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[Zum Zeugen gewandt:]

Vertraute Raeder in den Jahren 1933 bis 1939 fest darauf, daß Hitler keinen Krieg beginnen würde?

SCHULTE-MÖNTING: Darauf vertraute Raeder hundertprozentig, und ich glaube, als Beweis anführen zu können, daß tatsächlich in unserem Bauprogramm in der genannten Zeit niemals etwas geändert ist. Das wäre notwendig gewesen, wenn man sich gedanklich wenigstens auf einen kriegerischen Konflikt hätte einstellen müssen.

DR. SIEMERS: In welcher Richtung hätte man das Bauprogramm ändern müssen, wenn man einen Angriffskrieg führen wollte?

SCHULTE-MÖNTING: Man hätte zumindest das U-Boot-Bauprogramm vorziehen müssen.

DR. SIEMERS: War es Ihnen und den maßgebenden Seeoffizieren klar, daß ein von Deutschland begonnener wirklicher Angriffskrieg zwangsläufig einen Krieg mit England zur Folge haben würde?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, aus dieser Tatsache ergibt sich meines Erachtens der Beweis, daß ein Angriffskrieg nicht geplant war.

DR. SIEMERS: Herr Admiral! Nun ereigneten sich aber 1938 und 1939 verschiedene Dinge, die doch wohl zu einer gewissen Skepsis berechtigten. Ich erinnere an die Krise im Herbst 1938 bezüglich des Sudetenlandes, bei der es fast zum Kriege kam, der dann nur durch das Abkommen von München im letzten Augenblick verhindert wurde.

Ich erinnere aber besonders an die Besetzung der restlichen Tschechei im März 1939, welche dem Münchener Abkommen zuwiderlief.

Wie war nun die Stellungnahme Raeders zu diesen Ereignissen, die Sie ja kennen müssen, da Sie so gut wie täglich mit ihm sprachen?

SCHULTE-MÖNTING: Da Hitler in München ausdrücklich erklärt hatte, daß er nur auf die deutschen Gebiete der Tschechoslowakei Wert lege und tatsächlich, obwohl er sich vielfach nach außenhin etwas übertrieben energisch gab, zu Verhandlungen bereit war, glaubten Raeder und die maßgebenden Stellen in der Marine, daß diese Dinge politisch bereinigt würden.

Bei der Besetzung der Tschechoslowakei trat zweifelsohne eine große Beunruhigung bei uns ein. Aber wir glaubten fest, daß Hitler keine überspannten Forderungen stellen würde und daß er bereit wäre, diese Dinge politisch zu bereinigen, weil wir uns nicht vorstellen konnten, daß er das deutsche Volk der Gefahr eines zweiten Weltkrieges aussetzen würde.

DR. SIEMERS: Haben Sie vor dem unter eigenartigen Umständen zustande gekommenen Vertrag mit Hácha irgend etwas davon gewußt, daß angeblich mit einem Bombardement Prags gedroht worden ist, oder hat Raeder etwas davon gewußt?

SCHULTE-MÖNTING: Ich glaube nicht, daß Raeder etwas davon gewußt hat. Ich höre von dieser Tatsache zum erstenmal.

DR. SIEMERS: Ich komme nun zu dem Dokument L-79. Es ist die Rede Hitlers, und zwar der sogenannte »Kleine Schmundt« vom 23. Mai 1939.

Herr Präsident! Es ist US-27 und befindet sich im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10, Seite 74.

Darf ich bitten, dieses Dokument dem Zeugen zu überreichen.

Diese Rede Hitlers vom 23. Mai 1939 wurde von dem diensttuenden Adjutanten Oberstleutnant Schmundt protokolliert. Soviel ich weiß, hat Raeder am gleichen Tage über diese Rede im einzelnen mit Ihnen gesprochen. Sie waren damals seit einem halben Jahr Chef des Stabes. Aus Ihrer späteren Tätigkeit kennen Sie die Art der Protokolle. Ich darf Sie bitten, mir zu sagen, ist dies ein Protokoll, wie es bei militärischen Reden üblich ist?

SCHULTE-MÖNTING: Als Protokoll kann man diese Niederschrift nicht werten. Ich habe von diesem Protokoll...

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Sie haben dem Zeugen ja eine sehr stark führende Frage gestellt. Sie haben ihm keine Frage gestellt. Sie legen ihm das, was sich ereignet hat, in den Mund. Das ist völlig falsch. Wenn Sie eine Unterredung, die er mit Raeder hatte, beweisen wollten, hätten Sie ihn fragen sollen, ob er eine Unterredung mit Raeder gehabt hat. Sie erzählten ihm, er habe eine Unterredung mit Raeder gehabt. Der Zweck des Verhörs ist, Fragen zu stellen, dann kann er uns sagen, ob er mit Raeder eine Unterredung hatte. Er kann uns nicht sagen, ob dies eine wahre Darstellung oder eine wahre Form der Darstellung ist, wenn er selbst nicht bei der Zusammenkunft anwesend war.

DR. SIEMERS: Ich danke dem Gericht und werde mich bemühen, richtig zu fragen. Der Zeuge...

VORSITZENDER: Nicht nur das; der Gerichtshof kann sich nicht den Bericht des Zeugen oder seine Meinung darüber anhören, ob das ein wahrer Bericht über eine Zusammenkunft ist, bei der er nicht zugegen war.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Die ordnungsmäßigen Protokolle über wichtige Vorgänge hat der Zeuge als Chef des Stabes stets gesehen, und sie sind ihm laut Verteiler übersandt worden. Ich möchte deshalb, da dies Dokument grundlegend ist, feststellen, ob Schulte-Mönting als Chef des Stabes dieses Protokoll bekommen hat oder ob er lediglich den Inhalt kennengelernt hat durch den sofortigen Bericht an Großadmiral Raeder. Darauf zielte meine Frage ab.

VORSITZENDER: Verzeihung, meinen Sie, daß Sie ihn fragen wollen, ob er jemals dieses Dokument gesehen hat? Sie können ihm gewiß diese Frage vorlegen. Fragen Sie ihn, ob er das Dokument gesehen hat.

DR. SIEMERS: Ich bitte zu entschuldigen, die Antwort des Zeugen ging, glaube ich, in der Übersetzung unter, wenn ich richtig...

VORSITZENDER: Es liegt uns nichts an seiner Antwort, es kommt uns auf die Frage an, die Sie ihm stellen. Er kann dann antworten, ob er das Dokument gesehen hat.

DR. SIEMERS: Ja, ich stelle diese Frage.

Herr Admiral, haben Sie dieses Dokument seinerzeit zu sehen bekommen?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, ich habe es jetzt zum ersten Male hier in Nürnberg bekommen.

DR. SIEMERS: Wie haben Sie über den Inhalt dieser Rede vom 23. Mai Kenntnis erhalten?

SCHULTE-MÖNTING: Raeder hat mich grundsätzlich nach allen Ansprachen oder Aussprachen auch unter vier Augen, die er mit anderen Herren getätigt hat, hinterher genau unterrichtet. Raeder hat nach dieser Ansprache mir sofort seine Eindrücke von dieser Ansprache vermittelt. Diese Eindrücke stehen in Widerspruch zu diesem sogenannten Protokoll. Raeder hat nicht diesen Eindruck – ich möchte sagen, diesen übertriebenen kriegerischen Eindruck, den dieses Papier atmet – gehabt. Er hat aber...

VORSITZENDER: Der Zeuge muß uns sagen, was Raeder ihm gesagt hat. Das habe ich Ihnen schon vorher erklärt. Er kann uns mitteilen, was Raeder ihm gesagt hat.

DR. SIEMERS: Herr Admiral! Ich darf Sie bitten, zu sagen, was Raeder Ihnen berichtet hat?

SCHULTE-MÖNTING: Raeder hat mir gesagt, daß Hitler in seiner Ansprache einen Konfliktfall mit Polen auf weitere Sicht in Aussicht genommen hätte und daß dies im Widerspruch stände zu den Dingen, die er mit ihm unter vier Augen besprochen hatte. Daß die Ansprache an und für sich auch in sich Widersprüche birgt, das waren seine Eindrücke, die er damals mir vermittelte. Er sagte mir dann ferner, daß er im Anschluß an diese Ansprache eine Unterredung mit Hitler gehabt habe unter vier Augen, worin er ihn auf die Widersprüche aufmerksam gemacht hat, die einmal in dieser Ansprache lagen; andererseits aber auch zu den Worten, die er ihm gesagt hatte, nämlich den Fall Polen unter allen Umständen friedlich zu bereinigen... und in diesem Fall, eine kriegerische Lösung für möglich zu halten. Hitler habe ihn absolut beruhigt und ihm gesagt, er habe die Dinge politisch fest in der Hand.

Er hat seinerzeit, als Raeder ihn fragte oder aufmerksam machte auf diese Widersprüche und ihn fragte, was er denn nun wirklich wolle, etwa geantwortet, wie es mir Raeder wiedergegeben hat: Ich, Hitler, habe drei Arten der Geheimhaltung. Die erste, wenn wir beide unter vier Augen sprechen; die zweite, die behalte ich, Hitler, für mich; die dritte, das sind Probleme der Zukunft, die ich nicht zu Ende denke.

Raeder hat ihn auf die Unmöglichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung aufmerksam gemacht. Darauf sagte ihm Hitler, die Dinge liegen etwa – wie Raeder mir es wiedergab – so: Es ist so ähnlich, als ob wir beide um einen Vergleich verhandelten, um eine Mark. Ich, Hitler, habe bereits 99 Pfennige. Glauben Sie, daß Sie wegen dieses einen fehlenden Pfennigs mit mir noch zu Gericht gehen? Darauf erwiderte Raeder: Nein. Sehen Sie, sagte Hitler zu Raeder, ich habe, was ich will, politisch bekommen, und ich glaube nicht, daß wegen dieser letzten politischen Frage, nämlich, wie wir sie nannten, die Bereinigung des Polnischen Korridors, wegen dieser Frage wir mit einem Krieg mit England zu rechnen haben.

DR. SIEMERS: Das war in einer Besprechung zwischen Hitler und Raeder im Anschluß an diese Rede?

SCHULTE-MÖNTING: Das war im Anschluß an diese Rede.

VORSITZENDER: Wir werden jetzt eine Pause machen.