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[Zum Zeugen gewandt:]

Welchen Anteil an der Gesamtausbildung hatte das Schießen bei der Hitler-Jugend gehabt? War das ein sehr wesentlicher Teil oder der wesentliche Teil? Bitte?

VON SCHIRACH: Leider fehlen mir die Akten und Unterlagen, sonst könnte ich das ganz exakt beantworten. Jedenfalls war es kein wesentlicher Teil der Erziehung innerhalb der Hitler-Jugend.

DR. SAUTER: Ist diese Schießausbildung irgendwie weitergegangen nach Ihren Erfahrungen und Beobachtungen als die Schießausbildung der Jugend bei anderen Völkern?

VON SCHIRACH: Die Schießausbildung der Jugend in anderen Ländern ist weit über die in Deutschland hinausgegangen.

DR. SAUTER: Haben Sie sich davon selbst überzeugt?

VON SCHIRACH: Ich weiß davon durch viele meiner Mitarbeiter, die ja sehr eingehend laufend die Ausbildung in anderen Ländern studierten, und ich weiß darüber aus eigener Anschauung.

VORSITZENDER: Glauben Sie, die Tatsache, daß andere Völker Schießsport betrieben haben, sei erheblich? Ich bin nicht sicher, ob das überhaupt wahr ist. Auf jeden Fall ist es unerheblich.

DR. SAUTER: Ich komme dann zu einer anderen Frage, Herr Zeuge. Die Anklage hat behauptet, ich zitiere hier wörtlich:

»... daß Tausende von Jungens militärisch« – ich betone »militärisch« – »ausgebildet seien durch die Hitler-Jugend, und zwar auf dem Gebiet der Flotte, der Luftfahrt und der Panzertruppen und daß über 7000 Schießwarte über eine Million Hitlerjungen im Gewehrschießen unterwiesen hätten.«

Soweit das Zitat aus der Anklage, das auf irgendeine Kundgebung aus dem Jahr 1938 Bezug nimmt. Ich bitte nun, sich der Frage, die hier in Betracht kommt, nämlich der Frage der Sondereinheiten der Hitler-Jugend, zuzuwenden.

VON SCHIRACH: Die Anklage nimmt Bezug, wenn ich nicht irre, auf eine Rede, die Hitler gehalten hat. Wie Hitler zu den Zahlenunterlagen über die Ausbildung gekommen ist, weiß ich nicht. Ich kann nur über die Ausbildung in den Sondereinheiten folgendes sagen und exakt angeben und belegen:

Im Jahre 1938 hatte die Motor-Hitler-Jugend, das ist also die Sondereinheit unserer Jugendorganisation, von der die Anklage meint, daß sie die Vorausbildung für die Tankwaffe durchführten – also im Jahre 1938 hatte die Motor-Hitler-Jugend eigene Fahrzeuge: 328.

DR. SAUTER: In ganz Deutschland?

VON SCHIRACH: In ganz Deutschland. Privatfahrzeuge ihrer Angehörigen, die ihr also mit zur Verfügung standen zu ihrer Arbeit: 3270; und vom Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps bereitgestellte Fahrzeuge: 2000. Also in diesem Jahre 1938 haben 21000 Jungen den Führerschein erworben. Ich glaube, ich kann es aber nicht genau sagen, das ist die doppelte Anzahl der Jungen, die 1937 den Führerschein erworben hatten. Das ist der Führerschein für einen Personenkraftwagen. Allein diese Zahlen zeigen, daß die Motor-Hitler-Jugend keine Vorausbildung für unsere Tankwaffe betrieb. Die Motor-Hitler-Jugend hatte Motorräder, sie machte Geländefahrten damit. Das ist richtig. Das, was sie lernte, war natürlich wertvoll auch für die Armee, wenn diese Jungens später zur motorisierten Truppe kamen, aber es war nun durchaus nicht so, daß der Junge, der in der Motor-HJ gewesen war, zum Heer kam. Es bestand in dieser Hinsicht überhaupt kein Zwang. Entstanden ist die Motor-HJ nicht auf Wunsch der Wehrmacht, sondern sie ist entstanden bereits in der Kampfzeit, lange vor der Machtergreifung, einfach aus dem natürlichen Bedürfnis der Jungen heraus, die ein Motorrad besaßen und aus dem Sinn, mit diesem Motorrad zu fahren. So bildeten wir unsere Motor-HJ, verwendeten diese Jungens als Melder zwischen unseren Zeltlagern und benutzten sie als Fahrer für unsere unteren Führer, und später haben wir dann, um zu einer geregelten Ausbildung der Jungens, insbesondere in Bezug auf Motorenkunde, zu kommen, ein Abkommen mit dem NSKK getroffen, das über entsprechende Motorschulen verfügte und die Jungens ausbilden konnte.

So ähnlich haben sich auch die anderen Einheiten entwickelt. Flieger-HJ zum Beispiel hat niemals Motorflug betrieben. Wir besaßen nur Segelflugzeuge. Die ganze Hitler-Jugend hatte ein einziges Motorflugzeug, das war mein eigenes, eine kleine »Klemm«- Reisemaschine. Sonst besaß die Hitler-Jugend nur Modellflugzeuge und Segelflugzeuge. Die Hitler-Jugend hat nicht nur ihre eigenen Mitglieder im Gebrauch dieser Segelflugzeuge in der Rhön und anderswo geschult, sondern auch Tausende von Jungens aus England und aus anderen Ländern. Wir haben Segelfluglager von jungen Engländern bei uns gehabt, und wir haben selbst in England auch Segelfluglager durchgeführt.

DR. SAUTER: Die Marine-Hitler-Jugend – hatte die vielleicht Kriegsschiffe?

VON SCHIRACH: Die Marine-Hitler-Jugend hatte natürlich kein einziges Kriegsschiff, sondern sie bekam hin und wieder durch die Liebenswürdigkeit unseres früheren Oberbefehlshabers der Kriegsmarine, Raeder, einen alten Kutter geschenkt, mit dem ruderte sie.

Die Jungens zum Beispiel, die in einer Stadt, wie Berlin, am Wannsee wohnten und Rudersport trieben, die traten dort der Marine-HJ bei. Wenn sie in die Wehrmacht eintraten, gingen sie durchaus nicht deswegen, weil sie in der Marine-HJ gewesen waren also zur Kriegsmarine, sondern es gingen ebenso viele nachher ins Heer oder in die Luftwaffe, und so war es auch mit den anderen Sondereinheiten.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Sie sagen also, nach Ihrer Auffassung ist die Jugend militärisch nicht für den Krieg erzogen worden?

VON SCHIRACH: Ich möchte da ganz präzise sein. Die Ausbildung in diesen Sondereinheiten wurde so durchgeführt, daß sie wirklich einen vormilitärischen Wert hatte, also das, was der Junge in der Marine- Hitler-Jugend lernte, ganz gleich, ob er es nur als Sportsmann später verwenden wollte oder ob er tatsächlich in die Kriegsmarine ging, die Grundlagen waren vormilitärisch wertvoll. Man kann, wenn man die Sondereinheiten der Jugend betrachtet, feststellen, daß hier eine vormilitärische Ausbildung stattfand.

Aber eine militärische Ausbildung nicht. Auf den Krieg wurde die Jugend nirgendwo in der Hitler-Jugend vorbereitet, sie wurde auch eigentlich nicht auf den Wehrdienst vorbereitet, denn die Jugend trat nicht direkt von der HJ in das Heer über. Die Hitlerjugend trat von der HJ über in den Arbeitsdienst.

DR. SAUTER: Wie lange war sie beim Arbeitsdienst?

VON SCHIRACH: Ein halbes Jahr.

DR. SAUTER: Und dann kam sie erst in die Wehrmacht?

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER: Es ist aber in diesem Zusammenhang in der Anklage ein Abkommen verwertet worden, das zwischen der Hitler-Jugend-Führung und dem OKW im August 1939 geschlossen wurde und das als Dokument 2398-PS von der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden ist. Was hat es mit dieser Vereinbarung zwischen Ihnen und dem OKW für eine Bewandtnis?

VON SCHIRACH: Ich kann mich an Einzelheiten nicht erinnern. Zwischen dem Feldmarschall Keitel und mir fand, meiner Erinnerung nach, wegen dieses Abkommens auch keine Besprechung statt, sondern ich glaube, wir haben das durch Schriftverkehr zustandegebracht. Wie ich überhaupt bemerken möchte, daß in der ganzen Zeit von 1933 bis 1945 zwischen Herrn Feldmarschall Keitel und mir, glaube ich, nur eine oder zwei vielleicht halbstündige Unterhaltungen stattgefunden haben. Das Abkommen entstand aber aus folgender Überlegung: Wir waren in der Jugend bestrebt, und das war auch das Bestreben der maßgebenden Männer in der Wehrmacht, nichts in unserer Ausbildung von der späteren militärischen Ausbildung vorwegzunehmen. Es war aber im Laufe der Zeit von militärischer Seite der Einwand gemacht worden, daß die Jugend nichts lernen dürfe in ihrer Ausbildung, was später in der Wehrmacht umgelernt werden müßte. Ich denke zum Beispiel, das fällt mir gerade ein, an den Kompaß. Das Heer benutzte den Infanterie-Marschkompaß; in der Jugend wurden beim Geländesport Kompasse der verschiedensten Arten verwendet. Es war natürlich ganz unsinnig, daß die Jugendführer ihre Jungens ausbildeten nach, beispielsweise, dem Bezar-Kompaß zu marschieren, wenn später dann bei der Ausbildung als Rekrut der Junge etwas anderes lernen mußte. Die Ansprache und das Beschreiben des Geländes sollte auch innerhalb der Jugend und innerhalb des Heeres nach gleichen Begriffen erfolgen, und so kam es zu diesem Abkommen, durch das meiner Erinnerung nach 30000 oder 60000 Hitler-Jugend-Führer geländesportlich geschult wurden. In diesem Geländesport wurde auch keine Ausbildung an Kriegswaffen betrieben.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich komme dann zu einem anderen Kapitel. Vielleicht entspricht es Ihnen, jetzt die Pause eintreten zu lassen.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich nunmehr vertagen.