HOME

<< Zurück
|
Vorwärts >>

[Das Dokument wird dem Zeugen überreicht.]

Es heißt da, daß Sie den Angeklagten von Ribbentrop nicht erreichen konnten und deshalb Freiherrn von Weizsäcker baten, eine Entscheidung über folgende Punkte herbeizuführen:

»1. Die Genehmigung für deutsche Seestreitkräfte, im westlichen Teil des Atlantischen Ozeans bis an die international übliche Dreimeilengrenze frei operieren zu dürfen.

2. Die Aufhebung der Vorzugsstellung, welche bisher die amerikanischen Handelsschiffe in unserer Seekriegführung genossen.«

Jetzt lege ich Ihnen Nummer D-850, das GB-473 wird, vor.

[Das Dokument wird dem Zeugen überreicht.]

Ihr im April vorgebrachter Vorschlag ist im Juni von Hitler abgewiesen worden. Es handelt sich um eine Aktennotiz von Ritter im Auswärtigen Amt und lautet folgendermaßen:

»General Jodl teilt mir mit, daß bei dem kürzlichen Vortrag des Großadmirals Raeder beim Führer die wei tergehenden Befehle an die Seestreitkräfte, wie sie im Zusammenhang mit dem Raeder-Interview erörtert wurden, bis auf weiteres zurückgestellt worden sind.

Ebenso ist der Angriff auf nordamerikanische Handelsschiffe im Rahmen der Prisenordnung nicht freigegeben worden.«

Ihr Vorschlag ging dahin, die damals geübte Politik aufzugeben und bis zur Dreimeilenzone anzugreifen. Ich möchte nun, daß Sie sich einem anderen Punkt zuwenden...

RAEDER: Nein, bitte sehr, ich darf mich wohl erst dazu äußern, eine Erklärung in dieser Hinsicht machen. Ich möchte mich dazu äußern, auch wenn Sie keine Frage stellen. Es stimmt ja nicht.

Also in der Zeit, im März 1941 und am 1. April und den folgenden Daten im Jahre 1941, fanden eine ganze Anzahl von Verschärfungen seitens der USA statt, die ich heute morgen von dem Papier, das ich vor mir hatte, aufgezählt hatte. Infolgedessen lag es nahe, daß ich dafür eintrat, von Seiten der Seekriegsleitung, die ja einen möglichst wirkungsvollen Seekrieg führen sollte, darauf zu dringen, daß auch den USA gegenüber die völkerrechtlich möglichen Schritte unternommen wurden, und zwar, daß damit langsam angefangen würde, und dazu gehörte: Erstens: Daß man diese 300-Meilen-Grenze nicht mehr respektierte, sondern bis an die Drei-Seemeilen-Grenze, wo also nach dem üblichen Völkerrecht es möglich war anzugreifen, herangeht. Also, nichts gegen das Völkerrecht, das ist nur das Aufheben von gewissen Vergünstigungen, die wir gegenüber den USA eingeräumt hatten. Und der Punkt zwei: Die Aufhebung der Vorzugsstellung...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Genau dasselbe behaupte ich ja auch. Es besteht keine Meinungsverschiedenheit zwischen uns. Ich wollte nur diesen Punkt festgestellt haben.

RAEDER: Ja..., nein,...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, jetzt möchte ich, daß Sie...

RAEDER: Ich möchte nur sagen, daß gerade in der Verhandlung mit dem Großadmiral Dönitz von uns... von seiten der Anklagevertretung verlangt war, wir dürfen nicht einzelne Neutrale bevorzugen, sondern wir müssen sie alle gleichmäßig behandeln, das heißt also auf deutsch, wir müssen sie alle versenken, ganz egal, ob wir es selbst wollten, und dazu waren wir ja nicht verpflichtet. Das zweite: Es war selbstverständlich, daß ein durchaus berechtigter Vorschlag von mir, vom Standpunkt der Seekriegsleitung, vom Führer abgelehnt wurde, wenn er nach der politischen Lage der Auffassung war, daß er jetzt keine Verschärfung unserer Stellung gegenüber den USA eintreten lassen wollte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, jetzt möchte ich, daß Sie sich einem ganz anderen Punkte zuwenden. Sagten Sie nicht, daß Sie nichts über die Ausrottung der Juden in den Ostgebieten wußten?

RAEDER: [Keine Antwort.]

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sagten Sie nicht, daß Sie über die Ausrottung der Juden in den Ostgebieten nichts wußten?

RAEDER: Ich sage ganz klar unter meinem Eid, daß ich auch nicht das Geringste davon wußte. Ich kann vielleicht zur Erklärung hinzufügen, daß Hitler mit einem Mann wie mir, dessen Einstellung er kannte, unter gar keinen Umständen über solche Sachen sprach, zumal er befürchtete, daß von meiner Seite sehr scharfer Widerstand eintreten würde. Ich habe neulich schon erklärt, warum ich das Wort Juden in meiner Gedenkrede erwähnt habe. Dazu war ich meiner Ansicht nach verpflichtet. Das hatte aber mit einer Ausrottung der Juden nichts zu tun. Ich habe von Judensachen nur erfahren...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun...

RAEDER: Bitte sehr, einen Augenblick... von Juden habe ich nur erfahren, wenn bekannte Juden, meist Freunde meiner alten Eltern, sich an mich wandten und erklärten, sie sollten evakuiert werden aus Berlin und ich dann für sie eintrat – das ist das einzige – und mir wurde da gesagt, wenn ich fragte, sie sollten evakuiert werden in Städte, in denen sich Ghettos befinden. Ein Ghetto war für mich immer ein Stadtviertel, in dem die Juden gemeinsam wohnten, so daß sie sich nicht zwischen der übrigen Bevölkerung aufhielten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Meine Frage war nur, ob Sie davon wußten oder nicht, Sie hätten sie mit »Ja« oder »Nein« beantworten können. Ich möchte nun Ihre Antwort, über einen gewissen...

RAEDER: Ja, ich muß aber... gerade zu diesem Punkt ist man ja doch so vielfach gefragt worden, und weil eigentlich jeder Mann in meiner Lebensstellung und in der Orientierung, die man hatte, dasselbe sagt, er wüßte nichts davon, lag mir daran, einmal klarzustellen, daß man gar nicht zur Kenntnis solcher Tatsachen kam, denn Zivilpersonen sprachen wirklich nicht mit einem über solche Sachen, weil Sie immer die Scheu hatten, daß sie sich etwas an den Hals redeten, wenn sie überhaupt über solche Sachen sprachen. Der Führer sprach nicht; mit Himmler hatte ich keine Beziehungen, und mit sonstigen Organen der Gestapo auch nicht. Ich wußte nichts davon.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will nur, daß Sie dem Gerichtshof sagen, wie Ihr Befehlsweg an der Ostseeküste aussah. Ist es richtig, daß es ein Marineoberkommando gab, dann den Stationschef der Ostsee in Reval und unter ihm ein Kommando in Libau? Stimmt das? War das Ihr Befehlsweg?

RAEDER: Ich habe das nicht verstanden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: War Ihr Befehlsweg für die Ostseeküste: Kiel-Stationschef der Ostsee in Reval und dann ein ihm unterstehendes Kommando in Libau?

RAEDER: Ich nehme an, daß es... es kommt auf die Sache an. Wenn es operative Sachen waren, dann ging das über den Marinegruppenbefehlshaber Ost oder Nord, und wenn es organisatorische Dinge waren, kann es sein, daß es über den Stationschef der Ostsee ging.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Aber auf alle Fälle hatten Sie im Jahre 1941 ein Marineoberkommando in Libau, nicht wahr?

RAEDER: Jawohl, selbstverständlich.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich bitte Dokument D-841 an, das eine eidesstattliche Aussage eines Marinebeamten in Libau ist.

Euer Lordschaft, das wird GB-474.

Der Zeuge sagt: Eidesstattliche Erklärung von Walter Kurt Dittmann, und dann heißt es:

»Ich war Marine-Verwaltungsinspektor und Dienststellenleiter des Marinebekleidungslagers in Libau in Lettland.

Diese Stellung hatte ich inne von Anfang August 1941 bis Ende März 1942.

Die jüdische Bevölkerung soll ca. 7000 Personen in Libau stark gewesen sein zu der Zeit.

Bis Ende März 1942 waren dort bereits viele Tausende von der Gestapo und der lettischen Polizei ›evakuiert‹ worden.

Evakuiert war der Ausdruck dort für die Beseitigung dieser Menschen.

Alle Juden waren registriert. Wenn ein neuer Schub evakuiert werden sollte, ging dies folgendermaßen vor sich: Die lettische Polizei holte die Juden aus ihren Häusern, lud sie auf Lastwagen und fuhr sie in den Kriegshafen, ca. 6 bis 7 Kilometer außerhalb der Stadt. Später hatten die Leute zu marschieren und wurden nicht mehr mit Lastautos dorthin gebracht. Im Kriegshafen wurden diese Menschen dann dort mit Maschinengewehren erschossen. Dies geschah durch die Gestapo und die lettische Polizei. Die Polizei unterstand der deutschen Gestapo natürlich.

Ich selbst habe dieses nicht persönlich mit angesehen, aber Kameraden schilderten mir diese Vorfälle.

Die Juden, bevor sie erschossen wurden, arbeiteten zum Teil für die Marine.

Im Bekleidungslager arbeiteten ca. 80 bis 100 Personen per Tag.

Bei der Standortverwaltung arbeiteten ca. 100 bis 150 Personen per Tag.

Bei dem Standort-Bauamt (Marine) arbeiteten ca. 50 Personen per Tag.

Durch diesen Kontakt und durch persönliche Besuche in den Häusern von Juden hörte ich viel über die fürchterlichen Vorkommnisse in Libau während dieser Monate. Ich ging persönlich zu meinem Vorgesetzten, Festungsintendanten Dr. Lancelle, und vordem war ich noch bei einem anderen Vorgesetzten, Lazarettverwaltungsvorsteher Müller, die beide Marineverwaltungsbeamte waren, und machte sie aufmerksam auf die bereits geschilderten Mißstände.

Die Antwort, die ich bekam, war, daß sie nichts unternehmen könnten und daß man solche Sachen am besten übersehe.

Der Marineverwaltungsassistent Kurt Traunecker brachte einen Transport Bekleidung von Kiel nach Libau. Er blieb einige Wochen in Libau und gab seiner Mißbilligung über die dort herrschenden Zustände in Bezug auf die Ausrottung der Juden Ausdruck.

Er ging dann zurück nach Kiel zu dem dortigen Bekleidungsamt. Dort äußerte er sich ebenfalls mißbilligend und wurde daraufhin zur Marine-Intendantur vorgeladen. Wen er dort sah, weiß ich nicht. Aber es wurde ihm bedeutet, diese Sachen wären nicht wahr, und er sollte darüber nicht mehr sprechen, da er sonst, die größten Unannehmlichkeiten haben könnte.

Ich persönlich muß annehmen, daß die höheren Dienststellen der Marine in Kiel und in anderen Plätzen in Deutschland von diesen schrecklichen Zuständen gewußt haben müssen.«

Behaupten Sie, Angeklagter, es hätte Ihnen, obwohl Sie Marineabteilungen an der Ostküste der Ostsee, wo diese Dinge geschehen sind, besessen haben, niemand darüber Bericht erstattet, daß Juden in den Ostgebieten zu Tausenden abgeschlachtet worden sind? Behaupten Sie das immer noch?

RAEDER: Jawohl, ich wußte nichts davon.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was hat denn Ihr Stab gemacht, wenn er Ihnen nichts darüber berichtet hat? Hatten Sie einen tüchtigen Stab? Sie sagten doch, Sie hatten einen tüchtigen Stab?

RAEDER: Das ist eine Frage, die gar nicht hierher gehört. Ich hatte selbstverständlich nur tüchtige Offiziere in meiner Umgebung. Hier handelt es sich um Sachen, die gar nicht von der Marine gemacht worden sind, sondern es steht an allen Stellen, es wäre die Polizei und so weiter gewesen. Ich bin sogar einmal in Libau gewesen, und da ist mir gesagt worden, als einziges in dieser Angelegenheit, daß es merkwürdig wäre, daß in Libau die Juden ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit vielfach Handwerker wären und daß sie infolgedessen dort auch nützliche Dienste leisteten. Das ist das einzige, was ich davon gehört habe. Über irgendwelche Ausrottung...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wann waren Sie in Libau?

RAEDER: Das kann ich jetzt weiter nicht sagen, es war in einem Jahre, nachdem es eingenommen war, wahrscheinlich gleich hinterher.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Waren Sie 1941 oder 1942 dort?

RAEDER: Ich sagte Ihnen eben, daß ich es nicht mehr genau weiß.. Ich muß nachsehen, wo das steht.... Es steht ja hier auch gar nicht, daß irgend etwas gemeldet worden ist, sondern es ist im Rahmen der Marineleitung offenbar besprochen worden, und die Marine-Intendantur, die berichtet nicht an mich. Ich würde ganz sicher eingegriffen haben, wenn ich so etwas gehört hätte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Glauben Sie das wirklich? Nun, ich will das jetzt beiseite lassen. Erzählen Sie mir etwas über den Kommandobefehl vom 18. Oktober 1942. Sie erhielten Hitlers Kommandobefehl und haben ihn an die verschiedenen Marineabteilungen weitergegeben, nicht wahr?

RAEDER: Jawohl, ich habe es durch die Seekriegsleitung weitergegeben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie das befürwortet?

RAEDER: Ich habe es nicht befürwortet, sondern ich habe es weitergegeben. Ich muß dazu eine Erklärung abgeben, wenn Sie wissen wollen, wie ich dazu dachte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das frage ich Sie nicht. Ich frage Sie: – beantworten Sie zuerst meine Frage – Haben Sie den Befehl befürwortet, Kommandos zu erschießen oder sie dem SD zur Erschießung zu übergeben?

RAEDER: Ich habe den Befehl nicht befürwortet, sondern ich habe ihn so, wie der Führer ihn aufgesetzt hat, und wie er in meine Hände gelangte, weitergegeben entsprechend diesem Befehl, mit dem gleichen Vermerk, daß er weiterzugeben ist und wie er nachher zurückzugeben ist. Das war von Hitler alles genau befohlen. Für mich war maßgebend, daß in einem der ersten Absätze die Fälle standen, worauf sich dieser Befehl gründete und die, weswegen Hitler eine Abweichung von dem Internationalen Recht für gerechtfertigt hielt. Es kam noch hinzu, daß ich kurz vorher in Dieppe gewesen war in Frankreich und dort erfuhr, daß bei dem Kommandounternehmen der Engländer in Frankreich, Gefangene – ich glaube sie waren vom Arbeitsdienst – die an der Küste arbeiteten, so gefesselt worden waren, daß eine Schlinge um ihren Hals gelegt war und das andere Ende der Schlinge um den umgebogenen Unterschenkel, so daß, wenn der Unterschenkel erlahmte, die Schlinge sich zuzog und der Mann erstickte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Beantworten Sie meine Frage: Haben Sie diesen Befehl befürwortet oder nicht? Sie haben das noch nicht beantwortet; haben Sie den Befehl befürwortet?

RAEDER: Ich sagte Ihnen immer... ja ich habe... nein ich sage auch nicht... das habe ich schon zweimal gesagt, sondern ich habe ihn weitergegeben, weil ein Befehl meines Oberbefehlshabers vorlag. Dann kam hinzu, daß in einem der letzten Absätze stand, daß dieser Befehl nicht zutreffe für die Behandlung von Gefangenen nach Kämpfen auf See und Großlandungsunternehmungen, und da haben sowohl ich wie auch viele andere in der Marine das Hauptaugenmerk natürlich auf diesen Passus gesetzt, weil das unsere Haupttätigkeit war. Ich habe aber eben keine Veranlassung gefunden wegen dieses Befehls, den ich so begründet fand, Einspruch beim Führer zu erheben, und ich möchte das ganz glatt aussprechen, ich war als Soldat nicht in der Lage, zu meinem Obersten Befehlshaber und Staatsoberhaupt zu gehen und ihm zu sagen: jetzt zeigen Sie mir Ihre Unterlagen für diesen Befehl; das ist Meuterei, und das konnte unter gar keinen Umständen geschehen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Erinnern Sie sich an dieses eine Beispiel, über das wir in diesem Gerichtshof schon ausführlich gesprochen haben, bei dessen Erörterungen auch Sie zugehört haben müssen, nämlich an den Fall, in dem Marineangehörige mit einem Zwei-Mann-Torpedo versucht haben, den »Tirpitz« zu versenken. Erinnern Sie sich an diesen Fall? Sicher können Sie darauf ja oder nein antworten, denn entweder erinnern Sie sich oder nicht. Wir haben darüber etwa sechsmal gesprochen.

RAEDER: Ja, ich erinnere mich. Wenn ich mich erinnere, sagte ich auch »ja«. Es braucht gar nicht das Gegenteil angenommen zu werden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, daß während der Zeit, in der Sie Generalinspekteur oder Admiralinspekteur der deutschen Marine waren, ein Kommando der Kleinkampfverbände unter Vizeadmiral Helmut Heye aufgestellt wurde, zu dem auch die Ein-Mann-Torpedos gehörten, die Ein-Mann-U-Boote und die Sprengboote. Die Personalstärke war anfangs etwa 5000 Mann und stieg, glaube ich, bis zu 16000?

Wußten Sie etwas von diesem Kommando der Kleinkampfverbände bei der Marine? Wußten Sie davon?

RAEDER: Das wußte ich, jawohl, und daß sie ganz offen an der französischen und, ich glaube, später auch an der nordischen Küste operierten.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Hätten Sie es gebilligt, wenn die Alliierten irgendeinen dieser Tausende Ihrer Leute in diesem Kommando von Ein- und Zwei- Mann-Torpedos und Sprengbooten erschossen hätten? Hätten Sie das gebilligt, wenn wir sie ohne werteres erschossen hätten?

RAEDER: Erstens, was ich getan haben würde in einem bestimmten Fall, wo ich überhaupt nichts mehr zu tun hatte, darüber kann ich keine Auskunft geben, und zweitens, hier handelt...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Wenn Sie das nicht beantworten wollen, dann genügt mir das auch. Ich werde den Gerichtshof zu rechter Zeit darauf verweisen mit...

RAEDER: Bitte, zweitens, Sie haben mich wieder unterbrochen, ich will ja doch zweitens jetzt sagen, nachdem ich »erstens« gesagt habe. Und zweitens kämpften diese Verbände vollkommen offen unter der Küste, hatten keine Zivilisten an Bord und hatten auch keine sonstigen Mordinstrumente und so weiter für Sabotage an Bord. Es waren also vollkommen genau so Kämpfer wie Kämpfer in einem U-Boot. Ich weiß...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Genau dasselbe behaupte ich von unseren Kommandos, und ich will nicht darüber streiten.

Ich möchte mich einem anderen Punkt zuwenden. Ist das Logbuch über den »Athenia«-Fall auf Ihren Befehl gefälscht worden? Geschah es auf Ihren direkten Befehl?

RAEDER: Nein, gar nicht; ich habe ja neulich hier ausgeführt, daß mein Befehl lautete: Erstens: Völlige Geheimhaltung auf Befehl des Führers, zweitens: Die politische Behandlung erfolgt weiter durch OKM, und drittens: es war noch ein dritter Punkt, den ich gleich habe...: Ich will den Kommandanten nicht bestrafen, weil er bona fide gehandelt hat und einen Irrtum begangen hat. Das war das, was ich befohlen habe. Weiter habe ich gar nichts befohlen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wissen Sie, auf wessen Befehl das Logbuch gefälscht worden ist? Ich möchte es sehr gern wissen. Das Logbuch wurde gefälscht. Ich habe den Angeklagten Dönitz befragt. Er kann mir keine Antwort darauf geben. Er hat aber in einer eidesstattlichen Versicherung erklärt, man solle Ihnen die Beantwortung dieser Frage überlassen; und jetzt frage ich Sie, ob Sie mir das sagen können. Ich glaube, der Kommandant ist, soweit ich mich erinnere, tot, daher kann er mir keine Antwort geben. Wollen Sie behaupten, Sie könnten mir keine Auskunft darüber geben, auf wessen Befehl das Logbuch des Unterseebootes U-30, das die »Athenia« versenkte, gefälscht wurde?

RAEDER: Ich sagte schon, ich habe mit der Sache nichts zu tun, denn mit solchen Kleinigkeiten habe ich mich nun wahrhaft bei Gott nicht abgegeben, solche Einzelheiten anzuordnen. Und neulich hier bei der Besprechung... ich weiß nicht, ob der Admiral Wagner es gesagt hat, ist das ja schon erörtert worden, wer das getan hat. Ich nehme an, daß das innerhalb der Flottille geschehen ist.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sagen Sie mir noch folgendes über die »Athenia«: Sie haben neulich erklärt, Sie hätten diese Befehle gegeben und dann Ihre Hände in Unschuld gewaschen. Fast einen Monat später...

RAEDER: Ich sagte ja schon, ich hatte damit weiter nichts zu tun, denn Sie wissen ja...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie hatten nichts damit zu tun. Nach ungefähr einem Monat gab das Propagandaministerium bekannt – ich glaube, Sie sagten auf Hitlers Befehl – die »Athenia« sei von Churchill versenkt worden. Empfanden Sie es als Großadmiral und Chef der deutschen Marine nicht als Ihre Pflicht, Protest zu erheben gegen diese schändliche und lügenhafte Behauptung, der Erste Lord der Britischen Admiralität hätte eine große Anzahl englischer Bürger vorsätzlich in den Tod geschickt? Hielten Sie dies nicht für Ihre Pflicht?

RAEDER: Ich habe mit Hitler darüber gesprochen, und das geschah... aber es war ja geschehen, ohne daß wir irgend etwas ahnten. Es war mir außerordentlich peinlich, als der Erste Lord der Englischen Admiralität in dieser, man kann sagen rüpelhaften Weise angegriffen wurde, aber ich konnte nachträglich nichts ändern, und Hitler hat mir auch nicht zugegeben, daß er...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben sich anscheinend keine Gedanken darüber gemacht, überhaupt keine Gedanken...

RAEDER: Ich habe mir Gedanken gemacht, ich war empört darüber. Drehen Sie mir doch nicht immer die Worte im Munde herum, es ist ja alles zweck...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie auch Ihre Empörung in die Tat umgesetzt? Diese Frage stelle ich Ihnen nun.

RAEDER: In welche Tat?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Irgendeine Tat.

RAEDER: Ja.... Sollte Hitler Goebbels veranlassen, daß er nun diesen Artikel widerrief? Das tat Hitler nicht, wenn er selbst der Urheber gewesen war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will das nun ganz klar stellen. Sie unternahmen nichts, als Sie erfuhren, daß von Blomberg und von Fritsch, Ihre alten Freunde und Kameraden, unschuldig die Opfer einiger dieser Nazi-Verschwörer wurden. Sie haben doch nichts unternommen? Sie unternahmen doch nichts, um gegen diese Behandlung, die von Blomberg und von Fritsch widerfahren ist, Protest zu erheben? Sie unternahmen nichts, nicht wahr?

RAEDER: Nein, aber ich wußte ja zu der Zeit gar nichts von den Hintergründen, wie Sie heute morgen selbst gesagt haben. Ich wußte gar nichts von den Hintergründen. Ich habe mir später aus Sachen, die ich erfahren habe, allmählich ein Bild gemacht, denn ich war in der damaligen Zeit gar nicht in der Lage anzunehmen, daß solche Methoden überhaupt möglich wären.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich will Ihnen Ihre eigene, vor einem Jahr abgegebene Erklärung vorlegen. Ich möchte es nur ganz klarstellen, daß Sie sich das erstemal in Ihrem Leben, ich glaube, im März 1945 zu einem Protest entschlossen haben, als Sie an der Hand Ihres Freundes, des Herrn Geßler, tatsächlich die Foltermale sahen, und zu jener Zeit hatten die Sowjettruppen bereits die Oder überschritten, und die Alliierten den Rhein. Damals haben Sie das erstemal Protest erhoben, indem Sie Ihr goldenes Parteiabzeichen abgelegt haben. Das war der erste Protest, den Sie in Ihrer militärischen, politischen und Marinelaufbahn erhoben haben. Stimmt das?

RAEDER: Ach, keine Spur, ich habe erst nicht verstanden, was da eigentlich los war.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich will es wiederholen. Im März 1945 legten Sie das goldene Parteiabzeichen ab, als Sie die Foltermale an der Hand Ihres Freundes Geßler sahen. Ist das richtig?

RAEDER: Als Dr. Geßler, der trotz meiner Gegenvorstellung mehrere Monate im Konzentrationslager gewesen war, zurückkam aus dem KZ und mir mitteilte, er befände sich in vollkommen desolatem Zustand, daß trotz meiner Bitte im August, als er in das Konzentrationslager aufgenommen wurde und ich durch den Admiral Wagner den Führer aufgefordert hatte, er möge den Dr. Geßler schnell vernehmen lassen, da er bestimmt unschuldig an dem Attentat wäre, damit er möglichst bald entlassen würde, da...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Meine Frage lautet: Haben Sie zu jener Zeit Ihr Parteiabzeichen abgelegt? Beantworten Sie das. Sie können Ihre Erklärungen später abgeben.

RAEDER: Ja, nun warten Sie doch erst mal.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber bis dahin erhoben Sie keinerlei Protest gegen Hitlers Taten, ausgenommen den rein militärischen Einwand gegen den Einfall in die Sowjetunion?

RAEDER: Ich habe immer sehr ernste Einsprüche erhoben, das habe ich hier auch nachgewiesen, und der Adjutant, der General Schmundt, der sagte mir: »Sie erreichen noch am meisten, wenn Sie unter vier Augen auf den Führer einwirken und ihm ganz offen Ihre Meinung sagen.« Ich möchte aber... Dies ist ja bemerkenswert, daß ich das sagen muß. Also Dr. Geßler kam aus dem Konzentrationslager zurück und teilte mir mit, daß er dort bei seiner ersten Vernehmung, wo ich also noch nicht hatte eingreifen können, gefoltert worden wäre. Das war das erstemal, daß ich gehört habe, daß irgendwo in Deutschland jemand gefoltert worden ist. Es besteht ein Brief von Dr. Geßler darüber, daß ich ihm sofort sagte, ich gehe jetzt zum Führer und teile ihm das mit, denn ich könne mir nicht denken, daß er etwas davon wisse. Geßler bat mich, als er diesen Brief bestätigte, ich möge um Gotteswillen jetzt nicht zum Führer gehen, weil er dadurch in seinem Leben gefährdet würde. Ich sagte ihm, ich würde mich verbürgen dafür, daß ihm nichts passierte, und ich würde mich doch bemühen, an den Führer heranzukommen. Ich habe in der ganzen folgenden Zeit versucht, an den Führer heranzukommen, der erst noch außerhalb war, und als ich im April erfuhr, daß er in Berlin sei, wo also schon sehr starke Angriffe waren, habe ich täglich versucht, indem ich beim Admiral Voß antelephonierte, an den Führer heranzukommen. Das ist mir nicht mehr gelungen, und wie ich diese Nachricht bekommen hatte, war das erste, daß ich mit meiner Frau zusammen an den See, der hinter unserem Hause war, hinging und das Zeichen dort versenkte. Das habe ich auch dem Admiral Voß mitgeteilt, aber ich konnte es leider nicht mehr dem Führer mitteilen. Das ergibt sich aus dem Brief, den Herr Dr. Geßler geschrieben hat, den wir gern als Zeugen hierher haben wollten, dessen Gesundheitszustand aber das nicht erlaubte.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war also Ihr erster Protest?

RAEDER: Das war nicht mein erster Protest; das ist eine Verdrehung meiner Worte.

VORSITZENDER: Wird ein weiteres Kreuzverhör des Angeklagten gewünscht?

OBERST POKROWSKY: [zum Zeugen gewandt] In der Vormittagssitzung des Gerichtshofs vom 18. Mai 1946 sagten Sie aus, daß Sie während Ihres Dienstes als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine zweimal ein Abschiedsgesuch einreichten. Das erstemal im November 1938, als es sich um den Bau der Kriegsmarine handelte und Hitler mit diesem Plan nicht zufrieden war. Das zweitemal, als Hitler ohne Ihr Wissen seinem Adjutanten, einem Marineoffizier, gestattete, ein gewisses junges Mädchen zu heiraten. Ist das richtig?

RAEDER: Jawohl. Ich habe aber noch weitere Abschiedsgesuche, die nicht so flagrant waren, eingereicht, im Jahre 1937, und, ich glaube, schon 1935, als ich mich mit meiner Gesundheit nicht so gut fühlte; aber dies waren zwei besonders typische Beispiele, wie solche Dinge entstanden.

OBERST POKROWSKY: Im ersten Fall hat Hitler Sie überredet, das Abschiedsgesuch nicht einzureichen.

RAEDER: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Im zweiten Fall kam er Ihrem Wunsche wohl nach, merkte es sich aber für immer?

RAEDER: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Tatsächlich traten Sie erst im Januar 1943 zurück? Ist das richtig?

RAEDER: In der Praxis, ja. Denn während der Kriegszeit, das muß ich hier einfügen, während der Kriegszeit glaubte ich, die Marine nicht verlassen zu dürfen, die sich schon in einer so schwierigen Lage befand, und in der ich glaubte, ein gewisses Vertrauen zu genießen, so daß ich ihr nützlich sein konnte.

OBERST POKROWSKY: In der Vormittagssitzung des 18. Mai erklärten Sie dem Gerichtshof hier im Hinblick auf Ihren Rücktritt, daß Sie den Eindruck hatten, Hitler wollte Sie in diesem Augenblick los werden. Stimmt das?

RAEDER: In diesem Augenblick hatte ich den Eindruck,... infolge der Schwere der Vorwürfe, die er erhob und in denen er sich erheblich widersprach gegenüber seinen früheren Urteilen, hatte ich den Eindruck, daß er mich vielleicht loswerden wollte und daß es infolgedessen jetzt ein besonders günstiger Moment wäre, wegzugehen.

OBERST POKROWSKY: Die Frage der Nachfolgeschaft wurde dadurch gelöst, daß Sie Hitler einige Namen nannten?

RAEDER: Jawohl.

OBERST POKROWSKY: Und unter diesen war der Angeklagte Dönitz? Haben Sie seinen Namen genannt?

RAEDER: Jawohl, ich habe seinen Namen genannt; erstens Carls, zweitens, für den Fall, daß er den U- Bootkrieg besonders betonen wollte, Großadmiral Dönitz, der auf diesem Gebiete die größte Autorität wäre.

OBERST POKROWSKY: Haben Sie, nachdem Sie jetzt meine Fragen beantwortet haben, nicht den Eindruck, daß Ihre Antwort, die Sie dem Verteidiger Dr. Laternser am 18 Mai gegeben haben, als Sie die absolute Unmöglichkeit des Rücktritts aus dem Generalstab erwähnten, nicht wahrheitsgetreu war? Es war doch möglich, den Abschied zu nehmen?

RAEDER: Ja, es waren hier eben zwei Voraussetzungen. Die eine war die, daß Hitler selbst mich nicht mehr goutierte und ich das merkte, und daß ich also infolgedessen keinen Ungehorsam beging wenn ich ihm gewissermaßen mein Amt auf den Tisch warf, aus irgendeinem Grunde. Und zweitens, weil es möglich war, wie ich in diesem Gespräch feststellte, daß die Trennung unter friedlichen Umständen erfolgen könnte, so daß also die Marine dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wenn ich mit einem Krach von ihm geschieden wäre, so hätte das eine sehr ungünstige Wirkung auf die Marine gehabt, weil das ja auch eine gewisse Spaltung vielleicht zwischen der Marine und Hitler herbeigeführt hätte, und ich mußte auf die Geschlossenheit in diesem kritischen Zeitpunkt des Krieges ganz besonderen Wert legen.

OBERST POKROWSKY: Ich möchte, daß Sie meine Frage richtig verstehen.

RAEDER: Ja, ich verstehe...

OBERST POKROWSKY: Ich frage Sie nicht nach den Voraussetzungen, die für die Billigung eines Rücktrittsgesuchs vielleicht nötig gewesen wären. Ich stelle an Sie die prinzipielle Frage: War ein Rücktritt möglich oder nicht? Schließlich traten Sie von Ihrer Stellung als Oberbefehlshaber der Marine zurück.

RAEDER: Ja, ich war aber nun 15 Jahre im ganzen im Dienst und konnte ihm sagen: »Wenn Sie mich so selber beurteilen, dann hat es ja gar keinen Zweck, mit mir weiter zusammenzuarbeiten.« Das war für mich die günstige Lage, daß ich mir erlauben konnte, ihn zu bitten, mich abzulösen; was man nicht konnte, war, ihm die ganze Sache hinzuwerfen, um den Eindruck zu erwecken, als ob man Ungehorsam leisten wollte. Das mußte unter allen Umständen vermieden werden, das hätte ich nie getan, dazu war ich zu sehr Soldat.

OBERST POKROWSKY: Was ich auf meine Frage hören wollte, habe ich erfahren.

Nun gehen wir zur nächsten Frage über: Sie haben behauptet, daß Sie sich während der ganzen Zeit bemühten, normale Beziehungen zu der Sowjetunion herzustellen. Stimmt das?

RAEDER: Ich kann leider nicht verstehen, was der Herr da sagt.

OBERST POKROWSKY: Sie haben behauptet, daß Sie während Ihrer gesamten Dienstzeit bestrebt waren, normale Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion herzustellen? Ist das richtig?

RAEDER: Ich bin immer für die Bismarck-Politik eingetreten, daß wir mit Rußland eine gemeinsame Politik machen müßten.

OBERST POKROWSKY: Wenn ich Ihre Aussage von vorgestern und Freitag richtig verstanden habe, so wußten Sie bereits im Jahre 1940, daß Hitler die Sowjetunion angreifen wollte?

RAEDER: Ich habe im September 1940 zum erstenmal von Hitler selbst bestimmte Aussprüche gehört, daß er an einen Krieg mit Rußland unter bestimmten Voraussetzungen denke. Er hat ja noch in der Weisung eine Voraussetzung gemacht, er hat damals nicht mir gegenüber ausgesprochen, er wolle unter allen Umständen Krieg führen, sondern, wir müßten uns darauf gefaßt machen, so steht es in dem Absatz 1, daß auch vor Niederwerfung Englands wir gegen Rußland mit den Waffen einschreiten müßten, und ich habe seit dem September begonnen, ihm Vorstellungen zu machen.

OBERST POKROWSKY: Haben Sie nicht behauptet, daß jene Erklärungen, welche die offiziellen deutschen Behörden als Ursache für den Angriff auf die Sowjetunion angaben, bei Ihnen sowie bei anderen den Eindruck einer Zweckpropaganda hervorriefen und abstoßend wirkten? Erinnern Sie sich daran?

RAEDER: Also, die Propaganda Hitlers machte einen Eindruck? Ich habe das gar nicht...

OBERST POKROWSKY: Ich glaube, daß Sie einmal schriftlich den Gedanken äußerten, daß das Oberkommando der Wehrmacht und das Auswärtige Amt dem deutschen Volke die Gründe für den Angriff auf die Sowjetunion so erklärten, daß diese Erklärungen den Eindruck einer zielbewußten Propaganda erweckten und abstoßen wirkten.

Erinnern Sie sich daran?

RAEDER: Ja, Sie meinen diese Veröffentlichungen, die bei Eröffnung des Krieges ausgegeben wurden im Rundfunk, vom Auswärtigen Amt? Jawohl, das war eine Propaganda Hitlers, um diesen Krieg dem deutschen Volke verständlich zu machen. Das stimmt. Über den Bruch des Paktes...

OBERST POKROWSKY: Ich möchte, daß Sie ein Dokument einsehen. Dieses Dokument haben Sie geschrieben, und ich möchte Sie bitten, uns zu sagen, ob in diesem Schriftstück das steht, was ich Sie soeben fragte.

RAEDER: Wo ist es?

OBERST POKROWSKY:

»Die bei Kriegsausbruch...«

RAEDER: »Die bei Kriegsausbruch...« Soll ich das vorlesen?

»Die bei Kriegsausbruch herausgegebenen propagandistischen, politischen und militärischen Veröffentlichungen des Auswärtigen Amtes und des Oberkommandos der Wehrmacht, die den Bruch des Paktes auf Grund von Verstößen der SU. gegen diesen rechtfertigen sollten, fanden sowohl im Volke wie in der Wehrmacht nur wenig Glauben. Sie trugen zu stark den Charakter der Zweckpropaganda und wirkten abstoßend.« (USSR- 460.)

Ich weiß, daß damals Hitler diese Dokumente selbst aufgesetzt hatte mit Goebbels zusammen.

OBERST POKROWSKY: Im Zusammenhang mit dieser Frage möchte ich Ihnen folgende Frage stellen. Soll ich Sie so verstehen, daß Ihre Meinungsverschiedenheiten mit Hitler, was die Frage der Außenpolitik und besonders der Angriffskriege betrifft, weniger groß war als Ihre Meinungsverschiedenheiten, sagen wir, über die Frage der Heirat eines Marineoffiziers mit einem gewissen Mädchen? Haben Sie mich verstanden?

RAEDER: Nein, die spielten sich in einem ganz anderen Rahmen ab; das waren militärische Fragen, wo schließlich die politische Entscheidung beim Führer blieb. Ich habe ihm sehr, scharf zugesetzt, wenn es sich um die Frage der Moral handelte, auch da beim Pakt, aber ich habe ihm kein schriftliches Ultimatum geschickt, denn das wäre in dieser Angelegenheit unmilitärisch gewesen. Ich hatte ja nicht die oberste Entscheidung, sondern die hatte er, während in dem Falle Albrecht meine Entscheidung – und ich hatte den Konsens zu erteilen oder nicht – auf dem Spiele stand, daß ich nicht unterzeichnete, was ich da unterzeichnen sollte.

OBERST POKROWSKY: Sie sagen, daß das Fragen der Moral seien. Sind Sie nicht der Ansicht, daß ein nicht herausgeforderter Angriff auf ein Land, mit dem Deutschland einen Nichtangriffspakt hatte, auch eine Frage der Moral ist?

RAEDER: Selbstverständlich, das sagte ich ja selber, daß ich auch hier das Moralische sehr stark hervorgekehrt habe. Trotzdem war ich als ältester Soldat der Marine nicht in der Lage, etwa mit meinem Rücktritt in diesem Moment zu drohen. Dazu war ich zu sehr Soldat, als daß ich das hätte tun können, als daß ich die Marine in einem solchen Moment hätte verlassen können.

OBERST POKROWSKY: Als Sie die Fragen Ihres Verteidigers beantworteten, haben Sie hier im Gerichtssaal erklärt, daß Ihre Rede vom 12. März 1939 – es ist Seite 169 der russischen Übersetzung des Raeder-Dokumentenbuches, Herr Vorsitzender –, in der Sie Hitler sowie die nationalsozialistische Politik gepriesen haben, mit Ihren Grundanschauungen nicht übereinstimmt. Ist das richtig oder nicht?

RAEDER: Nein, das stimmt so nicht, sondern ich habe gesagt, daß wir die Erfahrung gemacht hatten, daß die Kommunisten und die Juden uns 1917 bis 1920 in unserer Widerstandsfähigkeit stark untergraben hätten und daß es deshalb zu verstehen wäre, wenn eine nationalsozialistische Regierung in gewisser Weise gegen beide vorgegangen wäre, um ihren Einfluß, der übermäßig groß war, zurückzudämmen. Das war der Sinn meiner Ausführungen. Von irgendwelchen weitergehenden Schritten, die etwa in Frage kämen, habe ich in keiner Weise gesprochen.

OBERST POKROWSKY: Kurz gesagt, erklären Sie jetzt, daß Ihre Rede vom 12. März 1939 Ihren Ansichten und Ihrer Denkweise entspricht? Ist das richtig?

RAEDER: Jawohl, sonst hätte ich das ja nicht gesagt. Es entspricht insofern, als ich anerkennen mußte, daß die Regierung, die nationalsozialistische Regierung, in irgendeiner Weise diesen Einfluß, der übermäßig groß geworden war, wie allgemein anerkannt wurde, zurückdämmte. Und sie hatte ja, wie ich auch gestern gesagt habe, die Nürnberger Gesetze erlassen, die ich in ihren Überspitzungen nicht voll billigte, aber ich konnte bei dieser Einstellung der Regierung unmöglich bei einer so offiziellen öffentlichen Rede, die ich im Auftrag der Regierung hielt, anders geartete Anschauungen, die ich persönlich hatte, zum Ausdruck bringen. Das gehörte in den Rahmen dieser Staatsrede.

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Werden Sie in einigen Minuten fertig sein, es ist schon fünf Minuten nach fünf Uhr?

OBERST POKROWSKY: Ich glaube, Herr Vorsitzender, daß ich in ungefähr zehn Minuten fertig sein werde. Ich habe noch drei bis vier Fragen.

VORSITZENDER: Sehr gut.

OBERST POKROWSKY: [zum Zeugen gewandt] Um Zeit zu sparen, will ich mit Ihnen nicht darüber diskutieren, aus welchen Beweggründen Sie Ihre Rede gehalten haben. Wichtig für mich ist, daß Sie sagen, diese Rede entsprach Ihren Ansichten und Ihrer Gesinnung.

Wir gehen zur nächsten Frage über:

Am 29. September 1941 hat Ihr Chef des Stabes, Admiral Fricke, spreche ich seinen Namen richtig aus? Fricke oder Fricker?

RAEDER: Fricke, jawohl, das war der Chef des Stabes der Seekriegsleitung.

OBERST POKROWSKY: Dieser Admiral Fricke hat Weisungen für das weitere Schicksal Leningrads erteilt. Wissen Sie, um welches Dokument es sich handelt oder soll ich es Ihnen zeigen?

RAEDER: Nein, ich kenne das Dokument genau.

OBERST POKROWSKY: Wurde diese Weisung mit Ihrem Einverständnis gegeben?

RAEDER: Ich habe keinen Befehl dazu gegeben, denn es war ja an sich nicht nötig, sie weiterzugeben. Darf ich ganz kurz den Gang sagen. Ich hatte...

OBERST POKROWSKY: Ich wollte Sie gerade bitten, sich kurz zu fassen.

RAEDER: Ganz kurz, jawohl.

Ich hatte bei Hitler beantragt, als ich hörte, daß er beabsichtigte, im Laufe des Krieges Leningrad zu beschießen, er möge die Hafen- und Werftanlagen schonen, weil wir sie später brauchen könnten, denn wir würden immer weiter nach dem Osten mit unseren Stützpunkten zurückgehen müssen, wegen der englischen Luftangriffe in der Ostsee. Jetzt war, ich weiß nicht aus welchem Grunde, kurz vor diesem von Ihnen genannten Zeitpunkt der Admiral Fricke im Hauptquartier gewesen und hatte dort mit dem Führer ohne meine Anwesenheit gesprochen, und der Führer hatte ihm dieses Projekt der Beschießung von Petersburg besonders durch Flugzeuge auseinandergesetzt, und zwar mit den sehr übertriebenen Worten, die dann in dem Dokument weitergegeben worden sind. Die Marine hatte mit der Beschießung von Leningrad überhaupt nichts zu tun. Wir bekamen auch keinen Auftrag dafür. Uns interessierte nur dieser eine Punkt, den ich vorher erwähnte, daß nämlich die Werften und Hafenanlagen geschont werden sollten. Der Führer hatte Fricke mitgeteilt, daß er leider dazu nicht in der Lage wäre, weil die Beschießung besonders durch Flugzeuge nicht so sicher gelenkt werden könnte. Jetzt lag uns nur daran, aus dieser ganzen Angelegenheit an den Generaladmiral Carls weiterzugeben, daß eben Leningrad als Stützpunkt im Falle seiner Einnahme nicht in Frage käme, und der Generaladmiral Carls mußte daraufhin die Vorbereitungen rückgängig machen, die er bereits getroffen hatte mit Bereitstellung von Arbeitern, deutschen Arbeitern, und vielleicht auch Maschinen, die später in Leningrad verwandt werden sollten. Das mußte Carls wissen, und das mußte bei uns, wie im Papier steht, die sogenannte Quartiermeisterabteilung wissen, und deswegen hat der Admiral Fricke dieses Papier weitergegeben, und hat unglücklicherweise die Ausdrücke von Hitler, die mit der ganzen Sache ja gar nichts zu tun hatten, soweit es uns betraf, weil wir mit der Beschießung gar nichts zu tun hatten, – hatte diese Ausdrücke mit in das Weitergabepapier gesetzt. Eine Verantwortung, etwa in der Richtung, daß er billigte, hat er damit keinesfalls übernommen, sondern er glaubte nur, er müßte den Wortlaut des Befehls von Hitler weitergeben.

Also, die Marine hatte mit der Sache gar nichts zu tun, es hätte nicht weitergegeben werden brauchen, und es ist unglücklicher- und ungeschickterweise dieser Ausspruch von Hitler da in das Papier aufgenommen worden. Es ist aber darauf nichts erfolgt, und das Papier ist auch von dem Generaladmiral Carls nicht weitergegeben worden, etwa an unseren Finnland- Kommandeur. Das ist die Sache.

OBERST POKROWSKY: Ich glaube, daß die Frage etwas kompliziert wurde. Ich hatte sie einfacher gestellt.

Ihr Chef des Stabes gibt eine Anweisung. Wußten Sie von dieser Anweisung?

RAEDER: Nein. Das ist keine Anweisung. Es zeigt sich auch daraus, wie die Photokopie zeigt, daß mir das Schreiben zur Weitergabe gar nicht vorgelegt worden ist, daß dem Schreiben keine große Bedeutung beigemessen wurde. Es war ja keine Anweisung, irgendeine Operation vorzunehmen oder irgend etwas Wichtiges, sondern es war nur eine Anweisung, etwas, was auf dem Gebiet der Stützpunkte schon veranlaßt werden sollte, zurückzunehmen, so daß also nichts geschah. Also auf diese Weitergabe des Admirals Fricke ist überhaupt nichts geschehen. Sie war also überflüssig.

OBERST POKROWSKY: Es handelt sich um die Vernichtung einer der größten Städte der Sowjetunion. Es handelt sich darum, diese Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Und Sie sagen, daß es eine verhältnismäßig bedeutungslose Angelegenheit war, die Ihnen als dem Vorgesetzten Frickes nicht vorgelegt worden ist. Nun erwarten Sie, daß der Gerichtshof und die Anklagevertretung Ihnen Glauben schenken?

RAEDER: Ja, selbstverständlich. Es handelt sich ja nicht um die Beschießung von Leningrad, mit der wir ja gar nichts zu tun hatten, sondern eine kleine Frage, die uns anging, das war die Frage, ob wir einen Stützpunkt mal später gründen konnten dort und ob wir dazu Arbeiter und Maschinen und solche Dinge nach Leningrad bringen könnten. Das war eine Kleinigkeit. Die Beschießung von Petersburg war eine große Sache.

OBERST POKROWSKY: Ich glaube, der Gerichtshof wird Sie richtig verstehen und die notwendigen Schlüsse aus Ihren Aussagen sowie aus diesem Dokument ziehen.

Ich habe noch eine letzte Frage an Sie: Haben Sie nicht am 28. August 1945 in Moskau eine schriftliche Erklärung über die Ursachen der deutschen Niederlage abgegeben?

RAEDER: Jawohl. Damit habe ich mich ganz besonders beschäftigt nach dem Zusammenbruch.

OBERST POKROWSKY: Herr Vorsitzender! Wir legen dem Gerichtshof dieses Dokument in Auszügen unter USSR-460 vor. Um Zeit zu sparen, möchte ich, daß Sie einige kurze Auszüge aus dieser Erklärung hören.