HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Gericht vertagt sich bis

20. Mai 1946, 10.00 Uhr.]

Einhundertvierunddreißigster Tag.

Montag, 20. Mai 1946.

Vormittagssitzung.

[Der Angeklagte Raeder im Zeugenstand.]

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dr. Horn wünscht noch einige Fragen zu stellen.

DR. MARTIN HORN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON RIBBENTROP: Mit Erlaubnis des Gerichts bitte ich, noch einige Fragen an den Zeugen stellen zu dürfen.

Herr Großadmiral! Ist es richtig, daß am 24. April 1941 die sogenannte Neutralitäts-Patrouille nordamerikanischer Kriegsschiffe über die 300-Meilen-Grenze hinaus bis auf mindestens 1000 Meilen ausgedehnt wurde?

RAEDER: Ich kann mich an das Datum nicht erinnern, aber eine solche Ausdehnung hat zu irgendeinem Zeitpunkt stattgefunden.

DR. HORN: Ist es richtig, daß Anfang Juni 1941 durch Gesetz der USA die in nordamerikanischen Häfen durch den Krieg festliegenden ausländischen Schiffe beschlagnahmt wurden, darunter 26 italienische und zwei deutsche Schiffe?

RAEDER: Auch hier kann ich das Datum nicht genau sagen. Es ist im Sommerhalbjahr 1941 geschehen. Es waren überwiegend italienische Schiffe und ein paar deutsche Schiffe. Die genauen Zahlen kann ich nicht beschwören.

DR. HORN: Im Juni 1941 erklärten sich die USA öffentlich bereit, der Sowjetunion jede nur mögliche Hilfe leisten zu wollen. Haben Sie mit Hitler über diese Maßnahmen gesprochen, und wie war dessen Einstellung dazu?

RAEDER: Ja, also die Tatsache besteht, es handelte sich damit auch um zinsenlose Darlehen, oder so etwas. Mit Hitler werde ich auch darüber gesprochen haben, aber die Einstellung Hitlers kann ich nicht sagen. Ich kann nur sagen, daß alle diese Maßnahmen in jener Zeit uns in keiner Weise von unserem bisherigen Kurs abgebracht haben. Ich habe gerade im Juni noch die Unterhaltung mit Hitler gehabt, in der ich ihm darlegte, daß wir bisher und auch weiterhin die amerikanischen Kriegsschiffe völlig unbelästigt ließen, daß wir das auch weiterhin tun würden, trotz der großen Nachteile, die uns dadurch entstehen und die ich neulich hier erwähnt habe.

DR. HORN: Im Jahre 1941 forderten der amerikanische Kriegsminister Stimson und der Marineminister Knox sowie der Außenminister Hull, mehrfach den Einsatz der USA-Flotte zur Sicherung englischer Transporte von Kriegsmaterial nach Großbritannien in öffentlichen Reden. Am 12. Juli 1941 gab Marineminister Knox Pressevertretern Kenntnis von Roosevelts Schießbefehl gegen deutsche Schiffe. Wie reagierten Hitler und Sie auf diese im Widerspruch zur Neutralität stehenden Handlungen?

RAEDER: Also die Tatsachen stimmen, sie sind geschichtsnotorisch. Wir haben... Hitler hat auch daraufhin ausdrücklich befohlen, daß wir unter keinen Umständen von uns aus irgendwie schießen dürften, sondern daß wir uns nur wehren dürften. Das ist auch nachher bei den beiden Fällen mit »Greer« und »Kearny«, den beiden Zerstörern, so eingetreten.

DR. HORN: Ich danke Ihnen, ich habe keine weiteren Fragen.

GERICHTSMARSCHALL: Es wird gemeldet, daß der Angeklagte Göring dieser Vormittagssitzung fernbleibt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Sie haben doch das Buch des Kapitäns Schüssler »Kampf der Marine gegen Versailles« gelesen, als es erschien, nicht wahr?

RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie bitte einen Buch darauf werfen. Sie finden dort... Es steht auf Seite 26 des Buches Nummer 10, Seite 123 des deutschen Dokumentenbuches.

Kapitän Schüssler hatte Ihnen doch gesagt, daß er beabsichtigte, so ein Buch zu schreiben, nicht wahr?

RAEDER: Jawohl, ich darf dazu sagen, daß wir zu diesem Buch veranlaßt worden sind, weil wir in der Marine von der... aus nationalsozialistischen Kreisen angegriffen wurden, in der Richtung, daß wir in den Jahren... bis zum Jahre 1933 nicht genug getan hätten, um die Marine zu stärken, deswegen sind alle diese Dinge in dem Buch erwähnt worden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das Buch wurde an die höheren Marineoffiziere verteilt, nicht wahr?

RAEDER: Jawohl, es konnte es jedenfalls jeder bekommen, der es haben wollte, von den höheren Offizieren.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich bitte einmal Seite 127 ansehen, Seite 27 im englischen Buch, das das Vorwort enthält. Sie sehen, daß es am Schluß des ersten Absatzes heißt, es solle ein einwandfreies Bild des Kampfes der Marine gegen die unerträglichen Bestimmungen des Friedensvertrags von Versailles entworfen werden.

RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im dritten Absatz heißt es:

»Sie«, diese Denkschrift, »soll ferner die Verdienste jener Männer in helleres Licht rücken, die sich – ohne in größerem Kreise immer bekannt zu sein – mit außerordentlicher Verantwortungsfreudigkeit in den Dienst des Kampfes gegen den Friedensvertrag gestellt haben.«

RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Stimmen Sie mit mir dahingehend überein, daß dieses Vorwort im großen und ganzen die Ansichten der Marine zum Umgehen der Vorschriften des Versailler Vertrags vertritt?

RAEDER: Ja, betreffs des Umgehens der Vorschriften des Versailler Vertrags, soweit das nötig war, um unseren wehrlosen Zustand zu verbessern, aus den Gründen, die ich in den letzten Tagen auseinandergesetzt habe. Das war Ehrensache für jeden Mann, das zu tun.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Blättern Sie nun um.

Herr Vorsitzender! Es steht auf Seite 28 im englischen und Seite 126 im deutschen Text.