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[Zum Zeugen gewandt:]

Ich möchte nur einen Punkt berühren, den Sie selbst in Ihrem Verhör hervorgehoben haben, und den ich bestreiten muß. Sie sagen im Absatz 2 des englischen Textes:

»Ob.d.M. spricht Ansicht aus, daß die Flotte später« – ich möchte das Wort »später« besonders betonen – »doch gegen England entwickelt werden müsse, daß daher von 1936 an die großen Schiffe mit 35-cm-Geschützen armiert werden müßten.«

Behaupten Sie jetzt vor dem Gerichtshof, daß »gegen« England nicht bedeuten soll »in Feindschaft« oder »gegen England gerichtet« oder »in Opposition zu« sondern nur »im Vergleich zu«? Wollen Sie das wirklich im Ernst behaupten?

RAEDER: Ich habe neulich schon ausgeführt, daß es sich darum handelte... um das Ausrichten; wir hatten uns bis dahin ausgerichtet nach der französischen Marine, die 33 cm hatte; jetzt übertrumpfte England Frankreich, indem es 35,6 cm auf seine Schiffe nahm; dann übertrumpfte, wie ich neulich sagte, wiederum Frankreich England, indem es 38 cm nahm. So sagte ich dem Führer, mit unseren 28 cm, die wir glaubten, noch gegen Frankreich, gegen die Dunkerque-Klasse verwenden zu können, würden wir nicht mehr auskommen, sondern wir müssen das nächsthöhere Kaliber nehmen, nämlich 35,6, das die Engländer nahmen. Dazu kam es aber gar nicht, weil die Franzosen 38 cm nahmen und wir nun mit unserem Bismarck-Typ nun wieder den Franzosen folgten.

Dieser Vergleich der Kaliber und der Schiffstypen untereinander war damals absolut gebräuchlich, wurde auch...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben uns das alles schon früher gesagt. Meine Frage ist nun eine ganz einfache. Wenn Sie in diesem Schriftstück, im deutschen Urtext, sagen »gegen England«, so bedeutet dieses Wort dasselbe, wie in Ihrem Lied »Wir fahren gegen Engelland«. Das heißt »gegen« im feindlichen Sinne, »gerichtet gegen« und nicht »im Vergleich zu«. Das halte ich Ihnen vor. Es ist eine ganz kurz zu beantwortende Frage.

Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß »gegen England« bedeutet »im Vergleich zu England«?

RAEDER: Das will ich sagen; denn es steht ja da, »entwickeln gegen England« und wir hatten in diesem Moment ja noch gar nicht einmal das Flottenabkommen abgeschlossen. Da werde ich doch nicht daran denken, eine englandfeindliche Politik machen zu wollen..

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich nun auf der nächsten Seite Dokument C-190 an, Seite 67 des englischen und Seite 284 des deutschen Dokumentenbuches. Das ist Ihr Gespräch mit Hitler am 2. November 1934, als Sie größere Marine-Kostenvoranschläge und die Bewilligung von mehr Geld besprachen. Ich möchte, daß Sie sich den Schluß des ersten Absatzes ansehen, der Hitlers Gründe hierfür angibt.

»Er hält den Ausbau der Marine in der geplanten Weise für lebensnotwendig«, nun passen Sie auf, »da Krieg überhaupt nicht geführt werden könne, wenn nicht die Marine die Erzzufuhr aus Skandinavien sicherstelle.«

Wollen Sie vor dem Gerichtshof noch immer behaupten, Sie hätten nicht schon seit dem Jahre 1934 den Krieg geplant? Wenn dem so war, warum sagte dann Hitler das? Das ist einer der wichtigsten Punkte der deutschen Marinestrategie: »Krieg kann nicht geführt werden, wenn nicht die Marine die Erzzufuhr aus Schweden sicherstellt.«

Haben Sie nicht im November Krieg geplant?

RAEDER: Hitler hat gesagt: Eine Kriegsmarine wird doch aufgebaut, damit sie, wenn ein Krieg notwendig wird, wenn sie das Vaterland verteidigen muß, eintreten könne mit ihren Waffen. Sie wird doch zu nichts anderem aufgebaut, und diese Idee war entschieden eine der allgemeinen Begründungen für die Existenz einer Manne in Deutschland. Es gab ja sehr viele Leute, die glaubten, daß eine Kriegsmarine nicht nötig wäre.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich halte Ihnen nun folgendes vor; Sie haben dem Gerichtshof gesagt, die Marine sei rein defensiv gewesen, alle Ihre Vorbereitungen seien lediglich Verteidigungsmaßnahmen gewesen. Ich behaupte, daß Hitler hier einen Krieg plant und die Aufgaben einer Marine während eines Krieges in Betracht zieht, ein paar Monate bevor er beabsichtigte die militärischen Klauseln des Versailler Vertrages zu kündigen.

Sie alle waren schon damals auf einen Krieg vollständig vorbereitet, wenn er sich als notwendig erweisen sollte, und Sie wußten das auch. War das nicht die Lage?

RAEDER: Das ist also eine vollkommene Verdrehung, Herr Anklagevertreter. Selbstverständlich muß man doch im Frieden überlegen, welche Fälle eintreten könnten, wo die Wehrmacht aufgerufen wird zur Verteidigung, denn damals hat niemand an einen Angriffskrieg gedacht, und man muß über die einzelnen Aufgaben sich doch im klaren sein. Eine Aufgabe der Marine war zweifellos, in einem Krieg die Erzausfuhr von Schweden und Norwegen zu sichern. Danach mußte sie aufgebaut werden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich nun den nächsten Satz in Absatz 2 ansehen:

»Als, ich darauf aufmerksam machte, daß es bei kritischer politischer Lage im ersten Vierteljahr 1935 erwünscht sein würde, sechs U-Boote bereits zusammengesetzt zu haben...«

Sie haben also Vorbereitungen getroffen für diese kritische politische Lage?

RAEDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun wollen wir sehen, was Sie 1936 unternommen haben.

Geben Sie dem Angeklagten und Dr. Siemers das Dokument D-806.

Das Dokument ist Ihr Bericht vom 11. November 1936 und behandelt das U-Bootbauprogramm, und Sie sagen nach dem ersten Absatz, im zweiten Absatz:

»Die militärische und politische Lage erfordert dringend den Ausbau der U-Bootsflotte als eines besonders wertvollen und schlagkräftigen Teiles unserer Rüstung zur See, die mit der größten Tatkraft und Beschleunigung in Angriff genommen und vollendet wird.«

Behaupten Sie, daß diese Forderungen reine Verteidigungsmaßnahmen darstellten, und haben Sie nicht daran gedacht, daß eine besondere Schlagkraft während eines Krieges notwendig würde?

RAEDER: Aus der ganzen politischen Lage – scheint es mir wenigstens erinnerlich – glaubte ich damals zu ersehen, daß es notwendig sei, den U-Bootbau in den Vordergrund zu stellen. Aber ich habe niemals damit gerechnet, daß von uns aus ein Krieg inszeniert werden würde. Das hat mir doch auch Hitler immer wieder gesagt; aber er hat seine politischen Unternehmungen gemacht, und durch die konnte man zweifellos in einen Krieg geraten, wenn die anderen Mächte gegen eine solche politische Unternehmung eintraten. An sich ist mir ja vorgeworfen worden, daß man den U-Bootbau zu wenig forciere.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie forcieren ihn hier aber genügend, nicht wahr? Sie waren über »die militärische und politische Lage« vollständig informiert und haben Ihre Marinerüstung dementsprechend ausgerichtet. Stimmt das?

RAEDER: Ich habe hier zu diesem Zeitpunkt nicht nur nichts gewußt von dem, was geschehen würde, sondern ich wußte, daß wir das Rheinland besetzt hatten in dem Jahre, und daß Hitler danach auch infolge der Wolken, die am Horizont aufzogen – infolge dieser Rheinlandbesetzung –, größte Vorsicht walten ließ und erklärte, wir müßten gefaßt darauf sein, daß doch noch eine Verwicklung eintrete. Deswegen war damals im Jahre 1936 ja eine besondere Weisung herausgegeben. In dem Rahmen dieser Überlegungen war meine Vorsicht. Es war ja meine größte Pflicht, daß ich aufpaßte, und nach diesem Aufpassen und den Folgerungen, die ich daraus zog, mich so stark wie möglich zu machen. In dem gleichen Sinne war auch das vorige Dokument, zu dem Sie mir keine Frage gestellt haben, gemeint, wenn ich fragte, ob für den Fall einer politischen Spannung Anfang 1935, wo nämlich das Flottenabkommen noch nicht abgeschlossen sein würde – das kam ja erst im Juni – ob wir da vielleicht schon sechs U-Boote zusammensetzen sollten. Das war auch für diesen Eventualfall, daß eine Spannung einträte, und ich wußte damals, daß 1935 die Erklärung der Wehrhoheit beabsichtigt war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben uns nun gesagt, was Sie im Jahre 1936 wußten. Wir wollen jetzt zum Jahre 1937 übergehen. Ich möchte genau wissen, was Sie darüber sagen. Hierbei müssen wir natürlich, wie Sie sich erinnern werden, das Hoßbach- Dokument 386-PS, das auf Seite 81 des Dokumentenbuches 10, auf Seite 314 des deutschen Dokumentenbuches steht, in Betracht ziehen.

VORSITZENDER: Sir David! Haben Sie diesem letzten Dokument eine Nummer gegeben?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Vorsitzender, es ist GB-462.