[Zum Zeugen gewandt:]
Sie wurden gestern etwas überraschend gefragt, was sich rein technisch seit 1936 geändert habe und die Rechtslage hinsichtlich des U-Bootkrieges beeinflussen konnte.
RAEDER: Ja!
DR. SIEMERS: Eine etwas schwierige Frage, die sofort in zwei Sekunden zu beantworten ist. Sie haben auf Flugzeuge hingewiesen. Können Sie nicht diesen Punkt etwas ergänzen?
RAEDER: Ja, ich habe eigentlich den Hauptpunkt vergessen, da mir in dem Moment etwas stark entgegengeredet wurde, das ist der, daß die Ortung von Fahrzeugen auf See vom Flugzeug aus in dieser Zeit ganz neu aufgekommen und zu großer Vollkommenheit entwickelt war. Die Entwicklung ging dann während des Krieges in sehr scharfem Maße weiter. Dadurch wurden die U-Boote auf See sehr schnell festgestellt und konnten dann gejagt werden.
DR. SIEMERS: Bezüglich der Urkunde D-841, einem Affidavit von Dietmann, darf ich mit Erlaubnis des Gerichts einen formalen Antrag stellen. Es findet sich in diesem Affidavit folgender Satz:
»Ich persönlich muß annehmen, daß die höheren Dienststellen der Marine in Kiel und in anderen Plätzen in Deutschland von diesen schrecklichen Zuständen gewußt haben müssen.«
VORSITZENDER: Es heißt nicht »gewußt haben«, sondern »gewußt haben müssen«. Es scheint mir, daß es hier in der Übersetzung heißt »gewußt haben müssen«.
DR. SIEMERS: Ja, ich habe die deutsche Urfassung nicht, und ich weiß nicht, wie das Original lautet, ich habe nur die englische Übersetzung bekommen. Also mir ist nicht ganz klar, wie die deutsche Fassung in dieser Beziehung ist. Ich bitte, das verehrliche Gericht...
VORSITZENDER: Ist das Dokument ursprünglich in deutscher oder in englischer Sprache abgefaßt worden? Die Zeugenaussage ist vermutlich deutsch.
DR. SIEMERS: Ich vermute, daß die Erklärung ursprünglich deutsch war, denn es steht bei meinem Exemplar darüber, daß es eine Übersetzung ist, und diese ist auf englisch. Ich habe aber das deutsche Original nicht gesehen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, dem Zeugen muß doch gestern ein deutsches Exemplar vorgelegt worden sein. Ich weiß zwar nicht, ob es das Original ist. Ich sah es nicht, aber ich vermute es.
VORSITZENDER: War es nicht so, daß die Zeugenaussage in deutscher Sprache abgegeben und dann ins Englische übersetzt und wieder ins Deutsche zurückübersetzt worden ist?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft, deshalb nehme ich an, daß es das Original war. Es tut mir leid, daß es gemacht wurde. Ich habe zwar nicht das Originaldokument vor mir liegen, aber ich nehme an, daß das so war. Ich werde es gleich feststellen lassen.
VORSITZENDER: Ja, worum handelt es sich jetzt, Dr. Siemers?
DR. SIEMERS: Ich glaube nicht, daß dieser Satz die Bezeugung einer Tatsache ist; infolgedessen stelle ich den Antrag, diesen Satz aus der Urkunde zu streichen.
VORSITZENDER: Sie meinen, Sie beantragen seine Streichung, oder...?
DR. SIEMERS: Ja.
VORSITZENDER: Was sagen Sie, Sir David?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! In den vorhergehenden Teilen des Affidavits beschreibt der Zeuge alle Tatsachen. Es stimmt zwar, daß er dann schreibt: »Ich persönlich muß annehmen...« Aber der Kernpunkt der Aussage ist, daß auf Grund dieser Tatsachen, die ich erwähnt habe, »... die höheren Dienststellen der Marine in Kiel und in anderen Plätzen Deutschlands von diesen schrecklichen Zuständen gewußt haben müssen.«
Jemand, der in dieser Abteilung der deutschen Marine arbeitete und der weiß, welche Verbindung zwischen dieser Abteilung und der Zentrale bestanden, ist in der Lage festzustellen, ob die Zentrale von den Tatsachen, die er angegeben hat, Kenntnis haben würde. Die Folgerung, die er zieht, hat einen größeren Beweiswert als eine Folgerung, die der Gerichtshof daraus ziehen kann. Der Einspruch gegen eine Erklärung, die eine Ansichtssache ist, wird dort erhoben, wo ein Zeuge seine Meinung über eine Angelegenheit äußert, über die sich der Gerichtshof auf Grund derselben Tatsachen genau so seine Meinung bilden kann. Aber diese Erklärung ist deshalb wichtig, weil er sagt, dort arbeitend und vertraut mit dem Befehls- und Mitteilungsweg, und ich behaupte, daß jeder Mensch in Kiel aus diesen Tatsachen ableiten konnte, was an diesen Orten vor sich ging. Das ist der naheliegendste Punkt, nämlich ob seine besonderen Kenntnisse ihn berechtigen, eine Meinung zu äußern, zu der der Gerichtshof ohne diese besonderen Kenntnisse nicht zu gelangen in der Lage wäre.
VORSITZENDER: Aber müßte er nicht theoretisch alle Tatsachen angeben. Gibt er dann alle Tatsachen an, so ist der Gerichtshof in derselben Lage wie er, um sich ein Urteil zu bilden, und damit ist es Sache des Gerichtshofs, sich das Urteil zu bilden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Das ist genau der Punkt, auf den mein Argument hinzielt, nämlich, daß es noch eine zusätzliche Tatsache gibt. Auf Grund seiner dortigen Arbeit gehörte er zum Marinebefehlsweg, und er spricht von seiner Kenntnis des Marinekommandos vom Standpunkt eines Mannes, der dort gearbeitet hat. So beruht seine Meinung darüber auf Kenntnissen, die auf die Quelle zurückgehen, und die Notwendigkeit seines konstruktiven Wissens ist eine zusätzliche Tatsache.
Euer Lordschaft! Die Geistesverfassung und die Art und Weise, mit der er sein Wissen vorbringt, kann unter Umständen genau so eine Tatsache sein, wie dies festgestellt wurde,... wie Lord Bowen es einmal gesagt hat.
VORSITZENDER: Ja, wenn der Stand seines Wissens direkt für einen Punkt erheblich ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, darum handelt es sich hier.
VORSITZENDER: Es ist eine Art Sachverständigenaussage.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! In einem Sinn ist es nicht, wie Euer Lordschaft sagen, in einer Form, es ist nicht in der üblichen Form, aber es ist die Aussage eines Mannes, der besondere Kenntnisse hat. Euer Lordschaft, es ist eine wohlbekannte Unterscheidung zum Beispiel in den Gesetzen über Verleumdung zwischen Personen, die Sachverständigenkenntnisse haben, und dem großen Publikum; und Euer Lordschaft, die Ansicht von jemandem, der über besondere Kenntnisse von den Tatsachen verfügt, muß wohl, Euer Lordschaft, Beweiswert im Sinne von Artikel 19 des Statuts besitzen. Euer Lordschaft, wenn die Bestimmung, daß dieser Gerichtshof an technische Beweisregeln nicht gebunden ist, überhaupt Bedeutung haben soll, dann möchte ich behaupten, daß dies sich auch auf eine Meinungsäußerung über einen solchen Punkt bezieht; das ist die Fähigkeit, Kenntnisse zu haben, die von jemandem stammen, der in einer besonderen Stellung ist, solche Meinungen zu äußern.
VORSITZENDER: Das ist nur ein ganz geringfügiger Punkt, Sir David, und wir müßten die Angelegenheit entscheiden und unsere eigene Meinung darüber bilden, und schließlich ist dieser Mann nicht hier, damit man ihn über derartige Dinge ins Kreuzverhör nimmt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, das stimmt, Euer Lordschaft. Aber, mit Respekt gesagt, das ist zweischneidig. Ich meine, er gibt hier ein Affidavit, und ein Teil desselben bildet die Grundlage für diese Schlußfolgerung. Ich möchte mit Respekt behaupten, daß diese Schlußfolgerung die Feststellung einer Tatsache ist; aber wenn Euer Lordschaft es wünschen, so werden wir zu einem späteren Zeitpunkt darum ersuchen, diese Schlußfolgerung als Sache des Arguments selbst zu ziehen; aber, Euer Lordschaft, allgemein gesprochen habe ich nur deshalb soviel Zeit des Gerichtshofs in Anspruch genommen, weil Artikel 19 von der Anklagevertretung als wichtig betrachtet wird, und wir uns daher gegen irgendwelche Versuche, ihn zu begrenzen, wehren müssen. Das ist der einzige Grund, warum ich die Zeit des Gerichtshofs in Anspruch genommen habe.
DR. SIEMERS: Herr Präsident! Darf ich nur auf einen Punkt noch hinweisen. Sir David sprach eben von dem wohlbekannten juristischen Unterschied. Gerade darauf möchte ich mich stützen, auf den Unterschied zwischen Tatsache und Meinung. Hier ist von Meinung die Rede, und ich bitte zu beachten, daß der darauffolgende Satz sogar noch weiter geht. Da kommt der Zeuge zu einer rechtlichen Meinung und sagt nun sogar, wer verantwortlich ist. Er macht also praktisch eine Art Gerichtsurteil. Ferner bitte ich zu bedenken, daß es sich um einen ganz kleinen untergeordneten Beamten handelt, der ja schließlich nicht so weitgehende Dinge sagen kann, also Dinge angeben kann, indem er sagt, daß höhere Formationen in Kiel und anderen Plätzen in Deutschland, völlig allgemein gehalten, in Deutschland, Kenntnis haben.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich vertagen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Bevor sich der Gerichtshof vertagt, möchte ich eine Berichtigung geben und um Entschuldigung bitten. Euer Lordschaft, ich dachte, daß von diesem Affidavit ein deutsches Exemplar gestern dem Zeugen vorgelegt worden sei, und es war offenbar ein englisches Exemplar. Das ursprüngliche Affidavit wurde abgesandt am 6. Mai und telephonisch von Oberst Phillimore bestätigt. Es ist noch nicht eingetroffen. Ein englisches Exemplar wurde übersandt, wird jetzt bearbeitet, und das Original wird vorgelegt werden, sobald es eintrifft, Euer Lordschaft, ich dachte, wir hätten das Original, aber offenbar ist es noch nicht angekommen. Dem Angeklagten wurde ein englisches Dokument vorgelegt.
VORSITZENDER: Wollen Sie Dr. Siemers das Original zur Einsicht geben, sobald es eintrifft?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja!