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[Pause von 10 Minuten.]

DR. SIEMERS: Ich komme dann zu der Urkunde C-159, das ist US-54. Die Urkunde befindet sich im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 110. Es handelt sich um ein Schreiben des Reichskriegsministers von Blomberg vom 2. März 1936 und betrifft die entmilitarisierte Zone.

Haben Sie, Herr Zeuge, lange Vorbereitungen für die am 7. März 1936 stattfindende Aktion militärisch getroffen?

RAEDER: Nein, ich habe keine langen Vorbereitungen getroffen, ich habe den Plan erst durch diese Urkunde vom 2. März erfahren. Ich darf hinweisen auf die Ziffer 6, wo gesagt wird:

»Um den friedensmäßigen Charakter der Aktion zu wahren, sind militärische Sicherungs- oder Vorausmaß nahmen ohne meinen ausdrücklichen Befehl nicht zu treffen.«

Es wurde also angezeigt, daß die ganze Aktion einen friedensmäßigen Charakter haben sollte.

DR. SIEMERS: Vor Anfang März wußten Sie von der ganzen Aktion gar nichts?

RAEDER: Nein, ich glaube, daß gerade diese Aktion besonders geheimgehalten worden ist.

DR. SIEMERS: Ich komme dann zu dem Dokument C-194, US-55, im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 128. Es handelt sich hier um ein Schreiben des Oberkommandos der Wehrmacht an den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine aus dem Jahr 1936, wie der Wortlaut ergibt, anscheinend vom 6. März 1936, betrifft also die gleiche Angelegenheit, wie die vorige Urkunde. Darf ich hierzu um Ihre Stellungnahme bitten?

RAEDER: Der Reichsverteidigungsminister hatte genehmigt, daß eine gewisse Luftaufklärung, und zwar am 6. März, das heißt am Tage vor der Rheinlandbesetzung, daß eine gewisse Luftaufklärung über der Nordsee erfolgen dürfe, während er die Entscheidung darüber, ob man auch U-Boote als Aufklärungslinie nach Westen verschicken solle, bis zur Höhe auf Texel erst am nächsten Tage treffen wollte. Ich habe daraufhin einen Befehl erlassen am 6. März 1936 und habe noch besonders angeordnet...

DR. SIEMERS: [zum Gerichtshof gewandt] Verzeihung!

Ich darf darauf hinweisen, daß der Befehl von Raeder vom 6. März 1936 an derselben Urkunde angehängt ist, also im Wortlaut dem Gericht vorliegt.

[Zum Zeugen gewandt:]

Bitte.

RAEDER: Ich habe diesen Befehl vom 6. März vorbereitet über das Auslegen der U-Bootlinie und das Aufklären in der Deutschen Bucht am 7. März. Ich habe noch besonders darauf hingewiesen, daß es vermieden werden müsse, ein falsches Bild von den Absichten des Führers zu erwecken und dadurch die friedliche Aktion zu erschweren.

DR. SIEMERS: Ich darf hierzu ergänzen, daß sich diese Worte in dem Schreiben vom 6. März 1936, unter Ziffer 5 befinden, die beiden letzten Zeilen.

RAEDER: Es waren alles nur Vorsichtsmaßnahmen für den Fall, daß eine feindliche Gegenaktion stattfinden sollte.

DR. SIEMERS: Irgendwelche großen Vorbereitungen sind nicht getroffen worden?

RAEDER: Nein, nein.

DR. SIEMERS: Ich komme dann auf die zwei letzten Urkunden, die noch zu dem Thema Versailler Vertrag und Aufrüstung gehören, und zwar C-135, GB-213, im Dokumentenbuch 10, Seite 20; im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10, Seite 20, mit der Überschrift: »Geschichte der K.G.«, das heißt Kriegs- Gliederung und des Mob-Planes. Es stammt aus dem Jahr 1938.

Diese Urkunde ist von der Anklagebehörde in vollem Umfange verlesen worden, und es wird daraus ein sehr schwerwiegender Vorwurf erhoben, weil in der Urkunde gesagt ist, daß Hitler die Forderung gestellt hat, ihm in fünf Jahren, das heißt bis zum 1. April 1938, eine Wehrmacht aufzustellen, die er als politisches Machtinstrument auf die Waagschale legen könne, und weil hier von der Aufstellungsgliederung 1938 die Rede ist und von dem Kriegs-Gliederungsendziel.

Mit Rücksicht auf die Bedeutung dieses Punktes habe ich Vizeadmiral Lohmann gebeten, zu dieser etwas technischen Frage Stellung zu nehmen. Es handelt sich um Raeder-Exhibit 2, in meinem Dokumentenbuch II, und zwar dort unter III auf Seite 5.

Ich glaube, daß hier ein Mißverständnis in den Begriffen seitens der Anklagebehörde vorliegt. Die Begriffe »Kriegsgliederung« und »Aufstellungsgliederung« sind mißverstanden worden.

Ich bitte daher, mir zu gestatten, diesen Teil des Affidavits im Rahmen meines eingeschalteten Urkundenbeweises verlesen zu dürfen. Ich zitiere:

»III. Betr. Urkunden C-135 und C-153, Rüstungsplan, Mob-Plan, Aufstellungsgliederung (A.G.) und Kriegsgliederung (K.G.):...«

Ich darf dazu bemerken, daß ich der Einfachheit halber C-153 und 135 – die beiden Urkunden gehören zusammen – hier gemeinsam behandelt habe und darf deshalb die Angaben fürs Protokoll machen: C-153 ist gleich US-43 und befindet sich im britischen Dokumentenbuch 10a, auf Seite 107. Es hat die Überschrift »Rüstungsplan für den dritten Rüstungsabschnitt«. Es ist eine lange Urkunde und datiert vom 12. Mai 1934.

Ich zitiere jetzt das Affidavit Lohmann zu diesen beiden Urkunden:

»Die vorstehend genannten, mir vorgelegten Urkunden betreffen die Aufstellungsgliederung (A.G.), Kriegsgliederung (K.G.), den Mob-Plan und den Rüstungs-Plan (R.P.).

Die drei erstgenannten Pläne beziehungsweise Gliederungen betreffen sachlich das gleiche Thema, unterscheiden sich nur in der Art der Zusammenstellung. Der Rüstungsplan unterscheidet sich von den anderen Plänen insofern, als der Rüstungsplan nur Neubauten und neu zu beschaffendes Material betrifft, also weniger umfassend ist.

Derartige Planungen sind in der deutschen Kriegsmarine wie in der ganzen Wehrmacht – und zweifellos auch für die Streitkräfte jeder anderen Nation – aufgestellt worden, um für den Fall eines Konfliktes oder kriegerischer Verwicklungen die vorhandenen Kampfmittel rechtzeitig vorbereiten und zweckentsprechend einsetzen zu können. Entsprechend den veränderlichen Voraussetzungen, der militärischen Entwicklung, dem Personalwechsel und den Fortschritten der Technik, wurden diese Pläne für jedes Jahr neu bearbeitet. Einen wesentlichen Teil dieser für jede Wehrmacht selbstverständlichen Vorbereitungen bildete die Aufstellungs-, Mob- oder Kriegsgliederung (K.G.), die eine Übersicht über die vorhandenen und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (Gültigkeitstermin) zu beschaffenden, zu vermehrenden oder neu zu organisierenden Kampfmittel und Einrichtungen der Marine zu Wasser und zu Lande, ihre örtliche Verteidigung und taktische Unterstellung, gab. Diese K.G. war für die militärische Führung die Voraussetzung für alle operativen Überlegungen, für die politische ein Anhalt für die Möglichkeiten, die sich aus Zahl und Stärke der verfügbaren militärischen Machtmittel ergaben. Die K.G. mußte immer sehr vorausschauend aufgestellt werden und wurde in der Regel 11/2 Jahre vor ihrem Inkrafttreten vom Oberkommando der Marine herausgegeben, um den verantwortlichen Stellen die Möglichkeit zu geben, rechtzeitig die notwendigen Vorarbeiten einzuleiten bezüglich Anforderung der Geldmittel beim Marinehaushalt, des Materials, (Stahl, Eisen und so weiter), Vorbereitung von Unterkünften und so weiter, soweit dieses alles nicht schon durch den friedensmäßigen Ausbau der Kriegsmarine vorgesehen war.

Als Hitler 1933 durch einen Fünfjahresplan bis zum 1. April 1938 eine Wehrmacht forderte, die er als politisches Machtinstrument in die Waagschale werfen konnte, wurde, unabhängig von der für jedes Jahr vorhandenen A.G., die Aufstellungsgliederung (A.G.) 1938 aufgestellt, bei der es sich bis 1935 im wesentlichen um die noch nicht ausgenützten Möglichkeiten des Versailler Vertrags sowie um eine Ergänzung des Schiffsbestandes der nach Art und Zahl nicht beschränkten Fahrzeuge handelte. Nach dem Flottenabkommen von 1935 wurde die geplante Kriegsgliederung 1938 ersetzt durch eine ›K.G. Endziel‹, in der die Zahl der vorhandenen und zu bauenden Kriegsschiffe aller Typen sich im Verhältnis 35:100 nach der tatsächlich vorhandenen Tonnage der englischen Flotte richten sollte. Entsprechend den geldlichen und materiellen Möglichkeiten, der Kapazität der Werften und der langen Bauzeit großer Kriegsschiffe setzte man dieses vorläufige Endziel in das Jahr 1944/45.

Es hätte sich nach Maßgabe des Ausbaus der englischen Flotte immer wieder verschieben können.

Die verschiedenen Terminierungen haben lediglich marine-technische Bedeutung und lassen keine Rückschlüsse auf politische Pläne zu.«

Ich darf hierzu auf einen kleinen Übersetzungsfehler im englischen Text hinweisen. Das Wort »Terminierungen« ist meines Erachtens nicht richtig mit »terminology«, im deutschen »Terminologie« übersetzt. Es muß wohl heißen »terms« oder »termination«.