[Pause von 10 Minuten.]
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich sagte Ihnen, Angeklagter, daß ich Sie als nächstes über Dokument C-29 befragen werde, das auf Seite 8 des englischen Dokumentenbuches 10 und auf den Seiten 13 und 14 des deutschen Dokumentenbuches steht. Sie werden sich erinnern, daß dieses Dokument allgemeine Ausfuhrrichtlinien der Reichsmarine für die deutsche Rüstungsindustrie gibt...
RAEDER: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE:... und Sie sagten uns, als wir über dieses Dokument sprachen, daß Ihre Dienststellen in Angelegenheiten, die nicht sehr geheim zu halten waren, nicht kleinlich sein sollten, daß sie aber darüber hinaus die allgemeine Politik verfolgt haben, die deutsche Rüstungsindustrie sollte den Außenhandel entwickeln, damit sie die wachsenden Forderungen der deutschen Marine baldmöglichst erfüllen könnte. Ist das richtig? Ist das eine richtige Zusammenfassung, oder soll ich es wiederholen?
RAEDER: Ja, man muß aber dazu sagen, daß ich an zwei Stellen ausgedrückt habe, daß wir in der damaligen Zeit hofften, daß die Versailler Bestimmungen gelockert würden, denn es war damals eine verhältnismäßig günstige Periode bei den Abrüstungsverhandlungen, und wir hatten schon die Regierungen von Papen und von Schleicher, die großes Verständnis zeigten für die Bedürfnisse der Wehrmacht und infolgedessen in der Abrüstungskonferenz auch sehr stark dafür kämpften. Also, es war eine durchaus legale Entwicklung, die zu erwarten war, und auf der anderen Seite war unsere ganze Industrie ja auf die Anfertigung von Rüstungsdingen in sehr geringem Maße eingestellt. Sie mußte infolgedessen gestärkt werden. Ich betone nochmals, daß das mit dem Hitler-Regime gar nichts zu tun hatte, sondern daß diese Verfügung zufällig am 31. Januar herausgekommen ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber ich glaube nicht, daß wir wirklich verschiedener Meinung sind. Ziel Ihrer großangelegten Wirtschaftspolitik zugunsten der deutschen Rüstungsindustrie war doch, den Außenhandel so zu entwickeln, daß er in der Zukunft den wachsenden Inlandbedarf befriedigen könne; das haben Sie doch befürwortet, nicht wahr? Die deutsche Rüstungsindustrie sollte sofort ihren Außenhandel vergrößern, damit sie den wachsenden Anforderungen des Inlandes gleich bei Entstehen dieses Bedarfs entsprechen könne. Stimmt das nicht?
RAEDER: Jawohl, das stimmt. Ich verstehe nur den Ausdruck nicht. Sagen Sie Eigenhandel oder Eisenhandel? Ich frage... Ich verstehe Ihren Ausdruck nicht, Eigenhandel oder Eisenhandel?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Außenhandel.
RAEDER: Außenhandel. Jawohl.
Also, wir wollten unsere Industrie konkurrenzfähig machen gegenüber den anderen Staaten, so daß sie auch Vorteil hatte und sich stärken konnte; ganz zweifellos.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte Sie, Dokument C-135 vorzunehmen, das auf Seite 20 des englischen Dokumentenbuches und auf Seite 73 des deutschen Dokumentenbuches zu finden ist.
VORSITZENDER: Buch 10?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Buch 10, Herr Vorsitzender, ja.
[Zum Zeugen gewandt:]
Sie erinnern sich doch an dieses Dokument? Es wurde von Ihnen schon behandelt. Sie sagten...
RAEDER: Jawohl. Es wurde behandelt in dem Affidavit Lohmann.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, es ist ein Dokument vom... ich glaube vom April 1933, nach den Daten, die ich Ihnen gerade vorgelegt habe. Sie sagten dem Gerichtshof in Ihrer Aussage, daß das Jahr 1938 nur aus Zufall erwähnt wurde; daß es sich um die gleiche Periode handele.
RAEDER: Daß das Jahr 1938 erwähnt wurde, ist ja wiederholt zur Erwähnung gekommen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ist es schon in irgendeinem Dokument der Weimarer Republik erwähnt worden? Schauen Sie sich den vorletzten Absatz an, es wird bei Ihnen auf Seite 74 sein, Seite 21 des englischen Dokumentenbuches. Es ist der mittlere Absatz des Punktes 3:
»Nunmehr hatte der Reichskanzler Adolf Hitler die ganz klare politische Forderung gestellt, ihm in fünf Jahren, d.h. bis zum 1. IV. 1938, eine Wehrmacht aufzustellen, die er als politisches Machtinstrument auf die Waagschale legen könne.«
Stimmt es, daß Hitler diese klare politische Forderung gestellt hatte?
RAEDER: Jawohl, soweit ich mich erinnere, hatte er 1933 eine Art Fünfjahresplan verlangt, und nun fiel dieses Jahr 1938 zusammen durch Zufall mit dem Jahr 1938, das aus unserem Schiffsbauersatzplan stammte, und diese Anweisung hatte er offenbar für die ganze Wehrmacht gegeben, denn für die Marine wurde schon 1935 der Flottenvertrag maßgebend, wo wir nur zu rüsten hatten nach dem Verhältnis 1:3 und nicht nach irgendwelchen Sonderplänen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Punkt, den ich herausbekommen will, ist folgender: Hat Hitler Ihnen gesagt, daß er diese Streitkräfte brauche, um sie als politisches Machtinstrument auf die Waagschale legen zu können? Hat er Ihnen das gesagt?
RAEDER: Das kann ich Ihnen heute nicht mehr sagen, aber ich glaube, das ist ein Ausdruck, der durchaus gebräuchlich ist, daß man seine Wehrmacht als ein Instrument gebraucht, das man bei politischen Verhandlungen auch in die Waagschale werfen kann, um nicht so, wie wir bisher immer – bis zu der damaligen Zeit – zum Spielball der Nationen zu werden; das ist ein durchaus unverdächtiger Ausdruck nach meiner Auffassung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber, um es geradeheraus zu sagen: Hitler hat Ihnen gesagt; »Bis zum Jahre 1938 will ich Streitkräfte haben, die ich verwenden kann, wenn Krieg notwendig werden sollte.« Das ist der Sinn, nicht? So haben Sie es auch damals verstanden, stimmt das nicht?
RAEDER: Nein, vom Kriegsfall ist überhaupt nicht die Rede gewesen, sondern davon, daß wir so dastehen müßten im Kreise der Nationen, daß wir nicht ohne weiteres über den Haufen gerannt würden wie bisher.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn jemand Sie über den Hauten rennen wollte, dann hätten Sie ja kämpfen können, nicht wahr?
RAEDER: Das ist ganz klar, wenn wir angegriffen wurden. Das ist ja doch der Fall, wenn wir angegriffen wurden, dann wollten wir uns wehren können; das konnten wir bis dahin nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen nun das erste Beispiel heranziehen, als Sie die Absicht hatten, zu kämpfen. Wollen Sie im Dokumentenbuch 10a, C-140, Seite 104 der englischen und Seite 157 der deutschen Übersetzung betrachten. Sie erinnern sich, es ist eine Weisung des Feldmarschalls von Blomberg über Deutschlands Austritt aus der Abrüstungskonferenz und dem Völkerbund. Es ist eine ziemlich vollständige und allgemeine Anweisung über die militärischen Maßnahmen, die Sie treffen würden, wenn der Völkerbund Sanktionen gegen Sie anordnen würde. In anderen Worten, Sie waren für den Krieg vollständig vorbereitet....
RAEDER: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Für einen Krieg, der sich aus dieser Friedenspolitik hätte entwickeln können. Stimmt das nicht? Es wurden doch alle Vorbereitungen für den Kampf getroffen.
RAEDER: Diese Vorbereitungen wurden getroffen, soweit ich mich erinnere, elf Tage, nachdem wir aus dem Völkerbund ausgetreten waren, und es war ganz selbstverständlich, wenn der Führer glaubte, daß auf diesen Austritt hin, der ja an sich eine friedliche Unternehmung war, etwa kriegerische Maßnahmen oder Sanktionen gegen uns ergriffen würden, wir uns dagegen verteidigen müßten, und wenn ein solcher Angriff wahrscheinlich war, daß wir dann diese Vorbereitungen treffen mußten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sehen also ein Angeklagter, daß schon im Oktober 1933 Hitlers Außenpolitik einen sofortigen Krieg hätte herbeiführen können, nicht wahr?
RAEDER: Nein, ich habe gar nicht damit gerechnet, daß eine solche Maßnahme, wie der Austritt aus dem Völkerbund, in dem wir stets ungerecht behandelt worden waren, weil wir eben keine Macht hinter uns hatten, einen Krieg von seiten irgendeiner Macht zur Folge haben könnte. Trotzdem war es richtig, daß man mit einem solchen Kriegsfall rechnete.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe, das genügt mir.
Wir wollen im gleichen Dokumentenbuch Dokument C-153 auf Seite 107 der englischen Übersetzung und Seite 164 bis 167 des deutschen Textes ansehen. Sie erinnern sich, es ist Ihr Rüstungsplan für den dritten Rüstungsabschnitt – ich will nur, daß Sie sich zuerst den dritten Punkt ansehen.
In a und b des Punktes 3 geben Sie die allgemeinen Grundlagen für Ihre Anordnungen an:
»a) für den militärischen Führer die sichere Grundlage für seine operativen Überlegungen und
b) für die politischen Leiter ein klares Bild über das mit den zu einem Zeitpunkt vorhandenen militärischen Machtmitteln Erreichbare.«
RAEDER: Ja, es ist ganz klar, daß ein solcher Plan diesen Zweck hat.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und daß Ihre politischen Leiter ihre Pläne auf die im Falle eines Krieges zur Verfügung stehenden Streitkräfte aufbauen sollten, das haben Sie damals schon in Betracht gezogen, nicht wahr?
RAEDER: Ja, das ist ja doch selbstverständlich. Ich habe dem Führer vorgetragen: So viel kann ich an militärischer Stärke in diesem Jahre bereitstellen; das muß das Staatsoberhaupt wissen, damit er weiß, womit er rechnen kann. Das hat aber mit kriegerischen Plänen gar nichts zu tun, sondern das ist in jedem Staate so der Fall. Andererseits kann ich dem politischen Führer nicht hineinreden, was er haben soll, sondern ich kann ihm nur melden, was ich schaffen kann. Ich habe also mit dieser politischen Sache gar nichts zu tun. Aber ich tue nur das, was notwendig ist, was in jedem Staat geschieht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich nun Absatz 7 an.
Ich will mit Ihnen nicht darüber streiten, ob Staaten die Argumentationen Ihrer Außenpolitik auch auf andere Dinge als auf einen Krieg gründen. Sehen Sie nur Absatz 7 an:
»Alle theoretischen und praktischen R-Vorbereitungen sind in erster Linie auf die Bereitschaft für einen Kampf ohne Anlaufzeit einzustellen.«
Das heißt, daß Sie, was die Marine anlangt, auf einen unmittelbar bevorstehenden Krieg vorbereitet sein mußten, die Marine jederzeit kriegsbereit halten mußten, nicht wahr?
RAEDER: Nein, nein, sondern es handelte sich hier um die Reihenfolge der Dinge, die bewilligt werden sollten; also der Rüstungsplan stellte auf, was für die Marine am wichtigsten sei neu zu beschaffen, und da sage ich hier, das ist für die Kampfmittel, die für einen Kampf ohne Bereitschaft, ohne Anlaufzeit, dienen, und das ist auf deutsch gesagt die schwimmende aktive Flotte, die nämlich immer bereit sein muß; die mußte auf dem Stand der höchsten Bereitschaft gehalten werden, und die mußte in erster Linie das bekommen, was sie nötig hatte. Erst dann kamen alle die vielen anderen Dinge, wie zum Beispiel Unterkunftsräume und so etwas, was mit dem unmittelbaren Kampf nichts zu tun hatte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dies entspricht wohl meiner Behauptung, daß nämlich die Marine kriegsbereit sein mußte. Sie haben jetzt Ihre Darstellung darüber gegeben.
Schlagen Sie nun Seite 68 des Dokumentenbuches 10 auf, Seite 285 des deutschen Dokumentenbuches.
Es ist C-189, Herr Vorsitzender.