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[Das Gericht vertagt sich bis 14.15 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

DR. SIEMERS: Ich habe inzwischen meine Dokumente durchgesehen und bin daher in der Lage, jetzt bei dem ursprünglichen Plan zu bleiben, die Dokumente während des Verhörs mit zu überreichen.

Im Zusammenhang mit der zuletzt besprochenen Urkunde C-126 »Strategische Vorbereitungen« lege ich folgende Dokumente vor aus den Weißbüchern, die genehmigt wurden und in gleicher Weise strategische Vorbereitungen bei den Alliierten betreffen. Es handelt sich um Raeder Exhibit Nummer 33, eine Urkunde vom 9. November 1939, ferner um Raeder Exhibit Nummer 34, General Gamelin an General Lelong, vom 13. November 1939; sodann Raeder Exhibit Nummer 35, zwei Auszüge aus dem Tagebuch Jodl, 1809-PS, betreffend die Maßnahmen der Luftwaffe hinsichtlich Kaukasus. Ich brauche hierzu nichts zu sagen, ich erinnere nur an meine am 18. März gestellten Fragen an den Zeugen Reichsmarschall Göring, der über die Pläne der Alliierten bezüglich der Zerstörung der kaukasischen Ölfelder bereits ausgesagt hat. Und schließlich in diesem Zusammenhang noch Raeder Exhibit Nummer 41. Im Dokumentenbuch 3, Seite 205 folgt eine Aufzeichnung des Oberbefehlshabers des französischen Heeres General Gamelin vom 16. März 1940 über den Kriegsplan für 1940, betreffend die Verschärfung der Blockade, und die Pläne für die skandinavischen Länder, und außerdem wiederum über die Zerstörungspläne hinsichtlich des russischen Öles auf dem Kaukasus.

[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Großadmiral! Bevor ich jetzt zu den einzelnen Unternehmungen Griechenland, Norwegen und so weiter komme, bitte ich Sie noch, eine Sie persönlich betreffende Frage zu beantworten. Welche Auszeichnungen erhielten Sie von Hitler?

RAEDER: Ich erhielt von Hitler außer dem Goldenen Ehrenzeichen, das schon erwähnt worden ist, im Herbst 1939 das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz. Ferner im Jahre 1941, an meinem 65. Geburtstag eine Dotation von 250.000 Mark, die mir Hitler durch einen Adjutanten mit einem Dokument übersandte.

Als ich mich bei der nächsten Gelegenheit bei ihm bedankte, sagte er mir, daß er mir diese Dotation als Auszeichnung verleihe, in gleicher Weise wie die früheren Herrscher von Preußen ihren Generalen solche Dotationen verliehen hätten, sei es in Geldsummen, sei es in einem Landgut. Er betonte dann, daß auch Feldmarschall von Hindenburg und Mackensen von ihm Dotationen erhalten hätten.

DR. SIEMERS: Ich gehe nunmehr zu dem Thema Griechenland über. Bezüglich Griechenland hat die Anklage die Urkunde C-12, gleich GB-226, vorgelegt, im Dokumentenbuch 10, Seite 1. Es handelt sich um eine Entscheidung Hitlers, mitgeteilt durch das OKW vom 30. Dezember 1939, unterzeichnet von Jodl, wo unter Ziffer I folgendes steht:

»Griechische Handelsschiffe sind in der durch USA um England erklärten Sperrzone wie feindliche zu behandeln.«

Diese Entscheidung Hitlers erfolgte auf Grund eines Vortrages seitens der Seekriegsleitung.

Was veranlaßte Sie zu diesem Vortrag, obwohl Griechenland damals neutral war?

RAEDER: Wir hatten in jener Zeit eine große Anzahl von Nachrichten vom Nachrichtendienst bekommen, daß griechische Reedereien, offenbar mit Wissen der Griechischen Regierung, ihre Schiffe unter sehr günstigen Bedingungen an England vercharterten. Sie fuhren also im Englanddienst und waren danach ebenso zu behandeln wie die englischen Handelsschiffe. Die Nachrichten bestätigten sich nachher in noch größerem Maße, als sie anfänglich vorlagen.

DR. SIEMERS: Ich erlaube mir, dem verehrlichen Gericht in diesem Zusammenhang Raeder Exhibit Nummer 53, in meinem Dokumentenbuch 3, Seite 258 zu überreichen. Es handelt sich um das Kriegstagebuch der Seekriegsleitung vom Dezember 1939. Auf Seite 259 ist unter dem 19. Dezember folgendes eingetragen:

»Griechenland hat etwa 20 Dampfer für den Verkehr von USA nach Le Havre und Liverpool verchartert.«

Dies bestätigen die Nachrichten, die der Zeuge eben erwähnte.

Und die nächste Eintragung auf der gleichen Seite unter dem 30. Dezember:

»Auf Grund der Verkäufe und Vercharterung zahlreicher griechischer Schiffe an England wird mit Einverständnis des Führers befohlen, daß griechische Schiffe im Seegebiet von 20 Grad West bis 2 Grad Ost und 44 Grad Nord bis 62 Grad Nord von U-Booten wie feindliche zu behandeln seien. Angriffe möglichst ungesehen.«

Ich überreiche ferner das nächste Dokument Nummer 54. Dieses Dokument stammt aus den Weißbüchern. Es ist datiert vom 23. Januar 1940. Ein Bericht der Deutschen Gesandtschaft im Haag an das Auswärtige Amt. Die Überschrift lautet: Bevorstehende Vercharterung von 50 bis 60 griechischen Schiffen an die Britische Regierung.

Ich brauche es nicht vorzulesen. Ich darf nur den Beginn des ersten Satzes zitieren: »Nachdem die englische Presse Ende November vorigen Jahres«, also 1939, »Meldungen über angebliche Vercharterungen griechischer Schiffe an britische Reedereien gebracht hatte...« und so weiter. Es wird dann festgestellt, daß diese 50 bis 60 griechischen Schiffe nunmehr verchartert sind.

Obwohl es historisch nicht ganz richtig ist, möchte ich jetzt zunächst den Komplex Griechenland abschließen. Es käme eigentlich jetzt erst Norwegen, nur wegen des Zusammenhanges darf ich Griechenland, und zwar die Besetzung von Griechenland, vorwegnehmen.

Im Dokument C-152, gleich C-167, gleich GB-122, im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10, Seite 23, hat die Anklage gegen Sie vorgetragen die Ziffer 9 dieses längeren Dokuments, und zwar Ziffer 9, B, f. Es heißt dort:

»Ob.d.M. bittet um Bestätigung, daß ganz Griechenland besetzt werden soll, auch bei friedlicher Regelung. Führer: die völlige Besetzung ist Vorbedingung für jede Regelung.«

Bei diesem Dokument handelt es sich um Ihren Vortrag bei Hitler vom 18. März 1941. Welche Gründe veranlaßten Sie zu diesem Vorschlag?

RAEDER: Ich hatte anfänglich von den politischen Absichten des Führers bezüglich Griechenland nur wenig erfahren. Ich kannte aber seine Weisung Nummer 20 vom 13. Dezember 1940.

DR. SIEMERS: Verzeihung, ich darf für das Gericht einschalten, es handelt sich um 1541-PS, gleich GB-117, Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 270. Diese Weisung datiert vom 13. Dezember 1940.

RAEDER: In dieser Weisung hatte der Führer gesagt aus Gründen, die er im Absatz 1 erwähnt, daß seine Absicht sei, Absatz 2:

»Nach Eintreten günstiger Witterung – voraussichtlich im März – diese Kräftegruppe über Bulgarien hinweg zur Besitznahme der Ägäischen Nordküste und – sollte dies erforderlich sein – des ganzen griechischen Festlandes anzusetzen (Unternehmen Marita). Mit der Unterstützung durch Bulgarien ist zu rechnen.«

Ich hörte dann erst von diesen Dingen wieder, als ich erfuhr, daß die Engländer in Südgriechenland am 3. März gelandet seien. Wir erfuhren das in der Zeit ungefähr um den 5. oder 6. März. Aus diesem Grunde beantragte ich beim Führer, daß er ganz Griechenland besetzen möge, um zu verhindern, daß die Engländer uns in den Rücken kommen könnten mit Angriffen, auch mit Luftangriffen, Flugplätze anlegen und damit auch unsere Kriegführung nicht nur in Griechenland, sondern auch im östlichen Mittelmeer schädigen könnten.

Es war ja so, daß, wenn eine politische Entscheidung von Hitler getroffen war, völlig selbständig und ohne irgend jemand zu befragen daß ich dann als Chef der Seekriegsleitung aus dieser politischen Entscheidung immer die strategischen Schlüsse ziehen mußte und ihm daraufhin meine Vorschläge bezüglich der Seekriegführung und der übrigen Führung machen mußte, soweit sie mich angingen. Da er schon im Dezember ins Auge gefaßt hatte, daß eventuell ganz Griechenland zu besetzen sei, so war für mich jetzt der Fall eingetreten, daß ich ihm den Vorschlag machen mußte, aus dem Grunde, den ich vorher nannte. Wenn ich sagte ganz Griechenland, so bedeutet das für mich und die Seekriegführung die ganze griechische Küste, an der die englischen Streitkräfte landen konnten.

DR. SIEMERS: Ihr Vorschlag lag also zirka zwei Wochen, nachdem britische Truppen in Griechenland gelandet waren.

RAEDER: Ja.

DR. SIEMERS: Ich darf im Zusammenhang hiermit als Raeder Exhibit Nummer 58 mein Dokumentenbuch 3, Seite 271, ein Dokument aus dem Weißbuch überreichen, wonach am 4. Januar... Hohes Gericht, ich bitte vielmals zu entschuldigen, Sir David hat recht, das Dokument Nummer 58 ist abgelehnt; ich ziehe es zurück.

Ich überreiche in diesem Zusammenhang Raeder Exhibit Nummer 59, im Dokumentenbuch 3, Seite 273; es stammt aus dem Weißbuch und ist die Niederschrift über die Sitzung des französischen Kriegsausschusses vom 26. April 1940. Sie betrifft den Beschluß des Kriegsausschusses bezüglich Norwegen, des Kaukasus und Rumänien und Griechenland.

Ich überreiche ferner Raeder Exhibit Nummer 63, Dokumentenbuch 3, Seite 285, Rede des britischen Staatssekretärs für Indien Amery vom 1. Dezember 1940, woraus sich ebenfalls die Planungen bezüglich Griechenland ergeben, 11/4 Jahr vor dem Zeitpunkt, den eben der Zeuge schilderte.

Ich komme nunmehr zu dem Thema Norwegen. Den Angriff gegen Norwegen hat der britische Anklagevertreter Mr. Elwyn Jones als besonderen Fall im Rahmen der Angriffskriege der Nazi-Verschwörung hingestellt, indem er darauf hinwies, daß in diesem Falle Hitler nicht selbst auf den Gedanken kam, sondern erst von Ihnen überredet wurde. Da dieser Punkt sehr wichtig ist, darf ich Sie bitten, den Vorgang genau zu schildern und frage Sie daher zunächst, wann war die erste Besprechung zwischen Ihnen und Hitler?

RAEDER: Die erste Besprechung über die Frage Norwegen zwischen Hitler und mir war am 10. Oktober 1939 und war von mir nachgesucht. Der Grund war, daß wir durch unseren Nachrichtendienst durch die Vermittlung des Admirals Canaris in der letzten Septemberwoche verschiedentlich Nachrichten erhielten, daß die Engländer beabsichtigten, in Norwegen Stützpunkte zu besetzen. Ich erinnere mich, daß der Admiral Canaris einmal, nachdem schon verschiedentlich solche Nachrichten bei mir eingetroffen waren, selbst kam, was er nur in den wichtigen Fällen tat und mir in Gegenwart meines Chefs des Stabes einen zusammenhängenden Vortrag über die vorliegenden Nachrichten hielt. Es handelte sich darin immer um Flugstützpunkte und Stützpunkte in Südnorwegen. Genannt wurde immer Stavanger mit dem Flugplatz Sola und meistens auch Drontheim, gelegentlich auch Christiansand. In den letzten Septembertagen hatte ich ein Telephongespräch mit dem Generaladmiral Carls, der der Oberbefehlshaber der Marinegruppe Nord war, der also die Kriegführung Skagerrak, Kattegatt und Nordsee hatte. Dieser hatte offenbar ähnliche Nachrichten bekommen und kündigte mir an, daß er einen Brief an mich verfaßt hätte, und zwar einen Privatbrief, in dem die Frage der Gefahr der Besetzung Norwegens durch englische Streitkräfte behandelt wurde und wo er die Frage allgemein auch behandeln würde in der Richtung, welche Nachteile dies für uns hätte und ob wir einem solchen Versuch zuvorkommen müßten und welche Vorteile und Nachteile die Besetzung Norwegens durch uns – der norwegischen Küste, norwegischer Stützpunkte – haben würden. Ich hatte mich bis dahin noch nicht beschäftigt mit der norwegischen Frage, abgesehen davon, daß ich diese Nachrichten bekommen hatte. Das Eintreffen des Briefes – letzte Septembertage oder erste Oktobertage, in der Zeit muß es gewesen sein – veranlaßte mich, diesen Brief dem Chef des Stabes der Seekriegsleitung zu geben und ihm den Auftrag zu geben, er möge schleunigst in der Seekriegsleitung die Frage der Besetzung norwegischer Stützpunkte durch England und die anderen Fragen, die der Generaladmiral Carls angestoßen hatte, innerhalb der Seekriegsleitung erörtern. Vor- und Nachteile einer Ausweitung des Krieges nach Norden hin, nicht nur der Ausweitung durch uns etwa, sondern vor allem und in erster Linie der Ausweitung durch England; welchen Wert, welchen Vorteil es hätte, wenn wir zuvorkämen, aber auch welche Nachteile es hätte, wenn wir die norwegische Küste dann zu verteidigen hätten. Dadurch entstand dieser Fragebogen, der in C-122 angedeutet ist, also welche Orte..., C-122, GB-82, und wo die Frage gestellt wurde, welche Orte als Stützpunkte in Frage kämen, wie die Verteidigungsmöglichkeit für uns sei, ob die Häfen noch weiter ausgebaut werden müßten und auch welchen Vorteil die Stützpunkte für unsere U-Boote hätten.

Diese Frage wurde, wie schon erwähnt, auch an Admiral Dönitz gestellt. Seine Antwort kam aber erst, nachdem ich den Vortrag am 10. Oktober bereits gehalten hatte. Ich möchte noch vorausschicken, daß mir durchaus klar war, daß, wenn wir eine Besetzung solcher Stützpunkte vornehmen, darin ein Neutralitätsbruch vorlag. Ich kannte aber auch die Abmachung, die zwischen der Deutschen und der Norwegischen Regierung am 2. September getroffen worden war bezüglich der Neutralität und kannte den Schlußsatz in diesem Aidemémoire, Dokument TC-31, GB-79 vom 2. September 1939.

DR. SIEMERS: Verzeihung, Herr Vorsitzender! Ich darf darauf hinweisen, das Dokument befindet sich in dem Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 330.

Sie haben das Dokument vor sich liegen?

RAEDER: Ich habe das Dokument vor mir und darf den Schlußsatz vorlesen.

DR. SIEMERS: Das letzte Dokument im Buch, Seite 329.

RAEDER: Den letzten Satz:

»Sollte die Haltung der Königlich Norwegischen Regierung im Falle, daß ein derartiger Neutralitätsbruch von dritter Seite wiederkehrt, eine andere sein, so würde die Reichsregierung selbstverständlich genötigt sein, die Interessen des Reiches so wahrzunehmen, wie die sich dann ergebende Lage es der Reichsregierung aufnötigen würde.«

Ich ließ mir dann in den nächsten Tagen vom Chef des Stabes der Seekriegsleitung die Unterlagen geben, die die Seekriegsleitung die ganzen Tage über ausgearbeitet hatte und meldete mich zum 10. Oktober bei Hitler zum Vortrag an, weil ich diese Angelegenheit für besonders wichtig hielt. Ich war mir selbst darüber klar, daß für uns die beste Lösung eine zuverlässige Neutralität Norwegens sein würde und habe das auch ausgesprochen, wie sich das aus dem Dokument C-21, GB-194, ergibt. Das ist ein Auszug aus dem Kriegstagebuch der Seekriegsleitung und da steht...

DR. SIEMERS: Im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 6.

RAEDER: Es steht auf der dritten Seite des deutschen Dokuments, vorletzter Absatz, unter dem 13. Januar: »Lagebesprechung bei dem Chef der Seekriegsleitung.«

DR. SIEMERS: Verzeihung, Herr Präsident! Das Dokument C-21 war von der Anklagebehörde nicht vollständig übersetzt worden. Ich habe das Dokument deshalb in unserem Dokumentenbuch unter Raeder Exhibit Nummer 69, das ich hiermit überreiche. Es befindet sich im Dokumentenbuch 3, Seite 62.

VORSITZENDER: Dokumentenbuch 3 geht nur bis 64. Stimmt das nicht? Es muß wohl Dokumentenbuch 4 sein.

DR. SIEMERS: Es muß ein Fehler im Dokumentenbuch sein, es wurde zunächst versehentlich im Inhaltsverzeichnis nur bis 64 von der Übersetzungsabteilung geschrieben. Nachträglich ist es berichtigt und ergänzt. Im Dokumentenbuch 4, Seite 317 ist das Dokument zu finden.

VORSITZENDER: Jawohl, Seite 317 oben.

DR. SIEMERS: Ja Sie können dazu Stellung nehmen.

RAEDER: Also, in dem vorletzten Absatz steht:

»In voller Übereinstimmung mit dieser Auffassung ist daher auch der Chef der Skl. davon überzeugt, daß die günstigste Lösung zweifellos die Aufrechterhaltung des augenblicklichen Zustandes wäre, der bei Wahrung strikter Neutralität durch Norwegen die sichere Benutzung der norwegischen Hoheitsgewässer für den kriegswichtigen Seeverkehr Deutschlands gestattet, ohne daß auf seiten Englands der Versuch gemacht wird, diese Seeverbindung ernsthaft zu gefährden.«

Diesen Standpunkt habe ich bei meinem Vortrag auch Hitler gegenüber geltend gemacht.

In meinem Vortrag beim Führer führte ich zunächst die Nachrichten an, die uns vorlagen. Sodann schilderte ich ihm die Gefahren, die durch eine Besetzung englischer Stützpunkte an der norwegischen Küste für unsere gesamte Kriegführung eintreten würden, die ich sehr hoch einschätzte. Ich hatte das Gefühl, daß eine solche Besetzung unsere ganze Kriegführung auf das schwerste beeinträchtigen und gefährden würde. Wenn die Engländer norwegische Stützpunkte, im Süden Norwegens besonders, besetzten, so könnten sie von dort aus sowohl die Ostsee-Eingänge beherrschen als auch unsere Seekriegführung aus der Deutschen Bucht heraus – Elbe, Jade, Weser – flankieren, es war also der zweite Ausgang, den wir hatten, schwerstens gefährdet, sowohl die Operationen der Kriegsschiffe als auch die Fahrten unserer Handelsschiffe. Ferner konnten sie von ihren Flugstützpunkten in Norwegen aus auch unseren Flugverkehr, also die Operation unserer Flieger, sei es zur Aufklärung der Nordsee, sei es zum Angriff gegen England, gefährden. Ferner konnten sie von Norwegen aus einen starken Druck auf Schweden ausüben, der sich dahin äußern würde, daß die Erzzufuhr aus Schweden behindert würde oder auch durch rein politischen Druck abgestoppt wurde. Schließlich konnten sie auch die Erzzufuhr aus Narvik nach Deutschland völlig lahmlegen, und es ist bekannt, in wie hohem Maße Deutschland abhängig war von der Erzzufuhr aus Schweden und Norwegen. Sie konnten sogar so weit gehen, und wir haben das nachträglich erfahren, daß solche Erörterungen angestellt wurden, die Erzgruben von Lulea anzugreifen und zu zerstören oder in ihren Besitz zu bringen.

Alle diese Gefahren konnten kriegsentscheidend werden. Ich habe, abgesehen davon, daß ich Hitler sagte, das beste für uns wäre eine strenge Neutralität Norwegens, ihn auch auf die Gefahren aufmerksam gemacht, die für uns selbst aus einer Besetzung der norwegischen Küste, norwegischer Stützpunkte, entstehen würden. Denn es würde zu einer lebhaften Seekriegführung an der norwegischen Küste kommen, wo die Engländer, auch nach unserer Besetzung von Stützpunkten, versuchen würden, unseren Erzverkehr von Narvik zu behindern, und da könnten Kämpfe entstehen, denen wir mit unseren geringen Überwasserstreitkräften auf die Dauer doch nicht gewachsen sein würden. Ich habe also zu diesem Zeitpunkt keinen Vorschlag gemacht, daß wir Norwegen, oder Stützpunkte dort, besetzen sollten, sondern ich habe nur meine Pflicht erfüllt, meinen Obersten Befehlshaber der Wehrmacht auf eine schwere Gefahr aufmerksam zu machen, die uns drohte und gegen die wir eventuell das Mittel der Notwehr ergreifen müßten. Ich habe ihn auch darauf aufmerksam gemacht, daß etwaige Operationen zur Besetzung norwegischer Stützpunkte uns sehr teuer zu stehen kommen könnten. Ich habe mehrere Male im Laufe der ganzen späteren Verhandlungen ihm gesagt, wir könnten dabei unsere ganze Flotte verlieren. Ich betrachtete es als einen günstigen Fall, wenn wir nur ein Drittel verlören, was nachher auch geschehen ist. Also, es war für mich kein Anlaß zu erwarten, daß ich bei dieser Gelegenheit Ruhm gewinnen würde, wie mir vorgeworfen wird von der Anklage; es konnte stark das Gegenteil eintreten.

DR. SIEMERS: Ich darf das Hohe Gericht darauf hinweisen, daß sich diese Darstellung auch schon aus Urkunden ergibt, die aus der Zeit des Krieges stammen, und zwar einmal aus dem eben überreichten Raeder-Exhibit 69, also vom 13. Januar 1940, wo von der Studie die Rede ist, und man sagt, daß die Studie von der Überlegung ausgeht, daß ein Festsetzen Englands im norwegischen Raum für die deutsche Kriegführung untragbar ist und daß diese Entwicklung möglicherweise nur dadurch verhindert werden kann, daß wir England durch Besetzung Norwegens zuvorkämen.

Es ist hier im Kriegstagebuch genau das gleiche gesagt, was der Zeuge jetzt ausführt. In demselben Zusammenhang darf ich auf die Urkunde der Anklage C-66, GB-81, verweisen, im britischen Dokumentenbuch 10a, Seite 35. Diese Urkunde stammt vom 10. Januar 1944, und ich bitte das Gericht, davon Kenntnis zu nehmen, daß sich dort unter dem Stichwort »Weserübung«, dies war der Deckname für Norwegen, die Ausführungen finden, die der Zeuge jetzt im wesentlichen gemacht hat. Ich möchte sie nicht erst verlesen, da dadurch unnötig Zeit verlorengeht.

VORSITZENDER: C-66 sagen Sie? Das betrifft den Plan »Barbarossa«. Meinen Sie das?

DR. SIEMERS: Die letzte Seite unter dem Stichwort »Weserübung«, im englischen Dokumentenbuch Seite 39. Es ist dort unter »Weserübung« der erwähnte Brief des Generaladmirals Carls erwähnt, von dem der Zeuge sprach und von seinen weiteren Gedankengängen. Im deutschen Original hat es die Überschrift »Anhang 2«.

Die klarere Fassung kommt naturgemäß in dem Dokument Raeder 69 zum Ausdruck, weil das aus dem Januar 1940 stammt, also drei Monate später, wo inzwischen mehr Nachrichten vorlagen, während dies eine Schilderung ist, die noch ganz auf dem Oktober 1939 beruht.