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[Zum Zeugen gewandt:]

Haben Sie das, auf Seite 314 im deutschen Dokumentenbuch?

RAEDER: Können Sie mir vielleicht den Abschnitt sagen, ich habe hier...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Ich möchte Sie zuerst über den Absatz 3 befragen, über den letzten Satz, wo Hitler angeblich sagt:

»Die deutsche Zukunft sei daher ausschließlich durch die Lösung der Raumnot bedingt.«

Und dann möchte ich Sie bitten, zwei Seiten weiter, Seite 316, aufzuschlagen, Seite 83 des englischen Dokumentenbuches, und da wird es noch einmal wiederholt, ungefähr sieben Zeilen von oben, wo Hitler sagt:

»Die einzige, uns vielleicht traumhaft erscheinende Abhilfe läge in der Gewinnung eines größeren Lebensraumes.«

Er fährt dann fort:

»Daß jede Raumerweiterung nur durch Brechen von Widerstand... vor sich gehen könne, habe die Geschichte aller Zeiten... bewiesen.«

In einem eigenen Absatz sagt er dann:

»Für Deutschland laute die Frage, wo die größten Eroberungen unter geringstem Einsatz zu erreichen seien.«

Das ist auf Seite 316, haben Sie es gefunden?

RAEDER: Darf ich mit dem letzten anfangen? Das ist ja falsch übersetzt...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nur, daß Sie uns sagen, ob Sie von Hitler gehört haben, daß das Hauptproblem sei »wo die größten Eroberungen unter geringstem Einsatz zu erreichen seien«.

RAEDER: Nein; in dem englischen Dokument steht »conquest«, das steht aber nicht im deutschen Dokument; sondern es steht im deutschen Dokument »den größtmöglichen Gewinn mit dem kleinsten Einsatz«, also ein Wort aus dem Spiel; von Eroberungen ist in keiner Weise die Rede.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will gerne annehmen, daß es nach der Stelle kommt, die ich schon ausführlich mit Ihnen besprochen habe, weil ich nichts aus dem Zusammenhang herausgreifen will. Ist Ihnen klar, daß Hitler dort gesagt hat, die einzige Möglichkeit läge für Deutschland in der Gewinnung weiteren Lebensraumes und daß dieser auf Kosten anderer Nationen zu gewinnen sei. Das hat er doch gesagt, nicht wahr?

RAEDER: Das hat er gesagt und ich habe neulich erklärt, wie es aufzufassen ist. Er sprach im ganzen von Österreich und der Tschechei, vom Sudetenland. Wir waren der Auffassung, daß eine Schwenkung der Politik nicht beabsichtigt wäre und sie hat auch nachher nicht stattgefunden... weder Krieg mit Österreich noch mit der Tschechei.

Wir waren alle der Überzeugung, daß er diese Fragen genau so wie alle anderen schwierigen politischen Fragen auf friedlichem Wege lösen würde. Ich habe das sehr ausführlich dargelegt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun gut, das wollte ich Sie eben fragen. Sie, haben meinen zweiten Punkt schon vorweggenommen. Der Rest des Dokuments behandelt die Aktion gegen Österreich und die Tschechoslowakei. Schauen Sie sich Seite 86 an.

Sie werden, glaube ich, mit mir übereinstimmen, daß Feldmarschall von Blomberg und General von Fritsch kaltes Wasser auf Hitlers Pläne gegossen haben. Kann man das so sagen?

RAEDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Daß sie so eine gewisse Abneigung gezeigt haben?

RAEDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, das war im November 1937.

RAEDER: Wir haben ihm ja alle immer gesagt, daß er unter keinen Umständen mit England und Frankreich einen Krieg herbeiführen dürfte, und er hat auch stets dem zugestimmt. Ich habe aber ausgeführt, daß diese ganze Rede mit einem bestimmten Zweck geredet wurde, und daß er deswegen sehr stark übertrieb und diese Übertreibung sofort zurücknahm, als ein Hinweis auf die Kriegsgefahr mit Frankreich und England ihm gegeben wurde.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das wollte ich Sie eben fragen. Das war im November. Im Januar hatte Feldmarschall von Blomberg seine unglückliche Ehe schon geschlossen, nicht wahr?

RAEDER: Ich glaube es war im Januar, ich weiß es nicht genau.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie waren der Überzeugung, daß der Angeklagte Göring diese Heirat begünstigt habe, nicht wahr?

RAEDER: Das habe ich noch niemals gesagt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie das nicht gesagt?

RAEDER: Nein, nicht daß ich wüßte; ich bin auch niemals der Überzeugung gewesen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich nicht, in Moskau über diesen Punkt eine Erklärung abgegeben zu haben? Ich werde sie Ihnen verlesen.

RAEDER: Wem bitte?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: In Moskau an die Russen, und ich möchte es Ihnen vorlesen.

»Das Jahr 1938 hatte schon in seinem Beginn Erlebnisse persönlicher Art gebracht, die zwar die Marine nicht direkt betrafen, wohl aber dazu geeignet waren, mein Vertrauen nicht nur zu Göring, sondern auch zur Aufrichtigkeit des Führers ins Wanken zu bringen. Die un glückliche Heiratsangelegenheit des Feldmarschalls von Blomberg hatte diesen als Oberbefehlshaber der Wehrmacht unmöglich gemacht. Ich bin nachträglich zu dem Schluß gekommen, daß Göring, der mit aller Kraft die Stellung des Oberbefehlshabers der Wehrmacht – an Stelle von Blomberg – erstrebte, das Zustandekommen der Heirat Blombergs begünstigte, um diesen unmöglich zu machen, während Blomberg selbst glaubte und auch aussprach, eine solche Heirat sei im gegenwärtigen System möglich. (G. hatte ihn auch schon vorher beobachten lassen, wie ich aus einer Äußerung seinerseits später entnehmen konnte).«

Haben Sie das nicht gesagt?

RAEDER: Ich habe in Moskau unmittelbar nach dem Zusammenbruch meine Erfahrungen aufgeschrieben über die Ursache des Zusammenbruchs. Dieses Dokument habe ich unter den dortigen Verhältnissen geschrieben – wo ich sehr ritterlich behandelt wurde – und hatte keine Bedenken, dem obersten General des Innenkommissariats dies zur Kenntnis zu geben, da ich gefragt wurde, was ich dort betriebe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will nun wissen, ob das stimmt, was Sie gesagt haben?

RAEDER: Ja. Ich habe diese Aufzeichnungen gemacht und es stimmt auch, daß ich nachträglich diese Gedanken bekommen habe, daß Göring die Heirat begünstigt habe. Das hat er, glaube ich, hier selbst mir gesagt. Er hat Blomberg geholfen, daß er, glaube ich, nicht wußte, worum es sich tatsächlich handelte und wie schlimm der Fall lag.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ihre Ansicht damals war, daß Göring die Heirat begünstigt habe, weil er wußte, daß er dadurch Blomberg als Oberbefehlshaber ausschalten würde und weil er, Göring, die Stellung selbst haben wollte. War das die Ansicht, die Sie im letzten Sommer hatten?

RAEDER: Das habe ich im letzten Sommer geglaubt, jawohl, und das stimmt auch, daß Göring zweifellos ein Bestreben hatte, Oberbefehlshaber der Wehrmacht zu werden, was der Führer aber selbst vereitelt hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, das war von Blomberg. Wir wissen, was mit ihm geschehen ist. Ihre zweite Wahl nach von Blomberg fiel auf von Fritsch, nicht wahr? Sie dachten, daß von Fritsch der beste Befehlshaber sein würde, wenn Blomberg ginge?

RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben das Hitler gegenüber erwähnt? Und...

RAEDER: Er fragte mich, und da habe ich gesagt, ich würde auch Freiherrn von Fritsch vorschlagen, wenn er mich fragte. Aber da sagte mir der Führer, daß das nicht ginge.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, weil es Leute gab, die den Vorwurf der Homosexualität gegen Fritsch erhoben hatten. Stimmt das nicht? Das war der Grund, weshalb es nicht ging.

RAEDER: Ja, er sagte das allgemein, es läge ein sittliches Vergehen vor.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie waren Mitglied des Gerichts, das die Untersuchung über diese Anschuldigung durchführte, nicht wahr? Göring, als Präsident, Sie und General von Brauchitsch.

RAEDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie kamen zu dem Schluß, daß die Anklage der Homosexualität gegen von Fritsch von der Gestapo frei erfunden worden sei, nicht wahr? Verstehen Sie, was ich damit meine? »frame up« ist leider ziemlich schwer zu übersetzen.

RAEDER: Den Eindruck machte mir die ganze Sache. Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Weil die Denunzierung durch einen Mann zweifelhaften Charakters erfolgte, der, Ihrer Meinung nach, sich viel bei der Gestapo herumgetrieben hat. Und im Gerichtsverfahren ist auch die Zusammenarbeit der Gestapo mit dem Denunzianten ans Licht gekommen. Das ist doch richtig, nicht wahr?

Sie haben sich davon bei der Verhandlung in hinreichendem Maße überzeugt?

RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie stimmen mir zu, daß es sich hier nicht tatsächlich um eine Verwechslung gehandelt hat, sondern daß der Schuldige ein Rittmeister von Fritsch war, und keineswegs dieser General. Stimmt das nicht?

RAEDER: Da stimme ich absolut zu. Wir haben Freiherrn von Fritsch wegen erwiesener Unschuld freigesprochen. Es ist keinerlei Verdacht auf ihm irgendwie klebengeblieben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben ihn also freigesprochen, aber er ist nicht wieder in sein Amt eingesetzt worden, nicht wahr?

RAEDER: Nein, ich bin zu ihm gegangen, da ich ihm nahestand, und habe ihn gefragt, ob er damit einverstanden sein würde, daß ich zu Hitler ginge und ihm vorschlüge, ihn, den Freiherrn von Fritsch, wieder in sein Amt einzusetzen. Aber Fritsch sagte mir, daß er das für ganz unmöglich hielte. Er wäre der Ansicht, daß seine Autorität doch so weit gelitten hätte, daß er den Posten als Oberbefehlshaber des Heeres nicht mehr einnehmen möchte.

Daraufhin konnte ich leider nichts tun. Ich habe dies dem Führer gemeldet. Das hatte aber weiter keine Konsequenzen, und der Führer hat nur in einer großen Versammlung von Generalen und Admiralen die absolute Unschuld des Freiherrn von Fritsch festgestellt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie sich über den Fritsch-Zwischenfall so ausgedrückt:

»Ich bin zu der festen Überzeugung gekommen, daß auch in dieser Angelegenheit, die wohlvorbereitet war, Göring seine Hand im Spiele hatte, da zur Erreichung seines Zieles auch der wahrscheinlichste Nachfolger von Blombergs ausgeschaltet werden mußte...«

Erinnern Sie sich daran, das gesagt zu haben?

RAEDER: Ich erinnere mich nicht mehr, aber ich glaube, daß ich dieser Auffassung war. Ich muß aber bitte der Gerechtigkeit wegen sagen, daß die Freisprechung des Herrn von Fritsch in erster Linie der Führung der Verhandlung durch Göring zu verdanken war. Dieser Zeuge, der da angeführt wurde, war derartig verlogen und änderte seine Aussagen alle zehn Minuten, daß nur Göring mit ihm fertig wurde. Nachdem ich das erlebt hatte, war ich sehr dankbar, daß ich nicht zum Vorsitzenden ernannt war, was der Justizminister vorgeschlagen hatte. Ich wäre nicht mit diesen Leuten fertig geworden. Nur dem Eintreten Görings ist es zu verdanken, daß die Freisprechung ganz reibungslos erfolgen konnte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben aber, glaube ich, auch gesagt, Zeuge, daß, gleichgültig ob er nun freigesprochen wurde oder nicht, Fritschs Autorität in der Deutschen Wehrmacht seiner eigenen Ansicht nach durch die Tatsache dieser Anklageerhebung vernichtet war. Das war das Ergebnis davon. Stimmt das nicht?

RAEDER: Diese Ansicht war die des Herrn von Fritsch. Ich würde darauf bestanden haben, wieder ernannt zu werden, wenn ich so freigesprochen würde.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ist es Ihnen nicht ganz sonderbar vorgekommen, daß die zwei Leute, die am 5. November versucht hatten, Hitler von einem Kurs, der zum Krieg führen konnte, abzubringen, innerhalb zweier Monate in Ungnade gefallen sind? Ist Ihnen das nicht ganz sonderbar vorgekommen?

RAEDER: Das ist mir in gar keiner Weise sonderbar vorgekommen, und das steht ganz bestimmt in keinem Zusammenhang. Wenn Hitler dieser Ansicht war, daß Leute in oberen Stellungen, die ihm in einer solchen Sache widersprachen, abgesetzt werden müssen, dann hätte er mich schon lange absetzen müssen. Aber er hat mir niemals irgend etwas darüber gesagt, und ich habe niemals gemerkt, daß er so etwas äußerte, weil ich ihm widersprach. Gerade in der Frage England- Frankreich habe ich immer wieder darauf hingewiesen, daß da kein Krieg entstehen dürfe, und ich habe niemals gemerkt, daß er mir das irgendwie verübelt hätte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir wollen uns nun ganz kurz fassen. Innerhalb von sechs Wochen, nachdem von Blomberg in Ungnade gefallen und von Fritsch ausgeschaltet war, kam es zum Anschluß von Österreich.

Wollen Sie vor dem Gerichtshof erklären, daß Sie nicht wußten, daß getarnte militärische Vorbereitungen für den Anschluß Österreichs getroffen worden waren, wie sie von General Jodl in seinem Tagebuch und auch von Feldmarschall Keitel dargestellt worden sind? Wußten Sie nicht, daß mit einer militärischen Aktion gedroht worden war?

RAEDER: Ich glaube, daß ich an einer militärischen Besprechung über den Anschluß Österreichs niemals teilgenommen habe, weil ich tatsächlich nichts damit zu tun gehabt hatte. Aber ich möchte ein für allemal hier feststellen, daß ich von solchen Unternehmungen, wie zum Beispiel Anschluß von Österreich, spätestens Kenntnis bekam dadurch, daß der Führer eine Weisung erließ und von den Weisungen, ganz gleichgültig ob die Marine beteiligt war oder nicht, immer ein Exemplar an mich als Oberbefehlshaber der Marine ging. So wird auch in diesem Fall eine Weisung zu meiner Kenntnis gekommen sein. Ich kann leider das Datum nicht sagen, aber ich bestätige, eine Weisung kam auch zu meiner Kenntnis.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Punkt, den ich Ihnen vorhalte – ich will damit keine Zeit verschwenden – ist folgender: Am 5. November erklärte Hitler, daß er Österreich 1943 oder spätestens 1945 bekommen würde, und zu einem früheren Zeitpunkt, wenn sich eine Gelegenheit biete. Vier Monate später, im März 1938, nimmt er Österreich, nachdem er die Leute losgeworden war, die sich seinen Plänen entgegengestellt hatten. Wenn Sie darüber nichts wußten, wollen wir damit keine Zeit verschwenden, sondern den Fall der Tschechoslowakei betrachten; denn in diesem Falle haben Sie den Befehl bekommen.

Sie werden dies auf Seite 163 des Dokumentenbuches 10a finden, Seite 276 des deutschen Dokumentenbuches, Dort finden Sie den Verteiler der Weisungen für die Operationen gegen die Tschechoslowakei. Diese ergänzen den Befehl vom 24. Juni, und Sie werden feststellen, daß es darin heißt, die Ausführung müsse spätestens für den 1. Oktober gesichert werden, und Ausfertigung Nummer 2 ist an Sie als Oberbefehlshaber der Marine gegangen.

Wenn Sie nun umblättern, so kommen Sie zur Weisung selbst, es ist Seite 146 im englischen Dokumentenbuch, Seite 277 bis 278 des deutschen Buches, und Sie finden, daß der erste Satz des Punktes 1 lautet:

»Politische Voraussetzungen:

Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen. Den politisch und militärisch geeigneten Zeitpunkt abzuwarten oder herbeizuführen ist Sache der politischen Führung.«

RAEDER: Darf ich fragen, wo das steht, ich kann es leider noch nicht finden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der erste Satz des Punktes 1 der Weisung:

»Politische Voraussetzungen:

Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.«

RAEDER: Es ist hier alles durcheinander numeriert.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das tut mir leid. Seite 277 bis 278.

RAEDER: Jetzt habe ich es. Von welchem Datum ist das, bitte?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vom 28. Mai 1938. Das sind ungefähr sechs Monate nach der Zusammenkunft, der Sie beiwohnten und bei welcher Hitler erklärte, daß er die Tschechoslowakei bei erstbester Gelegenheit angreifen würde. Brachte Ihnen das nicht zum Bewußtsein, daß Hitlers Rede im November nicht bloß leeres Gerede war, sondern seine Pläne darstellte?

RAEDER: Nein; denn den ganzen Sommer über änderte er seine Entscheidung. Es war jeden Monat ein anderer Entschluß, wie in dem Dokument 388-PS ja zu ersehen ist. Und es war so: Ich glaube, am 10. September begannen gewisse Truppenansammlungen und am gleichen Tage begannen die Verhandlungen, und am 1. Oktober fand der friedliche Einzug im Sudetenland statt, nachdem die anderen Mächte es in München gebilligt hatten. Nach den Münchener Verhandlungen...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: All das ist uns bekannt. Es ist vollkommen klar...

RAEDER: Ich möchte zu Ende reden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Im Mai lagen die Pläne vor, und der Führer hatte in seinen Reden zum Ausdruck gebracht, daß es sein Entschluß sei, die Tschechoslowakei Ende Mai durch militärische Aktion zu zerschlagen. Wollen Sie dem Gerichtshof erzählen, daß Sie diese Weisung gelesen haben und noch immer der Ansicht waren, daß Hitler keine Angriffsabsichten hatte? Das frage ich Sie.

RAEDER: Jawohl, Ende Mai.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie noch mehr Beweise als diesen seinen eigenen Entschluß, die Tschechoslowakei zu zerschlagen? Welchen klareren Beweis können Sie denn noch verlangen?

RAEDER: Er hat ja sehr häufig gesagt, daß er etwas zerschmettern will und hat es nachher nicht getan. Er hat die Frage nachher friedlich gelöst. Ich möchte noch hinzufügen, am 30. Mai – ich glaube, das war das Datum – nachdem gerade eine Mobilmachung in der Tschechoslowakei vor sich gegangen war, und deswegen gebrauchte er so scharfe Ausdrücke und war dadurch... Meiner Ansicht nach war er dadurch berechtigt dazu, denn diese Mobilmachung der Tschechei konnte nur gegen Deutschland gerichtet sein, und wie gesagt, seine Ansicht hat sich im Laufe des Sommers mindestens drei- bis viermal geändert, wo er immer wieder sagte, er behielte sich das vor und... oder er wolle es nicht mit kriegerischen Mitteln.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Gerichtshof hat das gesamte Dokument 388-PS in Erinnerung. Ich will mit Ihnen darüber nicht streiten. Sie sagen, daß es Sie nicht überzeugte.

Als Hitler am 15. März 1939 in Prag einmarschierte, als er den slawischen Teil von Böhmen und Mähren besetzte und damit seinen eigenen Grundsatz »Deutschland für die Deutschen« brach, ist Ihnen da nicht zum Bewußtsein gekommen, daß doch vielleicht etwas Wahrheit in seinen Worten bei der Besprechung vom 5. November 1937 lag? Kam Ihnen da nicht zu Bewußtsein, daß er damals im November nicht gescherzt oder nur leere Redensarten gebraucht hatte?

RAEDER: Er hatte ja eine Weisung erlassen, in der drinnen stand, es wäre vorzusehen für dieses Jahr:

1. die Verteidigung Deutschlands nach außen hin,

2. die Erledigung des Restes der Tschechoslowakei für den Fall, daß sie eine deutschlandfeindliche Politik mache.

Ich habe von der Verhandlung mit Hacha und von seinem Entschluß, nun daraufhin in die Tschechei einzudringen, überhaupt nichts gehört. Ich wußte nur, daß er nach dieser seiner Weisung gegen die Tschechoslowakei vorgehen wollte, im Falle, daß sie eine deutschlandfeindliche Politik triebe, und in der Propaganda hörte man in der damaligen Zeit, daß Aas tatsächlich der Fall sei. Mit dem Einzug in die Tschechei hatte ich gar nichts zu tun, ebenso mit der Besetzung des Sudetenlandes, da das einzige, das wir für den Fall hätten liefern können, unsere kleine Donauflotte, für diesen Zweck dem Heer unterstellt war, so daß ich überhaupt nichts damit zu tun hatte. Andere militärische Befehle gab es nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ihre Antwort ist also, daß Sie, sogar als Hitler am 15. März 1939 in Prag einmarschierte, noch immer nicht glaubten, daß er Angriffsabsichten habe? Wollen Sie, daß der Gerichtshof Ihnen das wirklich glaubt? Stimmt das?

RAEDER: Ja, ich bitte darum, denn ich meine, daß er nicht einen Kampf kämpfen wollte, gegen die Tschechoslowakei einen Krieg führen wollte. Er hat ja noch mit seinen politischen Maßnahmen mit Hacha es wirklich dahingebracht, daß kein Krieg ausbrach.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben die Aussage des Angeklagten Göring vernommen, er habe dem Präsidenten Hacha gesagt, daß seine Streitkräfte Prag bombardieren würden, falls er nicht zustimme. Wenn das nicht Krieg ist, so ist es sehr nahe daran, nicht wahr?

RAEDER: Nahe daran, ja, das ist eine Drohung.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun gehen wir zwei Monate weiter. Wenn Sie es im März noch nicht erkannten... als Sie am 23 Mai in die Reichskanzlei kamen, waren dort mit Ihnen sechs hohe Offiziere. Hitler erklärte, daß er Sie über die politische Lage unterrichten wolle. Der Inhalt seiner Belehrung war: »Uns bleibt nur der Entschluß, Polen bei erster passender Gelegenheit anzugreifen.« Als Sie ihn am 23. Mai so sprechen hörten, waren Sie da noch immer der Meinung, daß er keine Angriffsabsichten habe?

RAEDER: Ich habe das noch viel länger geglaubt, genau so, wie Herr Generaloberst Jodl auch sagte: Nachdem er die tschechische Frage rein politisch geregelt hat, ist zu hoffen, daß er auch die Polenfrage ohne Blutvergießen regeln wird, und das habe ich noch bis zum letzten Moment, bis zum 22. August, geglaubt.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Werfen Sie nun einen Blick – es wird nicht lange dauern – auf Dokument L-79; ich glaube, es ist auf Seite 74 des Dokumentenbuches 10. Ich bitte um Entschuldigung, es ist auf Seite 298 des deutschen Dokumentenbuches. Ich will Sie nicht über das Dokument selbst befragen, weil der Gerichtshof das Dokument schon behandelt hat. Aber ich will, daß Sie sich ansehen, wer dort anwesend war.

RAEDER: Ich kenne die Personen, die da waren.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen wir sie uns einmal an: Oberstleutnant Schmundt, er war später General und Hitlers Chefadjutant und verlor am 20. Juli. 1944 sein Leben. Ist das richtig? Dann der Angeklagte Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe; Sie selbst als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine; Generaloberst von Brauchitsch, der Oberbefehlshaber des Heeres; General Keitel, der Chef des OKW; General Milch, der Stellvertreter Görings; Halder, der Chef des Generalstabs; Schniewind, Ihr Stabschef, und Jeschonnek, der, glaube ich, Chef des Stabes oder ein höherer...

RAEDER: Generalstabschef der Luftwaffe.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Und Oberst Warlimont, der Stellvertreter des Generals Jodl.

Wozu, glauben Sie nun, hat Hitler diese Männer versammelt und ihnen gesagt: »Uns bleibt nur der Entschluß, Polen bei erster passender Gelegenheit anzugreifen«, wenn er keine Angriffsabsichten gehabt hätte? Wozu waren diese Leute dort, wenn nicht, um einen Krieg zu entfesseln?

RAEDER: Ich habe schon auseinandergesetzt, daß der Hauptzweck, der hinten aus dem letzten Teil hervorgeht, der war, einen rein akademischen Vortrag zu halten über Kriegführung, um auf Grund dieses Vertrags einen Studienstab zu bilden, gegen den bis dahin die Wehrmachtchefs sich immer stark gesträubt haben. Ich habe auch im Anfang auseinandergesetzt, daß seine Auseinandersetzungen im Anfang das Unklarste sind, das ich je über die Angelegenheit gehört habe, und daß er auch mit Bezug auf diese Dinge keinerlei Weisungen erteilt hat, sondern daß die letzten Zeilen lauten:

»Die Wehrmachtsteile bestimmen, was gebaut wird. An dem Schiffsbauprogramm wird nichts geändert, die Rüstungsprogramme sind auf 1943 beziehungsweise 1944 abzustellen.«

Wenn er das sagte, konnte er unmöglich beabsichtigen, die polnische Frage in absehbarer Zeit kriegerisch zu lösen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie dem Gerichtshof erzählen, daß Sie nicht aufmerksam wurden, als Hitler sagte: »An eine Wiederholung der Tschechei ist nicht zu glauben. Weitere Erfolge können nicht ohne Blutvergießen erzielt werden.« Wollen Sie dem Gerichtshof ernsthaft erklären, daß Sie dem keine Beachtung schenkten?

RAEDER: Nein, das habe ich unter gar keinen Umständen getan, denn ich kannte Hitler ja nun allmählich und ich kannte die Übertreibung seiner Reden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zu jener Zeit besaßen Sie bereits Weisungen für einen Überraschungsangriff auf Danzig im November 1938. Sie hatten am 3. April die Weisung für den Fall »Weiß« bekommen, und Sie wußten, daß die ganze Sache im Anlaufen war. Wollen Sie, Angeklagter, wirklich ernsthaft den Gerichtshof glauben fassen, daß Sie nach dem 23. Mai noch irgendwelche Zweifel hegten, daß Hitler den Krieg gegen Polen beabsichtigte und bereit war, gegen England und Frankreich zu kämpfen, falls diese ihre Garantie für Polen aufrechterhalten würden? Ich will Ihnen vor der Vertagung noch eine Chance geben: Behaupten Sie wirklich, daß Sie überhaupt noch Zweifel hatten?

RAEDER: Selbstverständlich. Ich habe ja doch auseinandergesetzt, daß ich noch im August Zweifel daran hatte. Also hier zum Beispiel, wenn Sie diese Rede einschätzen, so setze ich dem entgegen, und habe das hier schon getan, die Rede, die Hitler einige Wochen vorher beim Stapellauf des »Bismarck« gehalten hatte, und wo er nur vom Frieden der wahren Gerechtigkeit gesprochen hatte. Diese Reden, die waren für mich maßgebend. Ich habe gerade aus dieser Rede, die so besonders wirr wiedergegeben ist, nicht den Schluß gezogen und habe das auch bewiesen dadurch, daß ich der Marine den ganzen Sommer über keinen Ton davon gesagt habe, daß im Herbst Krieg ausbrechen könne. Das ist mir hier bestätigt worden, und kann mir auch von jedermann bestätigt werden. Ich schätzte eben Hitler so ein, ich schätzte sehr hoch ein sein politisches Geschick und war davon überzeugt, noch am 22. August, als uns der Pakt mit Rußland mitgeteilt wurde, daß es nun doch wieder gelingen werde, die Angelegenheit friedlich zu regeln. Das war meine volle Überzeugung. Man kann es mir vielleicht vorwerfen, daß ich mich verschätzt habe, aber ich glaubte Hitler richtig einzuschätzen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie ich Sie verstehe, wollen Sie also sagen, daß Sie sogar am 22. August nicht glaubten, Hitler habe irgendwelche Angriffsabsichten. Ist das wirklich Ihre Meinung?

RAEDER: Ja, es ist ja auch ganz begründet, denn wir hatten die große Aussicht, mit Rußland verbündet zu sein. Er hatte auseinandergesetzt mit vielen Gründen, weswegen England und Frankreich nicht eingreifen würden, und wir alle, die wir da versammelt waren, schöpften daraus die aufrichtige Hoffnung, daß es ihm wieder gelingen werde, ohne Krieg aus der Angelegenheit herauszukommen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wäre es recht, jetzt zu unterbrechen, Herr Vorsitzender?