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[Zum Zeugen gewandt:]

Auf diese Weise ist also, Zeuge, der Kreis, dem Sie damals angehörten, in das nationalsozialistische Fahrwasser gekommen. Ist das auch unterstützt worden durch entsprechende Lektüre, Lektüre nationalsozialistischer Prägung?

VON SCHIRACH: Ich weiß natürlich nicht, was meine Kameraden gelesen haben, mit Ausnahme eines Buches, das ich gleich angeben werde Ich weiß nur, was ich selbst gelesen habe. Ich beschäftigte mich damals mit den Werken des Bayreuther Denkers Chamberlain, mit den »Grundlagen des 19. Jahrhunderts«, mit den Schriften von Adolf Bartels, mit seiner »Weltgeschichte der Literatur« und der »Geschichte der deutschen Nationalliteratur«.

Das waren Werke...

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß wir die vollständige Geschichte der Erziehung des Angeklagten nicht hören wollen. Er führt jetzt eine Reihe von Büchern an, die er gelesen hat. Wir sind daran nicht interessiert.

DR. SAUTER: Ja, Herr Präsident.

VON SCHIRACH: Ich will nur mit einem Satz bemerken: Das waren Werke, die keine ausgesprochene antisemitische Tendenz hatten, aber durch die sich der Antisemitismus wie ein roter Faden hindurchzog. Das ausschlaggebende antisemitische Buch, das ich damals las und das Buch, das meine Kameraden beeinflußte...

DR. SAUTER: Bitte...

VON SCHIRACH:... war das Buch von Henry Ford »Der internationale Jude«. Ich las es und wurde Antisemit. Dieses Buch hat damals auf mich und meine Freunde einen so großen Eindruck gemacht, weil wir in Henry Ford den Repräsentanten des Erfolges, den Repräsentanten aber auch einer fortschrittlichen Sozialpolitik sahen. In dem elenden, armen Deutschland von damals blickte die Jugend nach Amerika, und außer dem großen Wohltäter Herbert Hoover war es Henry Ford, der für uns Amerika repräsentierte.

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Der Gerichtshof ist der Ansicht, wie ich es bereits zweimal gesagt habe, daß der erzieherische Einfluß, den der Angeklagte genoß, für uns ganz unerheblich ist. Ich möchte es nicht mehr wiederholen und sollten Sie den Angeklagten nicht im Zaume halten können und ihn veranlassen, bei der Sache zu bleiben, werde ich gezwungen sein, seine Aussage zu unterbinden.

DR. SAUTER: Ja, Herr Präsident, ist es nicht von Interesse für das Gericht bei der Beurteilung des Angeklagten und seiner Persönlichkeit zu wissen, wie der Angeklagte Nationalsozialist und wie der Angeklagte Antisemit geworden ist? Ich hätte mir gedacht...

VORSITZENDER: Nein, es ist für den Gerichtshof von keinem Interesse.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Wie sind Sie denn dann mit Hitler bekanntgeworden, und wie kam es zu Ihrem Eintritt in die Partei?

VON SCHIRACH: Ich muß sagen, daß ich nicht des Antisemitismus wegen Nationalsozialist geworden bin, sondern des Sozialismus wegen Mit Hitler wurde ich bereits 1925 bekannt. Er hatte gerade Landsberg am Lech verlassen, seine Festungshaft war abgelaufen, und er kam nun nach Weimar und sprach dort. Bei dieser Gelegenheit wurde ich ihm auch vorgestellt. Das Programm der Volksgemeinschaft, das er entwickelte, hat mich deswegen so ungeheuer stark angesprochen, weil ich in ihm im großen das wiederfand, was ich im kleinen in der Kameradschaft meiner Jugendorganisation bereits erlebt hatte. Er erschien mir als der Mann, der unserer Generation den Weg in die Zukunft freimachen würde Durch ihn glaubte ich, für diese junge Generation die Aussicht auf Arbeit, die Aussicht auf eine Existenz, die Aussicht auf Lebensglück eröffnet zu bekommen. Und in ihm sah ich den Mann, der uns von den Fesseln von Versailles befreien würde. Ich bin überzeugt, daß es ohne Versailles nie zu einem Aufstieg Hitlers gekommen wäre. Das Diktat führte zur Diktatur.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Wann wurden Sie denn Parteimitglied?

VON SCHIRACH: Ich bin 1925 Mitglied der Partei geworden. Ich bin gleichzeitig mit allen meinen Kameraden in die SA eingetreten.

DR. SAUTER: Damals waren Sie also 18 Jahre alt?

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER: Warum sind Sie in die SA eingetreten?

VON SCHIRACH: Die SA bildete den Schütz, den Versammlungsschutz, und wir setzten also nun einfach innerhalb der SA im Rahmen der Partei die Tätigkeit fort, die wir bereits vorher in unserer Jugendorganisation ausgeübt hatten.

DR. SAUTER: Im Jahre 1926, Herr Zeuge, wie Sie also 19 Jahre alt waren, fand ein Reichsparteitag in Weimar statt?

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER: Bei dieser Gelegenheit haben Sie, soviel ich weiß, auch Hitler persönlich gesprochen, stimmt das?

VON SCHIRACH: Ja, ich habe Hitler bereits ein Jahr vorher persönlich sprechen sollen. Hier erneuerte sich die Begegnung, Er sprach in Weimar in verschiedenen Massenversammlungen. Er kehrte nach Weimar in demselben Jahre auch wieder zurück und sprach in einem kleinen Kreise. Er stattete zusammen mit Rudolf Heß meinem Elternhaus einen Besuch ab, und bei dieser Gelegenheit regte er an, daß ich in München studieren sollte.

DR. SAUTER: Warum?

VON SCHIRACH: Er meinte, ich sollte die Partei in ihrer Zentrale kennenlernen, und er meinte, ich sollte mich auf diese Weise mit der Parteiarbeit vertraut machen. Ich möchte aber hier gleich bemerken, daß damals bei mir durchaus nicht die Absicht bestand, Politiker zu werden. Aber immerhin, ich war natürlich sehr daran interessiert, die Bewegung an dem Ort kennenzulernen, wo sie gegründet worden war.

DR. SAUTER: Sie sind dann nach München gegangen und haben dort studiert?

VON SCHIRACH: Ja, ich bin dann nach München gegangen. Zunächst habe ich mich nicht um die Partei gekümmert. Ich habe mich mit germanistischen, historischen und kunsthistorischen Studien beschäftigt; ich habe schriftstellerisch gearbeitet, und ich kam in Kontakt mit vielen Menschen in München, die nicht direkt Nationalsozialisten waren, aber doch zur Peripherie, möchte ich sagen, der nationalsozialistischen Bewegung gehörten. Ich wohnte damals im Hause meines Freundes, des Verlegers Bruckmann, der...

DR. SAUTER: Sie wurden dann 1929 Führer der Hochschulbewegung. Ich glaube, Sie wurden als solcher auch gewählt, nicht ernannt, sondern gewählt?

VON SCHIRACH: Zunächst war es so: Ich besuchte in München Parteiversammlungen; ich kam auch in dem Salon Bruckmanns mit Hitler und Rosenberg zusammen mit vielen anderen Männern, die nachher in Deutschland eine Rolle gespielt haben, und auf der Universität trat ich der Hochschulgruppe des Nationalsozialistischen Studentenbundes bei.

DR. SAUTER: Fahren Sie weiter, Herr von Schirach, Sie haben uns eben erklärt, daß Sie dieser Hochschulgruppe in München angehört haben. Wollen Sie jetzt fortfahren.

VON SCHIRACH: Ja, und ich fing auch an, in ihr mich aktiv zu betätigen. Ich sprach dort im Kreis der Kameraden zunächst über meine eigenen Arbeiten auf literarischem Gebiet, und dann begann ich an die Studenten selbst Vorträge zu halten über die nationalsozialistische Bewegung. Ich organisierte Studentenversammlungen Hitlers innerhalb der Studentenschaft Münchens, und ich wurde dann auch in den sogenannten Asta, Allgemeiner Studentenausschuß, der Universität gewählt, und durch diese Tätigkeit innerhalb der Studentenschaft habe ich mehr und mehr Kontakt mit der Parteileitung bekommen. Im Jahre 1929 trat der damalige sogenannte Reichsführer des Nationalsozialistischen Studentenbundes zurück, und es ergab sich die Frage, wer die Führung der gesamten Hochschulbewegung übernehmen sollte. Damals ist von Rudolf Heß im Auftrag des Führers eine Befragung sämtlicher Hochschulgruppen der nationalsozialistischen Hochschulbewegung durchgeführt worden, und die Mehrzahl aller dieser Hochschulgruppen hat ihre Stimmen für mich als Führer des Nationalsozialistischen Studentenbundes abgegeben. So ergibt sich das Kuriosum, daß ich dann der einzige Parteiführer bin, der in die Parteileitung hineingewählt wurde. Dies ist ein Vorgang, der sich in der Parteigeschichte sonst niemals ereignet hat.

DR. SAUTER: Sie wollen also damit sagen, alle anderen sind ernannt, und nur Sie sind gewählt worden?

VON SCHIRACH: Ich wurde gewählt und dann bestätigt.

DR. SAUTER: Und zwar wurden Sie gewählt, wenn ich nicht irre, auf dem Grazer Studententag 1931.

VON SCHIRACH: Das ist nicht richtig. Das ist falsch. Ich spreche jetzt nur von der nationalsozialistischen Hochschulbewegung, ich werde auf diesen Punkt später zurückkommen.

Ich war Führer der nationalsozialistischen Hochschulbewegung und ich reorganisierte diese Bewegung. Ich begann meine Tätigkeit als Redner. Ich wurde 1931...

VORSITZENDER: Es genügt doch zu wissen, daß er Hochschulführer wurde. Ob er gewählt wurde oder nicht, ist von keiner Bedeutung.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich bemühe mich ja ohnehin andauernd diesen Vortrag abzukürzen. Ich darf vielleicht bloß das eine noch fragen wegen dieses Komplexes?

Herr Zeuge! 1931 sind Sie dann doch, soviel ich weiß, vom Allgemeinen Deutschen und Österreichischen Studententag, der also alle Parteien umfaßte, ich glaube, einstimmig zum Vorsitzenden gewählt worden? Stimmt das?

VON SCHIRACH: Das ist nicht korrekt...

DR. SAUTER: Ich bitte, das kurz zu fassen, Herr von Schirach.

VON SCHIRACH: Das ist nicht korrekt, Herr Verteidiger. Auf dem Allgemeinen Deutschen Studententag 1931, auf dem sämtliche deutschen Studierenden und sämtliche österreichischen und sudetendeutschen Studenten waren, wurde einer meiner Mitarbeiter, den ich als ihren Führer vorschlug, einstimmig zum Führer der gesamten Studentenschaft gewählt. Es ist dies ein sehr wichtiger Vorgang für die Jugend gewesen und auch für die Partei. Zwei Jahre vor der Machtergreifung hatte die gesamte akademische Jugend einstimmig ihr Votum für einen Nationalsozialisten abgegeben. Nach diesem Grazer Studententag hatte ich mit Hitler eine..

VORSITZENDER: Ich glaube, daß es der geeignete Zeitpunkt zum Vertagen ist.

DR. SAUTER: Jawohl.