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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Zunächst ein formaler Punkt. Ich darf darum bitten, daß ich hier im Gerichtssaal außer meiner eigenen eine zweite Sekretärin habe, die heute morgen auch hier war. Es ist aber eben gesagt worden, sie dürfte nicht mit in den Gerichtssaal und steht jetzt draußen vor der Tür.

VORSITZENDER: Einverstanden.

[Der Angeklagte Raeder betritt den Zeugenstand.]

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Sie hatten eben das Affidavit des Dr. Süchting gesehen. Ich frage Sie: Ist es richtig – nein, um Sie nicht irre zu führen, will ich fragen: Auf welchen Gedankengängen beruhte bei der Marine die Idee, die Schlachtschiffe zu vergrößern um zirka 20 Prozent.

RAEDER: Es lag nicht von vornherein die Absicht vor, die Schiffe um 20 Prozent zu vergrößern, sondern es kam in der damaligen Zeit, wo wir wieder mit dem Schlachtschiffbau anfingen und wo wir unter allen Umständen sehen konnten, daß wir nur eine sehr geringe Zahl von Schlachtschiffen haben würden, der Gedanke auf, die Sinksicherheit der Schiffe auf das äußerste zu erhöhen, um die wenigen Schiffe so widerstandsfähig wie möglich zu machen. Es hatte das gar nichts zu tun mit einer stärkeren Armierung oder so etwas, sondern nur, um die Sinksicherheit und die Widerstandsfähigkeit gegen feindliche Geschosse zu erhöhen. Aus diesem Grunde wurde damals ein neues System ausgedacht, um die Unterteilung der inneren Schiffsräume noch weiter durchzuführen, stärker durchzuführen. Das bedingte, daß eine sehr große Menge neues Eisen mit der Zeit in die Schiffe eingebaut werden mußte; dadurch wurde der Tiefgang größer und damit auch das Deplacement. Das war auf der anderen Seite für mich ein Übelstand, ein Mißstand, denn wir hatten die Schiffe projektiert mit einem verhältnismäßig geringen Tiefgang, weil unsere Flußmündungen, Elbe, Weser, Jade, ja außerordentlich flach sind und sehr tiefgehende Schiffe nicht zu jeder Tiefe ein- und auslaufen konnten. Deswegen hatten wir die Schiffe breit gebaut und wollten sie mit geringem Tiefgang bauen. Durch den Einbau dieser vielen neuen Quer- und Längsschiffe wurde nun der Tiefgang größer und damit auch das Deplacement.

DR. SIEMERS: Beruhten diese, während des Baues nachträglich erfolgten Veränderungen zum Teil auch darauf, daß eine verhältnismäßig geringe Erfahrung in dem Schlachtschiffbau vorlag?

RAEDER: Jawohl, da sowohl unsere Konstrukteure im OKM – Oberkommando der Kriegsmarine – als auch die Konstrukteure, Ingenieure der großen Bauwerften sehr lange Zeit keine großen Schiffe, Kriegsschiffe, gebaut hatten, so fehlte es ihnen an Erfahrung. Und dadurch wurde die Verfügung nachträglicher Änderungen vom Oberkommando der Kriegsmarine an die Werften notwendig. Es war auch an sich ein Übelstand, gegen den ich stark angekämpft habe.

DR. SIEMERS: Ist durch den Bau dieser vier Schlachtschiffe auch die Gesamttonnage, die uns nach dem Flottenabkommen zugebilligt war, überschritten worden?

RAEDER: Nein. Bis zum Kriegsbeginn ist die Gesamttonnage nicht überschritten worden.

DR. SIEMERS: Hohes Tribunal! Ich darf in diesem Zusammenhang mich auf Raeder-Exhibit Nummer 8 beziehen, das bereits im Dokumentenbuch 1, Seite 40, unter II eingereicht wurde In diesem Affidavit von Lohmann sind die vergleichenden Zahlen gegeben, aus denen sich zeigt, wieviel Schlachtschifftonnage Deutschland nach dem Flottenabkommen zur Verfügung stand. Ich bitte davon Kenntnis zu nehmen, ohne daß ich alle Zahlen vorlese.

Entscheidend ist nur, daß nach dem Vergleich mit den englischen Zahlen Deutschland bei den Schlachtschiffen 183750 Tonnen haben durfte. Es hatte zu der Zeit drei fertige Panzerkreuzer mit, wie hier steht, 30000 Tonnen, so daß, wie in diesem Affidavit steht, 153750 Tonnen übrigblieben.

Ich möchte zu diesem Affidavit im Raeder-Exhibit Nummer 127 eine kurze Berichtigung einreichen, weil Großadmiral Raeder bei Durchsicht des Affidavits feststellte, daß sich Vizeadmiral Lohmann in einer Zahl geirrt hatte. Der Irrtum ist für das Ganze unwesentlich. Um aber absolut fair und korrekt zu sein, habe ich es für nötig gehalten, Vizeadmiral Lohmann darauf hinzuweisen. Es muß richtig heißen, statt 30000 zirka 34000 Tonnen, so daß dann nicht 153750 Tonnen übrigblieben, sondern 149750. Nach dem Flottenabkommen durften wir noch bauen, nach diesem Affidavit, die Schlußzahl 146000. Im Ergebnis ändert sich also nichts. Das Versehen des Vizeadmirals Lohmann beruht lediglich darauf, da, wie das Tribunal weiß, wir in unseren Materialunterlagen sehr beschränkt sind.

RAEDER: Darf ich zu meinen vorherigen Ausführungen noch einen Satz sagen? Es ist also insofern abgewichen worden bei der Angabe dieser Deplacements von den Bestimmungen des Vertrags, als nur das ursprüngliche Konstruktionsdeplacement oder der Konstruktionstiefgang mitgeteilt worden ist, und nicht die Querziffer, und nicht das Deplacement, das sich im Laufe des Baus, der Planung des Baus, durch die Abänderung allmählich entwickelte.

DR. SIEMERS: Darüber hinaus darf ich das verehrliche Gericht auf folgendes hinweisen: Das Flottenabkommen von 1937 wurde durch das Londoner Protokoll vom 30 Juni 1938 abgeändert. Ich beziehe mich auf das Raeder-Exhibit Nummer 16. Meine Sekretärin sagt mir eben, daß es im Moment nicht da ist, ich will es während der Verhandlung nachbringen. Es ist das letzte Dokument im Dokumentenbuch 1 auf Seite 97.

Ich darf daran erinnern, daß die Urkunde C-23 vom Februar 1938 stammte. Durch dieses Londoner Protokoll ist auf Vorschlag der Britischen Regierung die seinerzeit auf 35000 Tonnen beschränkte Schlachtschifftonnage abgeändert worden, weil die Britische Regierung ebenso wie die Deutsche eingesehen hatte, daß 35000 Tonnen zu gering waren. Es wurde, wie dieses Protokoll ergibt, mit Wirkung vom 30. Juni 1938 ab, die Schlachtschifftonnage auf 45000 Tonnen erhöht; damit sind wenige Monate später diese Differenzen bei den Schlachtschiffen in der Urkunde C-23 erledigt.

Ich komme nun zu einem neuen Thema, und zwar zu der Frage Ihrer Beteiligung an der Planung und Verschwörung zur Führung von Angriffskriegen. Es handelt sich hierbei um die sogenannten Schlüsseldokumente, die die Anklagebehörde vorgelegt hat. Da Sie, Herr Großadmiral, bei diesen Reden von Hitler vor den Oberbefehlshabern zugegen gewesen sind, muß ich Sie bitten, zu diesen Dokumenten Stellung zu nehmen.

Das erste Dokument ist die Urkunde 386-PS, das sogenannte Hoßbach-Dokument, US-25 im Dokumentenbuch der Britischen Delegation Nummer 10, Seite 81. Es ist die Rede Hitlers vom 5. November 1937.

Herr Großadmiral! Haben Sie diese Niederschrift von Hoßbach jemals gesehen, bevor dieser Prozeß begann?

RAEDER: Nein, ich habe überhaupt keine Urkunden, keine Protokolle über irgendwelche Vorträge, die Hitler gehalten hat, gesehen. Offiziell wurde kein Protokoll geführt. Erst in späteren Jahren, ich glaube seit 1941, waren Stenographen zugegen, zwei Stenographen, die jedes Wort aufschrieben. Es handelte sich überhaupt um kein richtiges Protokoll, denn die Schrift ist ja in indirekter Rede aufgenommen, ist also von dem Verfasser, wie man hörte, fünf Tage nach der Rede selbst verzeichnet worden.

DR. SIEMERS: Obwohl es ein sehr wichtiges Dokument ist, ist mir aufgefallen, daß es im Gegensatz zu anderen Dokumenten keinen Verteiler hat, fünf Tage nach der Rede erst aufgezeichnet worden ist und nicht einmal den Geheimvermerk trägt. Können Sie sich erklären, wo überhaupt dieses Protokoll niedergelegt wurde?

RAEDER: Ich habe keinen Überblick über die Verhältnisse. Ich kann mir nur denken, daß der betreffende Adjutant das Protokoll in seinem Geheimschrank aufbewahrt hat.

DR. SIEMERS: Sie haben daher über diese Rede nur einen Gesamteindruck, überdies nach einem Verlauf von 8 bis 9 Jahren?

RAEDER: Jawohl.

DR. SIEMERS: Die Urkunde ist hier von der Anklagebehörde im vollen Umfange verlesen worden und enthält, wie gar nicht zu verkennen ist, bedenkliche Hinweise auf einen Angriffskrieg. Es ist zum Beispiel die Rede von testamentarischer Hinterlassenschaft, von dem Problem des Raumes, von dem Haß gegen England und Frankreich, es wird gesagt, die Aufrüstung sei nunmehr beendet, das erste Ziel sei, die Tschechei und Österreich niederzuwerfen.

Ich bitte Sie, dem Gericht darzulegen, wie diese Rede seinerzeit auf Sie gewirkt hat und wie es gekommen ist, daß Sie diese Rede nicht so bedenklich angesehen haben, wie zum Beispiel Herr von Neurath, der auch zugegen war, und wie Sie trotz dieser Rede bei der Meinung blieben, daß Hitler die alte Linie einhalten und keine gewaltsame Lösung entstehen lassen wollte?

RAEDER: Ich darf einleitend sagen, daß die Behauptung im Trialbrief, daß eine einflußreiche Gruppe von Nazis zusammentrat, um die Lage zu prüfen, durchaus die Situation nicht richtig kennzeichnet. Hitler hatte die in dem Dokument genannten Personen zusammengerufen, um ihnen die politischen Entwicklungsmöglichkeiten und etwaige Weisungen, die er hatte, bekanntzugeben. Ich möchte dann etwas Allgemeines sagen – da ja eine ganze Anzahl Reden von Hitler kommen – über die Art des Redens von Hitler. Hitler sprach ja außerordentlich viel, er holte sehr weit aus, er verfolgte vor allem mit jeder Rede einen besonderen Zweck, je nach dem Zuhörerkreis, den er hatte. Er war ebenso, wie er ein Meister der Dialektik war, auch ein Meister des Bluffs. Er brauchte starke Ausdrücke, ebenfalls je nach dem Zweck, den er verfolgte, er ließ seiner Phantasie außerordentlich starkes Spiel, er widersprach sich auch häufig in aufeinanderfolgenden Reden. Man wußte nie, welches seine letzten Ziele und Absichten waren. Das war am Ende einer solchen Rede außerordentlich schwer festzustellen. Seine Rede machte in der Regel mehr Eindruck auf Leute, die ihn sehr selten hörten, als auf solche, die seine ganze Redeweise bei solchen Gelegenheiten schon kannten. Es handelte sich nie um eine Beratung, sondern wie hier schon mal gesagt worden ist, stets um eine Befehlsausgabe ohne Diskussion.

Der Zweck der Rede am 5. November 1937 war, wie mir der Reichsmarschall Göring zu Beginn sagte...

DR. SIEMERS: Verzeihung, zu Beginn dieses Vortrags sagte? Dieses Vortrags vom 5. November?

RAEDER: Ja,... zu Beginn dieses Vortrags sagte, da er schon vorher mit dem Führer gesprochen hatte, der Führer wolle das Heer anspornen, etwas schneller in seiner Rüstung zu verfahren. Es ginge dem Führer zu langsam. Das Objekt der Rede war ja Österreich und Tschechoslowakei, von der er an einer Stelle sagte, daß er sie niederwerfen wolle. Er führte aus, daß der späteste Termin 1943 bis 1945 wäre, da sich danach unsere Lage verschlechtere. Der Fall könne aber schon früher eintreten unter zwei Voraussetzungen, nämlich einmal, wenn in Frankreich innere Unruhen aufträten, oder das andere Mal, wenn im Mittelmeer ein, meines Erachtens völlig phantastischer Krieg, an dem England, Frankreich, Italien und womöglich auch Spanien beteiligt wären, ausbrechen würde. Die Behauptung, daß die Aufrüstung von Heer, Marine und Luftwaffe so gut wie beendet wäre im November 1937, ist mir völlig unverständlich geblieben, denn die Marine hatte noch nicht ein einziges Schlachtschiff überhaupt im Dienst. Ähnlich stand es mit der Luftwaffe und dem Heere. Wir waren in gar keiner Weise für den Krieg gerüstet und ein Krieg zum Beispiel gegen England wäre vollster Wahnsinn gewesen.

Für mich waren die entscheidenden Sätze seiner Rede: Erstens, »England und Frankreich«, glaube ich, »haben die Tschechoslowakei schon abgeschrieben«, und zweitens: »Ich bin davon überzeugt, daß Frankreich und England nicht eingreifen würden«, drittens aber die Tatsache, daß ja wenige Monate vorher, im Juli 1937, das zweite Flottenabkommen gerade abgeschlossen war. Diese drei Tatsachen schienen mir dafür zu sprechen, und zwar mit Sicherheit dafür, daß Hitler eine kriegerische Lösung dieser Fragen, Österreich und die Tschechoslowakei – es handelte sich damals nur um das Sudetenland –, unter gar keinen Umständen erstreben würde, sondern daß er die friedliche Lösung anstreben würde, und deswegen hat mir auch die Rede durchaus nicht den Eindruck gemacht, daß Hitler damals eine Schwenkung in seiner Politik machen wolle, daß er von der Friedenspolitik zu einer Kriegspolitik übergehen würde. Ich kann mir vorstellen, daß Herr von Neurath, der den Zweck dieser Rede nicht kannte, zu einer anderen Auffassung gekommen ist; wenn ich aber jetzt nachträglich darüber nachdenke, so könnte ich mir auch vorstellen, daß dieser übertriebene Charakter der Redeübertreibung vielleicht geradezu dazu dienen sollte, Herrn von Neurath aus dem Kabinett herauszudrücken, weil mir bekannt geworden ist, daß zu jener Zeit schon die Neigung bestand beim Führer, Herrn von Ribbentrop an die Stelle von Neurath zu setzen. Das war nur eine Vermutung, die ich nachträglich gehabt habe. Für mich war die Folgerung aus dieser Rede nichts anderes als die, der Aufbau der Flotte ist im Verhältnis 1:3 zu England weiterzuführen und ein freundliches Verhältnis zu England weiterhin zu erstreben. Das Quantitätsabkommen, das soeben abgeschlossen ist, ist weiter durchzuführen.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Es fällt auf, daß am Schluß der Urkunde, und zwar im viertletzten Absatz, Feldmarschall von Blomberg und Generaloberst von Fritsch bei der Beurteilung der Lage wiederholt auf die Notwendigkeit hinweisen, daß England und Frankreich nicht als unsere Gegner auftreten dürften. Es wird das noch weiter ausgeführt, und man sieht, daß Blomberg und Fritsch beunruhigt waren und nun der schon seltene Fall eintrat, daß sie Hitler widersprachen.

Sie haben auch nach der Rede mit Blomberg noch gesprochen. Ist es richtig, daß Blomberg, der ja leider nicht mehr gehört werden kann, und Fritsch, der ebenfalls tot ist, diese Übertreibung Hitlers durchschauten und deshalb ihn auf die Bedenklichkeit hinweisen und damit irgendwie eingreifen wollten? Und wie hat sich Ihre Unterhaltung mit Blomberg abgespielt im Anschluß an die Rede?

RAEDER: Erstens Blomberg und Fritsch...

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Sie müssen versuchen, keine Suggestivfragen zu stellen. Sie geben ihm ja die Antwort in den Mund. Wenn Sie wünschen...

DR. SIEMERS: Es tut mir leid, wenn ich es getan habe; es ist etwas schwierig, und die beiden Persönlichkeiten, die noch da waren, Blomberg und Fritsch, sind tot. Ich kann nur darauf hinweisen, daß sie nicht mehr leben. Meine Schlußfrage lautet...

VORSITZENDER: Die Tatsache, daß sie tot sind, läßt sich nicht ändern. Wenn Sie jedoch etwas darüber hören wollen, müssen Sie es vom Zeugen hören und nicht selbst sagen.

DR. SIEMERS: [zum Zeugen gewandt] Welchen Eindruck hatte Blomberg nach dieser Rede, was hat er mit Ihnen anschließend besprochen?

RAEDER: Blomberg hat selbst, glaube ich, in einer Äußerung in einem Fragebogen dem Feldmarschall Keitel bestätigt, daß, als wir Militärs herausgingen aus dem Zimmer, Blomberg, der ja am häufigsten mit dem Führer zusammenkam, sagte, das sei wieder einmal nicht so ernst gemeint und wäre nicht so ernst einzuschätzen. Er glaube, daß der Führer auch diese Fälle in friedlicher Weise regeln werde, und vorher hatte sich ereignet, wie Herr Dr. Siemers sagte, daß Blomberg und Fritsch beide den Führer aufmerksam machten, daß unter keinen Umständen England und Frankreich eingreifen dürften, da die Deutsche Wehrmacht ihnen nicht gewachsen wäre. Ich darf hinzufügen, daß ich in diesem Fall absichtlich keine solchen Vorstellungen gemacht habe, weil das eigentlich ein tägliches Brot war, daß ich dem Führer, wenn ich mit ihm zusammenkam, sagte: ceterum censeo, wir müssen auf dem Kurs bleiben, daß wir mit England keine Verwicklungen bekommen und der Führer mir diese seine Ansicht auch immer wieder bestätigte. Es war typisch, daß Hitler in dem Moment, wo der Chef der Heeresleitung, Generaloberst von Fritsch, erklärte, nach diesen Ausführungen könne er im Winter 1937/38 seinen geplanten Urlaub für seine Gesundheit nach Ägypten nicht antreten, sofort zurückging und sagte, so eilig wäre die Angelegenheit nicht, er könne ruhig in Urlaub gehen, was dann auch geschah. Dies zeigte, daß es sich wieder einmal darum handelte, einen Druck auszuüben. Das war die Rede vom 5. November 1937. Er hat dann ja weder Österreich noch die Tschechoslowakei niedergeschlagen, sondern die Frage wurde 1938 auf friedlichem Wege ohne Blutvergießen, sogar mit Übereinstimmung der anderen Mächte geregelt.

DR. SIEMERS: Im Zusammenhang hiermit darf ich die aus dem nächsten Jahr stammende Urkunde überreichen. Raeder-Exhibit Nummer 23, eine altbekannte Urkunde im Dokumentenbuch 2, Seite 127, vom 30. September 1938 – ich brauche im übrigen über München nicht zu sprechen, weil der Angeklagte nicht direkt beteiligt war –, in der Hitler und Chamberlain gemeinsam erklärten, daß sie das gestern abend unterzeichnete Abkommen und das deutsch-englische Flottenabkommen als symbolisch für den Wunsch unserer beiden Völker ansähen, niemals wieder gegeneinander Krieg zu führen. Der übrige Inhalt ist bekannt.

Ich komme dann auf das zweite Schlüsseldokument, welches die Anklage vorgelegt hat, und zwar auf L-79, den sogenannten »Kleinen Schmundt«. Es ist US-27, es ist im Dokumentenbuch der Britischen Delegation Nummer 10, Seite 24. Die Urkunde ist ebenfalls von der Anklage, trotz ihrer erstaunlichen Länge, im vollen Umfange vorgelegt worden, so daß ich nicht daraus verlesen möchte. Ich erinnere nur daran, es wird davon gesprochen, daß weitere Erfolge ohne Bluteinsatz nicht errungen werden können, also 23. Mai 1939, daß bezüglich Polens Danzig nicht das Objekt sei, um das es ginge, sondern um die Arrondierung des Lebensraums...

VORSITZENDER: Wollen Sie uns sagen, worauf Sie Bezug nehmen? Sie sagten Seite 24, Dokumentenbuch 10.

DR. SIEMERS: 74.

VORSITZENDER: Es war 74?

DR. SIEMERS: 74, ich bitte um Entschuldigung.