[Zum Zeugen gewandt:]
Diese Benachrichtigung ist das, was Sie eben schilderten, die Verhandlung mit Admiral Cunningham. Verstehe ich Sie richtig?
RAEDER: Jawohl, das war am 30. Dezember 1938, am 30. oder 31. Dezember.
VORSITZENDER: Behauptet der Angeklagte, daß man das Admiral Cunningham am 30. Dezember 1938 mitgeteilt hat? Haben Sie gesagt, daß eine Benachrichtigung des Admirals Cunningham am 30. Dezember erfolgte?
RAEDER: Admiral Cunningham kam nach Berlin zu dieser freundschaftlichen Verhandlung, die im Vertrag vorgesehen war, und wir haben an diesem 30. Dezember mit ihm vereinbart, daß von jetzt ab statt 45 Prozent 100 Prozent gebaut werden dürften.
VORSITZENDER: War das eine mündliche oder eine schriftliche Vereinbarung?
RAEDER: Es war eine Besprechung zwischen dem Chef des Stabes der Seekriegsleitung und Admiral Cunningham und einzelnen Personen; ich kann das heute nicht sagen. Ich nehme an, bestimmt, daß ein Protokoll darüber aufgenommen worden ist.
VORSITZENDER: Setzen Sie fort!
DR. SIEMERS: Ich habe leider, Herr Präsident, eine schriftliche Unterlage bisher nicht finden können. Ich weiß nur aus dem Raeder-Exhibit Nummer 11, das ist das Abkommen von 1935, daß Deutschland seine Tonnage erhöhen durfte, und aus dem Abkommen von 1937, daß Deutschland verpflichtet war, zu benachrichtigen.
Im allgemeinen wird wohl in solchem diplomatischen Verkehr der schriftliche Weg gewählt, obwohl er meines Erachtens nicht vorgeschrieben war. Verhandelt wurde darüber, wie der Zeuge eben bestätigte.
RAEDER: Ich darf da hinzufügen, daß außer dieser U-Bootsfrage auch noch die Frage von zwei schweren Kreuzern geregelt wurde, auf die wir auch vorläufig verzichtet hatten. Wir wollten nur drei bauen vorläufig und wir baten hier um die Zustimmung, daß wir die zwei uns zustehenden auch bauen könnten. Das wurde auch vereinbart, entsprechend der Vertrage.
DR. SIEMERS: Gestern wurde Ihnen die Urkunde C-140 vorgelegt, gleich US-51, im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 104. Ich möchte Ihnen hieraus einen Satz vorhalten, der weder im November noch gestern von der Anklage zitiert wurde, und zwar unter Ziffer 2c.
VORSITZENDER: In welchem Dokumentenbuch?
DR. SIEMERS: Dokumentenbuch 10a, Seite 104.
Dort steht unter Ziffer 2c folgendes – ich darf einschalten, es handelt sich um den Fall der Sanktionsmaßnahmen und die etwaige Vorbereitung auf die Abwehr von Sanktionen im Jahre 1935 –, ich zitiere unter 2c: »Ich verbiete zunächst alle praktischen Vorarbeiten.« Ich frage Sie, Herr Zeuge...
VORSITZENDER: Ich finde es nicht in 10a, auf Seite 104.
DR. SIEMERS: Mr. Elwyn Jones war so freundlich, mir eben die englische Übersetzung zu zeigen.
Daraus ergibt sich, daß es demnach – ich habe auch die englische Übersetzung hier – zwei Dokumente C-140 gibt. Das eine ist eine Seite, das andere zwei Seiten lang. Das eine hat keine Überschrift und ist von Berlin, den 25. Oktober 1933. Und es ist nach meiner Meinung die Urkunde...
VORSITZENDER: Das ist auf Seite 104...?
DR. SIEMERS: Nein, auf Seite 104 befindet sich, wie ich eben von Mr. Elwyn Jones höre, die andere Urkunde C-140, die die Überschrift hat »Weisung für die Wehrmacht im Falle von Sanktionen...«
VORSITZENDER: Ja, und datiert vom 25. Januar 1933?
DR. SIEMERS: 25. Oktober 1935 steht da. Das ist ein Schreibfehler, es heißt: 1933.
MAJOR F. ELWYN JONES, HILFSANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Es scheint ein zweites Dokument zu bestehen, Herr Vorsitzender, das nicht in dem Buch enthalten ist.
VORSITZENDER: Nicht in dem Buch.
MAJOR ELWYN JONES: Nicht in dem Buch.
VORSITZENDER: Ich verstehe.
DR. SIEMERS: Ich darf aber daran erinnern, Herr Präsident, daß das von der Anklage vorgelegte Dokument C-140, US-51, die von mir vorgetragene Fassung sein muß, denn sie stimmt mit dem Protokoll überein. Also in dem Sitzungsprotokoll vom 27. November wird sich die Urkunde finden, auf die ich hier Bezug nehme.
VORSITZENDER: Ist das Dokument C-140 oder C-141?
DR. SIEMERS: Nein, C-140, dieselbe Nummer, gleich US-51.
Herr Präsident, ich kann vielleicht, um es einfacher zu machen, nachträglich nach der Sitzung, oder morgen, die Urkunde C-140 in dem hier vorliegenden englischen und deutschen Text einreichen.
VORSITZENDER: Lesen Sie das Dokument jetzt vor, und Sie können sich dann mit Herrn Elwyn Jones über die richtige Bezeichnung einigen, ob das Dokument C-140 sein soll, oder wie immer die Beweisstücknummer heißen soll!
DR. SIEMERS: Jawohl!
In dem Text, den die Anklage vorgelesen hatte, wird von Vorbereitungen zur Abwehr von Sanktionen gesprochen. Und ich hielt Ihnen jetzt eben den weiteren Satz vor. Ich zitiere: »Ich verbiete zunächst alle praktischen Vorarbeiten.« Ist demnach 1933 überhaupt irgend etwas von Ihnen in der Marine vorbereitet worden?
RAEDER: Nein, außer dem gewöhnlichen Bereitschaftszustand durfte ja nichts gemacht werden nach diesem Befehl. Es war nur die Vorsicht des Führers für den Fall, daß von der Gegnerseite irgend etwas unternommen werden sollte, um Maßnahmen zu treffen.
DR. SIEMERS: Sie sehen, ich frage dies deshalb, weil Ihnen gestern im Kreuzverhör Ihre Vorbereitungen im Zusammenhang damit vorgehalten wurden.
Ich komme dann auf die Urkunde C-189, gleich US-44. Ich bitte zu entschuldigen, daß ich dem Hohen Gericht die Mühe mache, wenn möglich, die Urkunde noch einmal zur Hand zu nehmen. Sie befindet sich im Dokumentenbuch Raeder Nummer 10a, Seite 14. Sie ist im übrigen gestern von Sir David noch einmal überreicht.
Sir David legte gesteigertes Gewicht auf die beiden Worte »gegen England«. Es heißt dabei unter Ziffer 2:
»Ob.d.M. spricht Ansicht aus, daß die Flotte später doch gegen England entwickelt werden müsse, daß daher von 1936 an die großen Schiffe mit 35-cm-Geschützen armiert werden müßten (wie King-George- Klasse).«
Soll dies bedeuten, daß Sie bei diesem Hinweis die Schiffsbaupläne der Engländer hinsichtlich der King- George-Klasse benutzten?
VORSITZENDER: Dr. Siemers, es tut mir leid, aber der Hinweis, den ich bekam, war unrichtig. Ich hörte: 10, Seite 14, aber es ist nicht 10, Seite 14.
DR. SIEMERS: Ich höre eben Seite 66. Ich bitte um Entschuldigung. Ist die Angabe jetzt richtig? In meinem englischen Dokumentenbuch war es Seite 14, aber...
VORSITZENDER: Es ist 66 oder 68 in meinem Buch...
DR. SIEMERS: Ich habe dort eben die Ziffer 2 vorgelesen.
VORSITZENDER: Ja!
DR. SIEMERS: Sie machten diesen Hinweis also ausschließlich mit Rücksicht auf die bei der King-George-Klasse von der britischen Admiralität verwandten 35-cm-Geschütze?
RAEDER: Jawohl, es war in der damaligen Zeit das Bestreben jeder Marine, möglichst frühzeitig zu wissen, welches größte Geschütz-Kaliber die anderen Marinen gebrauchten, und ich sagte gestern schon, wir hatten zunächst uns den französischen Dunkerque-Typ als Vorbild genommen, erfuhren dann aber sehr bald, daß England auf 35,6 cm ging, und man muß seine Schiffe ja so gebrauchen, wenn ein Krieg ausbricht, wie sie sind, man kann sie nicht mehr abändern in den Geschützkalibern. Deshalb griff man immer möglichst hoch.
DR. SIEMERS: Gehe ich richtig, wenn ich demnach behaupte – ich bitte mir dies zu verzeihen, daß der Ausdruck »gegen England« in diesem Zusammenhang grammatikalisch nach dem deutschen Sprachgebrauch falsch ist; hätte es nicht heißen müssen: »in Bezug auf England«?
RAEDER: Jawohl, »entwickelnd auf England« sollte es heißen. Ich habe gestern auch gesagt, es wäre ganz widersinnig, wenn ich, bevor der englische Flottenvertrag abgeschlossen war, schon gegen England etwas machte.
VORSITZENDER: Dr. Siemers! Das wurde im Kreuzverhör ausführlich behandelt, und der Angeklagte hat uns seine Erklärung der Bedeutung dieser Worte gegeben.
DR. SIEMERS: Sir David hat Ihnen aus C-190, das ist die Unterhaltung am 2. November 1934 auf der »Emden« zwischen Ihnen und Hitler, vorgehalten, daß Hitler in einem Gespräch mit Ihnen und Göring entwickelte, daß er den Ausbau der Marine in der geplanten Weise für lebensnotwendig halte, da Krieg überhaupt nicht geführt werden könnte, wenn nicht die Marine die Erzausfuhr aus Skandinavien sicherstelle. Es wurde davon gesprochen, daß dies dahin verstanden werden müsse, daß also die Flotte für einen Kriegsfall gedacht, und für die Sicherung der Erzeinfuhr gedacht sei, und daß dies in der Richtung einer Angriffsabsicht ginge.
Sind Sie der Meinung, daß die britische Marine nicht für die Sicherung der Einfuhr nach England und nicht für einen Kriegsfall ausgerüstet war?
RAEDER: Nein, daran ist gar nicht zu zweifeln.
DR. SIEMERS: Es ist in dieser Urkunde von sechs U-Booten die Rede. Im Hinblick auf diese Zahl darf ich Sie bitten, welche Zahl etwa müßte Deutschland an U-Booten gehabt haben, um wirklich einen Angriffskrieg zu führen?
RAEDER: Jedenfalls vielmehr, als wir im Oktober 1939 besaßen, ein mehrfaches, ein vielfaches davon.
DR. SIEMERS: Aus der Urkunde, die gestern überreicht wurde, Herr Präsident, D-806, darf ich nur zur Klarstellung außer dem zweiten Absatz, der vorgehalten wurde, auch den ersten Absatz dem Zeugen vorhalten. Es ist D-806, GB-462, gestern mittag überreicht. Dort heißt es:
»Betrifft: U-Bootsbauprogramm.
Am 27. Oktober 1936 habe ich Entscheidung getroffen, über die Ausnutzung der uns nach dem Londoner Flottenvertrag 1935 vorläufig noch zur Verfügung stehenden U-Bootstonnage und über die sofortige Inbaugabe der U-Bootsneubauten U-41 bis U-51.«
Sind diese vorgesehenen U-Boote der Rest desjenigen, was uns nach dem Flottenvertrag von 1935 mit der Begrenzung auf 45 Prozent zustand?
RAEDER: Jawohl, nach der Zahl zu urteilen, stimmt das.
DR. SIEMERS: Sie sind dann, Herr Großadmiral, sehr ausführlich über Österreich und die Tschechei gefragt worden. Ich möchte mich, nachdem wir das Thema schon eingehend behandelt haben, nur noch auf eine Frage beschränken. Hatten Sie jemals von Hitler irgendwelche außenpolitische Aufgaben oder Aufträge, und wurden Sie von ihm speziell in außenpolitischen Dingen um Rat gefragt?
RAEDER: Ich wurde niemals um Rat gefragt, und ich habe auch keine außenpolitischen Aufträge gehabt, wenn man nicht die beiden Aufträge, die ich nach meinem Abgang zu erfüllen hatte, in Bulgarien und Ungarn als außenpolitisch betrachtet.
DR. SIEMERS: Bezüglich der Tschechei, und zwar des Dokuments über die sogenannte »Rest-Tschechei«, ist Ihnen vorgehalten worden, ob zu dieser Zeit Hitler Angriffsabsichten auf Prag gehabt hätte. Richtiger muß die Frage wohl lauten: ob mit Absicht auf einen Angriffskrieg. Im Zusammenhang damit ist Ihnen vorgehalten worden das von Göring angekündigte Bombardement Prags, und Sie gaben richtig Sir David zu, daß ein solches Bombardement eine Drohung ist Sir David formulierte es als nahe an einen Angriffskrieg. Um es ganz klarzustellen bitte ich, diesem Gericht zu sagen, wann haben Sie von diesem geplanten Bombardement auf Prag erfahren?
RAEDER: Unter allen Umständen erst nach der Erledigung der ganzen Angelegenheit gesprächsweise, aber ich habe keine Ankündigung gehört, oder sonst nichts davon gewußt vorher.
DR. SIEMERS: Vor der Besetzung von Prag haben Sie nichts gewußt?
RAEDER: Nein, zumal ich ja überhaupt von den militärischen Unternehmungen gegen Prag nichts wußte.
DR. SIEMERS: Dann das Dokument C-100.
Herr Präsident, es ist gestern überreicht worden mit der Nummer GB-464.
VORSITZENDER: 463, ich habe es hier.
DR. SIEMERS: Ich bitte um Verzeihung, es ist 463. Ich möchte aus diesem Dokument Ihnen von Seite 10, das ist von der Anlage Seite 3, Ziffer 6, folgenden Satz vorhalten, ich zitiere:
»Führer fragte Ob.d.M., ob besondere Wünsche der Marine, betreffend Stützpunkte an holländisch-belgischer Küste, vorliegen. Ob.d.M. verneint, da Stützpunkte im englischen Küstenvorfeld liegen und als U-Boot basis daher unbrauchbar.«
Herr Zeuge, Sie sind demnach weder für eine Besetzung von Belgien und Holland eingetreten noch haben Sie sich irgendwie mit dieser Frage beschäftigt.
RAEDER: Ich habe immer den Standpunkt vertreten, daß es eine Erfahrung des Weltkrieges sei, daß Belgien und Holland für die Marine keine nutzbaren Stützpunkte geben, weil die sämtlichen Streitkräfte in voller Kontrolle der englischen Luftwaffe sich befanden und gerade im Weltkriege ja sehr schwere Kämpfe der auslaufenden U-Boote und der dort stationierten Zerstörer immer stattgefunden hatten. Deswegen erklärte ich mich an Belgien und Holland desinteressiert.
DR. SIEMERS: Ich überspringe dann verschiedene Urkunden und komme auf D-843, GB-466. Das ist die Urkunde, in der Bräuer von der Gesandtschaft Oslo der Meinung Ausdruck gegeben hat, daß die Gefahr einer englischen Besetzung von Norwegen wohl nicht so groß sei und daß einige Handlungen nur vorgenommen würden, um Deutschland zu provozieren. Dazu noch eine Frage: Kannte die Gesandtschaft in Oslo, kannte also Bräuer die Nachrichten, die Sie von Admiral Canaris erhielten?
RAEDER: Das kann ich von mir aus nicht sagen, weil ich mit Dr. Bräuer niemals direkt in Verbindung gestanden habe, sondern nur mit dem Marine-Attaché. Ich möchte aber hinzufügen, daß Dr. Bräuer erst verhältnismäßig kurze Zeit in Oslo war, und daß er offenbar nicht so gut unterrichtet war, und daß er auch die Äußerungen der norwegischen Minister nicht richtig einschätzte.
DR. SIEMERS: Lag nicht eine Anweisung von Hitler vor, das Auswärtige Amt über die eventuellen Pläne bezüglich Norwegen nicht zu orientieren?
RAEDER: Das hat er ausdrücklich angeordnet. Und aus dem Grunde ist ja offenbar auch der Reichsaußenminister selbst ganz spät erst unterrichtet worden.
DR. SIEMERS: Dann hat jedenfalls aus den militärischen Kreisen der Gesandte die Nachrichten von Canaris, soweit Sie es übersehen können, nicht erhalten?
RAEDER: Das ist nicht anzunehmen, nein.
DR. SIEMERS: Es sind dann verschiedene Urkunden vorgelegt, und zwar D-844 und D-845, woraus ebenfalls Ihnen vorgehalten wurde, daß keine Gefahr in Skandinavien bestanden hat. Sind Ihre Nachrichten in dieser Beziehung anders, die Sie damals erhielten?
RAEDER: Jawohl, meine Nachrichten waren am laufenden Bande...
VORSITZENDER: All dies wurde gestern besprochen, und der Zeuge hat dieselbe Antwort gegeben.
DR. SIEMERS: War Ihnen bekannt, ich glaube, das ist nicht zur Sprache gekommen, daß bereits am 5. April Minen in den Hoheitsgewässern von Norwegen gelegt worden sind?
RAEDER: Die Alliierten hatten es bekanntgegeben, meines Wissens am 7. April. Aber die Operation an sich muß schon einige Tage vorher angelaufen sein.
DR. SIEMERS: Herr Großadmiral, Sie haben gestern die Frage, was sich...
VORSITZENDER: Dr. Siemers, der einzige Zweck des Rückverhörs ist, Punkte vorzubringen, die Ihrem Klienten zum Vorteil gereichen und die im Kreuzverhör nicht vorgebracht worden sind, das heißt, Dinge zu klären, die im Kreuzverhör nicht vorgelegt wurden.
Wenn er seine Erklärung im Kreuzverhör abgegeben hat, so hat es keinen Zweck, ihm diese Punkte im Rückverhör nochmals vorzuhalten. Wir haben es gehört.
DR. SIEMERS: Ich glaube, in diesem Punkt fehlt eine Erklärung.