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[Kurze Besprechung zwischen Sir David Maxwell-Fyfe und Dr. Kranzbühler.]

In dem Dokumentenbuch der Anklage ist nur ein kurzer Auszug. Der Zeuge hat das ganze Dokument in der Hand.

VORSITZENDER: Wo ist der Auszug?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Auf Seite 99 und 100 im Dokumentenbuch 10, GB-224. Herr Präsident! Ein weiterer Auszug aus dem gleichen Dokument ist bereits erörtert worden. Er befindet sich im Dokumentenbuch Dönitz III, Seite 199 bis 203. Ich glaube aber nicht, daß es erforderlich ist, darauf Bezug zu nehmen, denn der Zeuge wird nur diesen einen oder zwei Sätze verlesen.

RAEDER: Also der Schlußabsatz »Abschließende Beurteilung« lautet:

»1. Die bisherige Form der Handelskriegführung nach Prisenordnung entspricht nicht den militärischen Forderungen nach rücksichtsloser Schärfe.

Ein großer Teil der feindlichen Handelsschiffahrt, unter anderem die gesamte Ausfuhr auf neutralen Schiffen, wird nicht erfaßt.

Die rechtspolitische Forderung, die neutralen Handelsschiffe anhalten und untersuchen zu müssen, kann bei der starken Luftüberwachung und U-Bootsabwehr im feindlichen Küstenvorfeld nicht mehr verantwortet werden. Der Handelskrieg nach Prisenordnung muß daher eingeschränkt und in der Nord- und Ostsee nur den Überwasserstreitkräften überlassen werden. Im At lantik beschränken sich die U-Boote im Vorfeld der feindlichen Küsten auf den warnungslosen Angriff auf Geleitzüge, Truppentransporte, bewaffnete und (nach Freigabe) auf alle feindlichen Handelsschiffe, und führen Handelskrieg nach Prisenordnung nur in besonderen Fällen. Ein Einsatz der operativen Luftwaffe im Handelskrieg ist nicht möglich. Der Handelskrieg vollzieht sich im völkerrechtlichen Sinne. Eine Konfliktmöglichkeit mit den Neutralen besteht nicht.«

Noch ein Satz:

»Falls die oberste Kriegsleitung sich aus politischen Gründen zur schärfsten Form der Handelskriegführung durch die Belagerung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht zu entscheiden vermag, wird unter Beibehaltung der bisherigen Handelskriegführung durch verstärkte, rücksichtslose Minenverwertung und Luftangriffe auf feindliche Hafenanlagen eine Steigerung der Wirksamkeit der Unterbindung des feindlichen Handels zu erzielen sein. Eine entscheidende Wirkung kann jedoch durch den Handelskrieg in der augenblicklichen Form nicht erwartet werden.«

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das unmittelbare Ergebnis dieser Denkschrift und Ihres Vertrags beim Führer war der Befehl vom 17. Oktober?

RAEDER: Jawohl. Und er betraf erstens, daß alle feindlichen Handelsschiffe torpediert werden dürften, und zweitens, als Verschärfung, daß Passagierdampfer in Geleitzügen torpediert werden dürfen, einige Zeit nachdem eine Bekanntmachung darüber erfolgt wäre.

Das war also im Rahmen der Verschärfung Zug um Zug. wie wir sie bis dahin auf die einzelnen feindlichen Maßnahmen durchgeführt hatten.

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Wenn dieser lange, vom Angeklagten verlesene Auszug noch nicht als Beweismittel vorgelegt wurde, muß er von Ihnen als solches eingereicht werden. Meines Wissens wurde er bis jetzt noch nicht vorgelegt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Ich glaube, behilflich sein zu können. Ich werde dieses Dokument verwenden und es dem Gerichtshof vorlegen.

VORSITZENDER: Wurde es schon als Beweismittel eingereicht?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nur teilweise, nicht jener Teil, auf den sich der Angeklagte soeben bezogen hat. Ich werde mich aber in Anbetracht dessen später darauf beziehen.

VORSITZENDER: Sehr gut.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral! Sie sprachen davon, daß vor 1935 gewisse Vorbereitungen stattgefunden hätten für einen Aufbau einer deutschen U-Bootwaffe. War Admiral Dönitz an diesen Vorbereitungen irgendwie beteiligt?

RAEDER: In gar keiner Weise war, er beteiligt. Er befand sich ja, wie hier schon gesagt wurde, im letzten Jahre im Ausland. Aber auch vorher hatte er nichts damit zu tun gehabt.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie berichteten eben über Ihren Abgang als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine. Wollen Sie mir bitte sagen, in welcher Weise es dazu gekommen ist, daß Admiral Dönitz Ihr Nachfolger wurde?

RAEDER: Der Führer hatte mir befohlen, zwei Admirale als Nachfolger vorzuschlagen. Ich schlug ihm schriftlich erstens als älteren...

VORSITZENDER: Dr. Kranzbühler! Wieso ist das erheblich für unsere Entscheidung, auf welche Weise Admiral Dönitz Oberbefehlshaber der Marine wurde?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Das hat insofern Bedeutung, Herr Präsident, als die Anklage behauptet, Admiral Dönitz sei auf Grund politischer Beziehungen oder Verdienste Nachfolger von Großadmiral Raeder geworden.

VORSITZENDER: Gut.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Wollen Sie bitte fortsetzen, Herr Großadmiral?

RAEDER: Ich werde ganz kurz sein. Ich schlug in erster Linie Generaladmiral Carls vor, der der ältere war und sehr großen Überblick über die ganze Seekriegführung und Marinepolitik hatte. Für den Fall, daß der Führer dokumentieren wollte, daß er jetzt den U- Bootkrieg ganz in den Vordergrund stellte, schlüge ich Admiral Dönitz vor, der die größte Autorität auf diesem Gebiet wäre. Von irgendwelchen politischen Rücksichten ist überhaupt nicht die Rede gewesen, so daß es eine rein fachliche, technische Ernennung war.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

DR. OTTO NELTE, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN KEITEL: Herr Präsident! Das Tribunal hatte mir mit Schreiben vom 26. März gestattet, daß für den Angeklagten Keitel ein Affidavit des Mitangeklagten Großadmiral Raeder vorgelegt werden könne, wenn der Anklagebehörde Gelegenheit gegeben wäre, den Großadmiral Raeder im Kreuzverhör über seine Aussage zu vernehmen. Ich habe das Affidavit der Anklagebehörde zugeleitet, und diese hat keine Einwendungen erhoben. Ich bitte, dieses Affidavit, das sich auf Stellung und Funktionen des Angeklagten Keitel als Chef OKW bezieht, als Beweisstück Nummer 19 entgegenzunehmen, nachdem mir Herr Großadmiral Raeder bestätigt hat, daß er dieses Affidavit unterschrieben hat und mit der Einreichung einverstanden ist.

Herr Großadmiral! Sie kennen die Fragen, die ich an Sie gestellt und die Sie am 19. März schon nach Rücksprache mit Ihrer Verteidigung beantwortet und unterzeichnet haben.

RAEDER: Es handelt sich doch um die Stellung des Feldmarschalls Keitel im OKW?

DR. NELTE: Jawohl.

RAEDER: Das ist mir ganz genau bekannt.

DR. NELTE: Dann darf ich dieses Affidavit überreichen. Die Anklagebehörde hat auch eine Abschrift.

Ich habe noch einige Fragen an Großadmiral Raeder, deren Beantwortung mit Erlaubnis des Gerichts sehr vereinfacht werden könnte. Es handelt sich um die gleichen Fragen, die ich am 9. Mai, also heute vor acht Tagen, an Großadmiral Dönitz richtete und die sich beziehen auf den vom Zeugen Dr. Gisevius behaupteten ungeheueren Einnuß Keitels und auf den Ring des Schweigens, den Keitel um Hitler gezogen haben soll.

Ich möchte den Zeugen Großadmiral Raeder nur fragen, wenn das Gericht dies erlaubt, ob er die von Großadmiral Dönitz in seiner Gegenwart auf meine Fragen gegebenen Antworten auch für die Zeit vor 1943, also für die Zeit, in der Raeder Oberbefehlshaber der Kriegsmarine war, als richtig bestätigen kann. Ich bitte um die Entscheidung des Gerichts, ob ich diese allgemeine Frage zur Abkürzung des Verfahrens so stellen darf.

VORSITZENDER: Ja, sicher.