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[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Großadmiral! Im Zusammenhang mit Ihrer Darstellung über Rußland hat die Anklage dann noch das Dokument C-66 vorgelegt, gleich GB-81. Es ist Ihr Bericht vom 10. Januar 1944 an Admiral Aßmann für das geschichtliche Archiv der Marine. Das Dokument ist im Dokumentenbuch der Britischen Delegation Nummer 10, Seite 13.

Dort findet sich die grundsätzliche Stellungnahme Raeders zu dem Fall »Barbarossa«, unter a) der Urkunde.

Dort haben Sie geschrieben unter Ziffer 1...

Ich höre eben, daß das Dokument auch in dem Dokumentenbuch 10a, auf Seite 35 sein soll.

Dort haben Sie geschrieben:

»Zu diesem Zeitpunkt hatte der Führer seinen ›unabänderlichen Entschluß‹ bekanntgegeben, den Ostfeldzug trotz aller Gegenvorstellungen zu führen. Danach waren weitere Warnungen, sofern sich nicht ganz neue Lagen ergaben, erfahrungsgemäß völlig zwecklos. Von der ›zwingenden Notwendigkeit‹ zu Barbarossa war ich als Chef der Seekriegsleitung nie überzeugt.«

Haben Sie diesen damaligen Ausführungen von Ihnen noch irgend etwas hinzuzufügen?

RAEDER: Ich möchte dazu sagen, daß ich, trotzdem die Weisung schon am 18. Dezember herausgekommen war, nun Ende Dezember, wie sich aus dem Dokument C-170, das ich gestern verschiedentlich erwähnte, ergibt, noch einen umfassenden Vortrag gehalten habe, um den Führer von der Unrichtigkeit dieses Entschlusses zu überzeugen. Das zeigt, daß ich ganz außerordentlich weit gegangen bin, denn wenn der Führer eine Weisung herausgegeben hatte, wenn sie auch nur auf einen Eventualfall abgestellt war, so war es im allgemeinen unmöglich ihm wieder mit grundsätzlichen Erwägungen gegen diese Weisung zu kommen. Alles übrige habe ich gestern schon ausgeführt.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Sie haben gestern im Zusammenhang mit Ihren Gegenvorstellungen bei Hitler bezüglich Rußland erwähnt, daß im Herbst noch geplant war, die Aktion »Seelöwe« durchzuführen, das heißt, in England zu landen.

RAEDER: Jawohl.

DR. SIEMERS: Wann ist nach Ihrer strategischen Meinung, beziehungsweise nach Meinung der Marine, diese Möglichkeit erledigt gewesen? Wann mußte man also von diesem Plan absehen?

RAEDER: Im Laufe des September glaubten wir noch daran, daß die Landung durchgeführt werden könnte. Als Vorbedingung war aber, sowohl vom Oberbefehlshaber des Heeres als auch von mir, hier immer wieder angegeben und wurde von ihm in vollem Umfange anerkannt, daß dazu die Luftherrschaft auf unserer Seite sein müßte, und es wurde infolgedessen immer darauf gewartet, ob diese Luftherrschaft rechtzeitig hergestellt werden könnte, denn die Landung konnte nach den ganzen Wetterverhältnissen spätestens Anfang Oktober vorgenommen werden. Wenn es bis dahin nicht möglich war, mußte sie aufgeschoben werden auf den Mai des folgenden Jahres. Es stellte sich heraus, daß die Luftherrschaft nicht in genügendem Maße hergestellt werden konnte, und infolgedessen wurde gesagt, daß die Landung auf das Frühjahr des nächsten Jahres verschoben werden sollte. Es sollten weitere Vorbereitungen getroffen werden und wurden auch getroffen. Im Laufe des Winters aber wurde die Landung völlig abgeblasen, und es wurde von Hitler befohlen, daß nur Vorbereitungen in den Häfen am Kanal so weit weitergeführt werden sollten, daß der Eindruck für England bestehen bliebe, daß diese Landung doch noch erfolgen würde. Ich hatte im September den Eindruck, daß Hitler kein sehr großes Interesse für die Landung mehr hatte und daß er innerlich vollkommen auf den Rußlandfeldzug eingestellt war, neben dem er selbstverständlich die Landung nicht mehr durchführen konnte.

DR. SIEMERS: Ich komme nun zu dem Vorwurf der Anklage, daß Sie zum Kriege gegen Amerika aufgefordert haben. Die Anklage hat in dieser Beziehung das Dokument C-152 vorgelegt, gleich GB-122, im Dokumentenbuch der Britischen Delegation Nummer 10, Seite 23. Es handelt sich dabei um einen Auszug des Kriegstagebuches der Seekriegsleitung über einen Vortrag des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine, also von Ihnen, beim Führer am 18. März 1941. Unter Ziffer 11 dieser Urkunde wird gesagt, ich zitiere;

»Japan muß sobald wie möglich zur Wegnahme von Singapore schreiten, da die Gelegenheit so günstig nie wieder ist (Bindung der ganzen englischen Flotte; Nichtbereitschaft der USA, gegen Japan Krieg zu führen; Unterlegenheit der USA-Flotte gegenüber der japanischen). Japan bereitet zwar diese Aktion vor, will sie nach allen Äußerungen japanischer Offiziere aber erst ausführen, wenn Deutschland zur Landung in England schreitet. Alle Bemühungen Deutschlands müssen sich daher darauf einstellen, Japan zum sofortigen Vorgehen zu veranlassen. Hat Japan Singapore, so sind alle anderen ostasiatischen Fragen gegenüber USA und England damit gelöst (Guam, Philippinen, Borneo, Niederländisch-Indien).

Japan will den Krieg gegen USA möglichst vermeiden, kann dies auch, wenn es entschlossen baldigst Singapore nimmt.«

Die Anklagebehörde will diesen Hinweis von Ihnen dahin auslegen, daß Sie Japan zum Kriege gegen Amerika veranlassen wollten. Ist dies richtig?

RAEDER: Es ist eine der unrichtigsten Behauptungen, die in den Anklageschriften gegen mich aufgestellt worden sind.

Es ist doch ganz klar, daß, wenn ich schon in einen Seekrieg mit England mit der deutschen kleinen Marine verwickelt war, ich mir unter keinen Umständen auch noch Amerika auf den Hals ziehen wollte, und es ist hier schon wiederholt zur Sprache gekommen, daß mein eindringlichstes Bestreben während der ganzen ersten Kriegsjahre gewesen ist, unter gar keinen Umständen die Vereinigten Staaten vor den Kopf zu stoßen. Der Admiral Wagner hat hier ausführlich dargestellt, welche Einschränkungen ich der deutschen Marine auferlegt hatte, um zu vermeiden, daß irgendwelche Zusammenstöße mit den Vereinigten Staaten erfolgten. Ich habe mir Beschränkungen auferlegt, die eigentlich kaum zu verantworten waren bei der Durchführung des U-Bootkrieges mit so verhältnismäßig geringen Mitteln.

Auf der anderen Seite haben die Vereinigten Staaten von Ende 1940 an spätestens und das ganze Jahr 1941 uns auf alle Weise bedrängt in der Seekriegführung und Handlungen begangen, die durchaus als unneutral hingestellt werden konnten.

Ich erinnere nur an die Reparatur der englischen Kriegsschiffe in USA, eine bis dahin gänzlich unmögliche und unbekannte Sache. Dann die Schießbefehle Roosevelts im Juli und im September des Jahres 1941. Angriffe von amerikanischen Zerstörern »Greer« und »Kearney« im Atlantik auf unsere U- Boote. In zwei Fällen wurden U-Boote zwei Stunden lang mit Wasserbomben verfolgt, bis sie schließlich auftauchten und schossen und in dem einen Falle auch einen Zerstörer beschädigten. Trotz allem habe ich noch im Juni 1941 Hitler darüber Vortrag gehalten, daß wir weiterhin die Handelsschiffahrt der Vereinigten Staaten in keiner Weise belästigen und daß der Erfolg davon wäre, daß die USA-Handelsschiffe völlig ungestört über den Ozean fahren könnten auf Wegen, wo sie wollten, daß sie in der Lage wären, Nachrichten über unsere U-Boote und unsere Kriegführung abzugeben, ohne daß wir sie daran hinderten, und daß die Engländer dadurch in der Lage wären, ihre Schiffe als amerikanische zu tarnen. Das haben sie auch getan; denn das erstemal, als unser Panzerschiff »Admiral Scheer« bei seiner Atlantikfahrt ein Schiff mit amerikanischer Flagge untersuchte, stellte sich heraus, daß es das englische Schiff »Canadian Cruiser« sei. Trotz all diesem habe ich dem Führer empfohlen, und er hat es völlig gebilligt, daß wir keine Maßnahmen gegen die amerikanischen Schiffe ergriffen. Daß wir auch nicht nach Halifax gingen, um da Minen zu legen, hat ebenfalls Admiral Wagner schon erwähnt. Ich brauche es nicht noch einmal zu erklären.

DR. SIEMERS: Dieser Vorschlag, daß Japan Singapore wegnehmen solle, war demnach lediglich darauf gerichtet, eine Hilfe und einen Bundesgenossen gegen England zu erhalten, mit dem wir ja bereits im Kriege standen?

RAEDER: Das ist tatsächlich so, und ich darf ganz kurz den Verlauf oder die Entwicklung schildern, wodurch es zu diesem Vorschlag kam; das war nicht ein Initiativvorschlag von mir, sondern im Anfang 1941 waren politische Verhandlungen teilweise vom Führer, teilweise vom Außenminister geführt mit Japan. Zu diesen Verhandlungen war ich überhaupt nicht hinzugezogen. Ich muß sagen leider, denn es wurde gar manches besprochen, was nicht stimmte, und es zeigt aber auf der anderen Seite, daß wieder von Verschwörung keine Rede war. Es kam zu einer Annäherung und es kam ja dann der Besuch des Außenministers Matsuoka, glaube ich, im März.

Auf Grund dieser ganzen Entwicklung gab der Führer am 5. März 1941 die Weisung Nummer 24 heraus; das ist das Dokument C-75, US-151 vom 5. März.

DR. SIEMERS: Ich darf das Gericht auf diese Urkunde C-75 hinweisen, gleich US-151, im Dokumentenbuch der Britischen Delegation Nummer 10, Seite 58. In dieser Weisung Nummer 24 steht unter Ziffer 3a:

»Als gemeinsames Ziel der Kriegführung ist herauszustellen, England rasch niederzuzwingen und USA dadurch aus dem Kriege herauszuhalten.«

Und drei Absätze später steht unter d)

»Die Wegnahme von Singapore...«

VORSITZENDER: Das auf Seite 58 ist Anweisung Nummer 54 und bezieht sich auf die Zusammenarbeit mit Japan.

DR. SIEMERS: Ich höre eben zu meiner Überraschung, daß aus dieser Weisung in der englischen Übersetzung nur ein Teil enthalten ist.

Ich bitte das Tribunal, mir zu gestatten, daß ich unter diesen Umständen als Raeder-Dokument nachträglich die vollständige Weisung einreiche.

VORSITZENDER: Haben Sie das im Raeder-Dokumentenbuch, Dr. Siemers?

DR. SIEMERS: Nein, bisher nicht, weil ich nicht wußte, daß nur ein Teil übersetzt worden ist. Ich bitte um die Erlaubnis, daß ich das Dokument im vollen Umfange als Raeder-Exhibit nachreichen darf.

VORSITZENDER: Jawohl, gut.

DR. SIEMERS: Danke schön. Dies findet sich also unter Ziffer 3a, und das nächste Zitat findet sich unter Ziffer 3d und heißt folgendermaßen:

»Die Wegnahme von Singapore als Schlüsselstellung Englands im Fernen Osten würde einen entscheidenden Erfolg für die Gesamtkriegführung der Drei-Mächte bedeuten.

Außerdem sind Angriffe auf andere Stützpunktsysteme der englischen – der amerikanischen Seemacht nur, wenn Kriegseintritt der USA nicht verhindert werden kann – geeignet, das dortige Machtsystem des Feindes zu erschüttern.«

Ich bitte das Tribunal darauf zu achten, daß hier von Hitler bereits am 5. März, das ist das Datum der Weisung, die Wegnahme von Singapore angeordnet wurde. Folglich kann der Vorschlag von Großadmiral Raeder in der Urkunde C-152 vom 18. März nicht mehr maßgebend gewesen sein, da bereits ein Befehl Hitlers vorlag.

RAEDER: Darf ich kurz dazu noch sagen: Es ist immer wieder dasselbe bei jedem der Fälle, die hier erwähnt werden. Zunächst die politische Entscheidung Hitlers, des Staatsoberhauptes, dann die Weisung des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht für die Wehrmacht, dann das Ziehen der Folgerung seitens der einzelnen Wehrmachtsbefehlshaber. Und, nachdem ich die Weisung vom 5. März erhalten hatte, mußte ich überlegen, wie Japan strategisch, wenn es in den Krieg eintreten wollte, am zweckmäßigsten eingesetzt werden würde. Und da kam es wieder darauf an, wie wird unser Hauptgegner zur See, England, am zweckmäßigsten geschädigt, und da mußte ich ganz besonders deswegen darauf drängen, daß Japan gegen Singapore vorginge, weil es auch Kreise gab, die der Ansicht waren, daß Japan besser gegen Wladiwostok vorginge, was ein grober Fehler gewesen wäre. Es mußte das Machtzentrum Englands in Ostasien angefaßt werden. Aber gerade der Umstand, daß auch ich glaubte, daß durch die Wegnahme von Singapore die USA vom Kriege abgeschreckt würde, der hatte mich ja mit zu diesem Vorschlag veranlaßt und nicht das Gegenteil.

DR. SIEMERS: Ich komme dann noch in diesem Zusammenhang auf das Dokument Nummer 1877-PS, das in der Spezialanklage gegen Sie vorgelegt wurde. Es ist US-152 und befindet sich im Dokumentenbuch der Britischen Delegation Nummer 10, Seite 320. Es ist, die Unterhaltung zwischen dem japanischen Außenminister Matsuoka... Ich höre eben, es soll nicht 320, sondern Nummer 319 sein. Es ist die Unterhaltung zwischen...

VORSITZENDER: Es sollte 10a sein, nicht?

DR. SIEMERS: 10a, ich bitte um Verzeihung. Es ist die Unterhaltung zwischen Matsuoka und Ribbentrop am 29. März 1941. Hierüber ist schon einmal gesprochen worden. Im achten Absätze der Urkunde ist folgendes gesagt:

»Der Reichsaußenminister kam anschließend noch einmal auf die Frage Singapore zu sprechen. Angesichts der von Japan geäußerten Befürchtungen wegen etwaiger Unterseebootsangriffe von den Philippinen her und das Eingreifen der englischen Mittelmeerflotte und der Home Fleet, habe er die Lage noch einmal mit Generaladmiral Raeder besprochen. Dieser hat ihm erklärt, daß die englische Flotte in diesem Jahr in den englischen Heimatgewässern und im Mittelmeer so vollständig beschäftigt sein würde, daß sie auch nicht ein einziges Schiff nach dem Fernen Osten entsenden könnte. Die amerikanischen Unterseeboote habe Generaladmiral Raeder als so schlecht bezeichnet, daß sich Japan um sie überhaupt nicht zu kümmern brauche.«