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[Pause von 10 Minuten.]

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Wir sind vor der Pause stehengeblieben bei der Tatsache, daß Sie 1929 zum Führer der Hochschulstudentenschaft gewählt worden waren. Zwei Jahre später sind Sie dann von Hitler zum Reichsjugendführer ernannt worden. Wie kam es zu dieser Ernennung?

VON SCHIRACH: Nach dem Grazer Studententag 1931, dessen Erfolg Hitler sehr überrascht hatte, hatte ich mit ihm eine Besprechung. Hitler kam dabei auf eine frühere Unterhaltung zwischen uns zurück. Er hatte damals mich gefragt, wie es kam, daß die nationalsozialistische Hochschulbewegung sich so schnell entwickle, während die anderen nationalsozialistischen Organisationen in ihrer Entwicklung zurückblieben.

Ich hatte ihm damals gesagt, man kann Jugendorganisationen nicht als Appendix einer politischen Partei führen; Jugend muß von Jugend geführt werden, und ich habe damals die Idee eines Jugendstaates entwickelt, diese Idee, die sich bei mir aus dem Erlebnis des Schulstaates ergeben hatte, und nun – 1931 – fragte mich Hitler, ob ich die Führung der nationalsozialistischen Jugendorganisation übernehmen wolle. Es waren dies Jugendzellen, dann die Hitler-Jugend und die nationalsozialistische Schülerorganisation, die es damals auch gab. Es hatten sich mit der Führung dieser Organisationen schon verschiedene Männer versucht, der frühere Oberste SA-Führer Pfeffer, der Reichsleiter Buch, eigentlich ohne daß dabei viel herausgekommen war.

Ich sagte zu und wurde nun Reichsjugendführer der NSDAP, vorübergehend im Stabe des Obersten SA- Führers Röhm. Ich hatte in dieser Eigenschaft als Reichsjugendführer der NSDAP im Stabe Röhm den Rang eines SA-Gruppenführers und behielt diesen Rang auch, als ich eineinhalb Jahre später selbständig wurde. Daher kommt es auch, daß ich SA-Obergruppenführer bin. Ich bin das noch viele Jahre darauf honoris causa geworden. Eine SA-Uniform habe ich selbst seit 1933 nicht besessen.

DR. SAUTER: Sie wurden also 1931 Reichsjugendführer der NSDAP?

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER: Das war natürlich ein Parteiamt?

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER: Dann 1932 wurden Sie Reichsleiter? Damals waren Sie 25 Jahre alt. Wie kam es dazu?

VON SCHIRACH: Ich sagte vorhin schon, daß ich Hitler gegenüber zum Ausdruck gebracht hatte, daß die Jugend nicht der Appendix einer anderen Organisation sein könnte, sondern die Jugend müßte selbständig sein; sie müßte sich selbst führen; sie müßte unabhängig werden; und in der Durchführung einer Zusage, die mir Hitler damals schon gegeben hatte, wurde ich eben eineinhalb Jahre darauf selbständiger Reichsleiter.

DR. SAUTER: Selbständiger Reichsleiter, so daß Sie unmittelbar dem Parteileiter Hitler unterstanden?

VON SCHIRACH: Jawohl.

DR. SAUTER: Aus welchen materiellen Mitteln wurde damals diese Jugendorganisation geschaffen?

VON SCHIRACH: Aus den Mitteln der Jugend selbst.

DR. SAUTER: Und wie sind die beschafft worden? Durch Sammlungen?

VON SCHIRACH: Die Jungens und die Mädchen haben Mitgliedsbeiträge bezahlt. Von diesen Mitgliedsbeiträgen wurde ein Teil einbehalten bei den sogenannten Gebietsführungen. Das sind also die Führungsstellen, die in der Partei den Gauleitungen entsprachen oder bei der SA den SA-Gruppenführungen. Ein anderer Teil ging an den Reichsjugendführer. Die Hitler-Jugend hatte ihre Organisation aus eigenen Mitteln geschaffen.

DR. SAUTER: Dann würde mich folgendes interessieren. Hat die Hitler-Jugend, die also von Ihnen geschaffen worden ist und nach dem Namen Hitlers benannt wurde, hat die ihre Bedeutung erst nach der Machtergreifung und erst durch die Machtergreifung erlangt, oder wie groß war schon vorher diese Jugendorganisation, die Sie geschaffen haben?

VON SCHIRACH: Die Hitler-Jugend war bereits im Jahre 1932 vor der Machtergreifung die größte Jugendbewegung Deutschlands. Ich möchte hier noch hinzufügen, daß ich die einzelnen nationalsozialistischen Jugendorganisationen, die ich bei der Übernahme meines Amtes als Reichsjugendführer vorfand, zusammenfaßte zu einer einheitlichen großen Jugendbewegung. Diese Jugendbewegung war die stärkste Jugendbewegung Deutschlands bereits lange, ehe wir zur Macht kamen. Am 2. Oktober 1932 veranstaltete die HJ ein Treffen in Potsdam. Bei diesem Treffen kamen mehr als 100000 Jugendliche aus dem ganzen Reichsgebiet zusammen, ohne daß die Partei hierfür auch nur einen Pfennig zur Verfügung stellte. Die Mittel wurden ausschließlich von den Jugendlichen selbst aufgebracht. Allein aus dieser Teilnehmerzahl ergibt sich, daß das die größte Jugendbewegung war.

DR. SAUTER: Das war also mehrere Monate vor der Machtergreifung, wo bereits über 100000 Teilnehmer an dieser Versammlung in Potsdam teilnahmen?

VON SCHIRACH: Jawohl.

DR. SAUTER: Die Anklage wirft Ihnen vor, Herr Zeuge, daß Sie dann nach der Machtergreifung-ich glaube im Februar 1933 – den Reichsausschuß der deutschen Jugendverbände – ich wiederhole Reichsausschuß der deutschen Jugendverbände – besetzten. Ist das richtig, und gegen wen richtete sich diese Aktion?

VON SCHIRACH: Es ist richtig. Der Reichsausschuß der Jugendverbände war praktisch nicht mehr als ein statistisches Büro, das dem Reichsminister des Innern unterstand. Geleitet wurde dieses Büro von dem pensionierten General Vogt, der nachher einer meiner tüchtigsten Mitarbeiter geworden ist. Es war diese Besetzung des Reichsausschusses ein revolutionärer Akt, eine Handlung, die die Jugend für die Jugend beging, denn von diesem Tag an beginnt die Realisierung des Gedankens des Jugendstaates im Staate. Mehr kann ich nicht dazu sagen.

DR. SAUTER: Die Anklage wirft Ihnen, Herr Zeuge, weiter vor, daß Sie 1933, also nach der Machtergreifung, den sogenannten »Großdeutschen Bund« aufgelöst haben.

Was war der »Großdeutsche Bund«, und warum haben Sie ihn aufgelöst?

VON SCHIRACH: Der »Großdeutsche Bund« war eine Jugendorganisation oder besser gesagt, eine Vereinigung von Jugendorganisationen mit großdeutscher Tendenz.

Es wundert mich deshalb, daß die Anklage mir die Auflösung dieser Organisation überhaupt zum Vorwurf macht.

DR. SAUTER: Viele Mitglieder dieses »Großdeutschen Bundes« waren Nationalsozialisten. Es bestand zwischen einigen in dieser Organisation zusammengefaßten Jugendverbänden und der Hitler-Jugend kein sehr wesentlicher Unterschied?

VON SCHIRACH: Ich wollte die Einheit der Jugend, und der »Großdeutsche Bund« wollte noch ein gewisses Sonderdasein führen. Ich widersetzte mich dem, und es kam zwischen dem Admiral von Trotha, der den »Großdeutschen Bund« führte, und mir zu lebhaften Kontroversen in der Öffentlichkeit, und schließlich ist dann der »Großdeutsche Bund« in die Jugend eingegliedert worden. Ob ein Verbot durch mich ausgesprochen wurde, weiß ich nicht mehr genau. Ich weiß nur, daß die Mitglieder zu mir kamen und daß zwischen dem Admiral von Trotha und mir eine Aussprache stattfand, eine Versöhnung. Admiral von Trotha ist bis zu seinem Tode einer der warmherzigsten Förderer meiner Arbeit gewesen.

DR. SAUTER: Wie kam es zum Verbot der marxistischen Jugendorganisationen?

VON SCHIRACH: Ich glaube, daß das Verbot der marxistischen Jugendorganisationen, wenn ich mich recht erinnere, im Zusammenhang mit dem Verbot der Gewerkschaften erfolgte. Ich habe keine genauen Unterlagen mehr dafür. Jedenfalls rein juristisch war ich 1933 nicht berechtigt, ein solches Verbot auszusprechen. Das hätte dann der Innenminister tun müssen. Das Recht, Jugendorganisationen zu verbieten, habe ich eigentlich de jure erst vom 1. Dezember 1936 ab gehabt. Daß die marxistischen Jugendorganisationen verschwinden mußten, war für mich eine Selbstverständlichkeit, und ich kann zu diesem Verbot als solchem nur sagen: Die deutsche Arbeiterjugend hat die Verwirklichung Ihres sozialistischen Ideals nicht unter den marxistischen Regierungen der Republik erlebt, sondern in der Gemeinschaft der Hitler-Jugend.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Sie sind zunächst Reichsführer der NSDAP gewesen; das war ein Parteiamt. Und nach der Machtergreifung wurden Sie dann Jugendführer des Deutschen Reiches; das war ein Staatsamt. Hatten Sie auf Grund dieses Staatsamtes oder Nationalamtes auch eine Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für das Schulwesen, also für die Volksschulen?

VON SCHIRACH: Für das Schulwesen in Deutschland war der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Unterricht allein zuständig. Ich selbst war zuständig für die außerschulische Erziehung; neben Elternhaus und Schule, heißt es in dem Gesetz vom 1. Dezember 1936. Ich habe aber einige eigene Schulen gehabt, die sogenannten Adolf-Hitler-Schulen, die nicht der staatlichen Schulaufsicht unterstanden. Das sind aber Gründungen einer etwas späteren Zeit, und im Kriege habe ich durch die Kinderlandverschickung, also die Organisation, durch die wir die Evakuierung der Jugendlichen aus den Großstädten, aus den luftgefährdeten Gebieten, durchführten, innerhalb der Lager, in denen sich die verschickten Kinder befanden, auch eine Zuständigkeit für Unterricht gehabt. Aber im ganzen muß ich die Frage einer Zuständigkeit für die Schulerziehung in Deutschland für mich verneinen.

DR. SAUTER: Diese Jugend, die Sie zu erziehen hatten außerhalb der Schule, hieß HJ, also Hitler-Jugend.

War nun die Zugehörigkeit zur HJ Pflichtsache, oder war sie freiwillig?

VON SCHIRACH: Die Zugehörigkeit zur HJ war freiwillig bis zum Jahre 1936. Im Jahre 1936 wurde das bereits schon erwähnte Gesetz über die HJ verkündet, durch das alle deutsche Jugend zur HJ wurde. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz aber sind erst im März 1939 erlassen worden und erst im Kriege, und zwar im Mai 1940, ist innerhalb der Reichsjugendführung der Gedanke der Durchführung einer allgemeinen Jugenddienstpflicht erörtert worden und in der Öffentlichkeit ausgesprochen worden. Ich weise darauf hin, daß mein damaliger bevollmächtigter Vertreter Lauterbacher zu der Zeit, als ich an der Front war, in einer öffentlichen Kundgebung, ich glaube in Frankfurt 1940, gesagt hat, daß nunmehr, nachdem sich 97 Prozent des jüngsten Jahrganges der Jugend freiwillig zur HJ gemeldet haben, es notwendig würde, die letzten drei Prozent im Rahmen der Jugenddienstpflicht heranzuziehen.

DR. SAUTER: Ich darf in diesem Zusammenhang, Herr Präsident, auf zwei Dokumente des Dokumentenbuches Schirach verweisen, nämlich Nummer 51...

VORSITZENDER: Ich habe nicht genau verstanden, was der Angeklagte gesagt hat. Er sagte, daß die Mitgliedschaft bis 1936 freiwillig war, daß das Gesetz der HJ dann verkündet worden sei, und – so etwas wie – daß die Durchführungsbestimmungen erst im Jahre 1939 veröffentlicht wurden. Hat er das gesagt?

DR. SAUTER: Jawohl, das stimmt. Bis zum Jahr 1936, wenn ich das erklären darf, Herr Präsident, war die Zugehörigkeit zur HJ vollkommen freiwillig. Dann im Jahre 1936 wurde das HJ-Gesetz erlassen, das an sich vorsah, daß die Jungen und Mädels zur HJ müßten. Aber die Durchführungsbestimmungen hat der Angeklagte erst im Jahre 1939 erlassen, so daß praktisch bis zum Jahre 1939 die Mitgliedschaft trotzdem eine freiwillige war.

VORSITZENDER: Stimmt das, Angeklagter?

VON SCHIRACH: Jawohl, das ist richtig.

DR. SAUTER: Und dieser Sachverhalt, den ich Ihnen eben vorgetragen habe, Herr Präsident, ergibt sich auch aus zwei Urkunden des Dokumentenbuches Schirach, Nummer 51 auf Seite 91, und Nummer 52, ich wiederhole Nummer 52 auf Seite 92, und auf der letzteren Urkunde...

VORSITZENDER: Sehr gut, Dr. Sauter. Ich lasse Ihre und des Angeklagten Erklärungen gelten. Ich wollte es nur richtig verstehen. Sie können fortfahren.

DR. SAUTER: Und in der letzteren Urkunde sind auch die 97 Prozent erwähnt, von denen der Angeklagte Ihnen vorhin gesagt hat, daß sie freiwillig zur HJ gekommen waren, so daß nur mehr drei Prozent gefehlt haben.

Ich darf dann weiterfahren:

Herr Zeuge! Wie standen denn die Eltern der Kinder der Frage gegenüber, ob die Kinder zur HJ gehen sollen oder nicht – die Eltern?

VON SCHIRACH: Es gab natürlich Eltern, die es nicht gerne sahen, daß ihre Kinder bei der HJ waren. Wenn ich eine meiner Rundfunkreden an die Elternschaft oder an die Jugend gehalten hatte, kam es vor, daß viele Hunderte von Eltern sich in Briefen an mich wandten. Unter solchen Briefen befanden sich auch sehr häufig Briefe, in denen die Eltern Einwendungen gegen die HJ machten oder überhaupt ihrer Abneigung dagegen Ausdruck gaben. Ich habe darin immer einen besonderen Vertrauensbeweis der Elternschaft erblickt. Ich möchte hier sagen, ich habe niemals, wenn Eltern ihre Kinder von der Jugend zurückhielten, einen Zwang ausgeübt oder sie irgendwie unter Druck gesetzt. Ich hätte damit mein ganzes Vertrauen in der Elternschaft Deutschlands verloren. Dieses Vertrauen war ja die Basis meiner gesamten erzieherischen Arbeit. Ich glaube, ich muß bei der Gelegenheit auch sagen, daß die Vorstellung, daß man eine Jugendorganisation überhaupt mit Zwang gegenüber der Jugend aufbauen und führen kann, und erfolgreich führen kann, völlig verfehlt ist.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Sind Jugendliche, die nicht zur HJ gegangen sind, irgendwie aus diesem Grunde benachteiligt worden?

VON SCHIRACH: Jugendliche, die nicht zur HJ gingen, waren dadurch benachteiligt, daß sie an unseren Zeltlagern, an unseren Fahrten, an unseren Sportwettkämpfen nicht teilnehmen konnten. Sie waren in gewissem Sinne Zaungäste des jugendlichen Lebens, und es drohte für sie die Gefahr, daß sie sich zu Hypochondern entwickeln würden.

DR. SAUTER: Hat es aber nicht gewisse Berufe gegeben, für welche die Zugehörigkeit zur HJ Voraussetzung der Zulassung zum Beruf war?

VON SCHIRACH: Selbstverständlich.

DR. SAUTER: Welche Berufe waren das?

VON SCHIRACH: Zum Beispiel der Beruf des Lehrers. Es ist ja ganz klar, daß ein Lehrer nicht die Jugend unterrichten kann, wenn er nicht selbst das Leben der Jugend kennt, und so forderten wir, daß der Junglehrer, also der Lehrernachwuchs, durch die HJ gegangen sein müßte. Der Junglehrer mußte mit der Lebensform der ihm anvertrauten Schüler bekannt sein.

DR. SAUTER: Das waren aber nur einige Berufe, während für andere Berufe die Zugehörigkeit zur HJ keine Voraussetzung für die Zulassung war. Oder, wie war das?

VON SCHIRACH: Ich kann es Ihnen im einzelnen nicht beantworten, ich glaube auch, daß eine Diskussion hierüber nicht möglich ist, weil ja eben die ganze Jugend in der HJ war.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Sie wissen, daß die Anklage den Angeklagten auch das Führerprinzip vorwirft. Ich frage deshalb:

Galt dieses Führerprinzip auch in der HJ, und in welcher Form wurde es in der HJ durchgeführt, wobei ich Sie erinnere an jene Art des Führerprinzips, das wir hier aus Zeugenaussagen gehört haben?

VON SCHIRACH: Natürlich war die HJ auf dem Führerprinzip aufgebaut, nur unterschied sich die ganze Führungsform der Jugend ganz grundlegend von der anderer nationalsozialistischer Organisationen. Zum Beispiel hatten wir in der Jugendführung den Brauch, uns über alle uns bewegenden Fragen offen auszusprechen. Es gab auf unseren Gebietsführertagungen hitzige Diskussionen. Ich selbst habe meine Mitarbeiter zum Widerspruch geradezu erzogen. Allerdings, wenn wir uns über eine Maßnahme ausgesprochen hatten und ich habe dann eine Anweisung oder einen Befehl gegeben, war die Debatte zu Ende. Die Führung der Jugend, also die Jungenführer und Mädelführerinnen, waren in der jahrelangen Zusammenarbeit und im Dienst an dem gemeinsamen Werk eine vieltausendköpfige Einheit geworden. Sie waren Freunde geworden. Es ist ganz klar, daß in einem solchen Kreis sich die Durchführung von Befehlen und Weisungen in ganz anderen Formen abspielte, als in einem militärischen Organismus oder in einer anderen politischen Organisation.

DR. SAUTER: Herr Zeuge...

VON SCHIRACH: Darf ich dem noch etwas hinzufügen?

Eine auf natürliche Autorität gegründete Führung, wie wir sie in der Jugend hatten, ist etwas, was dem Wesen der Jugend durchaus nicht fremd ist. Diese Führung ist in der Jugend niemals zur Diktatur entartet.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Es wird Ihnen vorgeworfen, daß Sie die Jugend in militaristischem Sinne erzogen haben, und in diesem Zusammenhang wurde auf die Tatsache hingewiesen, daß Ihre HJ eine Uniform getragen hat. Ist das richtig, und warum hat die HJ eine Uniform getragen?

VON SCHIRACH: Ich habe mich darüber sehr viel geäußert. Ich glaube, daß auch einige Dokumente das illustrieren können. Ich habe die Uniform der Jugend immer als Kleid der Kameradschaft bezeichnet. Die Uniform war das Symbol einer klassenlosen Gemeinschaft. Der Arbeiterjunge trug dasselbe, was der Sohn des Universitätsprofessors anhatte. Das Mädchen aus dem reichen Hause trug dieselbe Tracht wie das Kind des Taglöhners. So haben wir uns uniformiert. Eine militaristische Bedeutung hatte diese Uniform überhaupt nicht.

DR. SAUTER: In diesem Zusammenhang, Herr Präsident, darf ich vielleicht bitten, von den Dokumenten Nummer 55 des Dokumentenbuches Schirach, dann Nummer 55a und 117 Kenntnis nehmen zu wollen, wo in Schriften des Angeklagten von Schirach dieselben Gedankengänge bereits vor langen Jahren immer wieder ausgedrückt worden sind, die er heute ausdrückt.

Ich würde nur bitten, Herr Präsident, in dem Dokument Nummer 55 auf Seite 98 einen Schreibfehler zu berichtigen. Ich wiederhole also; Dokument Nummer 55, Seite 98 des Dokumentenbuches. Da steht ziemlich weit unten, Seite 77, ein Zitat aus einem Werk Schirachs. Da heißt es:

»Auch der Sohn des Millionärs hat keine andere Macht...«

Ich weiß nicht, ob die Herren die Stelle gefunden haben, Seite 77 des Buches, also auf Seite 102 des Dokumentenbuches, Nummer 55, Seite 98, da kommt ein Zitat unten:

»Auch der Sohn des Millionärs hat keine andere Macht...«

Das soll heißen »Tracht«, Das ist nach deutscher Übersetzung »Bekleidung«, und aus Versehen steht hier »keine andere Macht«.

Ich bitte also, es umzuändern; das Wort muß nicht heißen »Macht«, sondern »Tracht«, Bekleidung.

VORSITZENDER: Jawohl.

DR. SAUTER: Danke vielmals.

Herr Zeuge! Ich fahre dann mit Ihrer Befragung weiter Es wird Ihnen vorgeworfen, daß Sie die Jugend psychologisch und pädagogisch auf den Krieg vorbereitet hätten. Sie sollen an einer Verschwörung zu diesem Zweck teilgenommen haben, an einer Verschwörung, durch welche die nationalsozialistische Bewegung die totale Macht in Deutschland erlangte und schließlich Angriffskriege plante und durchführte. Was sagen Sie dazu?

VON SCHIRACH: Ich habe an keiner Verschwörung teilgenommen. Ich kann es nicht als Teilnahme an einer Verschwörung ansehen, wenn ich der nationalsozialistischen Partei beitrat. Das Programm dieser Partei war genehmigt; es war veröffentlicht. Die Partei war zu den Wahlen zugelassen. Hitler hat auch nicht gesagt – er nicht und keiner seiner Mitarbeiter –: »Ich will durch einen Staatsstreich die Macht an mich reißen«; sondern er hat immer wieder in der Öffentlichkeit erklärt, nicht einmal, sondern hundertmal: »Ich will mit legalen Mitteln dieses parlamentarische System überwinden, das uns von Jahr zu Jahr tiefer ins Elend führt.« Und ich selbst, als der jüngste Reichstagsabgeordnete der Republik, habe meinen 60000 Wählern in den Wahlversammlungen ähnliches gesagt.

Es ist da nichts gewesen, was den Tatbestand einer Verschwörung darstellen könnte, nichts, was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde. Was wir wollten, haben wir ehrlich vor der Nation bekannt, und soweit auf diesem Erdball gedrucktes Papier gelesen wird, war auch jeder Mensch des Auslandes über unsere Ziele und Absichten unterrichtet.

Was nun die Vorbereitung für den Krieg angeht, so muß ich hier sagen: Ich habe an keinen Konferenzen und an keinen Befehlsausgaben teilgenommen, die auf die Vorbereitung eines Angriffskrieges hinausliefen. Ich glaube, das ist aus dem bisherigen Verlauf der Verhandlungen schon hervorgegangen.

Ich kann also nur erklären, ich habe an einer Verschwörung nicht teilgenommen. Ich glaube auch gar nicht, daß es eine Verschwörung gab; der Gedanke der Verschwörung steht im Widerspruch zur Idee der Diktatur. Ein Diktator verschwört sich nicht, ein Diktator befiehlt

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Was hat die Hitler-Jugend-Führung getan, um die Jugend auf den Krieg vorzubereiten und für kriegerische Zwecke auszubilden?

VON SCHIRACH: Bevor ich diese Frage beantworte, muß ich, glaube ich, ganz kurz auseinandersetzen den Unterschied zwischen militärischer und vormilitärischer Erziehung.

Militärische Erziehung ist nach meiner Auffassung alle Ausbildung an Kriegswaffen und jede Ausbildung, die mit und ohne Kriegswaffen durch militärisches Personal, also durch Offiziere, erfolgt.

Vormilitärische Ausbildung, vormilitärische Erziehung, ist im weitesten Sinne jede Erziehung, die vor der Militärzeit liegt, im besonderen Fall eine Spezialvorbereitung auf die Militärzeit. Wir waren in der Hitler-Jugend Gegner jedes militärischen Drills der Jugend. Wir lehnten einen solchen als unjugendlich ab. Ich gebe damit nicht nur meine persönliche Meinung wieder, sondern die Meinung von Tausenden von meinen Mitarbeitern.

Es ist ja eine Tatsache, daß ich die Wehrjugend, die früher in Deutschland bestand, ablehnte, und jede Fortführung einer Wehrjugendarbeit innerhalb der Hitler-Jugend ablehnte. Mir war von jeher alle Soldatenspielerei in einer Jugendorganisation verhaßt. So hoch ich den Beruf des Offiziers achte, so wenig erscheint mir der Offizier als Jugendführer geeignet, weil er immer in irgendeiner Form den Ton des Kasernenhofs und die Formen der militärischen Führung auf die Jugend überträgt.

Es ist das der Grund, warum ich in der Hitler-Jugend keine Offiziere zu Mitarbeitern hatte. Ich bin gerade wegen dieser Ablehnung des Offiziers als Jugendführer mitunter in der Wehrmacht sehr heftig kritisiert worden. Ich möchte ausdrücklich betonen, nicht vom Oberkommando der Wehrmacht her; gerade Herr Feldmarschall Keitel hat für diese meine Ideen immer Verständnis gehabt. Aber doch innerhalb der Wehrmacht wurde hin und wieder Kritik laut wegen dieser allgemein ablehnenden Haltung des Führerkorps der Jugend gegenüber dem Offizier als Jugendführer. Das Prinzip »Jugend durch Jugend zu führen«, ist niemals in Deutschland durchbrochen worden.

Wenn ich nun zur Frage, ob die Jugend auf den Krieg vorbereitet wurde und ob sie militärisch ausgebildet wurde, abschließend antworten soll, so muß ich sagen, der Schwerpunkt der ganzen deutschen Jugendarbeit lag im Berufswettkampf, in den zusätzlichen Berufsschulen, in den Zeltlagern, in den Sportwettkämpfen. Die körperliche Ertüchtigung, die vielleicht in gewisser Weise als eine Vorbereitung für den Militärdienst aufgefaßt werden könnte, nahm nur einen sehr geringen Teil unserer Zeit in Anspruch.

Ich möchte hier ein Beispiel anführen: Ein Gebiet der Hitlerjugend, zum Beispiel des Gebiets Hessen- Nassau – ein Gebiet entspricht etwa einem Gau der Partei – gab von seinen Haushaltmitteln im Jahre 1939 aus:

für Fahrten und Lager 9/20;

für Kulturarbeit 3/20;

Für Sport und körperliche Ertüchtigung auch 3/20;

für den Landdienst und andere Aufgaben, und

für die Dienststellen der Jugend 5/20;

Dasselbe Gebiet gab 1944, also ein Jahr vor dem Ende des Krieges,

für Kulturarbeiten 4/20 aus;

für Sport und Wehrertüchtigung 5/20;

für Landdienst und andere Aufgaben 6/20;

und für die Kinderlandverschickung, also für die Evakuierung unserer Jugendlichen 5/20.

In diesem Zusammenhang will ich noch kurz anführen, daß dasselbe Gebiet in der Zeit von 1936 bis 1943 für rassenpolitische Schulung überhaupt nichts ausgegeben hat; im Jahre 1944 für rassenpolitische Schulung waren 20 Mark unter diesem Titel des Haushaltplanes für die Anschaffung eines Bildbandes über Erb- und Geschlechtskrankheiten eingetragen, daß aber dieses selbe Gebiet in einer einzigen Stadt in derselben Zeit 200000 Mark Zuschuß für den Theaterbesuch der Jugend ausgab.

Ich kann aber die Frage nach der vormilitärischen oder militärischen Ausbildung nicht beantworten, ohne daß ich auf das Kleinkaliberschießen eingehe. Das Kleinkaliberschießen war ein in der deutschen Jugend weitverbreiteter Sport. Er wurde nach den internationalen Regeln des Sportschießens durchgeführt. Kleinkaliberschießen ist nach Artikel 177 des Versailler Vertrages nicht verboten. Es steht ausdrücklich in diesem Artikel des Versailler Vertrages, daß es Schützen-, Sport- und Wandervereinen verboten ist, ihre Mitglieder in der Handhabung und im Gebrauch von Kriegswaffen zu unterrichten. Die Kleinkaliberbüchse ist keine Kriegswaffe. Wir verwendeten für unser Sportschießen eine Büchse nach dem amerikanischen Kaliber 22. Sie wurde mit der Flobertpatrone 22 kurz oder lang geschossen.

Ich möchte hier nun sagen, daß unsere gesamte Schießausbildung und sonstige sogenannte vormilitärische Ausbildung in einem Handbuch zusammengefaßt ist. Das Buch trägt den Namen »HJ im Dienst«. Dieses Buch war gedruckt und verkauft nicht nur in Deutschland, sondern es war auch im Ausland erhältlich.

Über dieses Buch hat die British Board of Education 1938 ein Urteil abgegeben, und zwar in dem Educational Pamphlet, Nummer 109. Und ich möchte mit Erlaubnis des Hohen Gerichts das, was in diesem Educational Pamphlet darüber ausgeführt ist, hier kurz zitieren. Ich zitiere in englisch:

»It cannot fairly be said to be in essence a more militaristic work than any thoroughgoing, exhaustive, and comprehensive manual of boy scout training would be. Some forty pages are, to be sure, devoted to the theory and practice of shooting smallbore rifle and air gun, but there is nothing in them to which exception can reasonably be taken, and the worst that one can say of them is that they may be confidently recommended to the notice of any boy scout wishing to qualify for his marksmanship badge.«

Zur geistigen Haltung der Jugend kann ich nur sagen, daß sie durchaus nicht militaristisch war.

DR. SAUTER: Da kommen wir vielleicht später noch mit einer anderen Frage darauf zurück. Sie sagen die Jugend, die Hitlerjugend, sei mit solchen Flobertstutzen oder Kleinkaliberbüchsen, wie man es auch nennt, ausgebildet worden. Ist die Jugend auch an Infanteriegewehren oder gar an Maschinengewehren oder Maschinenpistolen ausgebildet worden?

VON SCHIRACH: Grundsätzlich nicht.

DR. SAUTER: Überhaupt nicht?

VON SCHIRACH: Es ist kein einziger deutscher Junge bis zum Kriege an einer Kriegswaffe, an einer Militärwaffe, sei es an einem Infanteriegewehr, an einem Maschinengewehr, an einem Infanteriegeschütz und so weiter ausgebildet worden; oder mit scharfen Handgranaten oder überhaupt mit Handgranaten ausgebildet worden.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Im Dokumentenbuch Schirach sind verschiedene Urkunden wiedergegeben, die Ihnen zeigen sollen, daß die Auffassung des Angeklagten von Schirach zur Frage der militärischen Ausbildung oder der vormilitärischen Ausbildung der Jugend genau dieselbe war, wie er sie heute vorgetragen hat, insbesondere, daß er sich gegen jeden militärischen Drill, gegen jeden Kasernenhofton und dergleichen ausgesprochen hat.

Es sind das in der Hauptsache die Dokumente im Dokumentenbuch Schirach: 55, dann 122, 123, 127, 127a, 128 und 131. Ich bitte, davon Kenntnis nehmen zu wollen. Sie enthalten im großen und ganzen dasselbe, was Herr Schirach schon kurz ausgeführt hat.

Im Zusammenhang, Herr von Schirach, mit dieser sogenannten militärischen Ausbildung der Jugend würde mich interessieren, welchen Einfluß hatte denn die SA auf die Ausbildung der Jugend?

VON SCHIRACH: Gar keinen. Die SA versuchte auf die Ausbildung der Jugend Einfluß zu nehmen.

DR. SAUTER: In welcher Weise?

VON SCHIRACH: Und zwar war das im Januar 1939. Ich befand mich damals gerade in Dresden, wo ich eine Veranstaltung durchführte, bei der ich irgendwelche moderne Körpergymnastik für Mädchen durchführen ließ. Ich habe das noch deutlich in Erinnerung. Wie ich dort war, wurde mir eine Zeitung gezeigt, in der ein Erlaß Hitlers publiziert war, wonach die zwei ältesten Jahrgänge der Hitler-Jugend durch die SA vormilitärisch zu ertüchtigen seien. Ich habe sofort dagegen Einspruch erhoben und habe nach meiner Rückkehr nach Berlin erreicht, daß dieser Er laß zwar nicht zurückgezogen wurde, weil das aus Prestigegründen nicht ging, weil der Name »Hitler« darunter stand, daß er aber außer Kraft gesetzt wurde für die Jugend.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Dieser Vorfall ist festgehalten in einer Urkunde im Dokumentenbuch Schirach, Nummer 132, Es ist das eine Feststellung aus dem »Archiv« einer halbamtlichen Zeitschrift. Ich darf darauf zu Beweiszwecken Bezug nehmen, und möchte an den Angeklagten wegen der Frage der Schießausbildung noch die Frage richten: