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[Zum Zeugen gewandt:]

Hat demnach, Herr Großadmiral, die USA früher über die Planungen von Japan Bescheid gewußt als Sie?

RAEDER: Offenbar, ja.

DR. SIEMERS: Ich komme dann zu dem letzten Vorwurf der Anklage, und dieser betrifft Brasilien. In dieser Beziehung hat die Anklagebehörde das Dokument 1807-PS vorgelegt, gleich GB-227, im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 288.

Es handelt sich um Jodls Tagebuch, und zwar um die Eintragung vom 16. Juni 1942.

Ich muß leider wieder um Entschuldigung bitten, mir wird eben gesagt, es ist die Seite 287, nicht 288.

Die Eintragung lautet:

»Am 29. 5. hat die SKL die Freigabe des Waffeneinsatzes gegen die brasilianischen See- und Luftstreitkräfte beantragt. Sie hält ein schlagartiges Zupacken gegen brasilianische Kriegs- und Handelsschiffe zum jetzigen Zeitpunkt, wo Abwehrmaßnahmen noch unvollständig und die Möglichkeit zur Überraschung gegeben sei, für zweckmäßig, da Brasilien praktisch gegen Deutschland Seekrieg führe.«

[Zum Zeugen gewandt:]

Die Anklage macht Ihnen hieraus den Vorwurf der Neutralitätsverletzung und des Völkerrechtsbruchs, weil Sie diesen Vorschlag zu einer Zeit gemacht haben, wo Brasilien neutral war. Ich erinnere daran, daß der Krieg mit Brasilien zwei Monate später, am 22. August 1942 erst, ausbrach. Ich bitte, kurz aus Ihrer Erinnerung dazu Stellung zu nehmen, wie Sie zu diesem Vorschlage kamen.

RAEDER: Das Verhältnis zwischen Brasilien und Deutschland war damals schon denkbar schlecht. Die Deutschen wurden außerordentlich verfolgt, schlecht behandelt, die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands wurden schwer geschädigt. Die Brasilianer waren bereits völlig den USA hörig. Sie hatten gestattet, daß USA-Flugstationen an der brasilianischen Küste angelegt werden dürfen, ebenso Nachrichtenstationen. Sie haben selbst bestätigt, daß sie ein deutsches U-Boot vernichtet hätten, und auf der anderen Seite hatten deutsche U-Boote auch brasilianische Schiffe angegriffen, weil diese nicht vorschriftsmäßig beleuchtet waren und infolgedessen als solche, als brasilianische Schiffe, nicht erkannt werden konnten. Deutschland hatte vorher die ganzen südamerikanischen Staaten gebeten, daß die Schiffe so beleuchtet würden, daß man sie nach ihrer Nationalität nachts erkennen könnte. Dann waren Flugzeugangriffe auf Unterseeboote der Achsenmächte erfolgt. Diese Flugzeugangriffe konnten nur von den brasilianischen Stationen aus unternommen sein. Auf diese Bitte der Seekriegsleitung an den Führer ordnete dieser an, daß noch einmal bei den Italienern angefragt werden solle, was für Nachrichten bei ihnen vorlägen, und da wurde von Italien bestätigt, daß schon vor Wochen italienische U-Boote, die mit den unseren zusammen operierten, an der brasilianischen Küste angegriffen worden seien. Ebenso hatte das brasilianische Luftwaffenministerium veröffentlicht, daß brasilianische oder US- Flugzeuge, die von ihren Stationen kamen, Achsen-U- Boote angegriffen hätten. Auf diese Bestätigung hin hatte der Führer erlaubt, daß gegen brasilianische Schiffe unter der brasilianischen Küste Waffeneinsatz erfolgen dürfe, und es wurde ein Plan ausgearbeitet, wonach eine gewisse Welle von U-Booten, die im Juni von der französischen Küste abgingen, um in den Atlantik zu fahren, nach der brasilianischen Küste zu gehen haben. Der Führer hatte extra angeordnet, es sollten keine Nadelstiche sein, sondern eine energische Unternehmung. Diese Unternehmung ist dann aber nachher abgeblasen worden und, ich kann leider nicht mehr sagen aus welchem Grunde, nicht ausgeführt worden. Es ist aber ersichtlich aus unserem Dokument, das die Aufzeichnungen im Kriegstagebuch wiedergibt.

DR. SIEMERS: Hohes Tribunal! Ich glaube, daß der ganze Vorwurf von der Anklage bezüglich dieser Planung nicht erhoben worden wäre, wenn das Dokument 1807-PS, Jodls Tagebucheintragung vom 16. Juni, in vollem Umfange vorgelegt worden wäre. Es ist nur der erste Teil vorgelegt. Ich überreiche deshalb diese Eintragung als Raeder-Exhibit Nummer 115, im Dokumentenbuch 6, Seite 500. Aus den weiteren Ausführungen von Generaloberst Jodl in seinem Tagebuch ergibt sich, daß die Lage korrekt überprüft worden ist. Den von der Anklage gebrachten ersten Teil, also die ersten zwei Sätze, habe ich bereits vorgelesen. Die Eintragung lautet folgendermaßen im weiteren Wortlaut:

»Botschafter Ritter vom A.A. erklärt, daß eine Verschärfung des Konflikts mit Brasilien mit Rücksicht auf die Haltung Argentiniens und Chiles unerwünscht ist und daß von Kriegsmaßnahmen gegen Brasilien mit Japan und Italien Fühlung genommen werden müsse. Auf Vortrag des Chefs WFST hat der Führer am 30. Mai befohlen, daß die SKL. durch eine Rückfrage in Rom feststellen solle, ob die brasilianischen Meldungen von Kampfhandlungen gegen Achsen-U-Boote richtig seien. Die Nachprüfungen der SKL. ergeben, daß ital. U-Boote an der Nordostecke Brasiliens am 22. und 26. Mai von Flugzeugen angegriffen wurden, die zweifellos von einem brasilianischen Flugplatz gestartet waren. Die SKL. übermittelt außerdem den Wortlaut der amtlichen Bekanntmachung des bras. Luftwaffenministeriums über die Kampfhandlungen und schlägt vor, die in der Zeit vom 22. Juni bis 4. Juli aus westfranzösischen Häfen auslaufenden 10 U-Boote unter Ausnutzung des Tankers ›U-460‹ in der Zeit vom 3. bis zum 8. August vor den Haupthäfen Brasiliens einzusetzen. Der Durchführungsbefehl muß den U-Booten spätestens bis zum 15. Juni erteilt werden. Nachdem der Ob.d.M. dem Führer am 15. Juni nachm. auf dem Berghof dieses vorgetragen hat, erklärte sich der Führer mit den Absichten der SKL. einverstanden, befahl jedoch, vor endgültiger Entscheidung eine nochmalige Überprüfung der politischen Lage durch das Ausw. Amt.«

Ich glaube, daß sich daraus ergibt, daß man vorsichtig genug gewesen ist, und ich beziehe mich weiter auf Raeder-Exhibit 116, das ich hiermit überreiche, das gleiche Dokumentenbuch Seite 503, ein Auszug aus dem Kriegstagebuch, wo unter dem 6. Juni eingetragen ist, daß die Entwicklung dahin geführt hat,

»... daß ein latenter Kriegszustand praktisch schon besteht (Brasilien völlig USA-hörig, stärkste Verletzung aller deutschen Interessen, einzelne Brasiliendampfer von U-Booten versenkt, da nicht bestimmungsgemäß beleuchtet; zunehmende Hetze in Brasilien; Brasilianer behaupten, bereits deutsches U-Boot bei Küstenüberwachung versenkt zu haben.)«

Und ein weiterer Auszug aus dem Kriegstagebuch, Raeder-Exhibit 117, den ich hiermit überreiche im gleichen Dokumentenbuch Seite 509. Ich bitte das Hohe Gericht, von dem Inhalt Kenntnis zu nehmen und darf lediglich auf Ziffer 3 und 4 im einzelnen verweisen. Unter Ziffer 3 heißt es:

»Als Brasilianer begannen, sich mit Tarnanstrich zu versehen und zu bewaffnen, wurde am 15. Mai 1942 sofortiger Waffeneinsatz gegen erkennbar bewaffnete Südamerikaner freigegeben.«

Und unter Ziffer 4:

»Auf Grund der Tatsache, daß Achsen-U-Boote an brasilianischer Küste von Fahrzeugen angegriffen wurden und daß das brasilianische Luftfahrtministerium amtlich bekanntgab, daß Angriffe von der brasilianischen Luftwaffe durchgeführt seien, erbat Skl. am 29. Mai 1942 mit 12938/42 g. Kdos. von WFSt Freigabe Waffeneinsatzes gegen brasilianische Streitkräfte und Handelsschiffe.«

Ich überreiche ferner noch Raeder-Exhibit Nummer 118, Dokumentenbuch 6, Seite 510. Ich bitte, von diesem Dokument Kenntnis zu nehmen. Ich möchte nicht daraus zitieren, weil es praktisch den gleichen Tatbestand, den wir jetzt schon kennen, wiederholt.

Ich glaube, daß die eben verlesene Ziffer 4 des Dokuments 117 den Sachverhalt vollständig klärt und jeden Vorwurf gegen die Marine widerlegt.