[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Großadmiral! Die Anklage hat Ihnen Vorwürfe gemacht bezüglich aller politischen Handlungen des Nationalsozialismus. Ich bin daher gezwungen, Sie kurz über Ihre Beteiligung an denjenigen Ländern zu befragen, bei denen die Beteiligung der Marine zunächst überraschend erscheint. In welcher Weise waren Sie an den Maßnahmen bezüglich des Anschlusses von Österreich beteiligt?
RAEDER: Die Marine hatte mit dem Anschluß Österreichs überhaupt nichts zu tun und war in keiner Weise beteiligt daran.
DR. SIEMERS: Haben Sie irgendwelche Vorbereitungen getroffen?
RAEDER: Nein, im Falle Österreich waren keine Vorbereitungen zu treffen. Der Fall Österreich war erwähnt in dem Dokument C-175. Da handelt es sich aber nur um eine Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht, gültig vom 1. Juli 1937.
DR. SIEMERS: Verzeihung. Ich darf darauf hinweisen, C-175 ist US-69, im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 117.
Die Anklage hat dieses Dokument sehr wichtig genommen, deshalb darf ich Sie um ein Wort dazu bitten.
RAEDER: Es handelt sich um eine Aufstellung, die in jedem Staate, meines Wissens, für jedes Jahr gemacht wird, indem, je nach der politischen Lage, die Fälle aufgeführt werden, die im Laufe des Jahres eintreten könnten und für die selbstverständlich Vorbereitungen getroffen werden müssen. Für die Marine hatte aber dieses Dokument keinerlei Folgen, was Österreich betrifft.
DR. SIEMERS: Es ist also eine Urkunde, die zahlreiche...
VORSITZENDER: Ich bin nicht so sicher, daß wir die Bezeichnung dazu richtig gehört haben. Ich glaube, es kam durch C-157, US-69, 10a, und dann habe ich die Seitenzahl nicht verstanden.
DR. SIEMERS: Seite 117.
VORSITZENDER: Ist es C-157 oder 175?
DR. SIEMERS: C-175.
Handelte es sich hier um strategische Vorbereitungen für verschiedene Eventualfälle?
RAEDER: Jawohl. Es werden verschiedene Fälle genannt, der Fall »Rot«, Sonderfall »Erweiterung RotGrün«. Sie mußten alle durchgearbeitet, werden, ohne daß sie irgendwelche Folgen zu haben brauchten.
DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich wollte in diesem Zusammenhang verschiedene Dokumente, Raeder-Exhibits, überreichen, aus denen sich ergibt, daß genau solche Vorbereitungen, weil sie wehrmachtsmäßig notwendig sind, strategisch notwendig sind, auch bei den Alliierten gemacht wurden, nur um die Notwendigkeit zu zeigen Ich möchte im Moment davon absehen, weil ich so schnell nicht übersehen kann, welche Dokumente genehmigt sind und welche nicht. Ich darf dann vielleicht dementsprechend kurz am Schluß die Dokumente zusammenhängend überreichen, um kein Mißverständnis jetzt durch falsche Zahlen aufkommen zu lassen.
[Zum Zeugen gewandt:]
In welcher Weise waren Sie und die Marine an den Maßnahmen bezüglich des Sudetenlandes beteiligt?
RAEDER: In einer Weisung...
DR. SIEMERS: Verzeihung. Ich darf Sie bitten, dazu das Dokument der Anklage 388-PS in die Hand zu nehmen. Es ist US-126, nein, Verzeihung, US-26, und findet sich im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 147. Es ist der Entwurf für die neue Weisung »Grün« vom 20. Mai 1938.
RAEDER: Ja, ich habe die Weisung hier. Sie ist vom 20 Mai 1938; für die Kriegsmarine ist da bestimmt:
»Die Kriegsmarine beteiligt sich durch den Einsatz der Donauflottille an den Operationen des Heeres. Die Flottille tritt hierzu unter den Befehl des Ob.d.H.
Hinsichtlich der Seekriegführung sind zunächst nur die Maßnahmen zu treffen, die zur vorsorglichen Sicherung der Nord- und Ostsee gegen ein überraschendes Eingreifen anderer Staaten in den Konflikt geboten erscheinen. Diese Maßnahmen haben sich auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Ihre Unauffälligkeit muß gewährleistet sein.«
Durch den ganzen Verlauf – Ende September, Anfang Oktober – wurden besondere Maßnahmen ja nicht nötig und die Donauflottille, die wir von Österreich übernommen hatten, trat unter den Oberbefehl des Heeres.
DR. SIEMERS: Wie groß war die Donauflottille?
RAEDER: Sie bestand aus einigen kleinen Flußfahrzeugen, Minensuchern und einem kleinen Kanonenboot.
DR. SIEMERS: Und das ist alles, womit die Marine beteiligt war?
RAEDER: Ja, womit die Marine beteiligt war.
DR. SIEMERS: In welcher Weise waren Sie und die Marine an den Vorbereitungen zur Besetzung der, wie es in der Urkunde heißt, »Rest-Tschechei« beteiligt?
Es handelt sich um die Urkunde C-136, US-104; im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 101. Sie stammt vom 21. Oktober 1938.
Die Anklage weist darauf hin, daß Sie demnach schon im Oktober erfuhren, daß die Tschechei nach Verlauf längerer Zeit, also im März, wie es tatsächlich passierte, besetzt werden sollte. Ich bitte dazu Stellung zu nehmen.
RAEDER: Diese Weisung sieht zunächst bedenklich aus. Die Fassung aber zeigt, daß es sich nur wieder um Maßnahmen für Eventualfälle handelt. Es ist auch von der Sicherheit der Grenzen des Deutschen Reiches und dem Schutz gegen überraschende Luftangriffe als Punkt 1 die Rede. Dann Punkt 2 und 3 »Erledigung der Rest-Tschechei«, »Inbesitznahme des Memellandes«.
Unter Nummer 2 »Erledigung der Rest-Tschechei« lautet der erste Satz:
»Es muß möglich sein, die Rest-Tschechei jederzeit zerschlagen zu können, wenn sie etwa eine deutschfeindliche Politik betreiben würde.«
Dies ist also die Voraussetzung für den Fall eines Vorgehens gegen die Tschechei, das damit in keiner Weise sicher war. Ebenso ist es unter Nummer 3 mit der »Inbesitznahme des Memellandes«, wo es heißt:
»Die politische Lage, insbesondere kriegerische Verwicklungen zwischen Polen und Litauen, können es erforderlich machen, daß die Deutsche Wehrmacht das Memelland besetzt.«
DR. SIEMERS: Verzeihung, ich darf hierzu darauf hinweisen, daß nach meinen Unterlagen dieser Teil, den der Zeuge eben verlesen hat, in der englischen Übersetzung fehlt, nur damit da nicht unnötig gesucht wird.