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[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Großadmiral! Mit Frankreich haben Sie wenig zu tun gehabt, und daher können wir uns auch kurz fassen.

Ich darf Sie nur fragen: Haben Sie irgendwie einmal versucht, auf die politische Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich einzuwirken?

RAEDER: Diese Einwirkungen erfolgten ja, wenn sie stattfanden, in erster Linie immer aus Gründen, unsere Verteidigung des Landes möglichst günstig zu beeinflussen.

In zweiter Linie vor allem aber auch aus menschlichen Gründen. In Frankreich war ich öfters in den Marinestützpunkten, in U-Bootstützpunkten und bekam bei den Fahrten dorthin einen gewissen Einblick in die Verhältnisse in Frankreich. Ich sah, daß im Jahre 1940, und auch noch 1941, die Bevölkerung eigentlich wie im Frieden lebte, völlig ungestört. Infolgedessen glaubte ich, nachdem der Führer diese große Mäßigung bei dem Waffenstillstand bewiesen hatte, daß eine Grundlage vorhanden sein müsse, auf der man Frankreich, wo ja eine Regierung der Kollaboration vorhanden war, daß man Frankreich näher an uns heranziehen könnte. Ich erfuhr, daß Laval wirklich aufrichtig der Ansicht sein solle, daß nur ein Zusammengehen von Frankreich und Deutschland in Zukunft einen dauernden Frieden in Europa gewährleisten könne. Ich schlug ihm infolgedessen vor, ob er nicht in dieser Richtung selbst etwas unternehmen wolle. Das hatte er nicht vor, und ich kam darauf wieder zurück, als ich hörte, daß der Admiral Darlan das Bestreben hätte, mit unserem Marinebefehlshaber in Frankreich, das war damals der Admiral Schulze, enger zusammenzuarbeiten. Das geschah zunächst auf dem Gebiet des Nachrichtenwesens, wo er uns sehr nützliche Dienste erwies. Er äußerte um die Jahreswende 1941/42 den Wunsch, ob er nicht einmal mit mir sprechen könne. Der Wunsch wurde mir von Admiral Schulze übermittelt, und ich trug ihn Hitler vor und befürwortete eine solche Besprechung, weil ich glaubte, daß ein gewisser Nutzen daraus entstehen könne.

DR. SIEMERS: Was entstehen könne?

RAEDER: Ein gewisser Nutzen daraus entstehen könne. Der Führer genehmigte diese Unterredung und unterrichtete mich über seine Ansichten. Ich habe dann die Unterredung in der Nähe von Paris gehabt gelegentlich einer Dienstreise, die ich zu den französischen Stützpunkten Ende Januar oder Anfang Februar 1942 unternahm. Ich hatte den Eindruck, daß diese Unterredung befriedigend verlief insofern, als auch Darlan der Ansicht war, daß ein Friedensschluß für beide Staaten von Nutzen sein könne, und er auch sonst zum Zusammenarbeiten sich geneigt zeigte. Er betonte aber, daß die gesamte politische Regelung erfolgen müsse, bevor ein Frieden geschlossen würde. Ich habe ihm dann auch ein Entgegenkommen bewiesen bei den Verhandlungen der Waffenstillstandskommission mit Bezug auf schwere Geschütze für die großen französischen Schiffe. Ich berichtete dem Führer über den Ausgang der Unterredung. Der Führer war auch in diesem Falle wieder hinzögernd und wollte keine Entscheidung fällen. Er sagte, er müßte erst sehen, wie der weitere Verlauf des Krieges wäre und wie er endgültig sich gegenüber Frankreich stellen müsse. Außerdem würde hier ein Präzedenzfall geschaffen, der auf andere Staaten zurückwirken könnte. Also auch dieses war ein Mißerfolg. Die von mir erhoffte Erleichterung der Verteidigung Frankreichs wurde nicht erzielt, und so wurde dieser Fall Frankreich, der Mißerfolg, den ich erlitt, der zweite Grund, der nachher dabei mitsprach, daß ich um meine Entlassung bat, weil ich mich nicht durchsetzen konnte.

DR. SIEMERS: Ich komme nun zu dem nächsten Thema, wo Ihnen Vorwürfe gemacht werden, und das ist Rußland.

Wann haben Sie zum ersten Male davon gehört, daß Hitler gegen Rußland Krieg führen wollte, obwohl er einen Nichtangriffspakt mit Rußland geschlossen hatte?

RAEDER: Ich darf zunächst daran erinnern, daß wir im Sommer 1940, also Juli, August, September, in der Marine auf das äußerste damit beschäftigt waren, eine Landung in England vorzubereiten, daß wir infolgedessen von uns aus gar nicht auf die Idee kamen, daß noch nach einer anderen Seite ein Vorgehen geplant sein könne.

Im August hörte ich von einer Heeresstelle, es kann sein, daß es der Oberbefehlshaber war, daß erhebliche Truppentransporte nach dem Osten gingen. Ich fragte Hitler darauf, was das bedeute, und er sagte mir, es sei eine großartige Tarnung seiner Landungsabsichten in England. Er wußte, daß ich sofort dagegen eingestellt sein würde, wenn er von einer Unternehmung gegen Rußland sprechen würde. Im September, ich kann nicht mehr genau das Datum sagen, kam es aber doch dazu, daß er mir gegenüber zugab, daß er gewisse Absichten gegenüber Rußland habe. Ich habe im September mindestens zwei Vorträge gehalten, der wichtigste war am 26. September, in dem ich ihm auf das energischste und ausführlichste davon abriet, eine Unternehmung gegen Rußland zu inszenieren, und zwar habe ich in dem Vortrag, den ich in Gegenwart von Generalfeldmarschall Keitel und Generaloberst Jodl hielt, hauptsächlich die strategisch-militärische Seite beleuchtet, einmal, weil ich das in aller Schärfe auch in Gegenwart anderer Personen tun konnte, und dann, weil ich annahm, daß solche militärische Gründe, also die Möglichkeit des Mißlingens einer Rußland-Operation, wenn man gleichzeitig mit England im Kampfe war, daß dieses ihn ganz besonders beeindrucken würde und dazu geeignet wäre, ihn von diesem Plan abzubringen. Gerade am 26. September erbat ich dann aber, nach dem offiziellen Vortrag, eine persönliche Besprechung unter vier Augen mit Hitler. Herr Keitel und Herr Jodl können bezeugen, daß ich das stets tat, wenn ich etwas besonders Wichtiges mit dem Führer besprechen wollte, wo ich aus dem konventionellen Rahmen heraus mußte, was ich aber nur konnte, wenn Zeugen nicht dabei waren. Man konnte Hitler alles mögliche sagen, wenn man mit ihm allein war, man konnte ihm aber nicht im größeren Kreise derartige Ausführungen machen. Feldmarschall Keitel und der Generaloberst Jodl wissen das deswegen ganz besonders genau, weil sie diejenigen waren, die in solchen Fällen immer herausgehen mußten. In diesem Falle habe ich dann Hitler ausführliche Darlegungen gemacht in der Richtung, daß man erstens unmöglich den Rußlandpakt brechen könne, daß es also nicht moralisch wäre, daß es auch völlig unzweckmäßig wäre, da er uns große Vorteile sichere und da er eine Grundlage für eine spätere gesunde Politik Deutschlands wäre. Dann habe ich ihm gesagt, daß er doch unmöglich einen Zweifrontenkrieg entfesseln könne, wo er bisher immer betont habe, daß er die Dummheit der Regierung von 1914 nicht wiederholen würde und daß meiner Ansicht nach dieses unter gar keinen Umständen zu verantworten wäre. Dann habe ich ihm noch einmal das Kräfteverhältnis vorgehalten, die Notwendigkeit, daß die Marine sich völlig auf den Krieg mit England konzentriere und gerade in diesem Augenblick, daß alle Mittel aufs äußerste angespannt seien, um die Landung doch noch zu bewirken.

Gerade an diesem Tage bekam ich den Eindruck, daß Hitler geneigt war, auf meine Argumente zu hören, denn es wurde mir nachher oder am folgenden Tage von dem Marineadjutanten Kapitän von Puttkamer berichtet, daß Hitler sich nach dem Vortrag sehr in meinem Sinne ausgesprochen hätte und meine Argumente anerkannt hätte.

Es ging dann so weiter in den folgenden Monaten. Ich hatte verschiedentlich solche Vorträge, kam immer wieder mit den gleichen Argumenten und glaubte auch nochmal wieder im November, daß ich einen Erfolg davongetragen hätte. Zu meiner Überraschung aber kam dann am 18. Dezember die Weisung 21, Barbarossa, heraus, in der der Fall eines Krieges mit Sowjetrußland vor Beendigung des Krieges gegen England vorgesehen war. Es war allerdings auch wieder eine Eventualweisung.

Es ist das Dokument 446-PS, US-31, vom 18. Dezember 1940. Kann ich darauf...

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Es ist im Dokumentenbuch 10a, Seite 247.