HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Zum Zeugen gewandt:]

Haben Sie diesen Ausführungen aus dem Kriegstagebuch noch etwas hinzuzufügen, Herr Großadmiral?

RAEDER: Nein, ich habe nichts hinzuzufügen. Das ist völlig klar.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Ich darf Sie bitten, nunmehr dem Gericht zu schildern – damit komme ich zum Schluß des Verhörs –, wie es dazu gekommen ist, daß Sie im Januar 1943 abdankten?

Hohes Tribunal! Soll erst eine Pause eintreten?

VORSITZENDER: Wenn Sie in einigen Minuten fertig sein können, dann werden wir die Sitzung nicht unterbrechen bis Sie Ihr Verhör beendet haben.

DR. SIEMERS: Ich denke mir, es dauert vielleicht 10 Minuten.

VORSITZENDER: Gut, dann fahren Sie bitte fort.

DR. SIEMERS: [zum Zeugen gewandt] Ich bitte Sie, zu schildern, wie es dazu kam, daß Sie im Januar 1943 abdankten. Vorher möchte ich nur noch die Frage stellen: Haben Sie schon in früheren Zeiten einmal den Plan gehabt, abzudanken?

RAEDER: Ich möchte ganz kurz erwähnen, daß es während der Friedenszeit mehrere Male dazu gekommen ist, daß ich den Führer entweder bat, mich meiner Stellung zu entheben, oder daß ich ihm ein Ultimatum stellte. Ich möchte als Beispiel, wie diese Fälle verliefen, nur ganz kurz zwei Fälle anführen: Im November 1938 hatte ich einen Vortrag beim Führer in Gegenwart von Generaloberst Keitel über die Schiffstypen, unsere Pläne, wie die Schiffe weiter ausgestaltet werden sollten. Bei dieser Gelegenheit begann der Führer, alles, was wir bisher gebaut hatten und im Bau hatten, unter anderem sogar die Pläne des »Bismarck«, auf eine ganz unerklärliche Weise anzugreifen und als falsch zu erklären. Ich habe nachher festgestellt, daß solche Dinge immer dadurch entstanden, daß irgendwelche Personen aus seinem Gefolge, die von diesen Dingen wenig verstanden, ihm ihre Ansichten vortrugen und daß er dann darauf einging und vielleicht, habe ich mir nachher gesagt, nachprüfen wollte, ob das irgendwie stimmte. Dieser Fall war aber so kraß, daß ich nichts anderes tun konnte als meine Pläne zusammenzupacken, in die Mappe zu stecken und das Zimmer zu verlassen. Generaloberst Keitel war dabei. Der Führer lief mir bis an die Tür nach, bat mich, wieder hereinzukommen, milderte seine Vorwürfe ab und bat mich noch, unter keinen Umständen jetzt den Abschied zu nehmen.

Das zweitemal – ein rein persönlicher Fall, aber er ist typisch – wollte sein Marineadjutant, der gerade eben ernannt war, ein junges Mädchen heiraten, das in Kiel an der Universität einen ganz üblen Ruf hatte. Ich erklärte dem Führer, ich würde nicht den Konsens geben. Der Führer ließ sich das Mädchen vorstellen und entschied, er hätte nichts dagegen. Ich fuhr vom Berghof ab und sandte dem Führer durch einen Stabsoffizier einen Brief, in dem ich schrieb, ich gäbe nicht den Konsens, der Offizier bliebe nicht in der Marine, wenn er heiratete, oder ich gehe ab, und ich bäte, dem überbringenden Offizier die Antwort an mich mitzugeben, da ich meine Entscheidung unmittelbar zu treffen wünschte. Der Führer ließ den Offizier zwei Tage warten auf dem Berghof und schickte ihn dann mit einem Brief an mich zurück und sagte: »Gut, der Offizier kann in der Marine nicht heiraten, und er wird auch nicht weiter als Marineadjutant verwendet, es wird ein anderer kommandiert. Er wird bei mir in der NSKK irgendwie Führer und wird dann als einer meiner Parteiadjutanten weiter Dienst tun.« Auch typisch für den Führer, daß er in gewisser Weise seinen Willen doch durchsetzen wollte; aber er war aus der Marine heraus und ich konnte auch in diesem Punkte meinen Standpunkt behaupten.

Ich habe unter diesen Umständen mich bereit erklärt, weiter zu dienen, habe aber, das war Anfang 1939, im Laufe des Frühjahrs, noch einmal gebeten, ob ich nicht jetzt ausscheiden könnte, ich wäre schon sehr lange in der Marine und ich glaubte nicht, daß ich noch längere Zeit die Würde des Amtes tragen könne und ich schlug ihm vor, daß es vielleicht im Oktober 1939 sein könnte. Der Führer lehnte es damals schon ab, und es kam ja dann am 1. September zum Kriege, und im Kriege glaubte ich, wenn es nicht ganz dringend wäre, unter gar keinen Umständen die Marine verlassen zu dürfen, zumal ich mich auch für die ganzen Vorbereitungen und Erziehung der Marine voll verantwortlich fühlte. Im Laufe des Krieges wurde das Zusammenarbeiten, das bis dahin, abgesehen von solchen Zwischenfällen, durchaus sympathisch war, denn der Führer bemühte sich stets, mir Achtung entgegenzubringen, im Laufe des Krieges wurde das Verhältnis allmählich stark getrübt, und zwar dadurch, daß der Führer nervöser wurde bei Vorträgen, bei Meinungsverschiedenheiten sehr stark aufbrauste, bei Zwischenfällen, wie zum Beispiel technischem Versagen oder Mißerfolg eines Schiffes, sehr ausfallend wurde, wobei es immer wieder dazu kam, daß seine Umgebung in gewisser Weise auf ihn einwirkte bevor ich die Dinge erklären konnte und ich dann erst nachträglich immer ihn richtig wieder einstellen mußte. Also dabei kam es zu unerquicklichen Szenen, die mich außerordentlich zermürbten.

Ein Punkt, in dem der Führer außerordentlich empfindlich war, waren die großen Schiffe. Er war stets beunruhigt, wenn die großen Schiffe im Ozean waren und dort Handelskrieg führten. Einen Ausfall eines solchen Schiffes, wie »Graf Spee«, oder später »Bismarck«, empfand er immer als sehr großen Prestigeverlust, und deswegen erregte ihn das ganz besonders. Das ging so weiter bis Ende 1942. Dazu kam nun noch, und das hatte mich ganz besonders beeindruckt, mein Mißerfolg bei der Beratung des Führers in den Fragen der Behandlung von Norwegen und Frankreich, und vor allem von Rußland, daß er stets letzten Endes auf die Parteileute, wie zum Beispiel Terboven, mehr hörte als auf einen alten Offizier, das führte zu einer Lage, die auf die Dauer nicht zu ertragen war.

Ein Grundzug des Führers war ja ein ungeheures Mißtrauen eigentlich gegen jedermann, besonders aber gegen alte Offiziere, die aus der früheren Wehrmacht stammten und von denen er, bei aller oft wohlwollender Behandlung, immer annahm, daß sie doch im Grunde ihres Herzens nicht so eingestellt seien, wie er es verlangen müßte. Gerade der Fall Rußland hatte mich so oft in Gegensatz zu ihm geführt, daß dadurch das Verhältnis doch stark beeinflußt wurde. Es ist ja auch von dem Bearbeiter dieser ganzen Kriegstagebücher und Sitzungsprotokolle, dem Admiral Aßmann, so aufgefaßt, daß er an einer Stelle im Anschluß an eine solche Besprechung schreibt: »Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine steht also in vollem Gegensatz zum Führer in dieser Frage.«

Ende 1942, nachdem ich gerade den Schlußpunkt unter die ganze norwegische Frage hatte machen müssen, trat nun ein Zwischenfall ein, der zum Ende führte. Es hatte ein Angriff stattfinden sollen auf einen Geleitzug, der nach Murmansk oder Archangelsk ging von England. Es war im Dezember, eine Zeit, zu der da oben nur ein bis zwei Stunden Dämmerung am Tage ist, wo also kein günstiges Wetter für das Kämpfen großer Schiffe ist, wenn sie sich größeren Zerstörermengen gegenübersehen. Die Schiffe waren ausgelaufen, mit Zerstörern zusammen und waren auch in der Zeit der Dämmerung an den Geleitzug gekommen. Da aber die Dämmerung bald wieder verschwand und es dunkel wurde und der Geleitzug von vielen Zerstörern gesichert war, hielt der Admiral es für richtig, die großen Schiffe wieder aus dem Kampf herauszuziehen. Das war der einzig richtige Entschluß, denn er konnte sie alle zusammen verlieren durch Torpedoangriffe.

Einmal diese Tatsache, und dann zweitens, daß unglücklicherweise die Funkverbindung zwischen diesem Admiral und der Seekriegsleitung durch atmosphärische Störungen sehr erschwert, teilweise ganz abgebrochen war, führte dahin, daß der Führer in seinem Hauptquartier, wohin ich ihm alles meldete, was ich melden konnte und selbst erfuhr, außerordentlich erregt wurde.

Es ging den ganzen Tag mit Hin- und Herfragen, und auch am Abend noch konnte ich ihm kein klares Bild geben. Dies erregte ihn ganz außerordentlich. Er ließ mir durch den dort befindlichen Admiral Krancke allerlei Beleidigendes sagen, forderte, ich solle sofort hinkommen, und ich sah, daß hier eine sehr starke Reibung entstünde. Ich bewirkte noch, daß ich erst am 6. Januar, also nach sechs Tagen, hinzukommen brauchte, um die Atmosphäre erst etwas abzukühlen. Am 6. Januar konnte ich mit einem vollen Bericht zu ihm fahren, und am Abend hielt er dann in einer Besprechung mit mir, bei der auch Herr Generalfeldmarschall Keitel zugegen war, einen ungefähr einstündigen Vortrag, in dem er alles niederzog, was die Marine gemacht hatte, im völligen Gegensatz zu allen bisherigen Beurteilungen der Marine, woraus ich sah, daß er wohl auch einen Bruch herbeiführen wolle.

Ich selbst war fest entschlossen, diese Gelegenheit zu ergreifen, um meinen Abschied zu bekommen, zumal sich ja auch immer mehr herausstellte, daß der Krieg ein reiner U-Bootkrieg würde, so daß ich glauben konnte, daß ich selbst in diesem Moment mit gutem Gewissen weggehen könnte.

Nachdem er den Vortrag beendet hatte, bat ich, unter vier Augen mit ihm sprechen zu können. Feldmarschall Keitel und die Stenographen gingen hinaus, und ich sagte ihm nun, daß ich meinen Abschied erbäte, da ich aus seinem Vortrag ersähe, daß er völlig unzufrieden mit mir wäre, und es wäre infolgedessen der gegebene Moment. Wie immer, suchte er zunächst abzuschwächen, aber ich bestand darauf und erklärte, es müßte unter allen Umständen ein neuer Ob.d.M. ernannt werden, der die volle Verantwortung trüge. Er sagte dann, es wäre aber eine große Belastung für ihn, wenn ich jetzt wegginge, denn einmal wäre die Lage sehr kritisch – es stand Stalingrad gerade bevor –, und zweitens würde ihm schon vorgeworfen, daß er so viele Generale entlassen hätte. Es würde ihn nach außen hin belasten, wenn ich jetzt wegginge.

Ich sagte ihm, was ich dazu tun könnte, daß das nicht geschehe, das würde ich tun. Wenn er Wert darauf legte, nach außenhin nicht den Eindruck zu erwecken, daß ich da im Unfrieden geschieden wäre, so könne er ja den Weg gehen, daß er mich als Generalinspekteur nominell mit einem Titel versehe, der den Eindruck erwecke, daß ich noch zur Marine gehöre und daß mein Name mit der Marine verbunden bliebe.

Dieses leuchtete ihm sofort ein, und ich sagte ihm daraufhin, daß ich bäte – das war also am 6. Januar – ich möchte am 30. Januar entlassen werden. Da war ich gerade zehn Jahre unter ihm tätig als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine.

Er erklärte sich auch damit einverstanden und forderte mich auf, ihm zwei Nachfolger zu nennen zur Auswahl.

Am 30. Januar hat er mich dann persönlich verabschiedet, indem er mich zum Admiralinspekteur der Marine ernannte. Er sagte, er würde mich noch gelegentlich um Rat fragen, aber das ist niemals vorgekommen, sondern ich bin bloß zweimal entsandt worden, einmal nach Bulgarien zur Beisetzung des Königs von Bulgarien und einmal nach Ungarn zum Reichsverweser Horthy, um ihm ein Geschenk des Führers zu überbringen.

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral! Sie haben sonst als Admiralinspekteur keine Arbeiten ausgeführt?

RAEDER: Ich habe keinerlei Funktion gehabt und keinerlei Aufträge bekommen.

DR. SIEMERS: Dann meine letzte Frage. Hatten Sie den Eindruck bei Ihrer Unterhaltung vom 6. Januar 1943 mit Hitler, daß er Sie – sagen wir einmal – ganz gern los sein wollte mit Rücksicht auf die vielfachen Differenzen, weil Sie häufig Widerspruch gegen ihn erhoben hatten in marinetechnischen und in politischen Dingen: Norwegen, Frankreich, Rußland?

RAEDER: Ich glaube wohl, daß er den Willen hatte, mich in diesem Moment loszuwerden, weil ich ihm in gewisser Weise unbequem war. Dieser eine geschilderte Fall, wo ich meinen Willen durchgesetzt hatte, den hat er nie vergessen.

DR. SIEMERS: Ich danke Ihnen.

Das beendet dann das Verhör von Großadmiral Raeder.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird heute bis 13.30 Uhr Verhandlung abhalten.

Wir werden nun für 10 Minuten vertagen.