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[Zum Zeugen gewandt:]

Ist also auch im Jahre 1937, Herr Großadmiral, dieses Abkommen wiederum unter dem Gesichtspunkt, unter dem gleichen von Ihnen geschilderten Gesichtspunkt abgeschlossen, und sind noch irgendwelche Tatsachen bemerkenswert, die zu diesem Abkommen führten?

RAEDER: Im Jahre 1936 waren die Verträge, die England bis dahin schon abgeschlossen hatte mit anderen Mächten, soweit ich mich erinnere, abgelaufen, und es war infolgedessen das Bestreben Englands, im Laufe des Jahres 1936 die Verträge zu erneuern, und der Umstand, daß wir 1937 aufgefordert wurden, einem neuen Vertrag, der von allen Mächten abgeschlossen worden ist, beizutreten, bedeutete, daß nunmehr Deutschland seinerseits ganz in den Rahmen dieser Verträge eingegliedert werden sollte.

DR. SIEMERS: Die Anklage hat Ihnen nun den Vorwurf gemacht, daß gegen dieses deutsch-englische Flottenabkommen verstoßen worden ist, und zwar mit der Urkunde C-23, gleich US-49.

Die Urkunde findet sich im Dokumentenbuch der Britischen Delegation Nummer 10, Seite 3. Die Urkunde stammt vom 18. Februar 1938. Sie ist mehrfach in diesem Prozeß erwähnt und lautet zu Beginn:

»Bei den Schlachtschiffen ›Scharnhorst-Gneisenau‹ und ›F/G‹ ist in beiden Fällen das wahre Typdeplacement um 20 Prozent größer, als den Engländern angegeben worden ist.«

Es kommt dann die Liste, woraus sich ergibt: »Schamhorst« 26000 Tonnen angegeben, 31300 wahres Deplacement und der Tiefgang um einen Meter zu niedrig angegeben. Und »F«, das ist der Typ von »Bismarck« und »Tirpitz«, wurde mit 35000 Tonnen angegeben, und hat tatsächlich 41700 Tonnen. Der Tiefgang ist um ungefähr 80 cm zu gering angegeben. Es liegt also, nach dem, was wir gesehen haben, ein klarer Vertragsverstoß vor.

Ich gehe davon aus, Herr Großadmiral, daß Sie diesen Vertragsverstoß nicht bestreiten.

RAEDER: Nein, in keiner Weise.

DR. SIEMERS: Es waren allerdings zur Zeit dieser Urkunde nur vier Schlachtschiffe, die in Betracht kommen: »Scharnhorst«, »Gneisenau«, »Bismarck« und »Tirpitz«. So waren diese...

VORSITZENDER: Es scheint mir, daß Sie wiederum dem Gerichtshofe Erklärungen abgeben, anstatt Fragen an den Zeugen zu stellen.

DR. SIEMERS: Ich glaubte, Herr Präsident, lediglich, da ich den Dokumentenbeweis mit hineinnehme, nur die Verbindung herzustellen, damit man weiß, um was es sich handelt. Ich wollte in diesem Moment die Frage hierzu stellen, und zwar die Frage: Waren die genannten vier Schlachtschiffe zur Zeit dieser Urkunde schon in Dienst gestellt?

RAEDER: Nein, sie waren noch nicht in Dienst gestellt.

DR. SIEMERS: Noch keines der vier Schlachtschiffe?

RAEDER: Nein.

DR. SIEMERS: Ich darf, wenn es mir gestattet ist, darauf hinweisen, daß sich die genauen Daten der Indienststellung, die der Zeuge schlecht aus dem Kopf aussagen kann, aus dem Affidavit Lohmann, Raeder Nummer 2 unter IV ergeben.

VORSITZENDER: Ich glaube, Sie müssen das beweisen. Sie können das nicht angeben, ohne es zu beweisen.

DR. SIEMERS: Ja, gerne. Ich beziehe mich auf Raeder-Exhibit Nummer 2, das dem Tribunal bereits vorgelegt ist, und zwar auf das Affidavit von Lohmann, Seite 5. Das ist Dokumentenbuch I, Seite 8. Ich zitiere:

»Die deutsche Kriegsmarine hat im Rahmen des deutsch-englischen Flottenabkommens vier Schlachtschiffe in Dienst gestellt. Nachstehend gebe ich die einzelnen Daten hinsichtlich Stapellegung, Stapellauf und Indienststellung auf, soweit ich diese Daten noch mit Sicherheit feststellen kann:

Scharnhorst: Stapellegung: nicht mit Sicherheit festzustellen; Stapellauf: 3. Oktober 1936; Indienststellung: 7. Januar 1939.

Gneisenau: Stapellegung: nicht völlig festzustellen; Stapellauf: 8. Dezember 1936; Indienststellung: 31. Mai 1938.

Bismarck: Stapellegung: 1936; Stapellauf: 14. Februar 1939; Indienststellung: 2. August 1940.

Tirpitz: Stapellegung: 1936; Stapellauf: 1. April 1939; Indienststellung: 1941.«

Genaues Datum hat Admiral Lohmann, nicht feststellen können. Die »H...« ich darf bemerken, daß die weiteren in C-23 genannten Schiffe geplant, jedoch später abgewrackt, Sommer 1939 bereits abgewrackt wurden und auch nur das erste »H«. Insoweit handelt es sich um keine endgültigen Vorbereitungen und Bauten. Da der Vertragsverstoß klar ist, kommt es darauf an, wie dieser Verstoß anzusehen ist. Die Anklage hat gesagt, daß dieser Vertragsverstoß verbrecherisch ist, weil er Angriffsabsichten enthält. Um Zeit zu sparen, zumal es sich teilweise um technische Fragen handelt, darf ich, bevor ich den Angeklagten weiter vernehme, im Rahmen des Dokumentenbeweises, den ich mit Erlaubnis des Gerichts eingeschaltet habe, das Raeder-Exhibit Nummer 15 überreichen, aus dem sich meines Erachtens ergibt, daß keine Angriffsabsichten vorlagen.

Raeder-Exhibit Nummer 15 ist ein Affidavit.. Verzeihung, ich darf zunächst sagen, im Dokumentenbuch I, Seite 94. Es handelt sich um ein in Hamburg vor einem Notar abgegebenes Affidavit von Dr. Ing. h. c. Wilhelm Süchting. Da dieses Affidavit für die Widerlegung der Urkunde C-23 wichtig ist, darf ich hier zitieren:

»Ich bin der frühere Schiffsbaudirektor der Werft von Blohm & Voß in Hamburg seit 1937 bis 1945...« Verzeihung: »Seit 1907 bis 1945 bei der Firma tätig gewesen und mit allen Fragen des Kriegs- und Handelsschiffbaues vertraut, insbesondere bin ich als Ingenieur im einzelnen über den Bau von Schlachtschiffen für die deutsche Kriegsmarine unterrichtet. Herr Dr. Walter Siemers, Rechtsanwalt in Hamburg, hat mir das Doku ment C-23 vom 18. Februar 1938 mit der Bitte um Stellungnahme vorgelegt. Aus dieser Urkunde ergibt sich, daß die Marine entgegen dem früheren Abkommen das Deplacement und den Tiefgang der Schlachtschiffe ›Scharnhorst‹ und ›Gneisenau‹ sowie weiterer vorgesehener Schlachtschiffe den Engländern gegenüber um ca. 20 % niedriger angegeben hat als es den Tatsachen entspricht.

Zur Aufklärung darüber, wie es zu den Angaben gekommen ist, kann ich folgendes anführen:

Die den Engländern gemachten Angaben, die laut Flottenabkommen vier Monate vor Stapellegung erfolgen mußten, beruhen meiner Annahme nach darauf, daß die Schlachtschiffe ›Scharnhorst‹ und ›Gneisenau‹ ursprünglich nur mit dem angegebenen Deplacement von 26000 Tonnen und einem Tiefgang von 7.50 m und das Schlachtschiff F (›Bismarck‹) mit einem Deplacement von 35000 Tonnen und einem Tiefgang von 7.90 m geplant waren.

Wenn diese Schlachtschiffe ein größeres Deplacement und einen größeren Tiefgang aufwiesen, so beruhten diese Veränderungen auf Anordnungen oder Wünschen der Marine, die während der Ausarbeitung des Entwurfes auftraten und vom Konstruktionsamt erfüllt werden mußten. Die Veränderungen beruhten auf dem von der Marine immer wieder vertretenen Standpunkt, die Schlachtschiffe so zu bauen, daß sie möglichst unsinkbar werden würden. Die Erhöhung der Tonnage beruhte nicht darauf, die Offensivkraft des Schiffes zu erhöhen...«

Ich bitte um Entschuldigung, Herr Präsident, ich bin aber sofort fertig.

»Die Erhöhung der Tonnage beruhte nicht darauf, die Offensivkraft des Schiffes zu erhöhen, sondern geschah zu Defensiv- und Schutzzwecken.«

Ich darf darauf hinweisen, daß im englischen Text ein Übersetzungsfehler ist: Es fehlt hier das Wort »not«. Es muß heißen »not meant« und dort steht nur »meant«.

»Die Marine legte bei den Schlachtschiffen im Laufe der Zeit steigendes Gewicht auf größere Unterteilung des Schiffskörpers, um den Grad der Unsinkbarkeit und den Schutz bei Wassereinbrüchen so gut wie möglich zu gestalten. Die neuen Schlachtschiffe erhielten daher eine große Breite, sehr viele Querschotten (mit nur etwa 10 m Abstand) und viele Längs- und Querschotten außerhalb des Torpedoschotts. Gleichzeitig ist auch die Stärke sowohl des Vertikal- wie des Horizontalpanzers, soweit ich unterrichtet bin, größer und auf weitere Flächen verteilt, als dies bei anderen Marinen üblich ist, um auf...«

VORSITZENDER: Die Erklärung sagt, mit anderen Worten, daß die Schiffe während ihrer Konstruktion aus technischen Gründen geändert wurden. Es spielt keine Rolle, welches die technischen Gründe sind.

DR. SIEMERS: Verzeihung, Herr Präsident, ich glaube, bei einem Vertragsverstoß, der klar feststeht, ist es wichtig, welcher Art dieser Vertragsverstoß ist. Ich glaube nicht, daß man bei jedem Vertragsverstoß sagen kann, das ist ein Kriegsverbrechen. Es kommt darauf an, ob dieser Vertragsverstoß ein Kriegsverbrechen im Sinne des Statuts ist, also in der Absicht geschah, Angriffskriege zu führen. Ein harmloser Verstoß, der letzten Endes in jedem Handelsprozeß vorkommt, kann kein Verbrechen sein.

VORSITZENDER: Das Affidavit liegt uns vor. Wir werden es lesen. Sie haben ja bereits die wesentlichen Teile verlesen.

Ich glaube, wir vertagen uns nunmehr. Wie lange werden Sie noch brauchen?

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Es ist sehr schwer, dies genau zu übersehen, aber ich vermute, daß ich morgen im Laufe des Tages fertig werde. Ich bitte, Herr Präsident,... ich hoffe, bis mittag. Ich bitte, Herr Präsident, zu berücksichtigen, daß ich den gesamten Dokumentenbeweis mit in die Vernehmung hineinnehme. Der Dokumentenbeweis, der in anderen Fällen oft viele Stunden in Anspruch genommen hat, wird bei mir hier schon miterledigt.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hofft, daß Sie Ihren Vortrag so kurz wie möglich halten werden. Wir haben uns bereits lange mit diesem Angeklagten beschäftigt.