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[Zum Zeugen gewandt:]

DR. NELTE: Herr Großadmiral! Sie haben gehört, und ich frage Sie, können Sie die von Großadmiral Dönitz auf meine Fragen am 9. Mai gegebenen Antworten auch für die Zeit vor 1943 als richtig bestätigen?

RAEDER: Jawohl, das kann ich.

DR. NELTE: Nun habe ich noch eine Schlußfrage. In Ihrem Verhör wurde das Dokument L-79, »Der kleine Schmundt«, behandelt. Sie haben dieses Dokument als ungenau beanstandet und als nicht beweiskräftig bezeichnet?

RAEDER: Jawohl.

DR. NELTE: Herr Dr. Siemers hat dann einen Teil dieses Dokuments verlesen, den die Anklagebehörde, als sie diese Urkunde vorlegte, noch nicht verlesen hatte. In diesem verlesenen Teil des Dokuments ist die Rede von einem Studienstab beim OKW.

RAEDER: Ja.

DR. NELTE: Ich bitte Sie, mir zu sagen, ob ein solcher Studienstab beim OKW tatsächlich gebildet worden ist?

RAEDER: Meines Wissens nicht. Die Bearbeitung erfolgte durch den Wehrmachtführungsstab, in dem ja Offiziere aller drei Wehrmachtsteile drin waren.

DR. NELTE: Also trat keinerlei Veränderung in dem Aufgabengebiet und in der Zuständigkeitsverteilung ein?

RAEDER: Nein, durchaus nicht.

DR. NELTE: Es betrifft das auch die Fragen der Bearbeitung der strategisch-operativen Gebiete zwischen OKW, Wehrmachtführungsstab einerseits und den Generalstäben der Wehrmachtsteile beziehungsweise Seekriegsleitung andererseits.

RAEDER: Soweit die Seekriegsleitung in Frage kommt, jawohl, hat sich nichts geändert daran.

DR. NELTE: Soweit es sich aber um die anderen Wehrmachtsteile handelt wissen Sie nichts, oder?

RAEDER: Nein, das kann ich nicht sagen, das weiß ich nicht.

DR. NELTE: Darüber hat Feldmarschall von Brauchitsch und Halder ausgesagt. Danke. Ich habe keine Fragen mehr.

VORSITZENDER: Dr. Nelte! Ist das Affidavit, auf das Sie sich beziehen, in Ihrem Dokumentenbuch enthalten?

DR. NELTE: Noch nicht, es wird Nummer 19.

VORSITZENDER: Ja. Werden Sie dafür sorgen, daß Übersetzungen dem Gerichtshof übergeben werden?

DR. NELTE: Jawohl.

DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Herr Großadmiral! Sie sind das älteste Mitglied der Gruppe Generalstab und OKW und haben dieser angeblichen Gruppe am längsten angehört?

RAEDER: Jawohl.

DR. LATERNSER: In welcher Weise sind Sie Mitglied dieser angeblichen Gruppe geworden?

RAEDER: Ich bin von Reichspräsident Generalfeldmarschall von Hindenburg zum Chef der Marineleitung ernannt worden und dadurch nicht etwa in diese Gruppe eingetreten, sondern eben Chef der Marine geworden. Von einer Gruppe wußte man nichts.

DR. LATERNSER: Für den Beitritt und Verbleib in der Gruppe wird von der Anklagebehörde das Erfordernis der Freiwilligkeit aufgestellt. Bestand überhaupt die Möglichkeit, daß sich militärische Führer für freigewordene Posten melden konnten?

RAEDER: Nein, so was gab es nicht.

DR. LATERNSER: Also maßgebend war die militärische Leistung?

RAEDER: Es war ein militärischer Befehl. Von irgendwelcher Freiwilligkeit war gar keine Rede.

DR. LATERNSER: Kannten Sie die jeweiligen Mitglieder der Gruppe zu der Zeit, als Sie dieser Gruppe angehört haben?

RAEDER: Nein, ich kannte sicher nicht alle von den anderen Wehrmachtsteilen. Einen großen Teil kannte ich selbstverständlich

DR. LATERNSER: Jawohl. Hat innerhalb der rein militärischen Führung jemals eine Beratung über einen Plan stattgefunden, mit dem Zweck der Entfesselung von Angriffskriegen?

RAEDER: Nein, es hat niemals eine solche Beratung stattgefunden. Es ist hier wiederholt zur Sprache gekommen, wie die einzelnen Unternehmungen entstanden: politischer Entschluß des Führers, Weisung von ihm herausgegeben, dann bearbeitet worden

DR. LATERNSER: Herr Großadmiral! Ich meine jetzt nicht bei dieser Frage die Sitzungen, die unter der Führung von Hitler stattgefunden haben, ich meine nur rein... also Sitzungen rein militärischer Dienstgrade.

RAEDER: Was meinen Sie? Innerhalb der verschiedenen Wehrmachtsteile?

DR. LATERNSER: Innerhalb der verschiedenen Wehrmachtsteile...

RAEDER: Ja, natürlich fanden innerhalb der Seekriegsleitung Sitzungen über irgendwelche Fragen statt. Aber nicht über Angriffskriege.

DR. LATERNSER: Ja, darauf bezog sich ja allein diese Frage.

Die Anklage behauptet weiter, daß diese angeklagte Gruppe von dem Regime des Nationalsozialismus überhaupt erst eingerichtet worden sei. Ist das richtig?

RAEDER: In gar keiner Weise. Es hat überhaupt keine Gruppe bestanden, sondern die Organisation war so, wie sie schon verschiedentlich dargestellt ist.

DR. LATERNSER: Und wie sie in allen Heeren der Welt auch immer bestanden haben?

RAEDER: Ja, wie sie immer bestanden haben.

DR. LATERNSER: Die Anklage hat weiter behauptet, daß nach der Machtergreifung durch Hitler die hohen militärischen Führer die Wahl gehabt hätten, entweder mitzuarbeiten, oder die Folge hinzunehmen, daß das neue Regime eine neue, also eigene Wehrmacht gründen würde, und aus dieser Sachlage heraus hätten sich die Generale erst zur Zusammenarbeit entschlossen. Stimmt diese Behauptung der Anklage?

RAEDER: Nein, daß daraufhin irgendein Zusammenschluß stattgefunden hat, ist nicht der Fall. Ich weiß, daß solche Bestrebungen vorhanden waren und habe zum Beispiel einmal dem Führer im Jahre 1934 gemeldet, mir wäre mitgeteilt, daß der SA-Gruppenführer Killinger, der früher in der Marine war und aus ihr hervorgegangen sei, die Absicht hätte, Chef der Marineleitung zu werden. Aber irgendwelche weitergehende Bestrebungen habe ich nicht erlebt; aber vor allen Dingen ist nicht etwa ein Zusammenschluß der Generale zur Abwehr eines solchen Versuchs vorgekommen.

DR. LATERNSER: Die Behauptung der Anklage ist also nicht richtig?

RAEDER: Nein, nicht richtig. Das war überhaupt keine Art und Weise, die dem soldatischen Empfinden entsprach, daß da Zusammenschlüsse stattfanden, um irgend etwas abzuwehren.

DR. LATERNSER: Die Anklage behauptet weiter, daß die Gruppe, vor allem die Generale, sich von dem Regime hätten gewinnen lassen wegen des Ausblicks auf Eroberung. Ist diese Behauptung richtig?

RAEDER: Das ist eine vollkommen unzutreffende und aus der Luft gegriffene Behauptung.

DR. LATERNSER: Ist militärischerseits jemals und in irgendeiner Form das Bestreben der Partei, die alleinige Gewalt in Deutschland an sich zu reißen, unterstützt oder gefördert worden?

RAEDER: Es ist mir nicht bekannt, daß dies jemals vorgekommen ist. Meinen Sie die Machtergreifung?

DR. LATERNSER: Nach der Machtergreifung, die Bestrebungen der Partei, die alleinige Herrschaftsgewalt in Deutschland an sich zu reißen. Ist die Partei in dieser Richtung durch militärische Führer, soweit Ihnen bekannt, unterstützt worden?

RAEDER: Nein.

DR. LATERNSER: Sie haben gestern auf Befragen Ihres Verteidigers die Art und Weise geschildert, wie es zu Ihrer Vereidigung auf Hitler gekommen ist. Bestand, wenn diese Absicht bei einem der Oberbefehlshaber vorgelegen haben würde, damals die Möglichkeit, den Eid zu verweigern?

RAEDER: Das kann ich nicht sagen, aber ich glaube, keiner von uns sah die Notwendigkeit, diesen Eid zu verweigern.

DR. LATERNSER: Die Anklage hat weiter behauptet, daß die hohen militärischen Führer mit den Grundlagen und Zielen des Nationalsozialismus voll übereingestimmt hätten. Ist das richtig?

RAEDER: Das habe ich gestern hier auseinandergesetzt, wie weit man mit den Grundlinien des Nationalsozialismus übereinstimmen konnte und wie weit man diese Grundlinien auch seinen Soldaten anerzog. Alles, was darüber hinaus war, wurde abgelehnt und fand keinen Eingang – ich kann hier nur für die Marine sprechen – in die Kriegsmarine.

DR. LATERNSER: Haben die Ihnen unterstellten und in die Gruppe fallenden Offiziere jemals einen Einblick in die politische Lage und Absichten Hitlers gehabt, so daß man von einer Teilnahme oder Mitgliedschaft an einem Plan sprechen kann?

RAEDER: Nein. Es war ja allgemein verboten, über Reden, in denen Hitler über Absichten und Entwicklungsmöglichkeiten sprach, über solche Reden mit irgend jemandem zu sprechen. Offiziere unterhalb der Wehrmachtsbefehlshaber erhielten nur Kenntnis, wenn es soweit war, daß eine Weisung herausgegeben wurde.

DR. LATERNSER: Es wird von der Anklage behauptet, daß die...

RAEDER: Ich muß das einschränken. Diese Weisung wurde ja zunächst im Oberkommando des Heeres, der Marine, bearbeitet. Sie erhielten also Kenntnis, wenn die Weisung des einzelnen Wehrmachtsteils herausgegeben wurde, und das geschah immer erst eine gewisse Zeit später.

DR. LATERNSER: Die Anklage behauptet weiter, daß die hohen militärischen Führer nicht Militärtechniker gewesen seien, sondern die Angriffsabsichten Hitlers gekannt und willig mitgearbeitet hätten. Können Sie mir militärische Führer nennen, die irgendwelchen aggressiven Handlungen, bevor sie befohlen waren, positiv gegenüberstanden?

RAEDER: Das kann ich nicht sagen. Ich habe gestern hier ausgeführt, wie der Generaladmiral Carls mich auf die Gefahr aufmerksam machte, die in Norwegen drohte. Er hat aber auch weiter nichts getan, als mir die Nachrichten mitgeteilt, mich auf die Gefahr aufmerksam gemacht und die Lage beleuchtet.

DR. LATERNSER: Die Stellungnahme des früheren Oberbefehlshabers der Wehrmacht, von Fritsch und die des Generalstabschefs Beck, zur Frage eines Krieges ist ja bekannt. Ich wollte Sie nur fragen: Hat der Oberbefehlshaber des Heeres, Feldmarschall von Brauchitsch, die gleiche Einstellung einem Kriege gegenüber gehabt?

RAEDER: Ich glaube, jawohl.

DR. LATERNSER: Über die Besprechung am 5. November 1937 haben Sie sich gestern bereits ausführlich ausgelassen. Ich möchte...

VORSITZENDER: Dr. Laternser! Sie haben diese Art Fragen an jeden Marine- und Militärzeugen gerichtet, der vorgeladen wurde. Der Gerichtshof möchte Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen, daß in keinem Kreuzverhör durch irgendein Mitglied der Anklagebehörde irgendeiner dieser Punkte bestritten worden ist. Diese Aussage ist daher nur wiederholend und kumulativ, und die Frage soll von Ihnen nicht an jeden Militär- und Marinezeugen, der den Zeugenstand betritt, gerichtet werden. Es ist nur Zeitverschwendung für den Gerichtshof. Wenn Fragen von einem Zeugen beantwortet werden und nicht Gegenstand eines Kreuzverhörs durch die andere Seite werden, so ist es üblich zu vermuten, daß die Antworten als angenommen gelten.

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Das ist für mich eine außerordentlich wichtige Frage, die jetzt berührt worden ist, nämlich die Frage, ob eine Frage deswegen unzulässig ist, weil sie nach Ansicht des Gerichts kumulativ ist. Ich würde gerne dazu einige kurze Ausführungen machen, ob eine Frage kumulativ ist oder nicht...

VORSITZENDER: Dr. Laternser! Es ist Ihnen doch sicher klar, was der Gerichtshof gesagt hat, nämlich, daß in Anbetracht der Bestimmungen des Statuts jetzt gewünscht wird, daß dieser Prozeß so schnell wie möglich durchgeführt wird. Der Gerichtshof wünscht nicht, daß die gleichen Aussagen immer wieder und wieder beigebracht werden. Ist das nicht klar?

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Wenn ich unterstellen kann, daß das Gericht diejenigen Beweise, die ich mit der Stellung der Fragen dartun will, als wahr hinnimmt, dann kann ich selbstverständlich auf die Stellung solcher Fragen verzichten. Ich kann aber nicht feststellen, ob das der Fall ist, wenn ich nicht bestimmt weiß, ob ich einen bestimmten Beweis schon erbracht habe...

VORSITZENDER: Was ich darlegen wollte, war, daß Sie dieselben Fragen einer großen Anzahl von Zeugen gestellt haben, und daß diese Fragen im Kreuzverhör nicht wieder aufgenommen worden sind. Unter diesen Umständen können Sie annehmen, daß die von den Zeugen gegebenen Antworten angenommen worden sind.

DR. LATERNSER: Wenn ich diesen Schluß jetzt zu ziehen berechtigt bin, werde ich selbstverständlich auf die Stellung solcher Fragen in Zukunft verzichten.

Ich habe nur noch wenige Fragen, Herr Präsident.