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[Pause von 10 Minuten.]

DR. SIEMERS: Herr Admiral! Ich habe zu dem Protokoll, das ich Ihnen gezeigt hatte, noch eine Schlußfrage.

Haben Sie selbst als Chef des Stabes regelmäßig alle Protokolle, die Raeder zugingen, ebenfalls gesehen und erhalten?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, ich habe sämtliche Protokolle, sämtliche Eingänge, die Raeder vorgelegt wurden, grundsätzlich vorher gehabt.

DR. SIEMERS: Vertrat Großadmiral Raeder den Standpunkt, daß... Verzeihung, ich möchte die Frage lieber anders stellen.

Welchen Standpunkt vertrat Raeder bezüglich Marine und Politik?

SCHULTE-MÖNTING: Raeder stand auf dem Standpunkt, wir – die Marine – hat mit der Politik nichts zu tun. Er hat diesen Standpunkt übernommen als Weisung und Vermächtnis des alten Reichspräsidenten von Hindenburg, der ihm seinerzeit, als er ihn an die Spitze der Marine berief, dieses zur Pflicht gemacht hatte.

DR. SIEMERS: Ich komme jetzt zu Norwegen. Welche Gründe veranlaßten Raeder, im September und Oktober 1939 Überlegungen hinsichtlich der eventuellen Besetzung Norwegens anzustellen?

SCHULTE-MÖNTING: Es waren die Nachrichten, die aus verschiedenen Quellen über angebliche Absichten der Besetzung Norwegens durch die Alliierten einliefen. Diese Nachrichten kamen aus folgenden Quellen:

Erstens, Admiral Canaris, der Chef unseres Abwehrdienstes war, trug ja wöchentlich einmal Raeder die eingegangenen Nachrichten vor. In meiner Gegenwart.

Zweitens, die Nachrichten des Marine-Attachés Oslo, Korvettenkapitän Schreiber, die dahin gingen, daß die Gerüchte sich verdichteten, daß die Alliierten die Absicht hätten, Skandinavien in den Krieg hineinzuziehen, um nach Möglichkeit auch die Erzausfuhr von Schweden nach Deutschland zu unterbinden. Diese Nachrichten hielten wir nicht für ausgeschlossen, weil, wie im letzten Weltkrieg dokumentarisch feststand, Churchill ernstliche Erwägungen über die Besetzung Norwegens hatte.

DR. SIEMERS: Gab es noch eine weitere Quelle dieser Nachrichten?

SCHULTE-MÖNTING: Generaladmiral Carls, der Befehlshaber der Gruppe Nord, hatte ähnliche Nachrichten und trug sie mündlich und Schriftlich Raeder vor.

DR. SIEMERS: Erinnern Sie sich noch irgendwelcher Einzelheiten dieser Nachrichten, die Sie nur stichworthaltig anzugeben brauchen?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, es lagen Nachrichten über angeblich in Zivil getarnte englische Flugbesatzungen in Oslo vor. Es lagen Nachrichten vor über Vermessungsarbeiten durch alliierte Offiziere an norwegischen Brücken, Viadukten und Tunnels bis an die schwedische Grenze, die darauf hindeuten ließen, daß man schweres Gerät und Geschütze transportieren wollte.

Es lagen nicht zuletzt Nachrichten von stiller Mobilmachung schwedischer Truppen vor wegen angeblicher Gefährdung der Erzgebiete.

DR. SIEMERS: Welche Gefahren entstanden dadurch für Deutschland?

SCHULTE-MÖNTING: Wenn tatsächlich Norwegen besetzt worden wäre, wäre eine Kriegführung in der Nordsee fast unmöglich geworden, in der Ostsee sehr erschwert. Die Erzausfuhr wäre wahrscheinlich unterbunden worden, die Gefahr aus der Luft für Norddeutschland und die östlichen Gebiete würde furchtbar geworden sein. Auf weitere Sicht gesehen, wären Nordsee und Ostsee restlos blockiert worden, was letzten Endes zum totalen Kriegsverlust geführt hätte.

DR. SIEMERS: Was tat Raeder nun aus dieser Überlegung?

SCHULTE-MÖNTING: Er machte Hitler von seinen Bedenken durch einen Vortrag auf die Gefahren aufmerksam.

DR. SIEMERS: Wann war dieser Vortrag?

SCHULTE-MÖNTING: Meines Wissens im Herbst 1939.

VORSITZENDER: Dr. Siemers! Wollen Sie bitte bis zur Pause sehr langsam vorgehen, da die elektrische Aufnahmeanlage nicht funktioniert und die Vorgänge hier im Gerichtssaal nicht festgehalten werden können. Aus diesem Grunde sind wir auf das Stenogramm allein angewiesen, das nicht mit Hilfe der elektrischen Aufnahme überprüft werden kann. Sie verstehen, daß ich Sie deshalb bitte, langsamer als gewöhnlich zu sprechen.

DR. SIEMERS: Wann war die Besprechung zwischen Hitler und Raeder, wo Raeder zum erstenmal auf diese Gefahren aufmerksam machte?

SCHULTE-MÖNTING: Im Oktober 1939.

DR. SIEMERS: Nach dem Kriegstagebuch fand die Besprechung, an die Sie sich natürlich aus dem Kopf nicht erinnern können, am 10. Oktober statt. Jedenfalls meinen Sie vermutlich diese Besprechung?

SCHULTE-MÖNTING: Ja.

DR. SIEMERS: Kam es auf Grund dieser Besprechung bereits zu einem endgültigen Entschluß seitens Hitlers?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, in keiner Weise.

DR. SIEMERS: Haben dann zwischen Hitler und Raeder fortlaufend Unterhaltungen über dieses Thema stattgefunden?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, es haben dann keine weiteren Besprechungen bis etwa Ende des Jahres stattgefunden in dieser Richtung. Erst als die Nachrichten, die ich vorher erwähnte, in verschärfter Form einliefen, wurde dieses Thema wieder aufgegriffen.

DR. SIEMERS: Ist Ihnen bekannt, daß Quisling im Dezember 1939 nach Berlin kam und auch mit Raeder gesprochen hat?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, es ist mir bekannt, und ich habe an dieser Unterhaltung teilgenommen.

DR. SIEMERS: Was teilte Quisling Raeder mit?

SCHULTE-MÖNTING: Quisling kam auf Empfehlung von Rosenberg und sagte, er habe wichtige militärisch-politische Nachrichten. Er bestätigte im großen und ganzen die Dinge, die wir bereits wußten.

DR. SIEMERS: Wurde bei dieser Unterhaltung nur von diesen militärischen Gefahren gesprochen?

SCHULTE-MÖNTING: Es wurden ausschließlich diese Dinge besprochen, die Unterredung war auch sehr kurz.

DR. SIEMERS: Es sind keine politischen Fragen besprochen worden?

SCHULTE-MÖNTING: Überhaupt nicht.

DR. SIEMERS: Wissen Sie, wann Raeder Quisling zum erstenmal gesehen hat, wann er ihn kennenlernte?

SCHULTE-MÖNTING: Bei diesem Besuch.

DR. SIEMERS: Hatte zu der Zeit Raeder irgendwelche engere Beziehungen zu Rosenberg?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, er kannte ihn flüchtig vom Sehen.

DR. SIEMERS: Hatte Rosenberg Raeder über die Beziehungen Rosenberg-Quisling schon früher einmal unterrichtet?

SCHULTE-MÖNTING: Meines Wissens, nein.

DR. SIEMERS: Was tat Raeder, als Quisling die Nachrichten, die Canaris und andere gegeben hatten, bestätigte?

SCHULTE-MÖNTING: Da von norwegischer Seite die Dinge bestätigt wurden, die wir vermuteten, hielt Raeder es für sehr natürlich, daß er unmittelbar zu Hitler kam.

DR. SIEMERS: Wissen Sie auch, was er Hitler vorschlug?

SCHULTE-MÖNTING: Hitler wünschte Quisling selbst zu sprechen.

DR. SIEMERS: Und das geschah?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, das geschah.

DR. SIEMERS: Wurde nun ein endgültiger Entschluß gefaßt bezüglich Norwegen im Dezember 1939?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, Hitler ordnete an, daß als Gegenmaßnahmen gedankliche Vorarbeiten zu treffen seien für eine deutsche Landung in Norwegen. Eine Anordnung erging meines Wissens, eine endgültige Anordnung, erst im März.

DR. SIEMERS: War die Landung in Norwegen ein Unternehmen, das von Ihnen und Raeder als Wagnis angesehen wurde, oder glaubte man sich seiner Sache völlig sicher?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, Raeder und die Herren der Seekriegsleitung und auch die Frontbefehlshaber sahen in diesem Unternehmen das größte Risiko. Ich erinnere an eine Ansprache Churchills im Parlament, wo er, über diese Tatsache gefragt, sagte, er glaube nicht, daß die deutsche Flotte angesichts der britischen Flotte dieses Risiko übernehmen würde.

DR. SIEMERS: Wissen Sie, wann Churchill dies etwa sagte?

SCHULTE-MÖNTING: Ich glaube, zwischen 7. und 9. April.

DR. SIEMERS: 1940?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, 1940.

DR. SIEMERS: Wie hoch schätzten Sie in der Seekriegsleitung das Risiko des Verlustes ein?

SCHULTE-MÖNTING: Raeder hat Hitler gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß er mit dem völligen Verlust der Flotte rechnen müßte und daß, wenn die Operationen klar liefen, er mit etwa 30 Prozent der eingesetzten Streitkräfte rechnen müßte.

DR. SIEMERS: Und wieviel gingen verloren?

SCHULTE-MÖNTING: Etwa 30 Prozent.

DR. SIEMERS: Bei einem Risiko des Verlustes der ganzen Flotte war Raeder trotzdem von vornherein betont für dieses Unternehmen?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, er hielt eine neutrale Haltung Norwegens für besser, als dieses Risiko eingehen zu müssen.

DR. SIEMERS: Die Anklage hat behauptet, daß Raeder und die Seekriegsleitung die Besetzung Norwegens aus Ruhmsucht empfohlen haben und aus Eroberungssucht. Was sagen Sie hierzu?

SCHULTE-MÖNTING: Ruhmsucht lag Raeder nicht. Die Operationen, die auf seinem Schreibtisch entstanden, trugen zwar den Stempel kühnen Wagemuts, aber auch kühlster Überlegung. Bis in die kleinsten Details durchdacht auf eine Entfernung etwa von den deutschen Ausgangshäfen bis nach Narvik, die etwa einer Entfernung entsprechen würde von Nürnberg nach Madrid, setzte man die Flotte aus Ruhmsucht gegen die überlegene englische Flotte nicht ein.

Raeder hatte der Seekriegsleitung und den Frontbefehlshabern gesagt, daß er gegen alle Regeln der Kriegskunst diese Operationen durchführen müßte, weil eine zwingende Notwendigkeit vorläge.

DR. SIEMERS: Wann erfolgte die tatsächliche Ausarbeitung der militärischen Operation bei der Seekriegsleitung?

SCHULTE-MÖNTING: Februar 1940.

DR. SIEMERS: Fanden sich in der Zeit Dezember 1939 bis März 1940 laufend aus den von Ihnen genannten Quellen weitere Nachrichten ein?

SCHULTE-MÖNTING: Ja.

DR. SIEMERS: Wurde bei diesen späteren Nachrichten schon eine genauere Bezeichnung der Landungen angegeben, oder haben Sie die diesbezüglichen Einzelheiten nicht gesehen?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, sie bewegten sich zwischen Narvik über Bergen nach Drontheim, Bergen bis Oslo.

DR. SIEMERS: Ist Raeder Hitler gegenüber... Verzeihung, ich möchte anders fragen; welche Grundlage hat Raeder Hitler für die Beziehung Deutschland- Norwegen vorgeschlagen?

SCHULTE-MÖNTING: Ich möchte darauf...

DR. SIEMERS: Verzeihung, ich meine, ich komme jetzt zu der Zeit, nachdem die Operation durchgeführt und Deutschland Norwegen besetzt hatte?

SCHULTE-MÖNTING: Raeder trat Hitler gegenüber für eine Friedenspolitik ein. Er hatte mehrfach vorgeschlagen zu versuchen, mit Norwegen Frieden zu schließen. Er ging damit mit dem Marine-Oberbefehlshaber, mit dem deutschen Oberbefehlshaber in Norwegen, Generaladmiral Boehm, konform, während Terboven, der die Dinge politisch steuerte, wohl anderer Ansicht war.

DR. SIEMERS: Sind auf diesem Gebiet starke Differenzen entstanden zwischen Terboven und seiner Zivilverwaltung auf der einen Seite, und Raeder und Boehm und seinem Mitarbeiter Korvettenkapitän Schreiber auf der anderen Seite?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, es sind sehr starke Differenzen entstanden, Streitigkeiten, die bis zu Hitler ausgefochten wurden.

Hitler antwortete damals Raeder, daß er mit Norwegen keinen Frieden schließen könne, mit Rücksichtnahme auf Frankreich.

DR. SIEMERS: Herr Admiral! Sie sagen »mit Rücksicht auf Frankreich«. Konnte man denn nicht mit Frankreich auch Frieden schließen, und welche Stellung hat Raeder in dieser Beziehung eingenommen?

SCHULTE-MÖNTING: Raeder verfocht dieselbe Linie auch bei Frankreich.

DR. SIEMERS: Und was sagte er?

SCHULTE-MÖNTING: Er hat eine Besprechung mit Admiral Darlan angestrebt, um diese Dinge vorwärts zu treiben. Er hat Hitler bei der Befestigung der Atlantikküste darauf aufmerksam gemacht, daß es besser und richtiger sei, mit Frankreich Frieden zu schließen, als große und doch nicht vollwertige Opfer in die Verteidigung zu stecken. Hitler erwiderte darauf, daß er dies zwar einsehe, aber mit Rücksicht auf Italien einen Friedensschluß mit Frankreich nicht durchführen könne.

DR. SIEMERS: Hat die Besprechung Raeder-Darlan stattgefunden?

SCHULTE-MÖNTING: Jawohl, in der Nähe von Paris.

DR. SIEMERS: Waren Sie dabei?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, Admiral Schultze, der Kommandierende Admiral in Frankreich.

DR. SIEMERS: Hat Raeder Ihnen gesagt, ob die Unterhaltung günstig verlaufen ist?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, er hat mir von dem sehr günstigen Verlauf Mitteilung gemacht.

DR. SIEMERS: Hat Raeder darüber Hitler berichtet?

SCHULTE-MÖNTING: Ja.

DR. SIEMERS: Und Hitler hat dann trotzdem abgelehnt?

SCHULTE-MÖNTING: Jawohl, mit Rücksicht auf Mussolini.

DR. SIEMERS: Haben nach Ihrer Kenntnis die Partei- oder die SS-Führung durch Heydrich versucht, Raeder zu bekämpfen?

SCHULTE-MÖNTING: Heydrich hat mehrfach versucht, Raeder und die Marine durch diffamierende Äußerungen und durch Bespitzelung bei Hitler in Mißkredit zu bringen, sei es, daß er in das Offizierkorps oder in die Kasinos Spitzel entsandte; sei es, daß er Nachrichten, die aus dem Zusammenhang gegriffen waren, entstellte.

Gegen diese Angriffe hat sich Raeder hartnäckig mit Erfolg verteidigt.

DR. SIEMERS: Warum war die Partei gegen Raeder eingestellt?

SCHULTE-MÖNTING: Eine Frage, die schwer zu beantworten ist.

Ich glaube, im wesentlichen, weil in erster Linie Differenzen auf religiösem Gebiet bestanden. Es wandten sich manche Kommandanten, bevor sie auf Feindfahrt fuhren, an Raeder, damit während ihrer Abwesenheit ihre Angehörigen nicht in ihrer Glaubensfreiheit beschränkt wurden.

DR. SIEMERS: Wann entstanden zuerst Differenzen zwischen Raeder und Hitler, und in welcher Zeit hat Raeder um seinen Abschied gebeten?

VORSITZENDER: Haben wir das nicht von dem Angeklagten selbst gehört? Raeder hat uns das gesagt, als wir ihn fragten. Kein Kreuzverhör darüber.

DR. SIEMERS: Dann darf ich Sie nur fragen: Aus welchen Gründen ist Raeder geblieben?

SCHULTE-MÖNTING: Einmal bat ihn Hitler selbst darum, machte ihm Zusicherungen für die Integrität der Marine...

Ferner bestanden damals Erwägungen, die Handelsmarine und Kriegsmarine in einem Ministerium zu vereinigen und sie parteimäßig zu besetzen. In dieser Möglichkeit sahen wir keine Stärkung, sondern eine Schwächung der Waffe.

Zudem trat in der fraglichen Zeit ein Nachfolgervakuum ein durch Krankheiten und Ausfälle, und nicht zuletzt blieb Raeder im Kriege aus Verantwortlichkeitsgefühl und Vaterlandsliebe.

DR. SIEMERS: Haben Sie selbst Raeder gebeten, im Amt zu bleiben?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, ich habe Raeder verschiedentlich sehr ernst bitten müssen. Ich bin einmal selbst von Hitler in die Reichskanzlei befohlen worden.

DR. SIEMERS: Wann war das?

SCHULTE-MÖNTING: Anfang 1939, wo er mir in einer sehr langen Unterhaltung seinen Standpunkt klarmachte und mich bat, Raeder davon zu überzeugen, daß er bleiben müßte. Ferner hatte er das Vertrauen der Marine. Die älteren Offiziere und Beamten der Marine haben mich schriftlich wie mündlich gebeten, in dieser Richtung auf Raeder einzuwirken, nicht vorzeitig sein Amt zu verlassen. Er hatte seit 1928 mit sicherer Hand die Marine durch alle politischen Fährnisse gesteuert.

DR. SIEMERS: Herr Admiral! Ich darf noch einmal eben zurückkommen auf Ihre Unterhaltung mit Hitler Anfang 1939. Sprachen Sie mit Hitler allein?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, die Unterhaltung war unter vier Augen, etwa eineinhalb Stunden.

DR. SIEMERS: Hat Hitler Ihnen bei dieser Gelegenheit irgend etwas über seine politischen Pläne gesagt?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, über politische Pläne in dem Sinne nicht, was man mit Politik bezeichnet; sondern er hat nochmal versucht, die politischen Diskrepanzen mit Raeder zu überbrücken. Er hat mir gesagt, man dürfe bei ihm nicht alle Worte auf die Goldwaage legen; jeder, der von ihm ginge, hätte immer wieder recht, er käme mit Protokollen und mit Zeugen. Ihm läge daran, seine Zuhörer mitzureißen und sie zur Höchstleistung anzuspornen, aber nicht sich mit ihnen auf ein Wort festzulegen. Er wolle in Zukunft versuchen, die Integrität der marinefachlichen Fragen dabei aufrechtzuerhalten.

DR. SIEMERS: Sie sagten eben, nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Herr Admiral, sind eigentlich später die Reden von Hitler richtig protokolliert, also mitstenographiert worden oder nie?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, aber meines Wissens erst im späteren Verlauf des Krieges. Hitler sträubte sich, festgelegt zu werden, weil jeder mit seiner eigenen Auffassung wieder nach Hause ging. Er machte sich selber frei von seinem Konzept, er dachte laut, und er wollte die Zuhörer mit sich reißen, aber nicht beim Wort genommen werden. Ich habe mit Raeder öfter darüber gesprochen. Wir wußten immer, was man von uns wollte, wir wußten aber nie, was Hitler selber dachte oder wollte.

DR. SIEMERS: Wenn Hitler nicht beim Wort genommen werden wollte, wieso kam er dann doch dazu, später, im Krieg, wie Sie sagen, seine Reden stenographieren zu lassen?

SCHULTE-MÖNTING: Ich sagte Ihnen schon, daß so viele Mißverständnisse entstanden waren, und sowohl Hitler als die Vortragenden glaubten, jeder den anderen von seiner Meinung überzeugt zu haben. Daraufhin wurde das Protokoll eingeführt. Die früheren Protokolle waren persönliche Eindrücke nicht dazu Bestellter aus eigener Initiative heraus.

VORSITZENDER: Von welcher Zeit spricht der Zeuge jetzt? Er sagte, bis dahin seien die Protokolle lediglich durch die persönliche Initiative der Person, die sie aufgenommen hat, entstanden. Von welcher Zeit spricht er denn?

DR. SIEMERS: Seit wann wurden nach Ihrer Erinnerung die Protokolle durch Stenographen aufgenommen?

SCHULTE-MÖNTING: Seit 1942, glaube ich.

DR. SIEMERS: Seit 1942?

SCHULTE-MÖNTING: Es kann auch 1941 sein. Erst im Kriege.

DR. SIEMERS: Ihre Unterhaltung mit Hitler war aber im Januar 1939?

SCHULTE-MÖNTING: Januar 1939.

DR. SIEMERS: Herr Admiral! Wie sahen dann nun später die stenographischen Protokolle aus. Haben Sie die einmal gesehen?

SCHULTE-MÖNTING: Wir haben uns verschiedentlich Auszüge geben lassen aus dem Stenogramm und haben versucht, sie mit dem Konzept zu vergleichen, und auch diese enthielten Widersprüche.

DR. SIEMERS: Ich komme nun zu dem Zeitpunkt, wo Hitler den Krieg gegen Rußland vorbereitete und darf Ihnen die Weisung Nummer 21, Fall »Barbarossa«, vom 18. Dezember 1940 vorlegen.

Herr Präsident! Es ist das Dokument 446-PS gleich US-31 im Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 247.

Die Anklage hat behauptet, daß Raeder beziehungsweise die Führung in der Marine an der Ausarbeitung dieser Weisung mitgearbeitet habe. Ist das richtig?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, das trifft nicht zu. Die Marine ist an dieser Ausarbeitung nicht beteiligt worden.

DR. SIEMERS: Hatte Raeder vorher schon Kenntnis von Hitlers Plan, gegen Rußland vorzugehen, bevor er diese Weisung erhielt?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, durch eine mündliche Informierung Hitlers an Raeder etwa Mitte August 1940, Oktober 1940.

DR. SIEMERS: Oktober 1940. Hat Raeder Sie über seine Besprechungen unterrichtet, die er mit Hitler hatte über Rußland, und wie hat sich Raeder bei diesen Besprechungen eingestellt?

SCHULTE-MÖNTING: Raeder hat mich genauestens unterrichtet, weil ein Kriegsfall mit Rußland ja viel zu gravierend war, um ihn oberflächlich zu behandeln. Raeder hat aufs schärfste gegen einen Kriegsplan Rußland opponiert, und zwar aus, ich möchte sagen, aus moralischen Gründen, weil Raeder der Ansicht war, daß ein Vertrag mit Rußland nicht gebrochen werden durfte, solange die andere Seite keinen Anlaß dazu gäbe. Das war, soweit es Raeder wußte, im Oktober noch nicht der Fall. Dieser Wirtschaftsvertrag, wie wir ihn damals nannten, ging unseres Wissens zu Lasten der Marine, etwa zu 90 Prozent. Wir haben an Rußland abgegeben: einen schweren Kreuzer, schwere Artillerie für Schlachtschiffe. Artilleriefeuerleitanlagen, U-Bootmaschinen, U-Bootaggregate, wertvollste U-Bootoptik. Raeder stand zudem auf dem Standpunkt, daß der Kriegsschauplatz nicht in die Ostsee getragen werden dürfte. Die Ostsee war unser Kasernenhof, möchte ich sagen. Der gesamte Nachwuchs wurde dort geschult, die gesamte U-Bootausbildung ging in der Ostsee vor sich. Wir hatten schon die Ostseeküste zum Teil von Batterien und Personal entblößt, zum Schutze für die norwegische und französische Küste. Wir verfügten über einen sehr geringen Ölvorrat, die synthetische Ölgewinnung war noch nicht auf vollen Touren. Die Marine mußte aus ihren Beständen abgeben an Industrie und Landwirtschaft. Infolgedessen hat Raeder gegen eine Kriegführung mit Rußland aufs schärfste opponiert.

DR. SIEMERS: Herr Admiral! Die Anklage meint, daß Raeder nur hinsichtlich des Zeitpunktes des Krieges mit Rußland opponiert hat und will dies aus dem Kriegstagebuch schließen, wo tatsächlich die Eintragungen den Zeitpunkt betreffen. Ist das richtig?

SCHULTE-MÖNTING: Nein, das trifft nicht zu. Raeder hat nach Eingang der Weisung 21, genannt »Barbarossa«, nochmals Hitler auf den Kriegsfall Rußland angesprochen und seine Gedanken in einer Denkschrift niedergelegt. Er hat versucht, Hitler von folgendem zu überzeugen:

Nachdem Polen niedergerungen war, nachdem Frankreich besetzt war, nachdem aus militärischen Gründen eine Invasion England nicht in Frage kam, hat er klar zum Ausdruck gebracht, daß nunmehr der Zeitpunkt gekommen sei, wo der weitere Krieg sich nicht auf dem Kontinent entscheiden könnte, sondern auf dem Atlantik. Er hat ihm daher gesagt, er müsse die Konzentration der gesamten zur Verfügung stehenden Kräfte auf ein Ziel richten: Schläge gegen die strategischen Punkte des Empire, insbesondere gegen die Nachschublinien der britischen Inseln, um unter allen Umständen England verhandlungsbereit, wenn möglich friedensbereit zu machen. Er hat vorgeschlagen, wie vorhin schon erwähnt wurde, die Politik einzuschalten: Frieden mit Norwegen, Frieden mit Frankreich. Er schlug vor eine engere Anlehnung an die russische Marine, etwa in der Form, auf Grund des Wirtschaftsvertrages Rückkauf von U-Bootgeräten oder U-Booten. Er hat mit einem Wort gesagt, daß die Entscheidung oder der Zeitpunkt für die Entscheidung nicht mehr bei uns liegen könne, da wir nicht über die nötige Seeherrschaft verfügten, daß angesichts einer längeren Dauer des Krieges die Gefahr eines Eintretens seitens der USA auch ins Auge gefaßt werden müsse, daß infolgedessen der Krieg nicht auf dem europäischen Kontinent und am wenigsten in den Weiten der russischen Steppen gewonnen werden könne. Diese seine Einstellung hat er immer und immer wieder, solange er im Amt war, Hitler gegenüber zum Ausdruck gebracht.

DR. SIEMERS: Herr Schulte-Mönting! Sie haben erst gesagt, daß Raeder grundsätzlich widersprochen hätte, aus, wie Sie sich ausdrückten, moralischen Gründen, also aus völkerrechtlichen Gründen.

SCHULTE-MÖNTING: Jawohl.

DR. SIEMERS: Warum ist das nicht mit in das Kriegstagebuch hineingeschrieben, während die anderen Punkte, die Sie nannten, im Kriegstagebuch stehen, zumindestens angedeutet sind?

SCHULTE-MÖNTING: Dazu kann ich Ihnen eine Antwort oder wenigstens eine Erklärung geben. Raeder hat grundsätzlich in Gegenwart der Herren der Seekriegsleitung oder der Frontvertreter niemals Kritik geübt an der politischen Führung. Infolgedessen hat er auch von den Unterhaltungen, die er mit Hitler unter vier Augen hatte, nur mir gegenüber davon Gebrauch gemacht und den anderen Herren gegenüber nur, soweit es aus militärischen Gründen notwendig war.

DR. SIEMERS: Sind nun die... Wann sind die Vorbereitungen der Marine auf Grund der Weisung 21, die Sie vor sich haben, erfolgt. Wissen Sie das noch?

SCHULTE-MÖNTING: Etwa ein Vierteljahr später, glaube ich.

DR. SIEMERS: Jedenfalls bestimmt nach dieser Weisung.

SCHULTE-MÖNTING: Nach dieser Weisung.

DR. SIEMERS: Sind sie auf Grund dieser Weisung erfolgt?

SCHULTE-MÖNTING: Auf Grund dieser Weisung.

DR. SIEMERS: War die Weisung schon ein endgültiger Befehl oder nur eine vorsorgliche strategische Maßnahme?

SCHULTE-MÖNTING: Sie war meines Erachtens nicht als Befehl aufzufassen, wie es auch aus der Ziffer IV und V hervorgeht.

DR. SIEMERS: Inwiefern?

SCHULTE-MÖNTING: In Ziffer V lautet es, daß Hitler den Vorträgen der Oberbefehlshaber noch entgegensähe. Und danach hat ja Raeder noch bei Hitler Vortrag gehalten, nach Erhalt dieser Weisung.

DR. SIEMERS: Deckt sich Ziffer IV, wenn Sie noch einmal hineinsehen wollen, auch mit Ihrer Meinung?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, absolut. Das Wort »Vorsichtsmaßnahmen« ist unterstrichen.

DR. SIEMERS: Vorsichtsmaßnahmen, für welchen Fall?

SCHULTE-MÖNTING: Für den Kriegsfall Rußland.

DR. SIEMERS: Ja, ich glaube, Herr Admiral, weil Sie es selbst ausgedrückt hatten, sollten Sie auf den Satz hinweisen, der hier steht, einfach die Worte, die hinter »Vorsichtsmaßnahmen« stehen.

SCHULTE-MÖNTING:

»... handelt für den Fall, daß Rußland seine bisherige Haltung gegen uns ändern sollte.«

VORSITZENDER: Sie dürfen mit Ihrem eigenen Zeugen nicht argumentieren über die Bedeutung von Worten. Er hat seine Antwort gegeben.

DR. SIEMERS: Gut.

War Raeder der Meinung zu irgendeiner Zeit, daß es ihm geglückt wäre, Hitler von dem unglücklichen Plan, Rußland anzugreifen, abzubringen?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, er kam seinerzeit nach diesem Vortrag zurück und sagte: Ich glaube, ich habe ihm diesen Plan ausgeredet! Und wir hatten zunächst auch den Eindruck, denn es fanden in den nächsten Monaten keine Besprechungen mehr in dieser Richtung statt, meines Wissens auch nicht mit dem Generalstab.

DR. SIEMERS: Ich darf dann noch ganz kurz fragen bezüglich Griechenland. Laut Dokument C-152, ich darf Ihnen das überreichen lassen, hat... erfolgte am 18. März 1941 ein Vortrag Raeders bei Hitler, wo dieser darum bat, ganz Griechenland zu besetzen. Welche Gedanken leiteten das Oberkommando, also Raeder und Sie, bei diesem Vorschlage?

SCHULTE-MÖNTING: Als dieser... als Raeder um Bestätigung bat; wie es hier im Kriegstagebuch lautet, daß ganz Griechenland besetzt werden soll, auch bei friedlicher Regelung, waren wir bereits, nach meiner Erinnerung, etwa drei Monate vorher im Besitz der Weisung, die sich mit der Besetzung Griechenlands befaßte und als...

DR. SIEMERS: Verzeihung, ist das die Weisung Nummer 20? Ich darf Sie Ihnen überreichen. Meinen Sie diese damit?

SCHULTE-MÖNTING: Ja, »Marita«, das ist sie.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Das ist 1541-PS, gleich GB-117 in dem Dokumentenbuch der Britischen Delegation 10a, Seite 270. Das ist Weisung 20, Unternehmen »Marita«, vom 13. Dezember 1940.

Herr Admiral! Was veranlaßte Raeder, abgesehen von diesem Punkt, daß Hitler es schon erklärt hatte, im März ausdrücklich noch einmal die Frage zu stellen, und zwar am 18. März?

SCHULTE-MÖNTING: Wenige Tage vorher war bereits eine britische Landung in Südgriechenland erfolgt.

DR. SIEMERS: Zwang diese Landung dazu, ganz Griechenland zu besetzen?

SCHULTE-MÖNTING: Aus strategischen Gründen unbedingt. Eine Bedrohung der Besetzung von See aus oder von Luft aus oder der Bildung einer Balkanfront gegen Deutschland oder die luftmäßige Bedrohung der Ölgebiete mußte unter allen Umständen ausgeschaltet bleiben. Ich darf hier nur an das Saloniki- Unternehmen des ersten Weltkrieges erinnern. Ich glaube, es war eine ähnliche Lage.

DR. SIEMERS: Auch hier sagt die Anklage wiederum, man hätte sich von Eroberungsgedanken und Ruhmsucht leiten lassen. Ist das richtig?

SCHULTE-MÖNTING: Darauf möchte ich erwidern, zu Ruhm gehören Taten, und ich weiß nicht, womit die Marine irgendwas im Mittelmeer hätte erobern können. Wir haben nicht einen Mann und nicht ein Schiff unten gehabt, aber Raeder mußte natürlich aus den genannten strategischen Gründen Hitler in dieser Richtung beraten.

DR. SIEMERS: Waren Ihnen seinerzeit, bevor wir Griechenland besetzten, griechische Neutralitätsbrüche bekannt?

SCHULTE-MÖNTING: Wir hatten Kenntnis davon bekommen, daß 1939 gewisse griechische Kreise der Politik und auch des Militärs engste Beziehung zum alliierten Generalstab hielten. Wir wußten, daß die griechische Handelsschiffahrt für England fuhr. Wir hatten infolgedessen uns genötigt gesehen, die griechischen Handelsschiffe, die in der Sperrzone nach England fuhren, als feindlich zu behandeln, und wir bekamen, ich glaube Anfang 1940 oder Mitte 1940, davon Kenntnis, daß die Alliierten in Griechenland zu landen beabsichtigten beziehungsweise eine Balkanfront gegen Deutschland aufrichten wollten.

DR. SIEMERS: Herr Präsident! Wollen Sie nun eine Pause eintreten lassen?

VORSITZENDER: Der Gerichtshof unterbricht die Sitzung jetzt.