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[Zum Zeugen gewandt:]

Zur Begründung der Anklage gegen die Gruppe Generalstab und OKW sind von der Anklagebehörde zwei eidesstattliche Versicherungen vorgelegt worden, und zwar eine von Feldmarschall Blomberg und eine von Generaloberst Blaskowitz. In diesen beiden eidesstattlichen Versicherungen erklären diese beiden Generale, daß allgemein innerhalb der Generalität vor dem Kriege die Ansicht bestanden habe, daß die Frage des Korridors unbedingt, und zwar eventuell mit Gewalt, entschieden werden müsse.

Ist diese von den beiden Generalen angegebene Meinung richtig? Hat diese Einstellung damals in dieser Allgemeinheit gegolten?

RAEDER: Ich habe niemals von einer solchen Auffassung gehört Mir gegenüber hat auch der General von Blomberg niemals so etwas geäußert. Die Frage Polen ist bei uns in der Marine nur soweit erörtert worden, wie es in den letzten Tagen hier zur Sprache gekommen ist, nämlich, daß ein Angriff auf Polen von Seiten Deutschlands unter allen Umständen verhindert werden müsse. Die politische Behandlung dieser Frage hat...

VORSITZENDER: Der Angeklagte sagt, daß er das noch niemals gehört hat.

DR. LATERNSER: Das war auch der Grund, weshalb ich die Frage an den Zeugen gerichtet habe.

RAEDER: Die politischen Fragen wurden ja nach 1933 lediglich von Hitler erörtert und entschieden, und er hat gesagt, die ganze Politik würde von ihm gemacht.

DR. LATERNSER: Es ist also richtig, daß für die Generalität dieser Standpunkt, den Blomberg und Blaskowitz angegeben haben, nicht zutreffend ist?

RAEDER: Ich habe jedenfalls aus der Generalität nichts darüber gehört. In der Marine war er nicht.

DR. LATERNSER: Sie waren auch bei den Besprechungen am 23. November 1939?

RAEDER: Jawohl.

DR. LATERNSER: Ich möchte nur zusätzlich zu diesen Besprechungen noch eine Frage stellen:

Herr Großadmiral! Erinnern Sie sich, daß in diesen Besprechungen Hitler den Generalen den Vorwurf gemacht hat, daß sie noch an überholten Ritterlichkeitsbegriffen hingen und daß diese abgelehnt werden müssen?

RAEDER: Das kann ich mit Sicherheit nicht sagen. Ich glaube, mich zu erinnern, daß ich einmal so etwas gehört habe, daß Hitler dieser Auffassung wäre.

DR. LATERNSER: Nun habe ich noch eine letzte Frage über das Dokument, das Ihr Verteidiger bei Ihrer Vernehmung Ihnen bereits vorgelegt hat. Es handelt sich um das Dokument C-66, das von der Britischen Anklagebehörde unter GB-81 vorgelegt worden ist. Es befindet sich im Dokumentenbuch 10, Seite 13 oder 10a, Seite 35. Auf Seite 5, zum letzten Absatz dieser Seite, haben Sie folgendes ausgeführt. Ich zitiere:

»Wie aus vielen Äußerungen und Planungen hervorgeht, rechnete der Führer mit einer grundsätzlichen Beendigung des Ostfeldzuges im Herbst 1941, während das OKH (Generalstab) sehr skeptisch war.«

[Zum Zeugen gewandt:]

Herr Großadmiral! Ich wollte Sie fragen, worin hat diese Skepsis bestanden?

RAEDER: Soweit ich weiß, war das OKH der Ansicht, daß es unmöglich wäre, einen so gewaltigen Feldzug in einer so kurzen Zeit zu erledigen, und auf diesem Standpunkt standen auch sehr viele andere Menschen. Während der Führer glaubte, daß er an Hand der neuen Waffen und seiner Strategie den Feldzug sehr schnell erledigen könnte.

DR. LATERNSER: Wissen Sie etwas darüber, ob gerade bei dieser Dienststelle – dem OKH – Bedenken grundsätzlicher Art vor Beginn des Rußlandfeldzugs bestanden haben?

RAEDER: Soweit ich weiß, war der Oberbefehlshaber des Heeres sehr ablehnend, aber das kann ich auch nicht genau sagen.

DR. LATERNSER: Danke schön, ich habe keine weiteren Fragen.

PROFESSOR DR. HERBERT KRAUS, IN VERTRETUNG VON DR. OTTO FREIHERR VON LÜDINGHAUSEN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON NEURATH: Herr Großadmiral! Im Verlaufe der Verhandlungen ist oft bekundet worden, ich glaube, von dem Mitangeklagten Göring, daß der Feldmarschall von Hindenburg besonders gewünscht habe, daß Herr von Neurath Außenminister würde.

Ist Ihnen darüber näheres bekannt?

RAEDER: Das ist mir damals bekanntgeworden, daß Hindenburg diesen Wunsch geäußert hatte. Der Wunsch fiel mir besonders auf, weil der Feldmarschall von Hindenburg bis dahin nur immer die Ernennung des Reichswehrministers und des Chefs der Heeresleitung und Marineleitung gegenüber der Reichsregierung als sein Vorrecht betrachtete. Es war zum erstenmal, daß er auch beim Außenminister die Bitte aussprach.

PROF. DR. KRAUS: Also es entsprach nicht der Praxis des Feldmarschalls, die Ministerposten anzuregen?

RAEDER: Nein, er hat diesen Wunsch, den Reichswehrminister immer zu ernennen, auch gegenüber den vorhergehenden sozialdemokratischen und demokratischen und anderen Regierungen durchgesetzt.

PROF. DR. KRAUS: Was mag der Grund des Feldmarschalls von Hindenburg gewesen sein, daß er in diesen Ausnahmefall eingegriffen hat?

RAEDER: Er wollte wohl unter allen Umständen sicherstellen, daß die bisherige friedliche Politik Deutschlands weiter durchgeführt würde, und er war sicher, daß Herr von Neurath diese Politik in seinem Sinne weiterführen wollte.

PROF. DR. KRAUS: Also hat er besonderes Vertrauen zu der bisherigen Haltung von Neurath gehabt?

RAEDER: Ohne Zweifel.

PROF. DR. KRAUS: Sie kannten von Neurath ganz gut und waren über seine politischen Grundanschauungen orientiert? Was waren die Hauptgrundlinien dieser Politik?

RAEDER: Herr von Neurath wollte die allmähliche Gesundung des deutschen Volkes durchgeführt wissen und wollte danach streben, die Gleichberechtigung des Deutschen Reiches mit friedlichen Mitteln herbeizuführen.

Er wollte vor allen Dingen mit England ein gutes Verhältnis haben, was auch im Sinne Hindenburgs war, und gerade auf diesem Punkt trafen wir uns beide sehr.

PROF. DR. KRAUS: Also man kann sagen, von Neurath galt Ihnen als Exponent einer Verständigung mit England und einer friedlichen Ausgleichspolitik.

RAEDER: Jawohl.

PROF. DR. KRAUS: Dann habe ich noch eine zweite Frage an Sie, Herr Großadmiral. Ein Fritz Wiedemann, der ein Adjutant Hitlers von 1935 bis 1939 war, hat ein Affidavit eingereicht. Die Staatsanwaltschaft hat dieses Affidavit unter 3037-PS eingereicht. In diesem Affidavit bekundet der Herr Wiedemann, daß am 28. Mai 1938 eine Besprechung im Wintergarten der Reichskanzlei mit allen maßgebenden Leuten des Auswärtigen Amtes, des Heeres und der Führungsstellen stattgefunden habe, also eine Mammutversammlung, der gegenüber man wenig Zweifel haben kann. ob die Herren im Wintergarten Platz gehabt haben.

Und hier sagt er, außer Göring, General Beck, General Keitel, von Brauchitsch, sei gleichzeitig anwesend gewesen von Neurath, von Ribbentrop und außerdem Sie.

In dieser Versammlung hat Hitler unter anderem von der Tschechei gesprochen und hat erklärt, es sei sein unerschütterlicher Wille, daß die Tschechoslowakei von der Landkarte verschwinden müsse. Ist Ihnen etwas von dieser Versammlung bekannt?

RAEDER: Während ich mich sonst jeder solchen größeren oder wichtigeren Versammlung erinnere, habe ich auch nicht die geringste Erinnerung an diese Versammlung in jener Zeit. Die Zusammensetzung scheint mir auch unwahrscheinlich. Ich habe niemals in derselben Versammlung Herrn von Neurath und Herrn von Ribbentrop zusammen gesehen. Ich möchte auch bezweifeln, ob Herr von Neurath in jener Zeit überhaupt noch in Berlin war. Er war ganz bestimmt nicht in dieser Versammlung. Aber auch ich erinnere mich keiner Versammlung, in der von Ribbentrop war als Außenminister, wenn da militärische Dinge besprochen worden waren. Ich glaube, daß ich ihn niemals in einer Versammlung gesehen habe, in der solche Dinge besprochen sein sollen. Es schickte der Führer diesen persönlichen Adjutanten vorher stets hinaus. Ich glaube, daß eine Verwechslung vorliegt.

PROF. DR. KRAUS: Eine so wichtige Bemerkung des Führers würden Sie ja zweifellos im Gedächtnis behalten haben.

RAEDER: Jawohl. In jenem Sommer gingen die Auffassungen des Führers ja sehr stark hin und her. Ich glaube, daß Ende Mai damals eine Mobilmachung in der Tschechei war der so etwas, ich kann es aber nicht mehr genau sagen; aber eine solche Versammlung, in der das geäußert wäre, habe ich meines Wissens nicht erlebt.

PROF. DR. KRAUS: Danke, ich habe keine Fragen mehr.

VORSITZENDER: Haben irgendwelche andere Verteidigungsanwälte Fragen zu stellen?

Sir David! Es erscheint uns nicht mehr der Mühe wert zu sein, mit dem Kreuzverhör anzufangen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich stimme dem bei, Herr Vorsitzender.