[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Großadmiral! Wir haben noch ein paar letzte Fragen bezüglich der Verschwörung. Ich glaube, die Fragen gehen schnell. Ich bitte Sie, die Urkunde C-155 zur Hand zu nehmen. Es handelt sich um GB-214, im Dokumentenbuch 10, Seite 24; Dokumentenbuch der Britischen Delegation Seite 24, Dokumentenbuch 10.
Es ist Ihre Schrift vom 11. Juni 1940, die an 74 Marinedienststellen gegangen ist und die die Anklageschrift eine Rechtfertigungsschrift genannt hat. Die Anklage will hieraus herleiten, daß Sie bereits im Sommer 1939 wußten, daß ein Krieg bevorstand. Ich bitte Sie, nur ganz kurz zu diesem Vorwurf Stellung zu nehmen.
RAEDER: Es liegen die verschiedensten Beweise dafür vor, daß ich in gar keiner Weise mit einem Krieg zum Herbst rechnete, und bei dem geringen Maß der Aufrüstung der deutschen Marine war das natürlich. Ich habe das in der Rede zu den U-Boot- Offizieren in Swinemünde ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß nicht damit zu rechnen sei.
DR. SIEMERS: Und was war der Anlaß dieser Schritt von C-155?
RAEDER: Der Anlaß dieses Briefes war, daß eine Anzahl von Torpedoversagern vorgekommen waren, die darauf zurückzuführen war, daß sie noch nicht so vollkommen entwickelt waren, wie das bei Beginn eines Krieges hätte sein müssen, und weiter war der Anlaß, daß die Offiziere, wo nun der Krieg so plötzlich ausgebrochen war, vielfach glaubten, es wäre richtiger gewesen, zunächst die U-Bootwaffe möglichst stark zu entwickeln, damit diese für den Fall eines Kriegsausbruches wenigstens in größerer Zahl bereit war. Diesen Auffassungen bin ich entgegengetreten, eben mit der Begründung, daß mit einem solchen Kriege gar nicht zu rechnen war; und auf der Seite 6, Absatz 8, bringe ich nochmals besonders zum Ausdruck – in der 2. Zeile, daß der Führer bis zuletzt hoffte, die drohende Auseinandersetzung mit England bis zum Jahre 1944/1945 verlegen zu können. Ich spreche hier von einer drohenden Auseinandersetzung. Eine drohende Auseinandersetzung ist etwas, was man nicht gerade erstrebt, sondern was man eher befürchtet.
DR. SIEMERS: Es gibt dann noch ein »Schlüssel- Dokument«, das ist 789-PS, US-23, die sehr lange Rede Hitlers vom 23. November 1939 vor den Oberbefehlshabern.
Die Urkunde befindet sich, Herr Präsident, im Dokumentenbuch 10 a, Seite 261. Es ist wiederum eine Hitler-Rede, von der man nicht weiß, wer dieses Protokoll aufgesetzt hat; es fehlt die Unterschrift, es fehlt das Datum. Da es gleich liegt wie bei den anderen Dokumenten, brauche ich Sie über diesen Punkt nicht weiter zu fragen.
[Zum Zeugen gewandt:]
Ich wüßte nur gerne, Herr Großadmiral, hatte auch diese Rede wieder einen bestimmten Hintergrund, einen bestimmten Hintergedanken Hitlers?
RAEDER: Jawohl. Es war damals ein ziemlich scharfer Konflikt zwischen Hitler und dem Oberbefehlshaber des Heeres, und eine Meinungsverschiedenheit auch mit den führenden Generalen wegen der Offensive im Westen; und der Führer nahm die oberen Führer zusammen, um ihnen über diese ganzen Dinge seine Ansicht zu sagen. Er führte aus – ich war selbst dabei – daß er bisher mit seinen Entscheidungen immer recht behalten hätte und daß er auch mit der Auffassung, daß man diese Westoffensive möglichst noch im Herbst vornehmen müsse, auch recht behalten werde. Er brachte zum Schluß sehr scharfe Worte; es ist im drittletzten Absatz des Dokuments, da steht: Ich werde vor nichts zurückschrecken und jeden vernichten, der gegen mich ist. Das war gegen die Generale gerichtet. Die Westoffensive fand dann doch erst im Frühjahr statt, weil die Wetterverhältnisse sie verhinderten.
DR. SIEMERS: Die Einzelheiten darüber haben wir schon in früherer Beweisaufnahme gehört, ich glaube, die können wir uns sparen.
Es kommt dann in diesem Zusammenhang das letzte Dokument C-126, das Sie ebenfalls vor sich haben, GB-45. Es befindet sich im Dokumentenbuch 10a, Seite 92.
Bezüglich der Vorbereitung des Krieges in Polen hat die Anklage dieses Dokument vom 22. Juni 1939 vom OKW, von Keitel unterschrieben, vorgelegt, weil mit diesem Dokument eine Zeittafel für den Fall »Weiß«, also für den Fall Polen, gegeben wurde.
Enthält dieses Dokument, oder enthielt diese Anweisung für Sie eine erkennbare bestimmte Angriffsabsicht?
RAEDER: Nein, eine erkennbare Angriffsabsicht keineswegs. Es waren auf alle Fälle gewisse Fragen zu klären auf lange Sicht, wie zum Beispiel die Frage, ob unsere Schulschiffe, die im Sommer hinauszugehen pflegten, hinausgehen oder warten sollten. Diese Entscheidung sollte aber erst Anfang August getroffen werden. Im Anschluß an diesen Befehl erließ ich den ebenso zu diesem Dokument gehörenden Befehl vom 2. August an die einzelnen oberen Marine-Dienststellen, nämlich, eine operative Weisung für Einsatz der Atlantik-U-Boote im Fall »Weiß«; und ich darf die ersten Zeilen verlesen, weil es auf den Wortlaut ankommt:
»Anliegend wird eine operative Weisung für den Ein satz der im Falle der Beibehaltung der Durchführungsabsicht Fall ›Weiß‹ vorsorglich in den Atlantik zu entsendenden U-Boote übersandt. F.d.U. reicht seine Operationsbefehle bis 12. 8. an Skl ein. Die Entscheidung über das Auslaufen der U-Boote in den Atlantik wird voraussichtlich vor Mitte August fallen.
Diese Weisung ist bei Ausfall der Operationen, spätestens am 1. Oktober 39 zu vernichten.«
Es stand also keineswegs fest, daß solche Operationen stattfinden würden, sondern es war eine vorsorgliche Vorsichtsmaßnahme, die unter allen Umständen getroffen werden mußte für den Fall »Weiß«.
DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Sie haben ausgesagt, daß Hitler Ihnen immer wieder, speziell wenn Sie ihn allein sprachen, sagte, es kommt kein Krieg.
RAEDER: Jawohl.
DR. SIEMERS: Insbesondere kein Krieg mit England?
RAEDER: Jawohl.
DR. SIEMERS: Nun kam am 3. September 1939 doch der Krieg mit England. Haben Sie im Anschluß daran und gegebenenfalls wann mit Hitler nun über diese Frage gesprochen?
RAEDER: Ich war am 3. September vormittags, ich glaube zwischen 10.00 und 11.00 Uhr, die genaue Uhrzeit kann ich nicht sagen, in die Reichskanzlei gerufen worden. Die Skl hatte mir schon übermittelt, daß das Ultimatum von England und Frankreich eingelaufen sei. Ich kam in das Arbeitszimmer des Führers, wo eine Anzahl von Personen versammelt war. Ich erinnere mich nur noch, daß der Stellvertreter des Führers, Heß, zugegen war; ich kann nicht sagen, wer sonst noch da war. Es fiel mir auf, daß Hitler mir gegenüber außerordentlich befangen war, als er mir sagte, daß gegen alle seine Hoffnungen nunmehr doch der Krieg mit England bevorstehe, daß das Ultimatum eingelaufen sei. Es war ein Ausdruck von Befangenheit, wie ich ihn sonst an Hitler eigentlich noch nie beobachtet hatte.
DR. SIEMERS: Ich komme nun zu dem Vorwurf der Anklage, daß Sie, Herr Großadmiral, den Nationalsozialismus bejahten und weitgehend unterstützten.
Ich darf das Hohe Tribunal bitten, sich das Dokument D-481 zu betrachten. Es ist GB-215 im Dokumentenbuch 10a, Seite 101. Es handelt sich hierbei um den Diensteid der öffentlichen Beamten und den Diensteid der Soldaten. Die Anklage hat unter Bezugnahme auf diese Urkunde ausgeführt, daß Sie, Herr Großadmiral, am 2. August 1934 unter besonderer Zeremonie auf Adolf Hitler einen Eid ablegten und nicht mehr auf das Vaterland; am 15. Januar 1946 (Band V, Seite 298) wurde wörtlich gesagt: »Das Gericht wird daraus ersehen, daß Raeder«, in dem Eid, »›Vaterland‹ durch ›Führer‹ ersetzte.« Dies verstehe ich nicht und darf Sie bitten, mir zu sagen, ob es richtig ist, daß Sie an der Änderung des Eidestextes von »Vaterland« in »Hitler« irgendwie mitgewirkt haben?
RAEDER: Nein, mir ist dieser Vorwurf völlig unverständlich. Die ganze Angelegenheit war auch keine besondere Zeremonie. Ich weiß nicht, wer das beobachtet haben will, so daß er das behaupten kann. Der Oberbefehlshaber von Blomberg und die drei Wehrmachtsbefehlshaber wurden am Vormittag des 2. August zu Hitler gebeten; wir waren in seinem Arbeitszimmer und Hitler ließ uns an seinen Schreibtisch herantreten, ohne jede Zeremonie und Aufmachung, und dort leisteten wir den Eid, den er als Staatsoberhaupt und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht uns vorlas. Diesen Eid sprachen wir nach. Es hatte keiner von uns an der Fassung des Eides mitgewirkt, es war auch gar nicht von uns verlangt worden. Das wäre ja auch ganz ungewöhnlich gewesen. Der Eid ging auf die Person Hitlers, er ist niemals auf das Vaterland gegangen, vorher im Wortlaut, sondern ich habe einmal einen Eid auf den Kaiser und Obersten Kriegsherrn geleistet, einen Eid auf die Weimarer Verfassung und den dritten Eid auf die Person des Staatsoberhauptes und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht, Hitler. In allen drei Fällen habe ich den Eid meinem Volk und Vaterland geleistet, das ist ganz selbstverständlich.
DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Als Sie zu dieser Sitzung am 2. August hinbestellt wurden, wußten Sie vorher, um was es sich handelte?
RAEDER: Das möchte ich annehmen, daß wohl durch die Adjutantur an meine Adjutantur gesagt worden ist, ich möchte hinkommen und es würde sich um die Eidesleistung handeln; ich kann es aber nicht mehr mit voller Sicherheit sagen, ich nehme es an.
DR. SIEMERS: War es der Morgen nach dem Tode Hindenburgs?
RAEDER: Jawohl.
DR. SIEMERS: Am Tage nach dem Tode Hindenburgs?
RAEDER: Jawohl.
DR. SIEMERS: War Ihnen der Wortlaut des Eides vorher bekannt?
RAEDER: Nein. Er war aber aufgeschrieben auf einem Blatt, und ich möchte annehmen, daß wir den Wortlaut vorher zur Kenntnis bekommen haben, an dem Schreibtisch.
DR. SIEMERS: Ich darf hier einschalten, Herr Präsident, daß der Wortlaut in dieser eben genannten Urkunde enthalten ist und ein Reichsgesetz darstellt.