HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zum Zeugen gewandt:]

Herr von Ribbentrop hat auf meine Frage am 1. April 1946, in diesem Jahr, erklärt, daß er sich geirrt habe, daß die Äußerung wahrscheinlich von Hitler stamme. Ich bitte Sie, diesen Punkt endgültig aufzuklären.

RAEDER: Ich kann nur bestätigen, daß ich niemals mit Herrn von Ribbentrop über solche Fragen gesprochen habe, denn leider bestanden ja keinerlei Beziehungen zwischen dem Auswärtigen Amt und dem OKM, zumal der Führer es verboten hatte, daß irgendwelche Unterrichtungen der Militärbehörden durch das Auswärtige Amt stattfinden. Solche Aussprüche würde ich niemals getan haben, da sie einmal meiner Auffassung völlig widersprachen, und da ich in diesem Falle auch irgendwelche Grundlagen für eine solche Behauptung nicht hatte.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Sind nicht im Gegenteil in der Seekriegsleitung oft die Fragen behandelt worden, wie stark die industrielle und kriegerische Fähigkeit und militärische Fähigkeit von USA sei, und daß gerade deshalb jeder Eintritt von USA zu befürchten wäre?

RAEDER: Darüber waren wir uns völlig klar bis in alle Einzelheiten.

DR. SIEMERS: Haben Sie dieses Dokument 1877-PS, das Ihnen vorliegt, überhaupt jemals während des Krieges gesehen?

RAEDER: Nein, nein.

DR. SIEMERS: Sind Sie über diese Unterhaltungen zwischen Herrn von Ribbentrop und dem japanischen Außenminister Matsuoka, beziehungsweise über die Besprechung mit Oshima orientiert worden?

RAEDER: Nein, ich habe nur vom Führer mir sagen lassen, und das geht auch aus der Urkunde C-170 hervor, welches denn das Resultat seiner Unterhaltungen mit Matsuoka gewesen wäre. Aber mit Herrn von Ribbentrop habe ich keine Unterhaltungen gehabt.

DR. SIEMERS: Hohes Tribunal! Ich bin eben gebeten worden, ein Wort von mir richtigzustellen, das ich eben gebraucht habe. Um fair zu sein, möchte ich dieses tun. Ich habe gesagt: Hitler hat in der Weisung vom 5. März 1941 »befohlen«, Singapore wegzunehmen.

Die Ausdrucksweise ist nicht richtig. Er konnte selbstverständlich Japan nichts befehlen. Der Irrtum kommt, weil die Weisung anfängt mit den Worten:

»Der Führer hat für die Zusammenarbeit mit Japan folgendes befohlen.«

Und unter Ziffer 3 heißt es dann: »Hierfür gelten folgende Richtlinien«, und unter den Richtlinien ist dann die Wegnahme von Singapore vorgesehen.

[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Großadmiral! Haben Sie irgendwann, bei irgendeiner Besprechung irgend jemandem vorgeschlagen, daß Japan einen Angriff auf Pearl Harbor machen müsse?

RAEDER: Nein, davon ist niemals die Rede gewesen.

DR. SIEMERS: Haben Sie irgend etwas von diesem Plan gehört, bevor Japan Pearl Harbor angriff?

RAEDER: Niemals. Es war eine völlige Überraschung für mich und die Seekriegsleitung, daß dieser Angriff stattgefunden hatte, und es ist da ein völliges Verkennen der Mentalität der Japaner, wenn man annimmt, daß sie einen solchen Plan auch nur irgendeinem Menschen innerhalb von Japan mitteilen, der nicht unmittelbar damit zu tun hat. In der gleichen Weise haben sie ja 1904 die russischen Schiffe völlig aus heiterem Himmel überfallen, ohne daß irgend jemand es ahnte.

DR. SIEMERS: Hohes Tribunal! Ich darf in diesem Zusammenhang drei mir genehmigte Dokumente einreichen, und zwar Raeder Exhibit 19, im Dokumentenbuch 2, Seite 108. Es handelt sich um den Bericht des amerikanischen Generals Marshall, der mir mit Hilfe des Gerichts zur Verfügung gestellt wurde. In diesem Bericht von 1. September 1945 hat General Marshall folgendes ausgeführt. Ich verweise auf Seite 116:

»Um festzustellen, wann und wie Deutschland und Japan versagten, bat ich General Eisenhower um Befragung der höchsten deutschen militärischen Führer, die zur Zeit Kriegsgefangene sind, durch seine Abwehroffiziere. Das Ergebnis dieser Interviews ist von außerordentlichem Interesse. Sie geben uns ein Bild von Meinungsverschiedenheiten zwischen den feindlichen Nationen sowie einen Mangel an weitreichender Planung – beides Faktoren, die in den kritischen Augenblicken dieses Weltkrieges sehr wohl die entscheidenden gewesen sein mögen.«

Und zwei Absätze später:

»Kein Beweis ist bis jetzt gefunden, daß das deutsche Oberkommando einen alles erfassenden strategischen Plan hatte. Das Oberkommando billigte zwar grundsätzlich die Politik Hitlers, aber dessen ungestüme Strategie überrannte die deutschen militärischen Fähigkeiten und führte schließlich zur Niederlage Deutschlands. Die Geschichte des deutschen Oberkommandos von 1938 an ist von ständigen persönlichen Konflikten erfüllt, in welchen sich zunehmend Hitlers persönliche Befehle gegen militärisches Urteil durchsetzten. Der erste Zusammenstoß erfolgte im Jahre 1938 und endete mit der Entfernung von Blombergs, von Fritschs und Becks und des letzten wirkungsvollen konservativen Einflusses auf die deutsche Außenpolitik.

Die Feldzüge in Polen, Norwegen, Frankreich und in den Niederlanden hatten ernste Diversionen zwischen Hitler und den Generalen hinsichtlich der Einzelheiten in der Durchführung, der strategischen Pläne zur Folge. In jedem Falle setzte sich der Generalstab für die orthodoxe Form der Offensive ein, Hitler dagegen für einen unorthodoxen Angriff, dessen Ziele tief im Feindgebiet lagen. In jedem Falle setzte sich Hitlers Auffassung durch, und der wirklich erstaunliche Erfolg jedes dieser aufeinanderfolgenden Feldzüge erhoben Hitlers Prestige zu einem Punkt, wo man nicht mehr wagte seiner Ansicht zu widersprechen. Sein militärisches Selbstvertrauen wurde grenzenlos nach dem Siege in Frankreich, und er begann nunmehr die Gedankengänge seiner Generale selbst in der Gegenwart jüngerer Offiziere zu kritisieren und herabzusetzen. So kam es, daß vom Generalstab kein Widerstand vorgebracht wurde, als Hitler seinen schicksalhaften Entschluß faßte, in Sowjetrußland einzufallen.«

Auf Seite 118 ist ein Auszug über Deutschland und Japan. Ich zitiere:

»Es liegt fernerhin keinerlei Beweis vor für enge Strategische Planung zwischen Deutschland und Japan. Der deutsche Generalstab erkannte die Bindung Japans durch den Neutralitätspakt mit Rußland an, hoffte jedoch, daß Japan starke britische und amerikanische Land-, See- und Luftstreitkräfte im Fernen Osten binden würde.

Da bisher kein gegenteiliger Beweis vorliegt, ist anzunehmen, daß Japan ebenfalls auf eigene Faust handelte und nicht in Übereinstimmung mit vorher koordinierten strategischen Plänen.«

Und ferner in ebenfalls genehmigten Dokumenten Raeder-Exhibit 113 und 114, im Dokumentenbuch VI, Seite 491 und Seite 497...

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Ich glaube, Sie sollten den Zeugen fragen, ob er mit der Ansicht des Generals Marshall übereinstimmt.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Stimmen Sie mit den Ansichten des amerikanischen Generals Marshall überein?

RAEDER: Ich habe die Ausführungen nicht so tief in mich aufgenommen; im allgemeinen sind es ja die Gedankengänge, die wir auch gehabt haben, aber ich kann nicht für jeden einzelnen Punkt sicherstehen, dazu müßte ich sie noch einmal ansehen oder sie müßten nochmals vorgelesen werden.

DR. SIEMERS: Ich glaube, die allgemeine Bestätigung genügt. In dem Raeder-Dokument 113 möchte ich mich auf die Überschrift beziehen:

»Die Armee hat Japans Bewegung vorhergesehen, erklärt Marshall.

Washington, 11. Dezember...

General George C. Marshall, früher Generalstabschef der Armee, anerkannte gestern, daß die Armee mehr als 10 Tage vor dem 7. Dezember 1941 wußte, daß eine japanische Bewegung auf Pearl Harbor sie über den Termin hinausbringen würde, wo die amerikanischen führenden Militärs glaubten, daß die Vereinigten Staaten kämpfen sollten.«

Ich möchte, um Zeit zu sparen, nicht die Einzelheiten vorlesen, es ergibt sich aus dem Marshall-Bericht, daß die amerikanische Armee es kannte, und nachher wird das Datum vom 25. und 26. November genannt. Und ferner hat Marshall bezeugt, daß Vorbereitungen in USA ausgearbeitet waren vor dem Kriege für die Konstruktion von Landestreifen für amerikanische Bomber in Rabaul, Port Moresby und Singapore. Im Raeder-Exhibit 114, das ich ebenfalls vorlege, hat Henry L. Stimson eine Erklärung abgeben unter dem 21. März 1946 als ehemaliger Kriegsminister der Vereinigten Staaten von Amerika und erklärt, daß

... »das frühere Kriegskabinett des Präsidenten Roosevelt 9 Tage vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor einen amerikanischen Angriff gegen die japanischen Streitkräfte ›ohne weitere Warnung‹ diskutiert und abgelehnt habe...

Stimson gab an, daß er am 28. November 1941 Nachricht erhalten habe von japanischen Bewegungen entlang der asiatischen Küste. Am selben Tage... versammelte sich das Kabinett und diskutierte die mögliche Bedeutung dieser japanischen Bewegung.«

Er hat dann weiter gesagt:

»... wenn die Japaner in den Isthmus von Kra gelangten, die Briten kämpfen würden, und daß, wenn die Briten kämpften, wir kämpfen müssen.«