[Zum Zeugen gewandt:]
Herr Großadmiral! Die Anklage hat behauptet, daß die Marine und Sie an der Ausarbeitung dieser Weisung mitgearbeitet hätten. Ist das richtig?
RAEDER: Das ist in gar keiner Weise richtig. Solche Weisungen wurden, nachdem der Führer seinen politischen Entschluß gefaßt hatte, im OKW ausgearbeitet, in dem Führungsstab, und in diesem Führungsstab war auch ein Marineoffizier und ein oder mehrere Luftoffiziere, die unter dem Chef des Führungsstabes die Marine- und Luftdinge in solchen Weisungen bearbeiteten. Die Weisung ging dann an die Wehrmachtbefehlshaber, und diese erhielten den Auftrag, nun ihrerseits die Vorschläge für die Ausführung der Befehle des Führers auszuarbeiten und vorzulegen. Auf die Weisung selbst hatten sie keinen Einfluß, bekamen sie auch gar nicht vorher zu sehen.
Ich darf noch etwas dazu sagen. Es ist mir der Vorwurf gemacht worden von der Anklage, daß ich meine Einwirkung auf den Führer nicht etwa aus moralischen Gründen und ethischen Gründen gemacht hätte, sondern daß ich in zynischer Weise lediglich versucht hätte, erst die Abrechnung mit England zu erledigen und dann über Rußland herzufallen. Ich habe vorher schon gesagt, daß ich die anderen Gründe dem Führer dann gesagt hätte, wenn ich es konnte, daß ich es weder in einer solchen öffentlichen Sitzung vor anderen Personen äußern konnte, noch daß ich das in das Kriegstagebuch schreiben konnte, weil diese eventuellen Schärfen, die dabei vorkamen, ja nicht durch das Kriegstagebuch anderen Personen bekannt werden durften. Darüber hinaus möchte ich aber sagen, und hier möchte ich auf Dokument C-170, US-136, hinweisen, das im Datum vom 25. August 1939 bis zum 22. Juni 1941 geht und eine Zusammenstellung ist von vielen Auszügen aus dem Kriegstagebuch der Seekriegsleitung und aus meinen Protokollen über Besprechungen mit Hitler, in denen die russische Frage behandelt ist. Es handelt sich hier nicht um wörtliche Wiedergabe meiner Äußerungen oder wörtlicher Auszüge aus dem Kriegstagebuch, sondern um die Bearbeitung eines großen Auszuges durch das Marinearchiv, den Admiral Aßmann. Ich will keinerlei Einzelheiten aus diesen vielen Nummern vortragen, sondern ich möchte nur darauf hinweisen, daß sich gerade aus diesem Dokument, C-170, aus einer großen Anzahl der angeführten Nummern ergibt, daß ich seit Kriegsbeginn 1939 dauernd in der Richtung auf den Führer eingewirkt habe, daß das gute Verhältnis mit Rußland stabilisiert würde aus den Gründen, die ich vorher angegeben habe. Es würde zu weit führen, wenn ich hier einige Nummern erwähnen würde. Aber das Dokument, möchte ich betonen, ist durchaus überzeugend in dieser Richtung.
DR. SIEMERS: Sie haben also an der Weisung 21, die von Hitler, Keitel und Jodl unterschrieben ist, nicht mitgewirkt?
RAEDER: In keiner Weise.
DR. SIEMERS: Sie haben aber dann anschließend weisungsgemäß gewisse Vorbereitungen, die bei der Marine sowieso gering waren, ausgeführt?
RAEDER: Jawohl, und zwar haben wir die erste Beratung im Januar gehabt, wie sich aus einer dieser Nummern von C-170 ergibt. Ich habe dem Führer am 4. Februar Vortrag über das gehalten, was wir beabsichtigten, und die Marine hat dann im März mit gewissen Vorbereitungen angefangen. Ich sagte vorher schon, daß ja die Marine in der ganzen ersten Zeit kaum mit größeren Operationen beschäftigt war, sondern nur mit der Abschließung des Finnischen Meerbusens durch Minen und leichte Streitkräfte. Der Führer hatte, ich weiß nicht, ob es in der Weisung 21 steht oder an anderer Stelle, auf meine Bitte, auf meine dringende Bitte verfügt, daß der Schwerpunkt der Seekriegführung sich weiter gegen England zu richten hätte. Infolgedessen konnten wir nur verhältnismäßig geringe Streitmittel für den Rußlandkrieg abstellen.
VORSITZENDER: Dr. Siemers! Wir unterbrechen die Sitzung jetzt lieber. Der Gerichtshof hatte Sie eigentlich dahin verstanden, daß Sie hofften, heute mittag zu Ende zu kommen. Wir sehen natürlich ein, daß zwei Stunden heute von Ihren Dokumenten in Anspruch genommen wurden. Wann glauben Sie, fertig zu werden?
DR. SIEMERS: Ich glaube, daß ich jetzt nur noch vielleicht eine Dreiviertelstunde benötige, eine halbe bis eine Stunde.
VORSITZENDER: Morgen um 10.00 Uhr beschäftigen wir uns mit den Dokumenten von Seyß-Inquart, und es wurde uns gesagt, daß dies nur dreißig Minuten in Anspruch nehmen wird.