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[Zum Zeugen gewandt:]

Also auch hier wieder ein Eventualfall?

RAEDER: Ja.

DR. SIEMERS: Am 3. September 1939, gleich zu Beginn des Krieges, wurde die »Athenia« versenkt. Militärisch ist der Fall bereits durch Herrn Kranzbühler aufgeklärt worden. Ich bitte aber um Ihre Stellungnahme und Darstellung des Vorganges als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, mit Rücksicht darauf, daß die Anklagebehörde gerade in diesem Fall einen sehr schweren und beleidigenden Vorwurf erhoben hat, den Vorwurf, daß Sie absichtlich der Wahrheit zuwider England und Churchill für die Versenkung der »Athenia« verantwortlich gemacht haben, obwohl Sie genau wußten, daß die »Athenia« durch ein deutsches U-Boot versenkt worden war. Zum Beweis hat die Anklage den Artikel vom 23. Oktober 1939 im »Völkischen Beobachter« vorgelegt.

Herr Präsident! Es ist dies 3260-PS, GB-218, im Dokumentenbuch 10 der Britischen Delegation Seite 97.

[Zum Zeugen gewandt:]

Ich bitte diesen Fall aufzuklären!

RAEDER: Die Tatsache war, daß ein junger Unterseebootkommandant, der Kommandant des U-Bootes U-30, am 3. September abends, in der Abenddämmerung, ein englisches Passagierschiff, das abgeblendet war, torpedierte, weil er fälschlich annahm, daß es sich um einen Hilfskreuzer handelte. Um Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich hier einfügen, daß diese Überlegungen des Kapitänleutnants Fresdorf, die hier einmal erwähnt worden sind, in der Seekriegsleitung über das Torpedieren von abgeblendeten Schiffen im Kanal, damals noch gar keine Rolle gespielt hatten und daß dieser U-Bootkommandant gar nichts davon wissen konnte, sondern er wußte, Hilfskreuzer sind abgeblendet, und er nahm an, daß es sich um einen Hilfskreuzer handle, der vor dem Nord- Westkanal, England-Schottland, stünde. Eine Meldung erstattete er nicht, das war nicht erforderlich. Die Nachricht, daß ein deutsches U-Boot die »Athenia« torpediert habe, wurde auf englischer Seite durch Funkspruch verbreitet und kam wohl in der Nacht vom 3. zum 4. auch zu uns und wurde auch dort an die einzelnen Nachrichtendienste weitergegeben. Am Morgen des 4. September hatten wir diese Nachricht auch in der Seekriegsleitung, und ich ließ mir melden, wie weitab unser nächstes Unterseeboot von der Torpedierungsstelle stünde. Es wurde mir gemeldet, 75 Seemeilen. Ungefähr gleichzeitig hatte der Staatssekretär von Weizsäcker im Auswärtigen Amt, der Seeoffizier im ersten Weltkrieg gewesen war, erfahren, daß diese Sachlage vorliege, und er hatte in der Seekriegsleitung antelephoniert und angefragt, ob das stimme. Er hat nicht mich persönlich antelephoniert. Er erhielt die Antwort, daß nach unseren Unterlagen es nicht stimmen könne und ließ daraufhin den Amerikanischen Geschäftsträger, ich glaube Mr. Kirk, zu sich kommen, um mit diesem über diese Angelegenheit zu sprechen, weil in den Funksprüchen mitgeteilt wurde, daß einige Amerikaner bei dem Unfall ums Leben gekommen wären. Er war sich aus den Erfahrungen des ersten Weltkrieges darüber klar, wie wichtig es war, daß mit Amerika kein Zwischenfall entstünde. Er teilte ihm infolgedessen das, was er bei der Seekriegsleitung erfahren hatte, mit. Dasselbe teilte ich persönlich dem amerikanischen Marineattaché Mr. Schrader mit, und zwar durchaus und voll bona fide. Ich glaubte, ihm das mit gutem Gewissen sagen zu können, da ja für uns auch keine andere Nachricht vorlag. Der Staatssekretär von Weizsäcker suchte mich dann, wenn ich mich recht erinnere, persönlich auf – wir standen uns sehr nahe – und sagte mir, was er dem Amerikanischen Geschäftsträger gesagt hatte. Er entschuldigte sich, glaube ich, auch bei mir, daß er mich persönlich nicht angetroffen hätte, und damit war der Fall zunächst erledigt.

An sich war der Fall so, daß, wenn er normal gemeldet worden wäre, wir kein Bedenken gehabt hätten, ihn zuzugeben, den Grund anzugeben und die entsprechenden Entschuldigungen bei den beteiligten Staaten nachzuholen. Der Offizier wäre bestraft worden, disziplinarisch. Ich teilte das Ereignis auch im Hauptquartier dem Führer mit, dem ich meldete, daß nach unserer Überzeugung kein solcher Fall vorläge, und der Führer befahl, daß es dementiert werden sollte, was dann von seiten des Propagandaministeriums, dem der Befehl durch meine Presseabteilung mitgeteilt wurde, erfolgte. Das Unterseeboot kam am 27. September zurück...

DR. SIEMERS: Verzeihung, wenn ich einmal unterbreche. Dieses Datum, Herr Präsident, steht fest nach der von der Anklage überreichten Urkunde D-659, GB-221, im Dokumentenbuch 10 Seite 110.

RAEDER: Der U-Bootkommandant kam am 27. September nach Wilhelmshaven zurück, und Großadmiral Dönitz hat bereits geschildert, wie er ihn empfing und wie er ihn sofort zu mir nach Berlin schickte in einem Flugzeug. Der U-Bootkommandant meldete mir den ganzen Verlauf und bestätigte, daß ein reines Versehen vorliege und daß er erst im Laufe der ganzen Funksprüche, die er abhörte, selbst erfahren hätte, daß es sich nicht um einen Hilfskreuzer, sondern um einen Personendampfer handelte. Ich meldete diesen Sachverhalt, da er ja große politische Folgen haben konnte, dem Führer, der entschied, daß, nachdem die Sache einmal dementiert worden sei, sie weiter auf das äußerste geheimgehalten werden solle, und zwar nicht nur nach außen hin, sondern auch innerhalb der amtlichen Kreise, auch der Regierungskreise. Folgedessen war ich nicht in der Lage, dem Staatssekretär von Weizsäcker oder dem Propagandaministerium einen anderen Sachverhalt mitzuteilen. Mein Befehl an den Befehlshaber der U-Boote lautete: Erstens: Die Angelegenheit ist auf das äußerste geheimzuhalten, auf Befehl des Führers. Zweitens: Von meiner Seite wird kein kriegsgerichtliches Verfahren angeordnet werden, weil der Kommandant bona fide gehandelt hat und ein Versehen vorliegt, und drittens: Die weitere politische Behandlung erfolgt im Oberkommando der Kriegsmarine, soweit noch irgend etwas zu veranlassen war.

Damit ging der Kommandant nach Wilhelmshaven zurück, und der Großadmiral Dönitz hat bereits berichtet, daß er ihn dann disziplinarisch bestraft hat. Zu unserem großen Erstaunen erschien dann ungefähr einen Monat später dieser Artikel im »Völkischen Beobachter«, in dem Churchill beschuldigt wurde, er wäre der Urheber. Ich habe vorher von diesem Artikel auch nicht das geringste gewußt, und ich würde ihn ganz bestimmt verhindert haben, denn es wäre eine völlige Unmöglichkeit gewesen, wo ich wußte, daß unser U-Boot das Schiff torpediert hatte, nun ausgerechnet dem Gegner, dem Ersten Lord der Admiralität, die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ich habe nachträglich erfahren, daß der Befehl für einen solchen Artikel von Hitler ausgegangen und über den Reichspressechef an das Propagandaministerium gegangen ist und daß der Propagandaminister, soweit ich mich erinnere und mir gesagt worden ist, selbst diesen Artikel aufgesetzt habe. Nachher konnte ich es nicht mehr verhindern, ich habe den Artikel weder gesehen, noch hat irgendeiner meiner Offiziere vom Oberkommando der Kriegsmarine den Artikel gesehen. Er würde bestimmt sofort zu mir gekommen sein, damit ich verhindere, daß ein solcher Artikel in die Welt ginge. Es war aber auch gar nicht mehr zu erwarten, daß etwas erschien in dieser Richtung, denn es waren schon vier Wochen verflossen, seit die »Athenia« torpediert war. Das ist der »Athenia«-Fall.

DR. SIEMERS: Sie sagten soeben, daß Sie erfahren hätten, daß Hitler von dem Artikel wußte. Wann haben Sie das erfahren?

RAEDER: Hier von dem Mitangeklagten Hans Fritzsche.

DR. SIEMERS: Also nicht damals?

RAEDER: Nein, keineswegs.