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[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Zeuge! Sind diese Ausführungen von Vizeadmiral Lohmann richtig, und wie können Sie diesen grundsätzlichen Gesichtspunkt eventuell noch ergänzen?

RAEDER: In den Auseinandersetzungen ist alles gesagt, was zu dieser Sache zu sagen ist. Diese ganzen Aufstellungen sind meiner Ansicht nach Einrichtungen, die in jeder Kriegsmarine betrieben werden müssen, wenn sie planmäßig ausrüsten und zum Einsatz bereitmachen will.

Es war an irgendeiner Stelle gesagt worden, – das ist hier im Dokument C-135, erste Seite, unter Ziffer 2 – :

»Die sich immer mehr zuspitzenden deutsch-polnischen Spannungen zwangen dazu, statt der theoretischen Kriegsvorbereitung eine praktische Vorbereitung eines rein deutsch-polnischen Konflikts zu machen.«

Dies ist auch wieder dahin ausgelegt worden, daß wir zu irgendeinem Zeitpunkt, ich glaube zum Jahre 1930, einen Angriffskrieg gegen Polen führen wollten.

Ich habe gestern schon ausgeführt, daß unser Hauptziel war und sein mußte, und daß es ja gar nicht weiter gehen konnte, als einem Angriff von Polen auf Ostpreußen im Angriff entgegenzutreten. Das war das Ziel unserer Arbeiten, daß wir Deutschland schützen wollten vor einem Einfall der Polen. In jener Zeit wäre ja ein Einfallskrieg in Polen oder sonst irgendwo von seiten der immer noch schwach gerüsteten deutschen Wehrmacht ein Wahnsinn gewesen. Ich möchte dann, da hier die Zahlen 1938 und 1944/45 immer wieder vorkommen, noch einmal darauf hinweisen, daß die Zahl 1938 zuerst entstanden ist, weil sie die Endzahl des Schiffsbauersatzplanes, Teil 1, war. Das letzte Schiff dieses Schiffsbauersatzplanes sollte ja 1936 bis 1938 gebaut werden.

DR. SIEMERS: Verzeihung.

[Zum Gerichtshof gewandt:]

Ich darf daran erinnern, daß dies das Dokument Raeder Nummer 7 ist.

RAEDER: Dann verfügte Hitler einen Fünfjahresplan, der von 1933 zufällig auch bis 1938 ging, worauf die K.G. auch bis 1938 geschaffen wurde. Und dann wurde das K.G.-Endziel festgelegt mit den Jahren 1944/45. Der Grund für die Festlegung dieses Jahres war, daß – wie hier drin steht, in der von Ihnen eben verlesenen Urkunde – entsprechend den geldlichen und materiellen Möglichkeiten, der Kapazität der Werften und der langen Bauzeit großer Kriegsschiffe, diese Ziele gewählt werden mußten, weil man erst zu diesem Zeitpunkt eine einigermaßen brauchbare Streitkraft aufstellen konnte. Sie kommt nachher dann nochmals mehrere Male vor in einigen Schreiben von mir. Es war ebenfalls kein Termin, der von unserer Seite etwa als Zeitpunkt eines Angriffs in Aussicht genommen war.

DR. SIEMERS: Die Ausführungen in C-135 stehen im Einklang mit dem deutsch-englischen Flottenabkommen, nicht wahr?

Ich habe mich vielleicht nicht klar ausgedrückt:

Wenn dort gesagt wird, es war dann eine Neugliederung aufgestellt, war damit dann gemeint, entsprechend dem deutsch-englischen Flottenabkommen?

RAEDER: Selbstverständlich.

DR. SIEMERS: Jedenfalls ist wohl der Hinweis unter C-135 Ziffer 8 so zu verstehen, da dort steht:

»... eine neuzeitliche Kriegsmarine (lediglich gebunden an das deutsch-englische Flottenabkommen)?«

RAEDER: Jawohl.

DR. SIEMERS: Ich komme jetzt zu einem anderen Thema und greife zurück auf das Jahr 1933.

Herr Großadmiral! Wann lernten Sie Hitler kennen, und hatten Sie irgendwelche Beziehungen zum Nationalsozialismus vor 1933?

RAEDER: Ich lernte Hitler kennen am 2. Februar 1933, wo ich ihn zum erstenmal sah und sprach, und zwar bei einer Veranstaltung, die auf Veranlassung des Generals von Blomberg im Hause des Chefs der Heeresleitung, des Generals von Hammerstein, am Abend veranstaltet worden war und wo der Reichsverteidigungsminister General von Blomberg Hitler die älteren, in führenden Stellungen befindlichen Generale und Admirale vorstellen wollte. Ich komme auf den Verlauf nachher noch zurück. Ich hatte vorher keine Beziehungen zum Nationalsozialismus, ich kannte nur den Admiral von Levetzow aus dem Weltkriege her, er war im Stab des Admirals Scheer, mit dem ich viel kameradschaftlich verkehrte, und der offenbar verhältnismäßig frühzeitig mit Hitler in Verbindung gekommen war. Von diesem hörte ich aber nur, daß Hitler sich sehr viel auch mit Marinedingen beschäftigte und erstaunlich gut unterrichtet wäre darüber. Andererseits glaube ich, daß Levetzow über den Ruf der Marine und seine Einschätzung der Marine in der damaligen Zeit mit Hitler auch gesprochen hat; sonst habe ich keine Beziehungen gehabt.

DR. SIEMERS: Was veranlaßte Sie, Herr Großadmiral, 1933 im Amt zu bleiben, obwohl Sie keine Beziehungen zum Nationalsozialismus hatten?

RAEDER: Der Reichspräsident, Feldmarschall von Hindenburg, zugleich Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, hatte den Führer der größten Partei zum Reichskanzler ernannt. Ich glaube, daß, wenn ich zu ihm gegangen wäre und ihm gesagt hätte, ich ginge nun ab oder beabsichtige abzugehen, weil er einen neuen Reichskanzler ernannt hätte, daß er das ganz zweifellos als eine Beleidigung empfunden hätte und mich dann in der Tat verabschiedet haben würde. Ich hatte nicht die geringste Veranlassung, meinen Oberbefehlshaber um die Entbindung von meiner militärischen Stellung zu bitten, weil er als Reichspräsident einen neuen Reichskanzler, der mir eventuell nicht paßte, ernannt hatte.

DR. SIEMERS: Wann und wo hörten Sie zum ersten Male von Hitler grundlegende Richtlinien auf politischem Gebiete?

RAEDER: Zum erstenmal an dem eben erwähnten 2. Februar, nach dem Essen im Hause des Generals von Hammerstein. Ich war ihm vor dem Essen vorgestellt worden, und nach dem Essen hielt er eine programmatische Rede. Er war in Begleitung des Außenministers Herrn von Neurath dort erschienen; sonstige Parteimitglieder waren nicht mit zugegen. In seiner Ansprache erwähnte er zunächst seinen Werdegang und seine nationalen und sozialen Ziele. Er sprach davon, daß er dem Deutschen Reich die Gleichberechtigung wieder erwerben wolle, er sprach auch davon, daß er danach streben werde, die Fesseln von Versailles zu lösen, dem Deutschen Reich die Souveränität in seinem Innern wieder zu verschaffen und sprach dann über seine sozialen Ziele, die Herstellung einer wahren Volksgemeinschaft im ganzen deutschen Volke, die Hebung des Lebensstandards des Arbeiters, die Förderung des Bauern, der Landwirtschaft, die Einrichtung des Arbeitsdienstes und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Er betonte ganz besonders, das war vielleicht der Hauptpunkt, daß er die ganze Politik, sowohl die innere Politik als auch die äußere, allein führen werde, daß die Wehrmacht nichts damit zu tun haben werde, daß die Wehrmacht auch im Innern, bei inneren Unruhen, nicht eingesetzt werden würde, dafür habe er andere Kräfte; der Wehrmacht wolle er eine ruhige Entwicklung sichern, damit sie zu dem Faktor werden könne, der erforderlich wäre, um zu verhindern, daß das Reich weiterhin nach außen der Spielbau anderer Nationen wäre. Und dazu sei es nötig, daß die Wehrmacht ihre ganze Arbeit in den kommenden Jahren auf die Vorbereitung ihrer Hauptaufgabe, die Ausbildung für die Verteidigung des Vaterlandes im Notfalle nach außen hin, verwende. Die Wehrmacht würde der einzige Waffenträger sein, und an ihrer Struktur solle nichts geändert werden. Auf Einzelheiten irgendwelcher Art ging er nicht ein: es war ja ein verhältnismäßig großer Kreis dort versammelt. Von irgendwelchen Kriegsabsichten, kriegerischen Absichten, war in gar keiner Weise die Rede.

Diese Rede wirkte außerordentlich befriedigend auf sämtliche Zuhörer. Er erwähnte den Reichspräsidenten von Hindenburg, gleichzeitig Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, mit besonderer Ehrerbietung, und man hatte den Eindruck, daß er diese altverehrte Persönlichkeit respektieren würde. Diese Rede war die eine Grundlage, die er mir als Chef der Marineleitung gab, ebenso wie dem Chef der Heeresleitung und den anderen.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Wann hielten Sie den ersten Marinevortrag bei Hitler, und welche grundsätzliche Stellung nahm Hitler ein bei dieser Gelegenheit, speziell zur Marine?

RAEDER: Den ersten Marinevortrag hielt ich in Gegenwart des Generals von Blomberg, dem ich unterstellt war in seiner Eigenschaft als Reichsverteidigungsminister, einige Tage später, ich kann den genauen Tag nicht mehr sagen, aber es war nicht lange danach. Und hier erhielt ich von Hitler den zweiten Teil der Grundlage für meine kommende Führung der Marine. Ich trug Hitler Bericht vor über den Stand der Marine, über die verhältnismäßig geringe Durchführung des Versailler Vertrags durch die Marine, die geringe Stärke, über den Schiffsbauersatzplan und über die marinepolitischen Ereignisse, wie über den Vertrag von Washington, den Vertrag von London 1930, den Stand der Abrüstungskonferenz. Über diese Dinge war er schon völlig orientiert. Er sagte mir, er wolle mir die Grundlage seiner Politik sagen, die der Marinepolitik auf lange Sicht zugrunde zu legen sei. Ich erinnere mich dieser Worte und der folgenden noch ganz besonders deutlich. Er wollte unter keinen Umständen in irgendwelche Verwicklungen mit England, Japan oder Italien kommen, vor allem nicht mit England. Dies wolle er dokumentieren dadurch, daß er versuchen wolle, im Einvernehmen mit England eine Festlegung des Stärkeverhältnisses der deutschen Flotte zur englischen Flotte zu erreichen. Er wolle dadurch zeigen, daß er England ein für allemal das Vorrecht zuerkenne, eine seinen großen Weltmachtinteressen, überwiegenden Weltmachtinteressen entsprechende überlegene Seemacht zu besitzen. Die deutsche Flotte brauchte nur im Rahmen einer europäischen Kontinentalpolitik ausgebaut zu werden.

Dieses wurde für mich der zweite große Grundsatz, nach dem ich die Marine geführt habe. Über das Stärkeverhältnis wurde bei dieser Gelegenheit noch nicht gesprochen, sondern erst später.

Dieser Entschluß Hitlers war für mich und für die ganze Marine eine ganz außerordentlich große Genugtuung, denn er bedeutete ja den Fortfall jedes sinnlosen Konkurrierens mit der ersten Seemacht und die Möglichkeit eines soliden allmählichen Aufbaues unserer Flotte.

Ich glaube, daß dieser Entschluß doch in der ganzen Marine mit großer Freude begrüßt worden ist und mit großem Verständnis, und später ist dann auch mit demselben Verständnis der Rußland-Pakt begrüßt worden, da diese Konstellation, Rußland-Pakt und Flottenvertrag, ja eine wunderbare Weiterentwicklung gewährleistet hätte. Es gab auch Menschen, allerdings nicht in der Marine, die der Ansicht waren, daß das ein Zurückweichen wäre, aber diese Beschränkung wurde von der Mehrzahl der Deutschen mit größtem Verständnis begrüßt.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Wie standen Sie persönlich zu Hitler, und wie beurteilten Sie ihn im Laufe der Jahre, und wie stellte sich Hitler zu Ihnen ein?

RAEDER: Ich begrüßte die energische Persönlichkeit, weil er offenbar sehr intelligent war, über eine ungeheure Willenskraft verfügte, ein Meister in der Menschenbehandlung war, nach meiner Beobachtung in den ersten Jahren ein großer und sehr geschickter Politiker, dessen vorher schon bekanntes nationales und soziales Ziel großen Widerhall sowohl in der Wehrmacht als auch im ganzen deutschen Volk fand...

VORSITZENDER: Herr Dr. Siemers! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß dies schneller erledigt werden könnte. Wir haben es schon von so vielen anderen gehört.

DR. SIEMERS: Ja. Soll der Angeklagte seine Beziehungen zu Hitler nicht erst schildern? Glaubt das Gericht, daß das unerheblich ist?

VORSITZENDER: Er könnte sich kürzer fassen.

DR. SIEMERS: Ja, schön. Herr Großadmiral! Ich bitte Sie, sich etwas kürzer zu fassen.

RAEDER: Ja, also ich möchte nur begründen, mit einer Einschätzung Hitlers, weswegen ich nicht zu irgendeinem Zeitpunkt weggegangen bin von ihm, was mir ja von der Anklage eigentlich sehr stark nahegelegt worden ist. Die ersten Schritte, die er tat, sowohl in innerpolitischer als auch in außenpolitischer Beziehung erweckten zweifellos eine Bewunderung vor seinem politischen Geschick und erweckten auch die Hoffnung, daß ebenso, wie er die ersten Schritte ohne Blutvergießen und ohne politische Verwicklung zurücklegte, er auch die späteren Probleme dadurch friedlich lösen würde.

VORSITZENDER: Herr Dr. Siemers! Wie ich bereits sagte, haben wir von fast jedem der einzelnen Angeklagten diese Erzählung von der Eigenart und Macht der Fähigkeiten Hitlers gehört. Es ist sehr kumulativ. Und wenn dieser Angeklagte sagen will, daß ihn Hitlers Fähigkeit stark beeindruckte, so genügt das vollkommen. Alles übrige ist kumulativ.

RAEDER: Ja, also dann will ich nur sagen, daß ich in den ersten Jahren keine Veranlassung fand, Überlegungen darüber anzustellen, ob ich in meiner Stellung bleiben dürfe oder nicht.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Auf die späteren Komplikationen kommen wir von selbst in den späteren Themen.

Ich komme damit zu dem deutsch-englischen Flottenabkommen und frage Sie nur ganz kurz, wie ist es zu diesem Flottenabkommen von 1935 gekommen? Ich darf mich beziehen auf Raeder Beweisstück 11, im Dokumentenbuch I, Seite 59. Hierin ist das Flottenabkommen enthalten, und zwar in der Form eines Briefes des deutschen Außenministers an die Britische Regierung. Der eigentliche Inhalt ist aber von der britischen Seite festgelegt, wie die Eingangsworte zeigen:

»Exzellenz: Ich beehre mich, Euer Exzellenz den Empfang des Schreibens vom heutigen Tage zu bestätigen, in dem Sie die Freundlichkeit hatten, im Namen der Regierung Seiner Majestät im Vereinigten Königreich folgendes mitzuteilen:«

Von britischer Seite ist dann folgendes gesagt:

»›Während der letzten Tage haben die Vertreter der Regierung des Deutschen Reiches und der Regierung Seiner Majestät im Vereinigten Königreich Besprechungen abgehalten, deren Hauptzweck darin bestand, den Boden für eine allgemeine Konferenz zur Begrenzung der Seerüstungen vorzubereiten. Ich freue mich, Euer Exzellenz nunmehr die formelle Annahme des Vorschlages der Regierung des Deutschen Reiches, der in diesen Besprechungen zur Erörterung gestanden hat, durch die Regierung Seiner Majestät im Vereinigten Königreich mitzuteilen, wonach die zukünftige Stärke der deutschen Flotte gegenüber der Gesamtflottenstärke der Mitglieder des Britischen Commonwealth im Verhältnis 35:100 stehen wird. Die Regierung Seiner Majestät im Vereinigten Königreich sieht diesen Vorschlag als einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur zukünftigen Seerüstungsbeschränkung an.

Weiterhin glaubt sie, daß die Einigung, zu der sie nunmehr mit der Regierung des Deutschen Reiches gelangt ist und die sie als eine vom heutigen Tage ab gültige dauernde und endgültige Einigung zwischen beiden Regierungen ansieht...‹«

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Von diesem Dokument, das bekannt ist, wird der Gerichtshof amtlich Kenntnis nehmen; es ist nicht nötig, es zu verlesen.

DR. SIEMERS: Jawohl. Ich darf nur noch daran erinnern, daß laut dieser Urkunde unter Ziffer 2 f) an sich von der Britischen Regierung anerkannt wurde, daß hinsichtlich der U-Boote Deutschland die gleiche Anzahl haben durfte. Das waren seinerzeit 52000 Tonnen, etwas über 100 U-Boote. Die Regierung des Deutschen Reiches verpflichtete sich indessen freiwillig, sich mit 45 Prozent der gesamten U-Boottonnage des Britischen Reiches zu begnügen.