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[Das Gericht setzt die Verhandlung für 10 Minuten aus.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat den Antrag von Dr. Siemers sorgfältig geprüft und hat entschieden, daß die Stelle, gegen die er Einspruch erhebt und deren Streichung aus dem Affidavit des Walter Kurt Dietmann er bei dem Gerichtshof beantragt hat, mit Rücksicht auf Artikel 19 des Statuts nicht gestrichen wird. Der Satz enthält lediglich eine Meinungsäußerung, und der Gerichtshof wird diese Meinungsäußerung in ihrem Verhältnis zum gesamten Beweismaterial prüfen, wenn es dem Gerichtshof vorliegt. Der Gerichtshof wird dann über den Beweiswert dieser Meinungsäußerung und auch den Beweiswert des anderen Beweismaterials entscheiden.

DR. SIEMERS: Ich habe dann nur noch eine...

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie uns sagten, Sie hofften für das Rückverhör nur eine halbe Stunde zu benötigen.

DR. SIEMERS: Ja, Herr Präsident, entschuldigen Sie, ich bin sofort fertig.

Herr Großadmiral, Sir David hat gestern im Zusammenhang mit dem schon viel besprochenen Kommandobefehl Ihnen den Fall vorgehalten bezüglich des Angriffs auf den »Tirpitz«. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang fragen: Erinnern Sie sich, daß es sich hierbei – er kam vor bei der Vernehmung von Wagner – um den britischen Matrosen Evans handelt?

RAEDER: Ja!

DR. SIEMERS: Und erinnern Sie sich, daß nach dem Affidavit von Flesch D-864, GB-57, Flesch erklärt hat: »Mir ist nicht bekannt, daß Evans eine Uniform trug«?

RAEDER: Jawohl!

DR. SIEMERS: Ich brauche Ihnen die Urkunde nicht erst vorzulegen?

RAEDER: Nein, ich erinnere mich.

DR. SIEMERS: Erinnern Sie sich weiter, daß in der Urkunde UK-57, die am gleichen Tage bei der Vernehmung von Wagner vorgelegt wurde, erklärt ist, »daß der britische Matrose Evans in Zivil festgenommen wurde«?

RAEDER: Jawohl, ich habe das hier vor mir stehen.

DR. SIEMERS: Das war der eine Fall, wo der SD auf Grund des Kommandobefehls eine Ermordung ohne Wissen der Marine vorgenommen hat.

RAEDER: Jawohl, und der Mann war auch von der Polizei oder vom SD verhaftet worden, nicht von der Marine. Er war nur vernommen worden inzwischen von dem Admiral.

DR. SIEMERS: Der zweite Fall, der Ihnen vorgeworfen war, ist der Sabotageanschlag an deutschen Schiffen vor Bordeaux; auch dies habe ich neulich bei der Vernehmung mit Wagner geklärt.

Erinnern Sie sich, daß in diesem Dokument ebenfalls stand, daß die Betreffenden in Zivilkleidern nach Spanien zu entkommen versuchten?

RAEDER: Jawohl!

DR. SIEMERS: Herr Großadmiral, sind jemals bei der Kleinkampfwaffe, die gestern erwähnt wurde, die von Vizeadmiral Heye geleitet wurde, unsere Soldaten in Zivil aufgetreten?

RAEDER: Nein, das gab es nicht.

DR. SIEMERS: Nur in Uniform?

RAEDER: Jawohl, nur in Uniform. Es war eine Waffe genau so wie die U-Bootwaffe, Schnellbootwaffe und so weiter.

DR. SIEMERS: Ich habe dann als letztes nur noch, Herr Präsident, darauf hinzuweisen, auf die gestern von Oberst Pokrowsky eingereichte Urkunde USSR- 460. Betrifft die Moskauaufzeichnungen...

OBERST POKROWSKY: Hoher Gerichtshof! Im Zusammenhang mit dem gestrigen Gerichtsbeschluß, den übrigen Verteidigern Auszüge aus dem Dokument USSR-460 zu übergeben, haben heute die Vertreter der Anklagebehörde ihre Meinungen darüber getauscht. Die Anklagevertreter der Vereinigten Staaten, vertreten durch Herrn Dodd, die Anklagevertretung Englands, vertreten durch Sir David Maxwell- Fyfe, und die Sowjetanklagevertretung sind zu dem Entschluß gelangt, Sie um Genehmigung zu bitten, daß wir die drei kurzen Auszüge mit Bezug auf Dönitz, Keitel und Jodl, welche der Gerichtshof gestern bei der Annahme unseres Dokuments nicht vorlesen ließ, heute verlesen zu dürfen, damit diese Auszüge im Gerichtsprotokoll enthalten sind. Wenn wir den Gerichtshof recht verstanden haben, so beruhte seine Entscheidung auf Zeitmangel, da sich die Verhandlung zu lange hinzog. Deshalb sind drei Absätze, die von unserem Standpunkt aus sehr wichtig sind, und deren Richtigkeit der Angeklagte Dönitz1 gestern bestätigte, nicht im Sitzungsprotokoll enthalten. Deshalb bitte ich im Namen der drei Anklagebehörden um fünf Minuten Zeit, um diese Auszüge in das Protokoll verlesen zu können.

VORSITZENDER: Was wäre der beste Weg, Dr. Siemers? Möchten Sie, daß die Sache jetzt verlesen wird, so daß Sie dann dazu Fragen stellen können?

DR. SIEMERS: Herr Präsident, darf ich eben zu dieser Urkunde etwas sagen?

Die Sowjet-Delegation ist so liebenswürdig gewesen, mir das Original zur Verfügung zu stellen. Ich habe mir das Original gestern angesehen und mir auch den Auszug angesehen. Die Sowjet-Delegation ist ferner so liebenswürdig, eine Photokopie dieser betreffenden Teile dem Gerichtshof an Stelle des Originals, das die Sowjet-Delegation behalten möchte, einreichen zu wollen. Ich bin absolut mit diesem Vorgehen einverstanden und habe persönlich nicht die Absicht, irgendwelche Fragen dazu zu stellen, da es sich um ein klares Dokument handelt.

VORSITZENDER: Sehr gut!

DR. SIEMERS: Ich möchte deshalb bitten, daß die gestrige Meinung des Gerichts bestehen bleibt, die Dinge nicht erst weiter vorzulesen, genau so wie ja andere Dokumente, die allgemein im Gerichtssaal bekanntgeworden sind und gelesen wurden, auch nicht extra vorgelesen worden sind.

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Das Dokument war ursprünglich in deutscher Sprache abgefaßt. Vermutlich ist es ins Russische übersetzt worden. Sicherlich ist es ins Englische übersetzt worden. Wenn die französischen Mitglieder der Anklagebehörde nicht eine Verlesung wünschen, weil es noch nicht ins Französische übersetzt worden ist, hat es keinen Zweck, die Zeit des Gerichtshofs darauf zu verwenden, es in das Protokoll zu verlesen. Wir haben das Dokument in englischer Sprache erhalten und haben es alle gelesen.

MR. DODD: Herr Präsident! Ich glaube, es besteht doch ein Grund. Selbst wenn es in das Protokoll verlesen werden sollte, so wird es zumindest morgen werden, bis die Exemplare für die betroffenen Angeklagten zur Verfügung stehen, und dieser Zeuge oder dieser Angeklagte wird den Zeugenstand bereits verlassen haben. Wenn Sie ihn über das, was er über sie gesagt hat, kreuzverhören wollen, dann müßten wir, wie ich annehme, diesen Angeklagten in den Zeugenstand zurückbringen. Ich glaube, wir würden damit viel mehr Zeit verlieren als wenn Oberst Pokrowsky jetzt fünf Minuten braucht, um es zu verlesen. Sie werden es alle hören, und wenn Sie dazu Fragen stellen wollen, können Sie das sofort tun.

VORSITZENDER: Sehr gut, sehr gut.

Dr. Siemers! Wenn Sie dazu keine Fragen stellen wollen, können Sie Ihr Kreuzverhör jetzt abschließen, und dann kann Oberst Pokrowsky das Dokument verlesen.

Dann können die anderen Angeklagten, wenn sie dies tun wollen, Fragen an den Zeugen richten.

DR. SIEMERS: Jawohl!

VORSITZENDER: Wäre das nicht der beste Weg, Oberst Pokrowsky?

OBERST POKROWSKY: Ja, sicherlich.

DR. SIEMERS: Ich bin damit einverstanden, Herr Vorsitzender, aber ich glaube, daß dieses Dokument nicht verlesen werden braucht. Herr Dodd hat insofern einen kleinen Irrtum begangen, wenn er meint, daß die Angeklagten dieses Dokument noch nicht kennen. Sie kennen es alle, und auch die Verteidiger kennen es, und ich glaube, es ist nicht unbedingt erforderlich; aber letzten Endes soll es mir gleich sein.

VORSITZENDER: Wenn die Verteidiger eine Verlesung nicht verlangen, dann wünscht auch der Gerichtshof nicht, daß es verlesen wird, sofern nicht Verteidiger Fragen dazu stellen wollen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Vorsitzender, ich lege als Verteidiger von Großadmiral Dönitz keinen Wert auf die Verlesung. Ich kenne das Dokument.

DR. SIEMERS: Ich höre soeben, daß die Verteidiger das Dokument kennen und keinen Wert auf die Verlesung legen und auch keine Fragen zu stellen wünschen.

VORSITZENDER: Gut, dann Herr Dodd und Oberst Pokrowsky, scheint es keinen Zweck zu haben, es zu verlesen.

MR. DODD: Nein, ich bin zufriedengestellt, Herr Präsident. Ich habe noch nichts vom Anwalt Keitels gehört, er scheint einverstanden zu sein. Ich befürchte nur, daß vielleicht später – es ist ein für uns sehr interessantes Dokument natürlich – eine Frage entstehen könnte. Ich stehe dem Wunsch dieser Angeklagten, das Dokument nicht öffentlich zu verlesen, ebenfalls sympathisch gegenüber.

Der Verteidiger von Schacht hat sich auch nicht geäußert. Ich denke es wäre gut, Herr Präsident, wenn wir von allen Verteidigern eine klare Erklärung hätten, daß sie darüber keine Frage zu stellen wünschen, so daß wir völlig sicher sind, daß es nicht nochmals angeschnitten wird.

VORSITZENDER: Gut! Ich glaube, alle Verteidiger sind anwesend oder alle Angeklagten sind vertreten, und sie müssen es verstehen, was ich sage. Ich schließe aus ihrem Schweigen, daß sie mit dem, was Dr. Siemers gesagt hat, einverstanden sind und daß sie das Dokument nicht verlesen haben wollen und keine Fragen zu stellen wünschen.

OBERST POKROWSKY: Ich habe Ihre Entscheidung nicht verstanden, Herr Präsident. Erlauben Sie mir, diese wenigen Auszüge in das Protokoll zu verlesen oder nicht?

VORSITZENDER: Nein, Oberst Pokrowsky. Ich sage, daß das Dokument, da die Verteidiger eine Verlesung nicht wünschen, nicht verlesen werden braucht.

OBERST POKROWSKY: Wir messen diesem Dokument große Bedeutung bei, Herr Präsident; es berührt nicht nur die Interessen der Verteidiger, sondern auch die Interessen der Anklagebehörde. Das Dokument wurde gestern vom Gerichtshof angenommen, jedoch wurde aus irgendeinem Grund nur ein kleiner Teil der Charakterisierung, die Admiral Raeder darin gibt, in das stenographische Protokoll des Tages aufgenommen. Ich sehe keinen Grund, warum diese Auszüge nicht in das Protokoll verlesen werden sollten, und warum der Zeuge Raeder, der die Angeklagten Dönitz, Keitel und Jodl gut kannte, die Auszüge nicht hier und jetzt hören soll.

VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky und Dr. Siemers, der Gerichtshof hat gestern verfügt, daß es unnötig sei, das Dokument hier zu verlesen, und der Gerichtshof bleibt bei dieser Entscheidung mit Rücksicht auf den Umstand, daß die Verteidiger die Verlesung nicht wünschen und keine Fragen diesbezüglich zu stellen haben.

Ja, Dr. Siemers?

DR. SIEMERS: Herr Präsident, ich beendige damit mein Kreuzverhör von Großadmiral Raeder. Ich weiß nicht, ob sonst noch irgendwelche Fragen an Großadmiral Raeder zu stellen sind.

VORSITZENDER: Sind durch das Kreuzverhör Fragen entstanden, die die Verteidiger stellen wollen?

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich möchte noch zwei Fragen stellen.

Herr Großadmiral! Im Kreuzverhör sind Ihnen Befehle und Denkschriften über den U-Bootkrieg vorgehalten worden. Fühlen Sie sich verantwortlich für diejenigen Befehle über den U-Bootkrieg, die Sie während Ihrer Zeit als Oberbefehlshaber erlassen haben?

RAEDER: Ich fühle mich voll verantwortlich für die gesamten Befehle über den U-Bootkrieg, der unter meiner Verantwortung ja stattfand, ebenso wie für jede von mir befohlene Seekriegshandlung. Ich habe in der Seekriegsleitung mit den Offizieren der Skl die Weisungen ausgearbeitet, die Denkschriften gebilligt und genehmigt und danach die Befehle erteilt, der B.d.U. war lediglich der taktische Führer der U- Boote. Er gab die Befehle weiter und leitete die Operationen im einzelnen.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Herr Großadmiral, Sir David hat Ihnen gestern vorgehalten, daß er nicht feststellen könne, wer eigentlich den Befehl gegeben hat, das Logbuch des U-Bootes zu ändern, das die »Athenia« versenkt hat.

Admiral Godt hat hier auf meine Frage ausgesagt, daß er diesen Befehl gegeben habe im Auftrage von Admiral Dönitz. Kennen Sie irgendwelche Tatsachen, die diese Aussage von Admiral Godt als unrichtig hinstellen?

RAEDER: Ich habe mich wirklich um diese Sache überhaupt nicht gekümmert. Ich habe nur die drei Punkte befohlen, die hier wiederholt genannt worden sind.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Sie halten also die Aussage von Admiral Godt für richtig?

RAEDER: Ich nehme an, daß das richtig ist, da er ja sonst alles sehr zuverlässig aussagte hier.

FLOTTENRICHTER KRANZBÜHLER: Ich habe keine weiteren Fragen.

VORSITZENDER: Der Angeklagte kann sich auf die Anklagebank zurückbegeben.

DR. SIEMERS: Ich bitte dann mit Erlaubnis des Gerichts, meinen ersten Zeugen, den früheren Reichsminister Severing, vorladen zu dürfen.