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[Zum Zeugen gewandt:]

Wenn nun Hitler um diese Zeit einen Angriffskrieg beabsichtigte, hätte er dann irgendeinen Teil der Marinewaffen besonders forcieren müssen?

RAEDER: Gewiß, den ganzen Marineaufbau hätte er forcieren müssen.

DR. SIEMERS: Hätte nicht speziell der Bau von U- Booten fordert werden müssen?

RAEDER: Das selbstverständlich auch in besonderem Maße, weil sie sich am schnellsten bauen ließen.

DR. SIEMERS: Wie viele U-Boote hatten Sie zu dieser Zeit?

RAEDER: Ich kann es nicht genau sagen, ich glaube so 26.

DR. SIEMERS: Wenn ich mich recht erinnere, hat Großadmiral Dönitz schon geantwortet, daß es 15 atlantikfähige, im übrigen 26 waren.

RAEDER: Ja.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Hatten Sie im Winter 1938/1939 eine Unterhaltung mit Sir Nevile Henderson über die Beziehungen zwischen Deutschland und England?

RAEDER: Ja, eine ganz kurze Unterhaltung bei einem Abendempfang beim Führer, wo ich mit dem Botschafter Henderson und eine Zeitlang mit Herrn von Neurath zusammenstand und wo die Frage erörtert wurde, von mir angestoßen, ob England nicht das Angebot von Deutschland, das Stärkeverhältnis der Flotten auf 1:3 festzulegen, sehr begrüßt hätte und daraus auch gewisse Konsequenzen ziehen würde für das beiderseitige Verhältnis. Der Botschafter Henderson antwortete darauf, ohne daß von sonst jemand diese Frage angestoßen worden wäre: »Jawohl, das würde sich in Zukunft zeigen bei der Regelung der Kolonialfrage.« Ich berichtete diese Antwort später dem Führer, um auch sie zu benutzen, um eine freundschaftliche Politik in England weiterhin zu bewirken.

DR. SIEMERS: Wir sind jetzt im Sommer 1939, Herr Großadmiral. Hatten Sie im Laufe des Sommers nach der Rede vom 23. Mai 1939 mit Hitler hinsichtlich der allgemein bekannten Kriegsgefahr Unterhaltungen, und was sagte er zu Ihnen?

RAEDER: Wenn ich mit dem Führer sprach, wurde eigentlich stets von mir die Frage England angeschnitten, womit ich ihn in gewisser Weise drängte und wo ich immer versuchte, ihn davon zu überzeugen, daß es möglich wäre, eine Friedenspolitik mit England, wie er sie ja selbst im Anfang seiner Regierung angeregt hatte, durchzuführen. Er bestätigte mir dann immer, daß es auch weiterhin seine Absicht sei, eine Friedenspolitik mit England zu führen und beließ mich stets in dem Glauben, daß eine Gefahr, daß wir mit England zusammenstoßen würden, nicht vorläge, daß jedenfalls in dieser Zeit keine solche Gefahr drohe.

DR. SIEMERS: Ich komme nun zu dem dritten Schlüsseldokument, nämlich der Rede Hitlers vor den Oberbefehlshabern am 22. August 1939 auf dem Obersalzberg. Es handelt sich um die beiden Urkunden 1014-PS und 798-PS. 1014-PS gleich US-30, im Dokumentenbuch 10a Seite 269, und 798-PS gleich US-29, im Dokumentenbuch 10a, Seite 266. Zu diesem Dokument 1014-PS, das ich hier in der von der Anklage vorgelegten Form im Original habe, möchte ich einen formalen Antrag stellen. Diese Nummer 1014-PS ist in der Nachmittagssitzung des 26. November 1945 (Band II, Seite 325) verlesen worden. Gegen die Verwendung dieses Dokuments erhebe ich Einspruch. Ich bitte, dieses Dokument aus dem Sitzungsprotokoll zu streichen, und zwar aus folgenden Gründen:...

VORSITZENDER: Von welchem Dokument sprechen Sie jetzt, 1014-PS?

DR. SIEMERS: 1014-PS. Im Dokumentenbuch 10a, Seite 269, US-30.

VORSITZENDER: Jawohl, und welche Gründe führen Sie an?

DR. SIEMERS: Die Mängel, von denen schon bei den anderen Protokollen gesprochen wurde, sind hier noch wesentlich größer. Dieses Dokument ist nichts weiter als zwei Stücke Papier mit der Überschritt: »Zweite Ansprache des Führers am 22. August 1939«. Das Original hat keinen Kopf, es hat kein Aktenzeichen, keine Tagebuchnummer, keinen Vermerk, daß es geheim ist; es hat keine Unterschrift, wir wissen nicht – es hat kein Datum, es hat kein...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte gern das Original sehen. Ja, Dr. Siemers.

DR. SIEMERS: Es hat kein Datum, keine Unterschrift, es hat im Original in der Mappe keinen Vermerk, woher das Dokument stammt; es hat die Überschrift: »Zweite Ansprache«, obwohl feststeht, daß Hitler an diesem Tage nur eine Ansprache gehalten hat. Es ist kaum eineinhalb Seiten lang, obwohl feststeht...

VORSITZENDER: Wenn Sie sagen, daß es kein Datum hat, so muß ich sagen, es ist ja das Dokument, das besagt, daß es sich um die zweite Ansprache des Führers am 22. August 1939 handelt.

DR. SIEMERS: Ich habe gesagt, Herr Präsident, es hat eine Überschrift, aber es hat kein Datum.

VORSITZENDER: Sie sagten aber, daß es kein Datum hat.

DR. SIEMERS: Es hat kein Datum, wann diese Niederschrift aufgesetzt worden ist, es hat nur das Datum, wann diese Ansprache gewesen sein soll.

Hohes Tribunal! Sie werden bei allen Urkunden, die die Anklage vorgelegt hat, überall, auch bei Protokollen, das Datum der Sitzung finden und das Datum, an dem das Protokoll aufgesetzt wurde; außerdem den Ort, wo das Protokoll aufgesetzt wurde, den Namen desjenigen, der es aufgesetzt hat und einen Hinweis, daß es geheim ist oder irgend etwas. Überdies steht es fest, daß Hitler zweieinhalb Stunden gesprochen hat. Ich glaube, es ist allgemein bekannt, daß Hitler außerordentlich schnell sprach. Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß ein Protokoll eineinhalb Seiten lang ist, wenn es nur einigermaßen den Inhalt einer Rede wiedergeben soll, die zweieinhalb Stunden dauerte. Es ist wichtig... Ich darf dann noch auf einen anderen Punkt hinweisen: Ich werde hinterher noch das Original einreichen von der Urkunde 798-PS. Ich bin kein Schriftsachverständiger und kein Maschinensachverständiger, aber es ist auffällig, daß diese Urkunde, die auch keine Unterschrift trägt und wir auch nicht wissen, woher sie ist, auf demselben Papier und auf derselben Schreibmaschine geschrieben ist.

VORSITZENDER: Sie sagen: »Wir wissen nicht, woher sie stammt.« Nun, es ist ein erbeutetes Dokument, über das ein Affidavit ausgestellt ist, das unter Hinweis auf alle anderen erbeuteten Dokumente ausgestellt wurde.

DR. SIEMERS: Ja, ich wäre aber der Anklagebehörde dankbar, wenn bei einem so wichtigen Dokument eventuell die Anklagebehörde so liebenswürdig sein würde und zur Feststellung des ganzen Sachverhalts, des wirklich geschichtlichen Sachverhalts, genauer angeben würde, wo dieses Dokument herkommt, weil es eben nicht von Schmundt oder Hoßbach oder irgend jemandem unterzeichnet ist und keine Nummer trägt, sondern weil es nur lose Blätter sind.

VORSITZENDER: Ich weiß nicht, ob die Anklagevertretung in der Lage ist, das zu tun, aber ich glaube, es ist ziemlich spät, dies jetzt zu verlangen.

MR. THOMAS J. DODD, ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Herr Vorsitzender! Ich kann im Augenblick den genauen Fundort dieses Dokuments nicht nennen, ich glaube aber, daß wir dem Gerichtshof Informationen darüber vorlegen können, wenn der Gerichtshof dies wünscht. Aber, wie Sie, Herr Vorsitzender, erklärt haben, ist es ein erbeutetes Dokument, und alles, was der Verteidiger darüber sagt, scheint mehr seine Beweiskraft, als seine Zulässigkeit zu betreffen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte, wenn möglich, wissen, wo das Dokument gefunden wurde.

MR. DODD: Ich werde mich bemühen, es in Erfahrung zu bringen.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Es wurde eben von Mr. Dodd darauf hingewiesen, daß der Einspruch spät kommt. Ich glaube richtig daran zu erinnern, daß mehrfach Einsprüche erhoben wurden.

VORSITZENDER: Ich glaube, ich habe darauf hingewiesen, nicht Herr Dodd.

DR. SIEMERS: Ich bitte um Entschuldigung, ich glaube nicht, falsch daran zu erinnern, daß mehrfach seitens der Verteidigung während des Vortrags der Anklage Einsprüche erhoben wurden und darauf hingewiesen wurde, daß alle Darlegungen während der Verteidigung vorgebracht werden könnten, und zwar zu einem späteren Zeitpunkt während des Falles, wenn der betreffende Verteidiger an der Reihe ist.

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Ich meinte nur, daß es derzeit vielleicht nicht mehr möglich sein wird, in Erfahrung zu bringen, woher das Dokument stammt, während dies bedeutend leichter gewesen wäre, wenn die Frage in einem früheren Stadium des Prozesses gestellt worden wäre. Das meinte ich nur.

Wollen Sie noch etwas dazu sagen, warum dieses Dokument nach Ihrer Auffassung aus dem Protokoll gestrichen werden soll?

DR. SIEMERS: Ich möchte darauf hinweisen, daß ich dies nicht aus formalen Gründen tue, sondern es ist ein ganz wesentlicher Grund. In diesem Dokument sind die schwerwiegendsten Worte von der Anklage während dieser fünf oder sechs Monate immer wieder wiederholt, und zwar die Worte:

»Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist Beseitigung der lebendigen Kräfte, nicht die Erreichung einer bestimmten Linie.«

Diese Worte sind nicht gesprochen worden, und ein solches Kriegsziel hätten sich die deutschen Oberbefehlshaber nicht gefallen lassen; deshalb ist es wichtig, festzustellen, ob diese Urkunde echt ist. Ich darf in dem Zusammenhang daran erinnern, daß noch eine dritte Fassung dieser Rede seinerzeit hier im Gerichtssaal erwähnt wurde, und zwar die Fassung L-3, die noch viel schlimmer ist als diese und die in der gesamten Weltöffentlichkeit in die Presse gekommen ist. Wo man auch jemanden sprach, wurde einem diese groteske, brutale Rede vorgehalten, und daher glaube ich, liegt es im Interesse der geschichtlichen Wahrheit, daß festgestellt wird, ob Hitler in dieser entsetzlichen Weise seinerzeit gesprochen hat. Tatsächlich, was ich ohne weiteres zugebe, hat er viele Wendungen benutzt, die scharf sind, er hat aber nicht solche Worte benutzt, und das ist für das Ansehen der Befehlshaber, die zugegen waren, von ganz ungeheurer Bedeutung. Ich weise noch auf die nächsten Worte hin, wo ausdrücklich steht:

»Herz verschließen gegen Mitleid, brutales Vorgehen.«

Solche Worte sind nicht benutzt worden, und ich werde in der Lage sein, dies im übrigen noch durch einen weiteren Zeugen, Generaladmiral Boehm, zu beweisen. Ich bitte daher das Hohe Gericht, über meinen Antrag hinsichtlich der Streichung dieser Urkunde zu entscheiden und darf nur dazu bemerken, daß die Urkunde an sehr vielen Stellen in dem Protokoll erwähnt ist. Falls das verehrliche Gericht es wünscht, müßte ich sämtliche Stellen heraussuchen, was ich im Augenblick nicht... ich habe nur vier oder fünf Stellen im deutschen Protokoll, falls es notwendig ist, würde ich sämtliche Stellen aus dem englischen Protokoll angeben; es ist in der Nachmittagssitzung des 26. November 1945 (Band II, Seite 321) vorgelegt worden.

VORSITZENDER: Ich glaube, daß Sie sich damit nicht zu bemühen brauchen. Sie haben jetzt nur zur Frage, ob das Dokument aus dem Protokoll gestrichen werden soll, zu sprechen. Wenn es aus dem Protokoll zu streichen ist, können wir schon ausfindig machen, wo es vorkommt. Ist das alles, was Sie sagen wollen?

DR. SIEMERS: Ja, nur eine Frage an Großadmiral Raeder.