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[Zum Zeugen gewandt:]

Hier handelt es sich um einen Auszug aus dem Seekriegstagebuch; ich verweise Sie auf Seite 59 für den 15. Juni:

»Auf Antrag Skl (vgl. Bl. 218, 236) wird Waffeneinsatz gegen russische U-Boote südlich Nordgrenze Öland- Warngebiet ab sofort freigegeben.«

Haben Sie das?

RAEDER: Ja.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE:

»Rücksichtslose Vernichtung ist anzustreben.«

Würden Sie bitte, bevor ich Ihnen nun eine Frage vorlege, zu Dokument C-38 zurückgehen, Seite 11, Seite 19 im deutschen Dokumentenbuch. Seite 11 im englischen und Seite 19 im deutschen. Hier handelt es sich um einen Befehl vom gleichen Datum an das OKM mit der Unterschrift des Angeklagten Keitel.

»Der Waffeneinsatz gegen U-Boote südlich der Linie Memel-Südspitze Öland wird freigegeben, falls die Boote bei Annäherung deutscher Seestreitkräfte nicht einwandfrei als schwedisch festgestellt werden.

Als Begründung ist bis zum B-Tag,« das ist ›Barbarossa‹, »zu unterstellen, daß die eigenen Seestreitkräfte es mit eingedrungenen britischen U-Booten zu tun zu haben glaubten.«

Warum haben Sie sechs Tage vor Ihrer eigenen Invasion vorgeschlagen, daß man russische U-Boote angreifen sollte, die keinen Angriff erwarteten, und als vom Krieg noch keine Rede war?

RAEDER: Wie das bereits einmal hier dargelegt worden ist, war es vorgekommen, also kurz vor diesem 15. Juni, daß ein U-Boot in dieses Gebiet bei Bornholm – das ist ziemlich weit nach Westen – eingedrungen war und daß es falsche Erkennungssignale gemacht hatte, als es von dem Vorpostenboot bei Bornholm angerufen war. Wenn ein falsches Erkennungssignal gezeigt wird, so bedeutet das, daß es kein deutsches U-Boot, sondern ein fremdes U-Boot ist. In diesem Falle war aus dem Kurs und der Stelle, wo es gefunden wurde, zu schließen, daß es ein russisches sein muß. Außerdem waren bereits in dieser Zeit wiederholt russische U-Boote vor deutschen Häfen, wie zum Beispiel Memel und so weiter, geortet worden und gemeldet worden. Infolgedessen hatten wir den Eindruck, daß die russischen U-Boote bereits Positionen vor deutschen Häfen einnehmen, um dort entweder Minen zu legen oder um Handelsschiffe oder Kriegsschiffe anzugreifen. Aus diesem Grunde mußte ich aus Vorsicht das melden und vorschlagen, daß wir in diesem Gebiet vor den deutschen Häfen gegen nichtdeutsche U-Boote vorgehen dürften. Das wurde am gleichen Tage genehmigt, und es wurde dieser Zusatz gemacht, der an sich meiner Ansicht nach gar nicht nötig war, der aber verhinderte, daß irgendwelche Komplikationen eintraten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist immer noch keine Antwort auf meine Frage. Lassen Sie mich die Frage so stellen: Sie hielten es für richtig, sowjetische U-Boote sechs Tage vor Ihrem Angriff auf die Sowjetunion anzugreifen und auf deren erbarmungslose Zerstörung zu dringen. Sie hielten das für richtig? Dann wollten Sie nach Keitels Vorschlag eindringende englische U-Boote dafür verantwortlich machen. Halten Sie das für eine saubere Kriegführung?

RAEDER: Also, das erste halte ich für richtig; denn es kommt immer darauf an, daß man dem Gegner zuvorkommt, und das war unter bestimmten Voraussetzungen. Und das zweite hat der Führer befohlen. Es ist keines von beiden je ausgeführt worden, infolgedessen ist es meiner Ansicht nach müßig, über diese Sachen zu diskutieren.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist Sache des Gerichtshofs und ich werde entscheiden, was für eine Diskussion brauchbar ist.

Darf ich also annehmen, daß Sie völlig damit einverstanden waren, russische U-Boote anzugreifen und rücksichtslos zu zerstören, sechs Tage bevor Sie den Krieg begannen? Soll der Gerichtshof dies Ihrer Aussage entnehmen?

RAEDER: Ja, wenn sie in den Gewässern, in unseren Gewässern waren, um, sei es aufzuklären oder sonst kriegerische Handlungen auszuführen, fand ich das richtig; es war richtiger, als wenn unsere Schiffe auf russische Minen gelaufen wären.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Jetzt wollen wir kurz Ihre Ansichten über U-Bootkriegführung hören. Erinnern Sie sich an das Dokument, das ich dem Angeklagten Dönitz über das Memorandum des Auswärtigen Amtes vorgelegt habe? Es ist D-851, das GB-451 wurde?

RAEDER: Ich habe es vor mir.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Ich werde Sie gleich darüber befragen.

Eine Antwort, die Sie Dr. Kranzbühler, ich glaube, am Samstag gaben, enthielt folgende Feststellungen darüber:

»Da der Krieg gegen England für uns völlig überraschend kam, so hatten wir uns mit Einzelfragen der U- Bootführung bis dahin nur ganz wenig beschäftigt. Wir hatten unter anderem überhaupt noch nicht die Frage des sogenannten uneingeschränkten U-Bootkrieges behandelt, die ja im vorigen Kriege eine sehr große Rolle gespielt hatte. Daraus entstand, daß am 3. September der Offizier, der neulich erwähnt wurde, zum Auswärti gen Amt geschickt wurde mit einigen Erörterungen über diese Frage des uneingeschränkten U-Bootkrieges, damit wir uns erst einmal mit dem Auswärtigen Amt darüber klar würden, wie weit wir gehen könnten.«

Denken Sie nun, daß es...

RAEDER: Ja, so ist das nach meiner Erinnerung vor sich gegangen. Den uneingeschränkten U-Bootkrieg hat man nicht in Betracht gezogen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben das Dokument vor sich?

RAEDER: Das mit dem Auswärtigen Amt, D-851?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: D-851. Ja.

RAEDER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube nicht, Euer Lordschaft, daß es in irgendeinem Buch enthalten ist. Haben Sie ein Exemplar dieses Dokuments?

VORSITZENDER: Ich glaube nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich habe das schon im Kreuzverhör des Angeklagten Dönitz vorgelegt.

VORSITZENDER: Wir werden es höchstwahrscheinlich bei unseren Dönitz-Papieren finden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Vielleicht gestatten Sie mir, es noch einmal langsam zu verlesen. Das Dokument hat folgenden Inhalt:

»In den anliegenden vom Oberkommando der Kriegsmarine übersandten Unterlagen wird die Frage des uneingeschränkten U-Bootkrieges gegen England erörtert.

Die Kriegsmarine kommt zum Ergebnis, daß das mit den vorhandenen Kräften erreichbare größte Maß an Schädigung Englands nur zu erzielen ist, wenn den U- Booten der uneingeschränkte warnungslose Waffeneinsatz in einem auf der beiliegenden Karte bezeichneten Sperrgebiet gegen feindliche und neutrale Schiffe freigegeben wird.

Die Kriegsmarine verkennt nicht, daß

a) Deutschland hierdurch das Abkommen von 1936 über die Führung des Handelskrieges offenkundig mißachten würde;

b) eine solche Kriegführung sich aus den bisher allgemein anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts nicht rechtfertigen läßt.«

Dann sollte ich noch folgendes verlesen oder wenigstens die Aufmerksamkeit darauf lenken – ich habe diesen vorletzten Absatz bereits vorher behandelt:

»Außenpolitische Gesichtspunkte würden dafür sprechen, das Kriegsmittel des uneingeschränkten U-Bootkrieges erst dann anzuwenden, wenn England uns durch die Form seiner Kriegführung Handhaben gibt, diese Kriegführung als Vergeltungsmaßnahme anzuordnen.«