[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Hat die Anklagevertretung verstanden, daß der Gerichtshof zu erfahren wünscht, wo das Dokument gefunden wurde?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Herr Vorsitzender, wir wollen unser möglichstes tun, es in Erfahrung zu bringen.
VORSITZENDER: Ja, und auch das andere Dokument, 798-PS.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, wenn Sie, Herr Vorsitzender, es wünschen,
DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Ich habe Ihnen das Dokument Raeder 27, die Rede in der Fassung von Boehm, vorlegen lassen. Sie haben die Rede in dieser Fassung gelesen.
Ist diese Wiedergabe nach Ihrer Erinnerung im großen und ganzen richtig?
RAEDER: Jawohl. Meiner Ansicht nach ist diese Fassung diejenige, die der Wirklichkeit am nächsten kommt. Ich erinnere mich ganz besonders, daß Hitler einen großen Teil seiner Ausführungen dem Punkte widmete, daß England und Frankreich nicht eingreifen würden und aus welchen Gründen sie nicht eingreifen würden. Er führt eine Unzahl von Gründen dafür an, und ich vermißte gerade diesen Teil in seiner Ausführlichkeit in den anderen Wiedergaben der Rede.
DR. SIEMERS: In der Fassung der Rede 798-PS, US-29, steht wörtlich folgendes:
»Ich habe nur Angst, daß mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt.«
Sind diese Worte bei der damaligen Rede gefallen?
RAEDER: Sie sind nach meiner Erinnerung bestimmt nicht gefallen. Der Führer pflegte solche Ausdrücke in Ansprachen, die er an die Generale hielt, nicht zu gebrauchen.
DR. SIEMERS: Andererseits zeigt auch die Fassung von Boehm, daß Hitler sich nunmehr entschlossen hatte, Polen anzugreifen.
Ich darf Sie bitten, noch kurz Ihren Eindruck zu schildern, den die Rede damals auf Sie machte und warum Sie trotz dieser, auch in dieser Fassung scharfen Rede, das Amt des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine beibehielten?
RAEDER: Ich hatte zweifellos den Eindruck, daß die Lage ernst und äußerst gespannt war. Die Tatsache aber, daß Hitler in seiner Rede zu großen Wert darauf legte, nachzuweisen, daß England und Frankreich nicht eingreifen würden, und die andere Tatsache, daß der Außenminister Herr von Ribbentrop an dem gleichen Tage nach Moskau abreiste, um dort den Pakt zu unterschreiben, wie uns gesagt wurde, erfüllte mich mit der starken Hoffnung – nicht nur mich, sondern auch alle anderen Zuhörer – mit der starken Hoffnung, daß hier doch wieder ein großer politischer Schachzug Hitlers vorliege und daß es ihm am Ende doch wieder gelingen würde, auch diesen Fall friedlich zu lösen.
Ich sah infolgedessen keinerlei Anlaß, in diesem Moment zurückzutreten von meinem Posten. Ich hätte das für reine Fahnenflucht gehalten.
DR. SIEMERS: Hohes Tribunal! Ich darf in diesem Zusammenhang wegen der zeitlichen Übereinstimmung die beiden Urkunden, Raeder-Exhibit 28 und 29, vorlegen und bitte lediglich, von den Urkunden Kenntnis zu nehmen, ohne daß ich jetzt weitere Ausführungen dazu mache.
[Zum Zeugen gewandt:]
Die Anklage hat dann das Dokument C-155 zu Ihren Lasten vorgelegt...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Zu den Dokumenten, von denen Dr. Siemers eben gesprochen hat, den Raeder-Dokumenten Nummer 28 und 29, möchte ich folgendes bemerken: das erste ist ein Memorandum des Generals Gamelin; das zweite ein Schreiben General Weygands an General Gamelin vom 9. September 1939.
Euer Lordschaft wird sich noch erinnern, daß die Anklagebehörde gegen diese Dokumente wegen ihrer Unerheblichkeit Einspruch erhoben hat; die Anklagebehörde hält diesen Einspruch noch weiterhin aufrecht.
Ich möchte Dr. Siemers Befragung nicht unnötig unterbrechen. Wenn er im Augenblick nur den Antrag stellt, daß der Gerichtshof diese Dokumente zur Kenntnis nimmt und falls er nicht beabsichtigt, sie zu verwenden, wäre es vielleicht gut, wenn ich, um dieses Hauptverhör nicht zu unterbrechen, nur der Form halber bekanntgebe, daß wir unseren Einspruch gegen diese Dokumente aufrechthalten.
Natürlich stehe ich dem Gerichtshof zur Verfügung.
VORSITZENDER: Steht die Sache so, daß die Übersetzung dieser Dokumente und ihre Aufnahme in das Dokumentenbuch bewilligt wurde, daß vom Gerichtshof aber keine weitere Verfügung getroffen worden ist?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, es ist keine weitere Verfügung darüber getroffen worden, und deshalb, Euer Lordschaft, steht es uns frei, noch Einspruch dagegen zu erheben, wenn ich die Lage richtig verstehe.
VORSITZENDER: Dann sollten wir die Sache vielleicht jetzt behandeln.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie Euer Lordschaft es wünschen.
DR. SIEMERS: Darf ich dazu etwas bemerken, ich glaube...
VORSITZENDER: Selbstverständlich, aber wir müssen zuerst den Einspruch hören, nicht wahr? Danach wollen wir Sie hören.
DR. SIEMERS: Ja, Herr Präsident, wie Sie wünschen. Es ist ein rein formaler Punkt. Ich glaube, Sir David hat sich hier in einem kleinen Punkt geirrt. Gegen das Dokument Nummer 28 ist seitens der Anklagebehörde keine Objektion eingelegt worden, sondern nur gegen 29.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Der Kollege hat vollkommen recht. Wir haben gegen die Übersetzung von Nummer 28 keinen Einspruch erhoben. Dieses Dokument, Herr Vorsitzender, fällt jedoch in dieselbe Kategorie wie Nummer 29, und ich möchte noch Einspruch erheben.
Ich bitte um Entschuldigung, Euer Lordschaft, wenn ich den Eindruck hervorrief, als ob wir bereits Einspruch erhoben hätten.
Herr Vorsitzender! Nummer 28 ist ein Brief General Gamelins an M. Daladier vom 1. September 1939, in dem General Gamelin seine Ansicht zu dem Problem der Neutralität Belgiens und Luxemburgs darstellt und seinen Standpunkt dem Standpunkt der Französischen Regierung gegenüberstellt.
Ich behaupte nun, Herr Vorsitzender, daß diese Meinungsäußerung des Generals Gamelin mit den für den Prozeß wesentlichen Fragen viel zu wenig zu tun hat, um erheblich zu sein oder Beweiswert zu besitzen.
Abgesehen von seinem eigentlichen Inhalt handelt es sich hier um ein Dokument, das, wie ich der Bestätigung von Dr. Siemers auf Seite 158 entnehme, dem Weißbuch des Deutschen Auswärtigen Amtes entnommen ist und aus den Geheimakten des französischen Generalstabs stammt, die von den Deutschen nicht vor dem Juni 1940 erbeutet werden konnten. Daher kann es auch aus diesem zweiten Grunde nicht erheblich sein für die Meinung, die sich der Angeklagte Raeder im September 1939 gebildet hatte.
Das zweite Dokument, Herr Vorsitzender, ist, wie ich dem Gerichtshof bereits gesagt habe, ein Brief des Generals Weygand, des damaligen Oberbefehlshabers der französischen Armee in der Levante an General Gamelin. Er beschreibt einen Plan, den General Weygand für allfällige Operationen in Griechenland entworfen hatte. Diese Operationen wurden jedoch nicht vor Juni 1940 ausgeführt, dem Zeitpunkt, in dem Marschall Pétain zwar nicht für ganz Frankreich, jedoch im Namen eines Teiles des französischen Volkes Waffenstillstand geschlossen hatte. Dieses Dokument kann daher nicht erheblich sein für Oktober 1940, dem Zeitpunkt, als Griechenland von Italien überfallen wurde, und ebensowenig für die Lage gegen Ende 1940 und Anfang 1941, als in den deutschen Weisungen und Operationsbefehlen, die dem Gerichtshofe vorliegen, der Einfall nach Griechenland zum erstenmal erwähnt wird.
Das ist der erste Punkt. Dann gilt hier auch der gleiche zweite Punkt, daß es sich auch hier um ein erbeutetes Dokument handelt, das nicht vor dem Juni 1940 erbeutet werden konnte. Daher kann es für die Einstellung des Angeklagten im August oder September 1939 nicht maßgebend sein.
Herr Vorsitzender! Ich habe zur leichteren Übersicht die Dokumente, gegen die Einspruch erhoben wird, in einer Liste Zusammengestellt. Zu diesen kommen noch ein oder zwei Dokumente, die meine französischen und russischen Kollegen mich baten hinzuzufügen, und ich werde diese Urkunden behandeln, wenn wir, Herr Vorsitzender, zu ihrer Besprechung kommen.
Ich möchte dem Gerichtshof in Erinnerung bringen, daß wir vier Gruppen von Dokumenten haben, die nach geographischen Gesichtspunkten geordnet sind, im Gegensatz zu den Gruppen, die hier zusammengestellt sind, und die dem Gerichtshof zur Beratung vorliegen.
Die erste Gruppe besteht aus Dokumenten, die sich auf die Niederlande beziehen, die zweite Gruppe – Gruppe G – in der Liste, die ich dem Gerichtshof gerade vorgelegt habe, behandelt Norwegen. Eine dritte Gruppe behandelt Griechenland, wofür Dokument Nummer 29 ein Beispiel ist. Die vierte Gruppe, E in der eben vorgelegten Liste, enthält vorläufige Vorschläge und Anregungen von verschiedenen militärischen Persönlichkeiten über die kaukasischen Ölfelder oder über Operationen im Donauraum.
Dieselben Einsprüche, Herr Vorsitzender, die ich hinsichtlich der Dokumente Nummer 28 und 29 erhoben habe, werden im großen und ganzen auch gegen diese Gruppen geltend gemacht, und ich wollte den Gerichtshof auf diese Tatsache aufmerksam machen. Außerdem hat mir mein Kollege, Oberst Pokrowsky, schon angedeutet, daß er selbst vor dem Gerichtshof gegen bestimmte Dokumente besondere Einwände erheben wird, wenn die Sprache auf diese kommen wird.
Ich möchte, Herr Vorsitzender, diese besonderen Fälle Nummer 28 und 29 als unzulässig an sich bezeichnen, will aber den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß sie ebenfalls durch ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe unzulässig sind.
Herr Vorsitzender! Die Entscheidung des Gerichtshofs ist am 2. Mai 1946 in der Morgensitzung ausgesprochen worden. Der Herr Vorsitzende sagte damals: »Die Frage ihrer Zulässigkeit wird entschieden werden, sobald die Dokumente übersetzt sind.«
M. CHARLES DUBOST, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Hoher Gerichtshof! Ich bitte um die Erlaubnis, mich offen der von Sir David soeben abgegebenen Erklärung anschließen zu dürfen und einige Beispiele anzuführen, die ganz deutlich zeigen werden, wieviel Bedeutung den Dokumenten des Weißbuches beizumessen ist.
Die Verteidigung bittet den Gerichtshof ein Dokument zuzulassen, das im deutschen Weißbuch 5 unter Nummer 8 veröffentlicht wurde. Dieses Dokument gibt die Aussage eines französischen Kriegsgefangenen wieder, der angeblich gesagt haben soll, daß er seit dem 15. April in Belgien gewesen ist. Das deutsche Weißbuch gibt jedoch weder Namen des Gefangenen, noch irgendeinen Hinweis auf seine Einheit. Wir finden keinerlei Angaben, die wir benötigen würden, um diese Aussage erheblich erscheinen zu lassen.
Wir haben daher ein Dokument vor uns, das in keiner Weise authentisch ist oder das Beweiskraft hat.
Weiterhin beantragt die Verteidigung die Zulassung des Dokuments Nummer 102 aus demselben Dokumentenbuch. Ich bitte den Gerichtshof mir zu gestatten, einige Bemerkungen zu machen über die einseitige Art, in der diese Dokumente von den deutschen Behörden in dem Weißbuch zusammengestellt wurden.
Zuerst will ich vorbringen, daß das Dokument Nummer 102 nicht in extenso zitiert ist. Die Französische Delegation hat sich den Text des deutschen Weißbuches angesehen. Wir haben ihn sehr aufmerksam gelesen. Dieses Dokument stellt nur einen Befehl zur Vorbereitung von Verteidigungsoperationen dar, die von den Belgiern an der französisch-belgischen Grenze gegen Frankreich organisiert wurden. Wir haben bei der belgischen Militärbehörde angefragt. Dieser Befehl war eine Kundgebung des Willens der Belgischen Regierung, die Neutralität Belgiens an allen Grenzen zu wahren.
Es widerspricht deshalb der Wahrheit, wenn man durch dieses Dokument zu beweisen versucht, daß ein Kontakt zwischen den Generalstäben von Brüssel, Paris und London bestanden hätte, der, falls er wirklich bestanden hätte, im Widerspruch zur Neutralitätspolitik gewesen wäre.
Der Kommentar, den das Deutsche Auswärtige Amt im Vorwort zum deutschen Weißbuch, Seite 11 des französischen Textes, dazu gibt, hat den guten Glauben der Verteidiger getäuscht, konnte aber Admiral Raeder als Soldaten nicht täuschen. In Wirklichkeit erklärt der offizielle Kommentator um den Preis einer Lüge, daß einerseits der Ausdruck »les forces amies« in diesem Dokument für französische und englische Truppen gebraucht wird, während dieser Ausdruck in der belgischen Armee die übliche Bezeichnung für die in der Nachbarschaft der Einsatztruppen stehenden belgischen Einheiten darstellt. Andererseits behauptet der deutsche Erläuterer – ich zitiere:
»Die allgemeine Linie Tournai-Antoing, des Kanals von Mons nach Condé, Saint Ghislain und Binche ist teils auf belgischem, teils auf französischem Gebiet.«
Es genügt, einen Blick auf eine Karte zu werfen, um festzustellen, daß alle diese Orte auf belgischem Gebiet liegen, und alle mindestens einige Dutzend Kilometer von der französisch-belgischen Grenze entfernt sind. Diese Linie ist im Durchschnitt 60 Kilometer von der französischen Grenze entfernt.
Der Gerichtshof möge mir diese Unterbrechung verzeihen. Es schien mir wichtig, durch ein deutliches Beispiel auf den Wert der vorgelegten Beweise aus dem deutschen Weißbuch hinzuweisen.
VORSITZENDER: Dr. Siemers! Der Gerichtshof möchte Ihre Darstellung zu diesen Dokumenten jetzt hören, nicht nur zu 28 und 29, sondern zu allen übrigen Dokumenten, die auf der Liste von Sir David Maxwell-Fyfe stehen. Der Gerichtshof kann dann nach Vertagung der Sitzung über diese Dokumente beraten und morgen die Entscheidung bekanntgeben.
DR. SIEMERS: Hohes Tribunal! Ich wäre dankbar, wenn es möglich wäre, in etwas anderer Form zu prozedieren. Ich darf daran erinnern, daß bereits eine sehr lange Dokumentendebatte hier stattgefunden hat und daraufhin die Entscheidung des Gerichts kam. Ich glaube, wenn ich jetzt wieder zu allen Dokumenten Stellung nehme, wird sehr viel Zeit verlorengehen, da der Zusammenhang der Dokumente sich nachher, während der Beweisaufnahme, ganz von selbst ergibt. Wenn ich jetzt die Liste von Sir David behandle, müßte ich zur Begründung all das anführen, was nachher in der Beweisaufnahme bei meinen Fragen noch einmal wieder vorkommt; und ich dachte, daß gerade der Gerichtsbeschluß, die Urkunden zunächst im Dokument vorzulegen, Zeit sparen sollte und dann jeweils bei den einzelnen Punkten ja Einspruch erhoben werden könnte.
VORSITZENDER: Gewiß. Aber es handelt sich hier um eine große Anzahl von Dokumenten. Der Gerichtshof wird bei Verlesung der Liste von Sir David Argumente zu jedem einzelnen Dokument hören müssen, falls er Ihrem Vorschlag folgt. Es sind 30 bis 40 Dokumente, glaube ich.
DR. SIEMERS: Sir David Maxwell-Fyfe hat schon gesagt, daß er sich nach verschiedenen geographischen Gruppen richtet. Es werden dann also beim Einspruch nicht Einsprüche bei jeder Urkunde kommen, sondern immer nur bei einer Gruppe zu dem betreffenden Fragenkomplex; also ein Einspruch bei Norwegen gegen alle Norwegen-Urkunden, bei Griechenland gegen alle Griechenland-Urkunden, das ist dann leichter zu behandeln, da ich dann schon in der Beweisaufnahme über Griechenland spreche und über Norwegen, während, wenn ich es jetzt tue, ich alles doppelt sagen müßte.
Aber ich lasse selbstverständlich dem verehrlichen Gericht die Entscheidung; ich habe nur Furcht, daß damit unnötig viel Zeit verlorengeht,
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich möchte nur noch ein Wort zu dem Verfahren hier sagen. Ich hatte gehofft, daß Dr. Siemers und ich mit der Argumentation über diesen Punkt schon genügend Zeit des Gerichtshofs in Anspruch genommen haben, denn die Argumente über die Erheblichkeit werden natürlich die gleichen sein.
Ob diese nun so offensichtlich unerheblich sind, daß sie gar nicht übersetzt zu werden brauchen oder ob sie unzulässig sind, meine Argumente bleiben jedenfalls die gleichen. Ich hatte nicht die Absicht, die Argumente, die ich dem Gerichtshof schon vorgetragen habe, zu wiederholen.
Dr. Siemers hat nun schon eineinhalb Stunden lang über diesen Punkt, den wir vorher besprochen haben, dem Gerichtshof vorgetragen, und ich hoffte, daß, wenn ich jetzt wiederhole, daß ich dieselben Punkte aufrechterhalte, die ich in meinen früheren Argumentationen dem Gerichtshof bereits dargestellt habe, daß Dr. Siemers dann bei dieser Gelegenheit die Sache abkürzen und sagen könnte, er wolle sich auf die sehr ausführlich bei anderen Gelegenheiten vorgebrachten Argumentationen berufen. Darum dachte ich, es wäre das beste, diese Angelegenheit jetzt zu behandeln und damit diesem Problem die Notwendigkeit weiterer Erörterung zu entziehen.
VORSITZENDER: Dr. Siemers! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie diese Fragen jetzt zu erörtern haben, und er hofft, daß Sie es kurz machen werden, da Ihre Argumente zur Unterstützung dieser Dokumente bereits vom Gerichtshof gehört worden sind. Aber wir finden, daß Sie Ihre Argumentationen dazu jetzt vorzubringen haben und nicht einzeln zu jedem Dokument, wenn es zur Sprache kommt. Der Gerichtshof wird über Ihr Vorbringen beraten. Der Gerichtshof ist bereits im Besitz dieser Dokumente, aber er wird diese Angelegenheit neuerlich untersuchen und heute abend entscheiden.
OBERST Y. V. POKROWSKY, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender! Da der Gerichtshof entschieden hat, daß Dr. Siemers sich zu den von Sir David Maxwell-Fyfe und anderen Anklagevertretern vorgebrachten Einwendungen zu äußern hat, halte ich es für meine Pflicht, die drei Dokumente anzuführen, gegen die unsere Anklagebehörde Einspruch erhebt.
Die Sowjetische Anklagebehörde hätte im ganzen gegen fünf Dokumente Einspruch zu erheben, da aber zwei davon, ich meine die Nummern 70 und 88 schon von meinem Kollegen, Sir David Maxwell-Fyfe, in seine dem Gerichtshofe vorgelegte Liste aufgenommen wurden, brauche ich jetzt nur die drei restlichen Nummern anzugeben. Das wird Dr. Siemers die Aufgabe der allgemeinen Beantwortung erleichtern. Es sind die Nummern 13, 27 und 83 Nummer 13 ist das Protokoll eines Berichtes des Kapitäns zur See Lohmann. In diesem Bericht wird ein Gedanke zum Ausdruck gebracht, den ich nur als einen unsinnigen, propagandistischen Gedanken eines typischen Nazis bezeichnen kann. Er sagt, daß das Ziel der Roten Armee die Weltrevolution sei und daß die Rote Armee dieses Ziel überall zu erreichen suchte. Ich halte es nicht für richtig, daß Dokumente, in denen solche Fieberträume und politisch gefährliche Ideen ausgedrückt sind, vom Gerichtshof zugelassen werden.
Dann erhebe ich weiter Einspruch gegen Dokument 27. Es ist dies ein Bericht, den Boehm aus eigenem Antrieb über eine von Hitler auf dem Obersalzberg gehaltene Rede gibt. Der Gerichtshof hat den Antrag von Dr. Siemers auf Vorlage der weiteren Dokumente über dieselbe Frage bereits abgelehnt und betont, daß er die Frage der Echtheit verschiedener Dokumente, die die gleiche Frage behandeln, nicht durch Vergleich dieser Dokumente entscheiden will.
Da dem Gerichtshofe unter den zugelassenen Dokumenten bereits zwei Berichte über die Rede Hitlers auf dem Obersalzberg zur Verfügung stehen, glaube ich, daß keine Notwendigkeit besteht, noch einen dritten Bericht über seine Rede zuzulassen, zumal in diesem dritten Bericht unverschämte, verleumderische und beleidigende Angriffe gegen die Streitkräfte und die Führer der Sowjetunion enthalten sind.
Weder die Streitkräfte der Sowjetunion noch wir als Vertreter der Sowjetregierung können damit einverstanden sein, daß ein Bericht mit solchen Bemerkungen ins Protokoll aufgenommen wird.
Das dritte Dokument ist Nummer 83. Dokument 83 ist ein Auszug aus dem deutschen Weißbuch. Über die Verläßlichkeit des Weißbuchs als Quelle hat M. Dubost bereits gesprochen. Ich halte es für ein äußerst unverläßliches Beweisstück. Außerdem enthält Dokument 83 teilweise politisch falsche und sogar gefährliche Ausfälle gegen die Sowjetunion, wie zum Beispiel die Stelle über die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Finnland.
Aus diesen allgemeinen politischen Gründen bitte ich den Hohen Gerichtshof, Dokument 83 aus der von Dr. Siemers dem Gerichtshof angebotenen Dokumentenzusammenstellung auszuschließen. Überdies ist es streng genommen vollkommen unerheblich. Das ist alles, was ich zu sagen wünsche.
DR. SIEMERS: Hoher Gerichtshof! Ich stelle zu meinem Kummer fest, daß wir in der Dokumentenbehandlung wieder am Anfang stehen, denn es werden jetzt Dokumente bestritten, die in der Debatte über die Dokumente am 1. Mai überhaupt nicht erwähnt worden sind. Ich glaube allerdings, mit der einen Grundlage rechnen zu dürfen, daß wenigstens die Dokumente, die seinerzeit überhaupt nicht beanstandet worden sind, als genehmigt gelten. Ich sehe nun, daß auch die Dokumente, die damals überhaupt nicht besprochen wurden, jetzt auch bestritten werden. Es ist außerordentlich schwer...
VORSITZENDER: Dr. Siemers! Der Gerichtshof glaubt, daß Sie in einem Irrtum befangen sind. Es ist ganz klar, daß ein Dokument, das nicht übersetzt war, nicht als vom Gerichtshof und der Anklagebehörde endgültig genehmigt gilt, und die Tatsache, daß die Anklagebehörde zu diesem Zeitpunkt keinen Einspruch erhoben hat, hindert sie nicht daran, dies später zu tun.
DR. SIEMERS: Wir haben einige Dokumente gehabt, wo mir gesagt worden war, daß die Anklagebehörde keinen Einspruch erhebt, und da glaubte ich allerdings, daß das dann endgültig sei, ebenso wie ich auf einige Dokumente...
VORSITZENDER: Ich glaube, ich habe mich ganz klar ausgedrückt. Ich sagte, daß die Anklagebehörde, gleichgültig, ob sie gegen ein Dokument, bevor es übersetzt ist, Einspruch erhebt oder nicht, sich damit in keiner Weise bindet, später, wenn das Dokument übersetzt ist, Einwendungen zu erheben oder nicht. Ist Ihnen das klar?
DR. SIEMERS: Also, ich gehe der Reihe nach. Ich darf zunächst mit den Dokumenten anfangen, die Oberst Pokrowsky...
VORSITZENDER: Nein, Dr. Siemers, der Gerichtshof wird nicht zuhören, wenn Sie ein Dokument nach dem anderen vornehmen. Wenn sie in Gruppen besprochen werden können, müssen sie in Gruppen besprochen werden. Sir David hat sie in Gruppen angeführt; ich will nicht sagen, daß Sie sich an genau dieselben Gruppen halten müssen, aber der Gerichtshof ist nicht gewillt zuzuhören, wenn Sie jedes Dokument einzeln besprechen.
DR. SIEMERS: Verzeihung, dann ist es ein Mißverständnis. Ich wollte die Dokumente besprechen zu Beginn, weil da einige Unklarheiten sind, die Oberst Pokrowsky beanstandet hatte, und mir ist entgangen, daß Oberst Pokrowsky Gruppen gebildet hat, sondern er hat fünf Dokumente und davon drei einzelne besprochen, und ich glaube, ich kann diese einzeln besprochenen Dokumente, zumal ich nicht alles verstanden habe, nun einzeln behandeln. Aber ich will gern erst mit der Gruppe von Sir David anfangen, wenn erst die Gruppe behandelt werden soll. Soll ich zunächst...
VORSITZENDER: Als sie sagten, daß Sie die Dokumente einzeln besprechen wollen, meinten Sie da alle Dokumente einzeln? Ich dachte nicht, daß...
DR. SIEMERS: Nein, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Sie können mit den Dokumenten von Oberst Pokrowsky anfangen, wenn Sie es wünschen.
DR. SIEMERS: Oberst Pokrowsky hat als erstes Dokument Nummer 13 beanstandet. Hier handelt es sich um eine Urkunde aus dem Jahre 1935. Sicherlich kann Oberst Pokrowsky irgend etwas gegen den Inhalt einwenden, aber wie man eine Urkunde als unerheblich bestreiten kann, weil ein bestimmter Satz angeblich Propaganda enthält, ist mir nicht ganz klar. Ich glaube, ich könnte auch in anderen Urkunden, die schon in diesen sechs Monaten vorgelegt sind, Sätze finden, die irgendwie propagandamäßig auszulegen sind. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das ein Einwand ist, und ich darf daran erinnern, daß das Tribunal ziemlich zu Beginn des Prozesses, als über Österreich gesprochen wurde, einen Einspruch der Verteidigung zurückwies bezüglich eines Briefes. Die Verteidigung hatte Einspruch erhoben, weil der Briefschreiber als Zeuge gehört werden könnte. Daraufhin hat das Tribunal, sicherlich mit Recht, entschieden: der Brief ist eine Urkunde. Fraglich ist höchstens der Beweiswert. Es hat den Brief zugelassen.
Ich darf daran anschließend nun sagen: Ein Vortrag an einer Universität, der schriftlich niedergelegt ist, ist eine Urkunde. Der Vortrag bezieht sich auf das Flottenabkommen. Ich glaube, daß damit die Erheblichkeit...
VORSITZENDER: Dr. Siemers! Haben Sie über Nummer 13 nicht schon gesprochen? Sie sagten, der größte Teil wäre ganz klar erheblich, nur ein Satz könnte für Propaganda gehalten werden, und das Dokument sollte daher nicht gestrichen werden. Ist das nicht Ihr Standpunkt?
DR. SIEMERS: Nein, ich sage, es ist eine Urkunde, die zu den Beweisthemen dieses Prozesses in Beziehung steht, und die kann mir die Sowjetische Delegation nicht ablehnen, weil es ein Vortrag von 1935 ist. Ich verstehe überhaupt nicht, was das Wort von Oberst Pokrowsky hinsichtlich Propaganda mit dieser Urkunde zu tun haben soll.
VORSITZENDER: Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie da sagen. Ich dachte, ich hätte Ihren Standpunkt wiedergegeben. Ich dachte, Sie hätten klar gesagt, daß das Dokument an sich wichtig sei und nicht abgewiesen werden könnte, weil es einen Satz enthalte, der angeblich Propaganda sei. Das ist Ihr Standpunkt, und ich möchte ihn gern in ein oder zwei Sätzen ausgedrückt hören, und der Gerichtshof wird dann darüber beraten. Ich sehe nicht ein, warum die Zeit des Gerichtshofs mit langen Argumenten über andere Dinge in Anspruch genommen werden soll.
DR. SIEMERS: Oberst Pokrowsky hat als zweites, wenn ich recht verstanden habe in der Übersetzung, gegen Dokument 27 Einspruch erhoben. Es handelt sich um die Rede Hitlers auf dem Obersalzberg vom 22. August 1932. Ich habe versucht es zu verstehen...
VORSITZENDER: 39, soll es nicht 1939 heißen?
(Bemerkung des Dolmetschers: Herr Vorsitzender, er sagte 1932, aber ich glaube, er meint 1939.)
DR. SIEMERS: Es ist Raeder-Exhibit Nummer 27. Ich kann sehr schwer hierzu Stellung nehmen, weil ich die Einwände von Oberst Pokrowsky nicht verstanden habe. Es handelt sich...
VORSITZENDER: Der Einspruch lautete, daß es nicht notwendig sei, ein drittes Protokoll über diese Rede zu bringen. Es wären zwei Protokolle hier, gegen die Sie Einwendungen erhoben, und er sagte, ein drittes sei nicht notwendig.
DR. SIEMERS: Ich darf dazu bemerken, daß dann die Sowjetische Delegation mit der Delegation der Vereinigten Staaten nicht einig ist. In dem Protokoll seinerzeit über diese Rede hat der Vertreter der Amerikanischen Delegation gesagt, wenn jemand eine bessere Fassung dieser Rede hat, dann möchte er sie vorlegen. Ich befinde mich also im Einklang mit der Auffassung der Amerikanischen Delegation und glaube im übrigen, daß kein Wort über die Erheblichkeit einer solchen Rede kurz vor Kriegsausbruch notwendig ist.
Dokument Nummer 83 ist das dritte Dokument, welches Oberst Pokrowsky beanstandet hat. Es ist der Inhalt der sechsten Sitzung des Obersten Rates vom 28. März 1940, ein Beschlußentwurf mit der Überschrift: »Streng geheim«. In diesem Dokument ist der Oberste Rat, also die Zusammensetzung der alliierten Führung, übereingekommen, daß die Französische und Britische Regierung am Montag, den 1. April der Norwegischen und Schwedischen Regierung eine Note übermitteln soll. Diese Note wird dann dem Inhalt nach wiedergegeben, und es werden Hinweise gemacht auf den Gesichtspunkt der Lebensinteressen. Es heißt dort, dann würde diese Haltung der Neutralen von den Alliierten als eine Haltung angesehen werden, die ihren Lebensinteressen widerspricht und eine entsprechende Reaktion hervorruft.
Unter Ziffer 1 c der Urkunde heißt es:
»Jeder Versuch der Sowjetregierung, von Norwegen eine Stellung an der atlantischen Küste zu erhalten, widerspräche den Lebensinteressen der Alliierten und würde entsprechende Gegenwirkungen auslösen.«
VORSITZENDER: Sie müssen doch das Dokument nicht verlesen, ich glaube, Sie können uns kurz erklären, was es im wesentlichen enthält. Es scheint Einwendungen gegen weitere Angriffe auf Finnland zu enthalten, die von den Alliierten als gegen ihre Lebensinteressen gerichtet angesehen wurden. Das ist alles.
DR. SIEMERS: Herr Präsident! Gerade dieses Wort »Lebensinteressen« ist das Entscheidende. Ich will ja nicht, wie die Anklage immer meint, irgendwelche Vorwürfe unter dem Gesichtspunkt von tu quoque erheben, sondern nur zeigen, wie das völkerrechtlich eingestellt war und daß zur gleichen Zeit, wo Großadmiral Raeder bestimmte Gedankengänge hatte hinsichtlich Norwegen, Griechenland und so weiter, zu der gleichen Zeit alliierte Stellen dieselben Gedanken hatten unter Berufung auf die gleiche völkerrechtliche Idee, die, wie ich neulich schon sagte, von Kellogg festgehalten ist, daß nämlich das Recht der Selbsterhaltung bestehen geblieben sei. Das kann ich nun durch diese Urkunde beweisen.
VORSITZENDER: Der Standpunkt, den Sir David gegen. Sie vertrat, war, daß das Dokument erst nach dem Falle Frankreich in die Hände der deutschen Behörden fallen konnte.
DR. SIEMERS: Ich komme jetzt zu der Gruppenaufteilung von Sir David.
Sir David hat einige grundsätzliche Erklärungen abgegeben. Er hat speziell hinsichtlich der Urkunden 28 und 29 darauf hingewiesen, daß es in dem einen Fall Gedankengänge von General Gamelin und im anderen Fall Gedankengänge von General Weygand gewesen seien und daß diese Gedankengänge der deutschen Seite seinerzeit nicht bekannt gewesen wären, weil diese Urkunden noch nicht in unseren Händen waren. Das letztere ist richtig. Die Gedankengänge und diese Planung, Griechenland zu besetzen, die rumänischen Ölquellen zu zerstören, waren aber der deutschen Seite bekannt, und zwar durch den Nachrichtendienst. Die Anklage hat die Unterlagen aus dem deutschen Oberkommando, aus dem sich diese Nachrichten ergeben, nicht vorgelegt. Weil ich diese Unterlagen nicht habe, glaube ich, entspräche es der Billigkeit, wenn ich die Möglichkeit habe, die bestehenden Tatsachen, die seinerzeit Deutschland bekannt waren, auf diesem Weg zu beweisen. Ein anderes Beweismittel habe ich nicht. Daß der Anklage angenehm ist, mir die Beweismittel meiner Verteidigung zu nehmen, kann ich verstehen, aber die Anklage wird auch verstehen, daß ich Wert darauf legen muß, daß diese Urkunden, die ein strikter Beweis für bestimmte Planungen sind, mir gelassen werden.
Es wird Großadmiral Raeder vorgeworfen, daß es ein Angriffskrieg, ein verbrecherischer Angriffskrieg sei, sich mit Planungen zu einer Besetzung Griechenlands zu befassen. Die Urkunde 29 zeigt, daß sich General Weygand, General Gamelin am 9. September 1939 mit der Planung der Besetzung des neutralen Saloniki befaßten. Wenn das aber der Fall ist, kann ich nicht verstehen, wie man einem Militär auf deutscher Seite, Admiral Raeder, den Vorwurf machen will, daß er sich eineinhalb Jahre später auch mit solchen Planungen befaßte. Ich glaube daher, daß man diese und ähnliche Urkunden hier wird zulassen müssen, denn nur daraus läßt sich die militärische Planung und der Wert einer militärischen Planung oder die bedenkliche Seite, die verbrecherische Seite einer Planung, verstehen. Man kann nur das strategische Denken des Angeklagten verstehen, wenn man ungefähr weiß, welches strategische Denken auf der feindlichen Seite gleichzeitig gewesen ist. Das strategische Denken von Großadmiral Raeder steht ja nicht im luftleeren Raum, sondern ist abhängig von den Nachrichten, die über die strategische Planung der Gegenseite einliefen. Es ist eine Wechselwirkung. Diese Wechselwirkung ist zum Verständnis notwendig. Ich bitte daher, unter diesem ganz wesentlichen Gesichtspunkt derartige Urkunden zuzulassen, weil ich einfach, wie ich neulich schon sagte, nicht weiß, wie ich mit diesen schweren Vorwürfen bezüglich Griechenland und Norwegen eine Verteidigung überhaupt führen soll, wenn mir sämtliche Urkunden gestrichen werden. Ich glaube, ich bin richtig verstanden worden, daß ich nicht behaupte, daß man diese Urkunden kannte, Deutschland kannte aber den Inhalt der Urkunden, und das, glaube ich, genügt.
Hohes Tribunal! Wir sind wieder bei der Urkunde 66, bei der Gruppe A. Die Urkunde 66 ist das Gutachten des Völkerrechtlers Dr. Mosler, über die völkerrechtliche Beurteilung der Norwegenaktion. Wo immer wieder in diesem Gerichtssaal davon gesprochen wird, es möchte Zeit gespart werden, habe ich... würde ich Bedenken haben, dieses Gutachten zurückzuweisen, denn die Zurückweisung zwingt mich, die gesamten Gedankengänge im Plädoyer ganz genau einzeln auszuführen und darzubringen. Ich glaube, daß es für das Gericht, für die Anklage und für mich angenehmer ist, wenn ich in dieser Beziehung juristische Ausführungen, allgemeine, bringe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Dies ist ein Dokument, das eine Argumentation über eine Rechtsfrage enthält. Wenn der Gerichtshof glaubt, daß es gut wäre, die Argumentation in Form eines Dokuments zu haben, so bin ich gern bereit, meinen Einspruch gegen dieses Dokument zurückzuziehen. Es handelt sich hier um etwas ganz anderes, als bei dem vorhergehenden Dokument, und ich möchte soweit ich kann, behilflich sein.
Da ich schon einmal vor dem Mikrophon stehe: Ich habe erwähnt, daß noch zwei weitere Dokumente in dieselbe Gruppe fallen. Nummer 34 fällt in die Gruppe B und Nummer 48 in Gruppe E.
Herr Vorsitzender! Ich habe Nummer 28 bereits früher besprochen.
DR. SIEMERS: Hohes Gericht! Ich will auch um die Nummer 66 nicht streiten. Ich habe wirklich das nur getan, zur Erleichterung aller. Die weiteren Dokumente sind 101 bis 107 in dieser Gruppe. Man kann nicht sagen, daß dies eine einheitliche Gruppe ist. Die eine Urkunde betrifft Norwegen, die andere betrifft Belgien, die dritte betrifft die Donau. Die Einheitlichkeit der Gruppen vermag ich nicht zu übersehen. Grundsätzlich bleibt bei diesen Urkunden der Punkt, daß, wie ich schon sagte, Planungen im alliierten Generalstab gewesen sind, genau so wie im deutschen, und zwar auf der völkerrechtlichen Grundlage des Rechtes der Selbsterhaltung, der Lebensinteressen. Und ich darf mich insoweit, um jetzt nicht zu lang zu werden, auf das Dokument 66 gerade beziehen und damit Zeit sparen und bitte, die Zitate aus diesem Dokument als Begründung für meine heutigen Worte anzusehen die über das Recht der Selbsterhaltung sprechen, nämlich die Zitate auf Seite 3 und Seite 4 des Gutachtens. Dort ist die Rechtsauffassung klargelegt. Und es ist klargelegt in diesem Gutachten, daß es für eine Frage der Besetzung von Norwegen nicht darauf ankommt, ob die Alliierten tatsächlich schon in Norwegen gelandet waren, sondern nur, ob eine solche Planung bestanden hat, daß es nicht darauf ankommt, ob Norwegen zustimmte oder nicht zustimmte. Die Gefahr einer Neutralitätsveränderung gibt völkerrechtlich das Recht irgendein Kompensationsmittel anzuwenden, irgendwie seinerseits anzugreifen, und dieses grundlegende Recht ist nach der ganzen Literatur, die in dem Gutachten angeführt wird, stets aufrechterhalten, worüber ich später im Plädoyer sprechen werde.
Aus der Gruppe 101 bis 107 muß ich 107 speziell erwähnen. 107 hat gar nichts mit den Weißbüchern zu tun, wie die übrigen Dokumente. 107 ist das Affidavit von Schreiber. Schreiber war Marineattaché vom Oktober 1939 an in Oslo. Ich habe von vornherein gesagt, daß ich Schreiber als Zeugen brauche. Inzwischen ist einmal von mir auf Schreiber verzichtet worden, weil man ihn trotz wochenlanger Bemühungen nicht finden konnte. Ich habe hierüber mit Sir David und Colonel Phillimore gesprochen. Es wurde mir gesagt, daß aus diesem formalen Punkt kein Einwand erhoben werden soll, als Schreiber nun plötzlich doch wieder, und zwar von selbst, auftauchte. Wenn mir, wie die Anklage möchte, das Beweismittel genommen wird, nämlich das Affidavit Schreibers über die Nachrichten, die Großadmiral Raeder aus Oslo bekam und außerdem die Dokumente, aus denen sich die Richtigkeit der Nachrichten ergibt, dann habe ich für die ganze Frage überhaupt kein Beweismittel mehr. Schreiber ist überdies während der Besatzungszeit in Oslo gewesen und hat über das Verhalten der Marine, über die Bemühungen von Großadmiral Raeder im Zusammenhang mit der bedauerlichen Zivilverwaltung Terboven in dem Affidavit gesprochen. Ich bitte daher das Gericht, dieses Affidavit, zuzulassen, oder notfalls Schreiber als Zeugen zu genehmigen und ihn selbst zu verhören, was allerdings nur mehr Zeit in Anspruch nehmen würde. Ich habe mit dem Zeugenbeweis mich so sehr beschränkt, daß ich glaube, daß man es bei dem großen Komplex von 15 Jahren, bezüglich des Angeklagten Raeder, mir zubilligen müsse, wenigstens ein solches Affidavit zu bringen.
Zu der Gruppe B kann ich mich auf meine bisherigen Ausführungen beziehen. Es sind, soviel ich sehen kann – die Gruppen sind völlig durcheinandergewürfelt –, wiederum Dokumente aus den Weißbüchern. Es sollten die gleichen Gedankengänge gelten, die ich neulich dem Tribunal dargelegt habe.
VORSITZENDER: Ich glaube, Sir David hat anerkannt, daß bis zu einem gewissen Grad die Dokumente innerhalb dieser Gruppen voneinander verschieden sind, aber er hat vorgebracht, daß sie alle nach geographischen Gesichtspunkten in Gruppen eingeteilt werden können, eine Gruppe die Niederlande, eine Gruppe Norwegen, eine Gruppe Griechenland und eine Gruppe der Kaukasus und die Donau, die mit der Gruppe E zusammenfallen. Das hatte er gesagt. Könnten Sie nicht die Dokumente an Hand dieser geographischen Gruppen besprechen?
DR. SIEMERS: Ja. Über Norwegen habe ich bereits gesprochen, so daß ich mich auf meine Ausführungen beziehen kann. Griechenland habe ich schon kurz erwähnt. Ich kann nur sagen, daß der doppelte Vorwurf erhoben wurde, einmal der Vorwurf, neutrale Schiffe zu versenken, nämlich neutrale griechische Schiffe, und zweitens der Vorwurf des Angriffskriegs gegen Griechenland, nämlich der Besetzung von ganz Griechenland. Zu dem letzteren habe ich schon etwas gesagt. Zu den griechischen Handelsschiffen darf ich nur sagen, daß hier das Verhalten des Zeugen berechtigt erscheint, wenn er Nachrichten bekommt, die sich mit den Dokumenten decken, die man einen Monat später in Frankreich findet. Dieselben Nachrichten hatte Großadmiral Raeder, als er seine Stellungnahme gegenüber Hitler zum Ausdruck brachte, durch den Nachrichtendienst natürlich nur im wesentlichen, und ich möchte beweisen, daß diese Nachrichten sich der Nachrichtendienst nicht ausgedacht hatte, sondern daß diese Nachrichten tatsächlich richtig waren.
Genau so liegt es bezüglich des Ölgebiets, wo die Planung bestanden hat, die rumänischen Ölquellen zu zerstören, wo ferner der Plan, ich darf das zusammennehmen, bestanden hat, das kaukasische Ölgebiet zu zerstören, beide mit dem Gedanken, den Gegner zu schädigen, in dem einen Falle Deutschland allein hinsichtlich Rumänien und im anderen Falle Rußland und Deutschland, da Rußland seinerseits mit Deutschland befreundet war.
Diese Planungen sind, und das ergibt sich aus den Urkunden, genau in derselben Form wie alle Urkunden, die die Anklage vorgelegt hat.
Auch diese Urkunden sind sämtlich geheim, streng geheim, persönlich, vertraulich. Genau so, wie die Anklage immer gesagt hat: »Warum machtet Ihr alles geheim? Das ist verdächtig.«
Diese Urkunden enthalten genau so im Interesse einer strategischen Planung Ideen wie die Urkunden, die die Anklage vorgelegt hat. Das ist etwas, was aus der Natur des Krieges entsteht und was kein Vorwurf von mir sein soll, aber auch kein Vorwurf von der Anklagebehörde gegen Großadmiral Raeder sein kann.
Es ist dann noch die Gruppe der Ribbentrop-Dokumente. Ich kann nur dasselbe sagen wie neulich schon, daß, soweit ich es im Augenblick übersehe, die Dokumente im Ribbentrop-Dokumentenbuch nicht so vollständig sind wie hier. Infolgedessen glaube ich, daß es wichtig ist, diese Urkunden zu nehmen, und daß es wichtig ist, die Urkunden in dem jetzigen Inhalt, vollständigen Inhalt, zu prüfen, unter dem Gesichtspunkte des Falles Raeder, nicht des Falles Ribbentrop. Das ist vielleicht schon geschehen, wie das Hohe Tribunal neulich sagte; dann glaube ich aber, ist es kein Einwand von der Anklagebehörde, zu sagen: Bei Ribbentrop teilweise abgelehnt, teilweise genehmigt. Es sind nämlich auch Dokumente, die bei Ribbentrop genehmigt sind, bei mir abgelehnt.
Dann kommt die Gruppe E, das ist tu quoque. Ich glaube, darüber habe ich genug gesagt, und zwar neulich sehr ausführlich. Ich bestreite nochmals wieder hier, und ich verstehe nicht, warum die Anklage mir das nicht abnehmen will: Ich will keine Vorwürfe erheben, ich sage nicht tu quoque, sondern ich sage nur, es gibt strategische Planungen, die in jeder Wehrmacht erfolgen, und es gibt völkerrechtliche Grundsätze, die bei den Alliierten genau so waren wie bei uns, und diese außenpolitische Vergleichsmöglichkeit bitte ich mir zu lassen.
Ich glaube, damit habe ich, soweit im Rahmen einer solchen schnellen Inbetrachtnahme, wie es von zirka 50 Urkunden möglich ist, zu allen Punkten Stellung genommen und bitte das Hohe Tribunal, mir meine Arbeit in der Verteidigung nicht dadurch zu erschweren, daß mir diese Urkunden abgelehnt werden
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird über Ihr Vorbringen und diese Dokumente sorgfältig beraten.
Die Verhandlung wird jetzt vertagt.