[Zum Zeugen gewandt:]
Wurde diese Basis einer so starken Beschränkung von Ihnen und der Marine als Grundlage für eine friedliche Entwicklung Deutschlands angesehen und allgemein in der Marine begrüßt?
RAEDER: Jawohl, wie ich vorhin schon erwähnt habe, mit größter Genugtuung.
DR. SIEMERS: Da eine Stellungnahme aus früheren Jahren noch größeres Gewicht hat als eine jetzt im Prozeß angegebene Erklärung, darf ich in diesem Zusammenhang Raeder Beweisstück Nummer 12 überreichen, Dokumentenbuch I, Seite 64. Es handelt sich hierbei um ein Schreiben von Großadmiral Raeder für die Unterrichtung des Offizierkorps vom 15. Juli 1935, also einen Monat nach dem Flottenabkommen.
Damals hat Raeder gesagt – ich zitiere Absatz 2:
»Das Abkommen ist aus dem Entschluß des Führers entstanden, das Stärkeverhältnis der Flotten Deutschlands und des Britischen Reiches auf 35 zu 100 festzusetzen. Dieser aus Erwägungen der europäischen Politik gefaßte Entschluß bildete den Ausgangspunkt der Londoner Verhandlungen. An ihm wurde gegen anfänglichen englischen Widerstand unbeirrt festgehalten und unsere Forderungen wurden restlos durchgesetzt. Dem Entschluß des Führers liegt der Wille zugrunde, die Möglichkeit einer Gegnerschaft Deutschlands und Englands für die Zukunft auszuschließen und daher auch eine Flottenrivalität zwischen den beiden Ländern endgültig auszuschalten.«
Von Bedeutung ist auf der Seite 66 noch der Satz: – Von dem übrigen bitte ich das Gericht amtlich Kenntnis zu nehmen. –
»Durch das Abkommen ist der Aufbau der deutschen Kriegsmarine in dem vom Führer festgelegten Ausmaß durch England formell gutgeheißen worden.«
Und dann kommen die einzelnen Tonnageangaben. Dann bitte ich, im Dokument den Schlußsatz noch zu beachten für die Einstellung von Raeder damals:
»Auf politischem Gebiet bedeutet das Abkommen deswegen einen besonderen Erfolg, weil es den ersten Schritt zu einer praktischen Verständigung darstellt und weil es die erste Auflockerung der bisher gegen Deutschland gerichteten starren Front unserer ehemaligen Gegner gebracht hat, wie sie erneut besonders kraß in Stresa in Erscheinung trat.«
[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Großadmiral! Wurden diese Linien der friedlichen Entwicklung, die Sie damals niederlegten, in den nächsten Jahren konsequent weiterverfolgt?
RAEDER: Jawohl.
DR. SIEMERS: Ich darf dem Hohen Tribunal in diesem Zusammenhang noch Raeder-Exhibit Nummer 13 vorlegen. Es ist ein Dokument, das, ebenfalls um Zeit zu sparen, mir die Möglichkeit gab, auf die Vernehmung von Vizeadmiral Lohmann zu verzichten. Es handelt sich hierbei... Verzeihung im Dokumentenbuch I, Seite 68. Das Dokument heißt: »Die Neuordnung der Deutschen Flottenentwicklung« und stellt eine grundsätzliche Arbeit dar, und zwar ist es ein Vortrag von Vizeadmiral Lohmann, den dieser im Sommer 1935 an der Hanseatischen Universität in Hamburg gehalten hat. Ich bitte, von diesem Dokument in wesentlichen Punkten Kenntnis zu nehmen und darf, da dies eine grundlegende, im Auftrag des Oberkommandos vorgenommene Arbeit gewesen ist, nur folgendes zitieren:
Admiral Lohmann führt zunächst aus, daß auf Grund der Wehrfreiheit die Marine nun an keine Beschränkung mehr gebunden gewesen wäre, daß sich Hitler aber nicht auf diesen Standpunkt gestellt hat, und ich fahre nun wörtlich fort:
»Der Führer hat aber einen anderen Weg gewählt. Er hat es vorgezogen, mit England als unserem einstigen Gegner, der sich seit Jahren bemüht hat, für unsere« – verzeihen Sie, auf Seite 70 – »schwierige Stellung Verständnis zu zeigen, unmittelbar über die Gestaltung der deutschen Seerüstung zu verhandeln.«
Und auf Seite 71 spricht Lohmann zunächst von Verlautbarungen in der Presse und so weiter, die etwas irreführend gewesen waren und fährt dann wörtlich fort:
»Um so überraschender wirkte dann der Abschluß des Abkommens, das eine völlige Übereinstimmung der beiden Regierungen zum Ausdruck brachte und nicht, wie manche Rüstungsabkommen aus früherer Zeit, mehr Verbitterung als Verständigung hinterließ. Der Sinn für Fairneß, den die englischen Staatsmänner auf allen den oft recht schmutzigen Wegen der hohen Politik nicht verloren haben, kam angesichts der rückhaltlosen Aufrichtigkeit der deutschen Erklärungen, der würdigen Festigkeit des deutschen Auftretens und des leidenschaftlichen Friedenswillens, der die Reden und Taten unseres Führers beseelt, zum Durchbruch. Anders als früher klang aus den Reden der britischen Führer Achtung und Anerkennung. Und die ist bei uns als Zeichen ehrlicher Verständigungsbereitschaft zur Kenntnis genommen worden. Kaum weniger wertvoll aber als die Stellungnahme der amtlichen Führung sind die Stimmen aus den Kreisen der englischen Frontkämpfer. Dafür ein Beispiel: Als im November 1918 die deutsche Flotte zur Internierung in Scapa Flow von den englischen Geschwadern in Empfang genommen wurde, setzte der englische Flottenchef Lord Beatty, der große Gegner unseres Kreuzeradmirals Hipper, das berüchtigt gewordene Signal: ›Vergeßt nicht, daß der Feind eine verächtliche Bestie ist.‹ Und dieser Großadmiral hat noch manches Mal seiner Abneigung gegen Deutschland Ausdruck gegeben. Am 26. Juni aber erklärte derselbe Lord Beatty vor dem englischen Oberhause: ›Ich bin der Meinung, daß wir den Deutschen Dank schuldig sind. Sie kamen zu uns mit ausgestreckten Händen und erklärten, daß sie mit dem Stärkeverhältnis 35:100 einverstanden seien. Wenn sie andere Vorschläge gemacht hätten, wir hätten sie auch nicht hindern können. Daß wir nun wenigstens einem Lande der Welt gegenüber kein Wettrüsten zu fürchten haben, ist wahrlich eine Sache, für die man dankbar sein muß.‹«
Ich darf Sie nunmehr auf Seite 73 verweisen, die Begrenzung der Schlachtschiffe auf 35000 Tonnen. Diese Begrenzung spielt eine Rolle in dem Anklagedokument C-23. Es ist von gewisser Bedeutung, daß in dieser Urkunde neben den Worten »Schlachtschiffe 35000 Tonnen« das Wort »Panamakanal« steht. Die Begrenzung auf 35000 Tonnen ist nicht so entscheidend und wichtig wie die Anklage es darstellen wollte. Dies ist der Ursprung:
Die Vereinigten Staaten wollten damals die Begrenzung auf 35000 Tonnen wegen der Größe und Tiefe des Panamakanals, weil der Panamakanal bei größerer Tonnage vergrößert werden müßte. Ich komme später darauf zurück, weil die Begrenzung auf 35000 Tonnen auch schließlich nicht mehr aufrechterhalten wurde.
Dann darf ich noch verweisen auf Seite 76, wo die Tonnageziffer erwähnt ist von 52700 Tonnen zum Beispiel dafür, daß dies die Ausgangssumme ist für den Vergleich mit den deutschen U-Booten. Es ist geschichtsbekannt und wird hier erwähnt, daß Frankreich sich an der Begrenzung nicht beteiligte, und seinerzeit mit 96000 Tonnen die stärkste U-Bootmacht war. Es hatte 96 fertige und 15 im Bau befindliche. Es ist ebenfalls geschichtsbekannt, daß Deutschland – was hier auch erwähnt wird, auf derselben Seite – der Abschaffung der U-Boote zugestimmt hat, nachdem es 315 U-Boote nach dem vorigen Krieg vernichten mußte.