[Zum Zeugen gewandt:]
Ich will, daß Sie das abschnittsweise durchgehen. Sehen Sie sich den Absatz an, in dem steht:
»Die Kriegsmarine kommt zum Ergebnis, daß das mit den vorhandenen Kräften erreichbare größte Maß an Schädigung Englands nur zu erzielen ist, wenn den U- Booten der uneingeschränkte warnungslose Waffeneinsatz in einem auf der beiliegenden Karte bezeichneten Sperrgebiet gegen feindliche und neutrale Schiffe freigegeben wird.«
Ist das Ihr Standpunkt? War das am 3. September Ihr Standpunkt?
RAEDER: Nein, das ist nicht mein Standpunkt, sondern das ist ein konditioneller Standpunkt. Wir hatten den U-Booten den Befehl mitgegeben, Handelskrieg nach Prisenordnung zu führen, und wir hatten in unserem Kriegstagebuch bereits vorgesehen, daß, falls auf seiten der Engländer Handelsschiffe bewaffnet würden – oder so etwas – daß dann gewisse Verschärfungen...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter! Wollen Sie bitte meine Frage beantworten, es ist doch eine ganz leichte Frage.
RAEDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, war das nicht Ihr Standpunkt?
RAEDER: Ja, der Standpunkt insofern, als natürlich theoretisch bei den geringen Kräften, die wir hatten, das größte erreichbare Maß an Schädigung Englands nur zu erzielen ist, wenn... nun war mit dem Auswärtigen Amt zu erörtern, wie weit wir gehen können in der Verschärfung. Deswegen wurde ja dieser Offizier dahingeschickt. Und aus den Erörterungen mit dem Auswärtigen Amt ist dann die U-Bootdenkschrift entstanden, die von vorne bis hinten zeigt, daß wir bestrebt waren, uns dem geltenden Recht soweit wie möglich anzupassen. Die ganze Denkschrift ist nur eine solche Erörterung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wollen Sie jetzt meine Frage beantworten? Wenn dieses Dokument sagt: »Die Kriegsmarine kommt zum Ergebnis,« ißt es dann wahr, daß die Marine zu einem solchen Ergebnis gekommen ist?
RAEDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ist das wahr, oder nicht?
RAEDER: Selbstverständlich; da kann jeder zu diesem Ergebnis kommen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist viel leichter »Ja« zu sagen, als lange Erklärungen zu machen.
Wir wollen nun einen anderen Punkt besprechen: Ist es wahr, daß Sie zu diesem Ergebnis kamen, ohne sich mit dem Oberbefehlshaber der U-Boote zu beraten, wie der Angeklagte Dönitz in seinem Verhör aussagte?
RAEDER: Über diese Dinge? Wir haben uns darüber vor dem Auslaufen der U-Boote nur geeinigt, daß sie nach Prisenordnung Krieg zu führen hatten. Ich habe ihn nicht danach gefragt, ob er uneingeschränkten U- Bootkrieg machen wollte, weil ich das gar nicht wollte. Ich mußte doch erst einmal mit dem Auswärtigen Amt besprechen, wieweit wir gehen konnten, und das war der Zweck dieser Sache. Und der Zweck der Sache war nun, die Einzelbefehle zu erteilen, die zu erteilen wir berechtigt waren, Zug um Zug, nach dem Verhalten der Engländer. Diese Frage war eine völkerrechtliche, die ich mit dem Völkerrechtsreferenten des Auswärtigen Amtes besprechen mußte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Stimmt es nicht, daß Sie weiterhin diesen Standpunkt, der das Ergebnis Ihrer Überlegungen war, während der nächsten drei Monate dem Auswärtigen Amt gegenüber energisch vertraten? Stimmt es nicht, daß Sie während der nächsten drei Monate weiterhin auf einen uneingeschränkten U-Bootkrieg innerhalb dieses Bereiches drängten?
RAEDER: Das glaube ich kaum, denn sonst hätte ich ja doch nicht die Denkschritt vom 3. September herausgegeben. Mag sein, daß wir dem Auswärtigen Amt, dem wir schärfer gegenübergetreten sind... aber was wir machten, steht in der Denkschrift, und das war alles, Zug um Zug, Verschärfung nach den englischen Schritten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, der nächste Schritt mit dem Auswärtigen Amt war eine Konferenz mit Freiherrn von Weizsäcker am 25. September, ersichtlich aus Dokument D-852, GB-469. Ich verweise Sie auf Punkt 3 des Dokuments:
»Das Oberkommando der Kriegsmarine wird dem Auswärtigen Amt einen Vorschlag als Unterlage für eine Mitteilung an die neutralen Mächte übermitteln, worin diejenigen Verschärfungen der Seekriegführung mitgeteilt werden, deren Anordnung, sei es, bereits erfolgt ist, sei es in nächster Zeit bevorsteht. Hierzu gehören insbesondere eine Warnung vor Funktätigkeit bei Anhaltung, vor Fahren im Geleit und Abblendung.«
Das war also Ihr erster Schritt, nicht wahr? Das wurde dem Auswärtigen Amt zusammen mit anderen Vorschlägen unterbreitet?
RAEDER: Aber selbstverständlich. Die erste Maßnahme war, daß bewaffnete Handelsschiffe beschossen werden könnten. Denn schon am 6. oder 8. September hatte ein U-Boot ein Handelsschiff, »Manar« mit Namen, angehalten, hatte einen Warnungsschuß gefeuert und war sofort von dem englischen Dampfer wieder beschossen worden, worauf es das Feuer auf das Handelsschiff eröffnete. Also diese Fälle lagen vor. Und da man nicht unter allen Umständen erkennen kann, ob das Schiff bewaffnet ist oder nicht, so nahmen wir an, daß es dazu kommen würde, alle Schiffe zu beschießen. Aber damals wurde erst befohlen, daß nur bewaffnete englische Handelsschiffe beschossen würden. Zweitens, daß Schiffe, die bei Anhaltung einen Funkspruch machten, ebenfalls beschossen werden konnten; denn diese Funktätigkeit, die im Auftrage der Admiralität stattfand, die führte dahin, daß sofort See- und Luftstreitkräfte, letztere vor allen Dingen, nach den betreffenden Punkten hinliefen und das U-Boot beschossen.
Also, die erste Verschärfung war Beschießung bewaffneter Handelsschiffe – da wurden die Passagierdampfer noch ausgenommen –, und zweitens die Beschießung von abgeblendeten Fahrzeugen und solchen, die Funktätigkeit machten. Abgeblendete Fahrzeuge sind nach...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Wollen Sie sich nun D-853 ansehen. Bitte, nur das nächste Dokument, das GB-470 wird. Ich möchte, daß Sie so bald wie möglich zu diesem Memorandum kommen, von dem Sie sprachen.
D-853 ist, wenn Sie sich den Abschnitt II ansehen wollen, ein Bericht des Unterstaatssekretärs des Auswärtigen Amtes, datiert 27. September, und behandelt die Angelegenheiten, von denen Sie eben gesprochen haben: das warnungslose Versenken von französischen und britischen Schiffen in der Annahme, daß sie bewaffnet seien. In Abschnitt II heißt es:
»Die Seekriegsleitung stellte erneut in Aussicht, daß voraussichtlich in kürzester Frist vom Führer der rücksichtslose U-Bootkrieg im Sperrgebiet angeordnet werden wird. Vorherige Beteiligung des Auswärtigen Amtes bleibt sichergestellt.«
Bestanden Sie immer noch auf einer uneingeschränkten Kriegführung innerhalb eines großen Seegebietes westlich von und um England herum?
RAEDER: Jawohl, insofern, als auf die verschiedenen Feststellungen hin – bezüglich des Benehmens der feindlichen Streitkräfte – wir Zug um Zug verschärften, und zwar in den Punkten, in denen eine Verschärfung durchaus gerechtfertigt war und rechtlich auch nachgewiesen wurde.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich mal Freiherrn von Weizsäckers Niederschrift vom 14. Oktober ansehen. Es ist D-857 und wird GB-471.
Sie sehen, das liegt zeitlich nach den Maßnahmen, die Sie soeben dem Gerichtshof erklärt haben. Freiherr von Weizsäcker berichtet dem Angeklagten von Ribbentrop:
»Nach meiner Information steht die Entscheidung über die Eröffnung des uneingeschränkten U-Bootkrieges gegen England bevor. Diese Entscheidung ist mindestens eine ebenso politische wie eine kriegstechnische.
Meine persönliche Meinung, daß nämlich der uneingeschränkte U-Bootkrieg jetzt neue Gegner auf uns ziehen würde, ohne daß wir bereits im Besitze der nötigen U-Boote sind, um England niederzuringen, habe ich vor kurzem schriftlich unterbreitet. Andererseits hat die Marine für ihren Standpunkt sehr einleuchtende Gründe, um auf die Eröffnung des uneingeschränkten U-Bootkrieges zu drängen.«
Dann sagt er, es sei nötig, gewisse Informationen einzuziehen. Zu diesem Punkt haben Sie Ihr Memorandum vom 15. Oktober vorgelegt, das ist Dokument C-157 und wird GB-224.
RAEDER: Ich darf zu dem vorherigen Dokument noch etwas sagen?... Dieser Ausdruck »uneingeschränkter U-Boot...«
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können das später tun, denn wir haben hier viele Themen zu erledigen.
VORSITZENDER: Sir David! Der Gerichtshof ist der Ansicht, man müsse ihm erlauben, seine Meinung zu dem Dokument zu äußern.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Verzeihung, Euer Lordschaft. Bitte fahren Sie fort, Angeklagter! Es war meine Schuld.
RAEDER: Ja, nun sind die beiden Dokumente weg. Also ich wollte sagen, daß dieser Ausdruck »uneingeschränkter U-Bootkrieg« von seiten des Auswärtigen Amtes aus dem vorherigen Krieg herstammt. Wir haben in Wirklichkeit während des ganzen Krieges jetzt keinen uneingeschränkten U-Bootkrieg geführt im Sinne des uneingeschränkten U-Bootkrieges des ersten Weltkrieges, sondern wir haben auch hier, wo er sagt, der uneingeschränkte U-Bootkrieg stünde bevor, nur ganz beschränkte Maßnahmen getroffen, die stets den Vorgang hatten, daß von den Engländern ihrerseits irgend etwas angeordnet war; und das war hauptsächlich, daß von seiten der Engländer ja die ganze Handelsschiffahrt gewissermaßen militärisch organisiert wurde, das heißt, es wurde die Handelsschiffahrt bewaffnet, und sie bekamen den Befehl, diese Waffen zu gebrauchen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich sehe nicht ein, wie man das aus dem letzten Dokument überhaupt entnehmen kann; wenn der Gerichtshof es nicht erörtern will, werden wir weitergehen.
Ist Euer Lordschaft nicht derselben Ansicht?
RAEDER: Aus beiden Dokumenten, nicht aus einem nur...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben diesen Punkt heute nachmittag wenigstens siebenmal vorgebracht, denke ich. Ich unterstelle, daß der wahre Zweck Ihres U-Bootkrieges im ersten Absatz des Memorandums erklärt ist. Sehen Sie ihn doch bitte an. Sie sehen: »Berlin, 15. Oktober...«
RAEDER: Nein, ich muß noch weiter erklären, daß es sich gar nicht um solch uneingeschränkten U-Bootkrieg handelt, sondern nur um Verschärfung der Maßnahmen, Zug um Zug, wie ich das immer wieder betont habe, und daß das immer genau nach einer Maßnahme der Engländer erfolgte. Die Engländer...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich unterstelle, daß das eine glatte Unwahrheit ist, und das werde ich Ihnen in dem Dokument jetzt zeigen. Sehen Sie sich Ihr eigenes Dokument, dies Memorandum, einmal an. Im ersten Absatz:
»Der Vorschlag des Führers zur Wiederherstellung...«
RAEDER: Ich sage ja gar keine Unwahrheit, ich denke ja gar nicht daran. Ich verbitte mir das.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gerade das halte ich Ihnen vor und werde es durch dieses Dokument beweisen:
»Der Vorschlag des Führers zur Wiederherstellung eines gerechten, ehrenvollen Friedens und zur Neuregelung der politischen Ordnung in Mitteleuropa ist abgelehnt. Die Feindmächte wollen den Krieg mit dem Ziel der Vernichtung Deutschlands. In dem Kampf, in dem nunmehr Deutschland seine Existenz und sein Recht zu verteidigen gezwungen ist, muß es unter voller Achtung der Gebote soldatischer Kampfsittlichkeit seine Waffen mit rücksichtsloser Schärfe zum Einsatz bringen.«
Nun wollen wir mal sehen, was Sie vorschlagen.
»Der Hauptgegner Deutschlands in diesem Kriege ist England. Seine verwundbarste Stelle ist der Seehandel. Der militärische Seekrieg gegen England ist daher als Wirtschaftskrieg zu führen mit dem Ziel, den Kampfwillen Englands in kürzester Zeit zu zerstören und seine Friedensbereitschaft zu erzwingen.«
Nun überspringen Sie einen Absatz und lesen den nächsten:
»Das Hauptobjekt der Seekriegführung ist das Handelsschiff, und zwar nicht nur das feindliche, sondern überhaupt jedes Handelsschiff, das zur Versorgung der feindlichen Kriegswirtschaft in der Einfuhr sowie in der Ausfuhr die See befährt. Daneben bleibt das feindliche Kriegsschiff gleichfalls Kampfobjekt.«
Nun, war das nicht das Ziel, das Sie und Ihre Seekriegsleitung Hitler und dem Auswärtigen Amt nahe legten, nämlich Englands Kampfwillen völlig erbarmungslos zu zerstören und jedes nach England fahrende oder von dort kommende Handelsschiff anzugreifen? War das nicht Ihr Ziel?
RAEDER: Selbstverständlich. Aber Angriffe auf die Neutralen nur insofern, als sie gewarnt wurden und ihnen geraten wurde, bestimmte Gebiete nicht zu befahren. Im Handelskrieg ist durch alle Jahrhunderte das feindliche Handelsschiff, ebenso wie das neutrale Handelsschiff, Gegenstand des Angriffes gewesen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wollen doch dem Gerichtshof nicht erzählen, daß Sie die Erteilung von Warnungen vorgeschlagen haben. Wollen Sie dem Gerichtshof ernstlich sagen, dieser Absatz bedeute, daß neutrale Schiffe nur nach Warnung angegriffen werden sollten?
RAEDER: Selbstverständlich, so wie es war. Wir haben ja nachher auch die Warnung erteilt, wie wir das Blockadegebiet nach dem amerikanischen Blockadegebiet ausrichteten, daß die Schiffe, neutrale Schiffe, da nicht hineinfahren dürften, weil sie sich den größten Gefahren aussetzten. Das will ich behaupten – ich kann es auch nachweisen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich unterstelle, daß das unwahr ist, und ich werde Ihnen das aus dem Dokument beweisen. Wenden Sie bitte auf Seite...
RAEDER: Am 24. November ist diese Warnung herausgegeben worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie nun Abschnitt C dieses Dokuments lesen wollen:
»Militärische Forderungen für den Entscheidungskampf gegen England:
Die militärische Seekriegführung muß die zur Verfügung stehenden Kampfmittel so wirksam wie möglich zum Einsatz bringen. Hierbei sind die größten militärischen Erfolgsaussichten zu erwarten, wenn mit rücksichtsloser Schärfe gegen die englischen Seeverbindungen überall da, wo sie für uns erreichbar sind, vorgegangen wird mit dem Endziel, jede Einfuhr nach England, sowie jede Ausfuhr aus England zu verhindern. Die Schonung der neutralen Interessen ist anzustreben, soweit es ohne Beeinträchtigung militärischer Erfordernisse möglich ist. Eine Stützung der getroffenen militärischen Maßnahmen auf das bestehende Völkerrecht bleibt erwünscht; militärisch als notwendig erkannte Maßnahmen müssen aber, sofern sie kriegsentscheidende Erfolge erwarten lassen, auch dann durchgeführt werden, wenn das geltende Völkerrecht nicht auf sie Anwendung finden kann.«
Haben Sie also gegenüber dem Auswärtigen Amt und dem Führer nicht folgende Ansicht vertreten: Fügen Sie sich dem Völkerrecht, solange Sie können. Wenn aber das Völkerrecht mit dem nicht übereinstimmt, was für einen militärischen Erfolg nötig ist, werfen Sie das Völkerrecht über Bord.
War das nicht Ihre Ansicht?
RAEDER: Nein, das ist ganz falsch ausgedrückt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, dann erklären Sie diese Worte:
»Die Schonung der neutralen Interessen ist anzustreben, soweit es ohne Beeinträchtigung militärischer Erfordernisse möglich ist. Eine Stützung der getroffenen militärischen Maßnahmen auf das bestehende Völkerrecht bleibt erwünscht; militärisch als notwendig erkannte Maßnahmen müssen aber, sofern sie kriegsentscheidende Erfolge erwarten lassen, auch dann durchgeführt werden, wenn das geltende Völkerrecht nicht auf sie Anwendung finden kann.«
Was meinten Sie damit, wenn nicht das Völkerrecht über Bord zu werfen?
RAEDER: Ja, da steht:
»Wenn das geltende Kriegsrecht nicht auf sie Anwendung finden kann.«
Es war ja allgemein bekannt, daß das Völkerrecht auf die ganze Art des U-Bootkrieges noch nicht abgestimmt war, ebensowenig wie es in der damaligen Zeit auf die Verwendung der Flugzeuge abgestimmt war. Und nun wird gesagt:
»Grundsätzlich muß daher das militärische, zur Brechung der feindlichen Widerstandskraft wirksame Kampfmittel rechtspolitisch gestützt werden, auch wenn damit neues Seekriegsrecht geschaffen wird.«
Und zwar neues Seekriegsrecht auf Grund der Tatsachenentwicklung.
Und in dem ganzen Kriege hat sich dauernd neues Seekriegsrecht entwickelt, gerade von den Neutralen ausgehend. Zum Beispiel hat die Panamerikanische Sicherheitskonferenz eine Sicherheitszone von 300 Seemeilen um die amerikanischen Küsten gelegt, womit sie ein ungeheures Seegebiet für den Handel sperrte. Ebenso haben die USA, was uns in diesem Falle nur sehr unangenehm war, eine Kampfzone um England geschaffen, von der sie selbst behaupteten am 4. November 1939, daß es für neutrale Schiffe äußerst gefährlich wäre, dorthin zu fahren, und sie verboten, daß ihre Schiffe und ihre Bürger in diese Zone fuhren. Daran haben wir angeknüpft und haben die Neutralen gebeten, sie möchten ebenso verfahren wie die USA, dann würden sie nicht geschädigt werden. Aber es fuhren dann nach England ja nur solche Neutrale, die Konterbande brachten und dadurch viel Geld verdienten, oder aber von den Engländern gezwungen wurden, durch ihre Kontrollhäfen in dieses Gebiet einzufahren und sich diesen Gefahren doch auszusetzen. Sie waren natürlich absolut frei, das zu unterlassen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun sagen Sie mir, welche Veränderungen ergaben sich in der Entwicklung von Flugzeugen oder U-Booten von der Zeit an, in der Deutschland das U-Boot-Protokoll von 1936 unterzeichnete, bis zum Beginn des Krieges? Sie sagen, daß das Völkerrecht sich den veränderten Waffen anpassen mußte. Welche Veränderungen haben nun zwischen 1936 und 1939 stattgefunden?
RAEDER: Es haben die... Folgende Änderung hat stattgefunden: Daß wir das U-Boot-Protokoll von 1936 unterschrieben haben, weil wir annahmen, daß es sich um friedfertige Handlungen...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das beantwortet meine Frage nicht. Meine Frage ist ganz klar. Sie lautet: Welche Veränderungen in Kriegswaffen entweder in der Luft oder unter Wasser haben zwischen 1936 und 1939 stattgefunden? Das ist die Frage. Sie sind doch ein Marineoffizier mit fünfzigjähriger Erfahrung. Sagen Sie mir, welche Veränderungen haben stattgefunden?
RAEDER: Es hat sich ergeben, daß durch das Flugzeug das U-Boot nicht mehr in der Lage war, aufzutauchen und feindliche Schiffe zu untersuchen und irgendwelche Handelsschiffe zu untersuchen, insbesondere im feindlichen Küstenvorfeld, wo sich der U- Bootkrieg zunächst abspielte. Über Flugzeuge war überhaupt keine Bestimmung erlassen.
VORSITZENDER: Angeklagter! Das ist keine Antwort auf die Frage. Die Frage, die an Sie gerichtet wurde, lautete: Welche Veränderungen in den Kriegswaffen, am Flugzeug oder am U-Boot haben stattgefunden?
RAEDER: Ja, Herr Präsident, sie haben eben am Flugzeug stattgefunden. Die immer größere Leistungsfähigkeit der Flugzeuge und die Ausdehnung der Verwendung auch über See hat dazu geführt, daß auf See kein Untersuchen von Handelsschiffen stattfinden konnte, ohne daß ein Flugzeug herbeigerufen wurde und das U-Boot bedrohte. Das ist ja nachher immer schlimmer geworden, so daß nachher sogar das Retten angesichts der feindlichen Flugzeuge eingeschränkt werden mußte. Damit ist der ganze U-Bootkrieg vollkommen umgekrempelt worden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ist das die einzige Veränderung, die Sie uns angeben können, um Ihre Erklärung zu rechtfertigen, daß das Völkerrecht über Bord zu werfen sei, wenn es mit den militärischen Erfordernissen nicht in Einklang stehe? Ist das nun die einzige Veränderung, das Steigen der Kampfkraft der Flugzeuge zwischen 1936 und 1939?
RAEDER: Ich habe schon mal gesagt, es wurde nicht aus dem Fenster geworfen, sondern es sollte eingeschränkt und abgeändert werden, und das ist ja auch von anderen Seiten geschehen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie nun einen Blick auf den nächsten Absatz werfen. Sie sprachen darin über Ihre Rücksichtnahme auf Neutrale. Auf Seite 5 oben im englischen Text; es ist der Absatz, der auf den soeben verlesenen folgt. Sie sagen:
»Grundsätzlich muß daher das militärische, zur Brechung der feindlichen Widerstandskraft wirksame Kriegsmittel rechtspolitisch gestützt werden, auch wenn damit neues Seekriegsrecht geschaffen wird.
Die Oberste Kriegsleitung muß nach Abwägen der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Folgerungen im Rahmen der Gesamtkriegführung darüber entscheiden, welches militärische und kriegsrechtspolitische Verfahren zur Anwendung kommen soll. Ist die Entscheidung für die schärfste Handelskriegsform in Richtung der militärischen Forderung gefallen, so muß an ihr unter allen Umständen und endgültig festgehalten werden.
Keinesfalls darf, wie es im Weltkrieg verhängnisvoll geschehen ist, der einmal gefaßte Entschluß für die schärfste Form des Handelskrieges unter dem politischen Gegendruck der Neutralen wieder fallengelassen werden oder eine spätere Auflockerung erfahren. Sämtliche Einsprüche der Neutralen müssen zurückgewiesen werden. Auch Drohungen mit einem Eintritt weiterer Staaten, insbesondere der Vereinigten Staaten von Amerika, in den Krieg, der bei langer Fortdauer des Krieges mit Sicherheit erwartet werden muß, dürfen nicht zu Einschränkungen in der einmal aufgenommenen Handelskriegform führen. Je brutaler die Handelskriegführung, um so früher die Wirkung, um so kürzer also der Krieg.«
RAEDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Stimmen Sie mit diesem Vorschlag und diesem Standpunkt, der in dem eben verlesenen Absatz zum Ausdruck kommt, überein?
RAEDER: Er ist nämlich ganz anders zu verstehen als Sie es hier vorführen wollen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ganz anders als das, was im Text steht...
RAEDER: Nein, nicht was drinnen steht. Es handelt sich darum, daß wir in Erfahrung gebracht hatten im ersten Weltkrieg, daß, sobald eine Verschärfung angeordnet war und mitgeteilt war, und sobald erst Neutrale ihren Finger erhoben und dagegen Einspruch erhoben, daß dann sofort diese Maßnahme rückgängig gemacht wurde, besonders wenn die USA dabei beteiligt waren. Und jetzt sage ich hier, es muß unter allen Umständen vermieden werden, daß wir immer gleich wieder zurückziehen und warne in dem Sinne, daß wir unsere Maßnahmen so gründlich wie möglich überlegen müssen. Deswegen auch Besprechung mit dem Auswärtigen Amt und so weiter, um zu verhindern, daß nachher wieder zurückgezogen wird und daß dadurch ein großer Prestigeverlust und ein Verlust an Wirkung eintritt. Das ist der Grund. Es sind auch an England sehr viele Proteste gegangen und meistenteils gar nicht beantwortet worden. Ich kann hier anführen aus Dokument C-170, US-136, wo die vielen Nummern drin sind, Nummer 14, da steht:
»Scharfe russische Note gegen die englische Blockadekriegführung am 20. Oktober 1939«
und da steht unter Nummer 17, am 31. Oktober:
»Politische Rede von Molotow...«
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe Sie nur gefragt, ob das ein ordnungsgemäßes Verfahren war.
RAEDER: Ich muß eine Erklärung abgeben zu dieser Sache, da bin ich gerade dabei, scharfe Angriffe gegen englische Blockade in Verletzung des Internationalen Rechtes – diese Angriffe wurden von Herrn Molotow ausgesprochen. Also Einsprüche haben auch da stattgefunden und sind abgelehnt worden. Aber ich wollte gerade Einsprüche verhindern, und dieses ganze Dokument zeigt, daß unsere Überlegungen immer dahin gingen, unsere Maßnahmen so zu treffen, daß sie nicht zurückgewiesen werden konnten, sondern immer rechtlich noch begründet waren.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie mir bitte sagen, wie man Einsprüche verhindern kann, wenn Sie in diesem Absatz vorschlagen, rücksichtsloseste Maßnahmen ohne Rücksicht auf die Proteste Neutraler anzuwenden. Wie kann man damit Einsprüche vermeiden?
RAEDER: Die Maßnahmen sollten so getroffen werden, daß Einwände nicht möglich waren. Wenn ich den Neutralen sage: »Dieses Gebiet ist gefährdet auf jede Weise«, und sie fahren doch dahin, weil sie Geld verdienen wollen oder von England gezwungen wurden, dann brauche ich einen Protest nicht anzunehmen. Sie handeln aus egoistischen Gründen und haben sich das selbst zuzuschreiben, wenn sie dabei umkommen. Ich darf noch dazu sagen...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist wahr. Sie müssen die Rechnung bezahlen, wenn sie dabei umkommen. Das bedeutete es, nicht wahr?
RAEDER: Sie kriegten ganz große Prämien dafür, daß sie sich diesem Risiko aussetzten, und das war ja ihre Sache, das zu entscheiden.
VORSITZENDER: Sir David! Wir wollen eine kurze Pause eintreten lassen.