt, zu dem ich Sie bitte, Stellung zu nehmen, nämlich die Frage einer gewissen Vorbereitung für eventuell später genehmigte Marineflugzeuge.

RAEDER: Schon lange vor meinem Dienstantritt war auch auf dem Gebiete des Flugzeugwesens allerlei vorbereitet. Es waren, wie ich aus diesem Buch entnehme, eine Anzahl von Flugzeugen angekauft worden. Sie wurden untergebracht bei einer Gesellschaft »Severa« G. m. b. H., die dem Reichswehrminister bekannt war. Es waren uns im Versailler Vertrag Flakgeschütze bewilligt, sowohl an Bord wie auch an der Küste, wie gestern erwähnt wurde, und diese Flakgeschütze mußten Schießübungen abhalten. Dazu hat uns die Kontrollkommission des Flugzeugwesens eine Anzahl von Flugzeugen bewilligt, die die Luftscheiben zu schleppen hatten. Die Flugzeuge wurden geführt von alten Marinefliegern, die bei dieser Gesellschaft eingestellt wurden. Die Gesellschaft wurde ebenfalls von einem alten Marineflieger geführt. Wir bildeten ferner, da wir in der Marine selbst keine Flieger ausbilden durften, da wir keine Marineluftwaffe haben durften, eine Anzahl der Offiziersanwärter vor ihrem Dienstantritt, also ein Jahr bevor sie in die Marine eintraten, bei der Verkehrsfliegerschule als Flieger aus, so daß sie in dieser einjährigen Ausbildung zu sehr guten Fliegern ausgebildet wurden. Dann traten sie in die Marine ein und machten die normale Ausbildungszeit durch. In der »Severa«, die auch den Lohmann-Dingen nahestand, und die der Reichswehrminister Groener infolgedessen auch im Sommer 1928 aufgelöst hatte, waren diese angelaufenen Flugzeuge ja vorübergehend, und der Reichswehrminister Groener schloß dann im Herbst 1928, bald nachdem ich eingetreten war, eine neue Gesellschaft zusammen mit ähnlichen Aufgaben. Aber er hatte selbst den Kontrakt abgeschlossen, um die Korrektheit der ganzen Angelegenheit selbst beaufsichtigen zu können.

Es wurden nun in dieser Gesellschaft von den Marinefliegern, auch neben ihren sonstigen Aufgaben, Versuche gemacht, Flugzeuge für eine spätere Marineluftwaffe zu entwickeln. Nach der Erlaubnis der Regierung durften wir von Typen, die wir brauchen konnten, je ein Modell herstellen, während wir nicht Flugzeuge aufstocken durften.

Das hatte die Regierung ausdrücklich verboten. So kam es denn, daß in dieser Gesellschaft im Laufe der Jahre eine Anzahl von Flugzeugtypen entwickelt wurde, die wir in späterer Zeit gebrauchen konnten als das Flugzeugwesen wieder erlaubt war. Die Übungen in der Marine wurden in der ersten Zeit von den alten Marinefliegern durchgeführt, das heißt, es handelte sich darum, daß Übungen in der Aufklärung gemacht wurden, und daß die Schiffe lernten, sich Flugzeugen gegenüber zu benehmen. Wenn eine Übungsperiode war, bei der diese jungen Marineflieger mit eingesetzt wurden, so wurden sie für diese Zeit aus der Marine entlassen. Das war eine umständliche Angelegenheit, aber es wurde formal durchgeführt.

DR. SIEMERS: Ich darf dann zu der Urkunde C-140 kommen, die ich eben schon erörtert habe. Es ist im Dokumentenbuch 10 a, Seite 104. Es handelt sich um ein Schreiben des Reichsverteidigungsministers von Blomberg vom 25. Oktober 1933. Es ist ein Schreiben des Reichsverteidigungsministers von Blomberg vom 25. Oktober 1933 an den Chef der Heeresleitung, Chef der Marineleitung und Reichsminister für Luftfahrt.

Aus diesem Dokument leitet die Anklage den Vorwurf her, daß Sie, Herr Zeuge, militärische Pläne vorbereiteten für einen bewaffneten Widerstand, der notwendig werden konnte infolge des Austritts Deutschlands aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund. Vielleicht nehmen Sie kurz hierzu Stellung.

RAEDER: Von dem Austritt aus dem Völkerbund, der bevorstand, hatte ich vorher keine Kenntnis. Diese Verfügung ist elf Tage nach dem Austritt aus dem Völkerbund erlassen worden und sieht lediglich Verteidigungsmaßnahmen vor für den Fall, daß wegen dieses Austritts irgendwelche Sanktionsmaßnahmen von seiten anderer Mächte gegen Deutschland ergriffen werden.

Es steht unter 2c: »Ich verbiete zunächst alle praktischen Vorarbeiten.« Es ist zunächst also auf diese Verfügung nichts geschehen, und der Reichsverteidigungsminister ersuchte lediglich um Vortrag, was zu geschehen hätte.

Soweit ich mich erinnere, sind von seiten der Kriegsmarine in dieser Zeit keinerlei Vorbereitungen praktischer Art getroffen worden, denn die Lage vollzog sich ja vollkommen ruhig, und es war nicht anzunehmen, daß der Fall einer Verteidigung eintreten würde.

DR. SIEMERS: Dies zeigen wohl auch die Worte unter Ziffer 2a: »Vorbereitung auf die Abwehr von Sanktionen.« Es handelt sich doch ausschließlich um Verteidigung?

RAEDER: Nur um Verteidigung.

DR. SIEMERS: Daß der Austritt aus dem Völkerbund am 14. Oktober 1933 erfolgte, elf Tage vor der Urkunde, ist bekannt und ist von der Anklage am 27. November 1945 in der Vormittagssitzung (Band II, Seite 339) vorgetragen worden.

Wir kommen dann zu dem Dokument C-166. Dies ist gleich US-48. Herr Vorsitzender! Es befindet sich im Dokumentenbuch 10, Seite 36. Es ist ein Dokument vom 12. März 1934. Es stammt vom Marinekommandoamt und betrifft Bereitstellung von Hilfskreuzern. Aus diesem Dokument hat die Anklagebehörde lediglich den ersten und zweiten Absatz vorgelesen und darauf hingewiesen, daß demnach Hilfskreuzer gebaut werden sollten und getarnt als Transportschiffe »O« zu bezeichnen sind. Die beiden Absätze klingen belastend, sie lassen sich aber ohne weiteres widerlegen. Ich darf mich beziehen auf das Affidavit Lohmann, Raeder Nummer 2, Dokumentenbuch – also mein Dokumentenbuch – I, Seite 5. Es ist ein kurzer Absatz unter II. Ich zitiere:

»Die mir vorgelegte Urkunde C-166, Schreiben des Marinekommandoamtes vom 12. März 1934, betrifft die ›Bereitstellung von Hilfskreuzern‹, die, wie die Urkunde ergibt, als Transportschiffe ›O‹ bezeichnet wurden. Diese Schiffe sollten nicht neu gebaut, sondern aus dem Bestand der deutschen Handelsflotte nach den in dem Dokument aufgeführten Forderungen ausgesucht und auf ihre Geeignetheit für ihre Aufgaben geprüft werden. Danach wurden Pläne für den im Bedarfsfall erforderlichen Umbau aufgestellt, während die Schiffe in der Handelsfahrt verblieben.«

Ich darf hierbei einschalten, daß in der englischen Übersetzung das Wort Umbau mit »reconstruction« übersetzt ist. Ich habe Zweifel, ob dies ganz richtig ist. Ich vermute, daß es jetzt vom Dolmetscher entsprechend Umbau übersetzt worden ist. Soviel ich weiß, betrifft das deutsche Wort Umbau nur etwa den Sinn des englischen Wortes »changes«, also mehr den Sinn der Veränderung.

Das Zitat geht weiter:

»Den Auftrag, solche Schiffe bei den deutschen Reedereien auszusuchen, erhielt unter anderem auch die Kriegsmarinedienststelle Hamburg, bei der ich seinerzeit tätig war.«

Soweit Admiral Lohmann.