[Zum Zeugen gewandt:]
Ich möchte nur auf einen Punkt von diesem, wenn ich so sagen darf, Programm der Hitler-Jugend eingehen, weil Ihnen das in der Anklage besonders zum Vorwurf gemacht wird, nämlich Ihre Zusammenarbeit mit dem Juristenbund, also Ihre Beschäftigung mit dem Rechtswesen. Da interessiert es mich, warum haben Sie als Reichsjugendführer sich überhaupt mit Rechtsproblemen befaßt? Was haben Sie angestrebt, und was haben Sie erreicht? Das bitte ich, kurz zu sagen, weil es in der Anklage besonders hervorgehoben ist.
VON SCHIRACH: Ich darf daran erinnern, daß ich die Staatsjugend als einen Jugendstaat gesehen habe. In diesem Jugendstaat waren alle Berufe vertreten und auch alle Aufgaben. Die Zusammenarbeit mit dem Juristenbund ergab sich aus der Notwendigkeit, für unsere werktätige Jugend Rechtsberater heranzubilden, die ihnen den notwendigen Rechtsschutz gewähren konnten. Mir lag daran, daß diejenigen Hitler-Jugendführer, die Rechtswissenschaft studierten, wieder in die Organisation zurückkehrten, um solche Aufgaben in der Organisation zu erfüllen. Es hat sich aus dieser Schulung eine große Organisation entwickelt innerhalb der Jugend, gleichbedeutend wie die Organisation der Ärzte innerhalb der Jugendorganisation; unsere ärztliche Organisation umfaßte etwa 1000 Ärzte und Ärztinnen. Und diese Juristen halfen nun in den Stäben der Gebiete und der Banne und anderen Einheiten der Jugendorganisation in der Durchsetzung der Forderungen, die ich schon sehr früh, schon in der Kampfzeit, vor der Machtergreifung erstmalig erhoben hatte und dann im Staate mit Nachdruck vertrat, nämlich der Forderungen nach der Freizeit und nach dem bezahlten Urlaub des Jungarbeiters. Es hat sich auch aus dieser Jugendrechtsarbeit ergeben die Gründung von Seminaren für Jugendrecht und Jugendarbeitsrecht und so weiter an den Universitäten in Kiel und Bonn. Es hat sich vor allem daraus ergeben, daß die Forderungen, die ich in einer Rede 1936 im Jugendrechtsausschuß der Akademie für Deutsches Recht ausführte, verwirklicht werden konnten.
DR. SAUTER: Einen Moment! [Zum Gerichtshof gewandt]: Es ist das die Rede, die auszugsweise wiedergegeben ist in dem Dokumentenbuch Schirach Nummer 63, ein Abdruck aus dem »Archiv« vom Oktober 1936. [Zum Zeugen gewandt]: Herr von Schirach, vielleicht äußern Sie sich ganz kurz, welche Forderungen haben Sie als Reichsjugendführer hinsichtlich der Jugend an sozialen Forderungen aufgestellt? Sie haben vorhin gesagt »Freizeit«. Was meinten Sie damit?
VON SCHIRACH: In erster Linie eine Verkürzung der Arbeitszeit für Jugendliche, Abschaffung der Nachtarbeit für Jugendliche, grundsätzliches Verbot der Kinderarbeit, verlängertes Wochenende und ein bezahlter dreiwöchiger Urlaub im Jahr. Ich habe in Liegnitz 1937 festgestellt, daß damals noch 50 Prozent der werktätigen Jugend keinen Urlaub hatten und nur ein Prozent 15 bis 18 Tage im Jahr. Ich habe aber 1938 bereits durchgesetzt das Jugendschutzgesetz, das grundsätzlich ausspricht das Verbot der Kinderarbeit, das das Schutzalter des Jugendlichen hinaufsetzte von 16 auf 18 Jahre, das grundsätzlich aussprach das Verbot der Nachtarbeit und das meine Forderung des erweiterten Wochenendes verwirklichte und den Urlaub der Jugendlichen auf mindestens 15 Tage im Jahre festsetzte. Das war alles, was ich erreichen konnte, es war nur ein Teil von dem, was ich erreichen wollte.
DR. SAUTER: Das sind also die Forderungen, die niedergelegt sind in folgenden Dokumenten im Dokumentenbuch: 40/41, 60 bis 64, von denen ich zu Beweiszwecken Kenntnis zu nehmen bitte.
Herr Zeuge! Ich komme nun zu einem anderen Problem wegen Ihrer Stellung innerhalb der Partei. Es ist hier vor einiger Zeit ein Plan gezeigt worden, der den Aufbau der Partei und ihre Gliederungen darstellt. Stimmt dieser Plan, oder wie war sonst Ihre Stellung innerhalb der Partei?
VON SCHIRACH: In Bezug auf meine Stellung in der Partei ist dieser Plan nicht richtig, jedenfalls soweit er die Befehlswege wiedergibt. Nach dem Plan, der hier ausgestellt wurde, wäre der Befehlsweg gegangen vom Reichsleiter für die Jugenderziehung an den Chef der Parteikanzlei, und von da an Hitler, und von Hitler an die Reichsjugendführung der Partei. Das ist natürlich eine falsche Darstellung. Ich saß ja nicht in der Parteileitung, um meine Befehle über die Gauleiter an die Gebietsführer zu geben, sondern ich saß als Vertreter der Jugend und als Spitze der Jugend in der Parteileitung. Wenn man also graphisch meine Stellung und die Stellung meiner Organisation im Rahmen der NSDAP richtig darstellen wollte, müßte man eigentlich eine Pyramide zeichnen, deren oberste Spitze, also mein Amt, in der Parteileitung über den Reichsleiter ging. Ich war der einzige Mann in der Jugend, der mit der Partei verbunden war.
DR. SAUTER: Und die übrigen Führer und Unterführer der Jugend?
VON SCHIRACH: Waren einzelne vielleicht Parteimitglieder, nicht alle, aber jedenfalls waren sie nicht Mitglieder der Gauleitungen oder der Kreisleitung. Der ganze Stab der Jugend, die ganze Organisation der Jugend stand neben der Partei als ein geschlossenes Ganzes.
DR. SAUTER: Herr Zeuge! Als Jugendführer des Deutschen Reiches waren Sie Reichsbeamter?
VON SCHIRACH: Ja.
DR. SAUTER: Und seit 1. Dezember 1936, glaube ich, Chef einer Obersten Reichsbehörde?
VON SCHIRACH: Ich bin erst seit dem 1. Dezember 1936 Reichsbeamter.
DR. SAUTER: Mit dem Titel?
VON SCHIRACH: Jugendführer des Deutschen Reiches.
DR. SAUTER: Als Chef einer Obersten Reichsbehörde waren Sie gegenüber dem Innenminister und gegenüber dem Erziehungsminister eigentlich selbständig?
VON SCHIRACH: Ja, das war ja der Sinn der Errichtung der selbständigen Reichsbehörde; das war der Zweck der Errichtung.
DR. SAUTER: Sind Sie nun dadurch Mitglied des Reichskabinetts geworden, wie behauptet wird?
VON SCHIRACH: Meiner Überzeugung nach, nein. Ich habe hier zum ersten Male gehört, daß ich Mitglied des Kabinetts gewesen sein soll. Ich habe nie an einer Kabinettssitzung teilgenommen, ich habe nie ein Dekret oder etwas Ähnliches erhalten, das mich zum Kabinettsmitglied bestellte. Ich habe nie Einladungen zu Kabinettssitzungen erhalten, ich habe mich nie als Kabinettsmitglied betrachtet, und ich glaube, die Minister haben mich auch nicht als Mitglied betrachtet.
DR. SAUTER: Sind Sie von den Beschlüssen des Reichskabinetts in irgendeiner Weise dann verständigt worden, zum Beispiel durch Zuleitung des Sitzungsprotokolls?
VON SCHIRACH: Nein. Ich habe von Beschlüssen des Reichskabinetts, soweit solche nach dem 1. Dezember 1936 überhaupt erfolgten, nur in der gleichen Weise Kenntnis erhalten wie jeder andere höhere Beamte oder Reichsangestellte, der das Reichsgesetzblatt liest oder das Reichsministerialblatt. Protokolle sind mir nie zugänglich gemacht worden.
DR. SAUTER: Als Sie dann Oberste Reichsbehörde wurden, haben Sie dann Ihren Mitarbeiterstab, den Sie doch benötigten, von einem Ministerium gestellt bekommen, oder wie haben Sie ihn sich geschaffen?
VON SCHIRACH: Ich habe einige Jugendführer, die bereits jahrelang in meinem Stabe tätig waren, zu Beamten ernennen lassen. Ich habe keinen einzigen Beamten aus einem Ministerium übernommen, um Angelegenheiten der Jugendorganisation zu bearbeiten. Die ganze Oberste Reichsbehörde umfaßte, wenn ich mich recht erinnere, nicht mehr als fünf Beamte. Es war die kleinste Oberste Reichsbehörde des Reiches. Darauf war ich besonders stolz. Wir führten einen sehr großen Auftrag mit einem Minimum von Menschen durch.
DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ich möchte dann zu einem Thema kommen, das ziemlich umfangreich sein wird, nämlich zu dem von Ihnen bereits erwähnten Affidavit eines gewissen Gregor Ziemer, Es ist das ein sehr umfangreiches Affidavit, das von der Staatsanwaltschaft eingeführt ist unter der Nummer 2441-PS.
Herr Zeuge! Was haben Sie zu diesem Affidavit im einzelnen zu sagen? Kennen Sie diesen Gregor Ziemer?
VON SCHIRACH: Nein.
DR. SAUTER: Haben Sie erfahren, wer das ist und woher er sein angebliches Wissen bekommen hat?
VON SCHIRACH: Ich entnehme dem Affidavit, daß Herr Ziemer »Headmaster« der amerikanischen Schule in Berlin war, und zwar vor dem Kriege, und daß er ein Buch geschrieben hat, das sich anscheinend mit der Jugend und der Schulerziehung in Deutschland befaßt und von dem dieses Affidavit einen Extrakt darstellt. Das Affidavit selbst – wenn man es als Ganzes betrachtet – hat, glaube ich, mehr propagandistische Bedeutung als objektive. Ich möchte damit beginnen, daß ich von der allerersten Seite etwas wiedergebe. Es ist das die Seite, die die eidesstattliche Erklärung Ziemers enthält, und in dem letzten Absatz steht nun, daß vor der amerikanischen Schule Straßenkämpfe stattfanden zwischen den jüdischen Schülern der Schule und der örtlichen Jugend.
Mit den Schwierigkeiten, die die Schule selber hatte, brauche ich mich hier nicht zu befassen, weil sie ja nicht in mein Ressort fallen. Aber diese Straßenkämpfe haben sich außerhalb der Schule abgespielt, und ich glaube, ich muß hierzu etwas sagen. Ich habe von diesen Auseinandersetzungen niemals etwas gehört. Ich hätte aber unter allen Umständen von ihnen erfahren müssen, denn ich war den größten Teil dieses Jahres 1938 in Berlin. Ich hätte davon dadurch erfahren müssen: erstens durch die Organisation der Jugend selbst, und zwar hätten die vorgesetzten Jugendführer mir berichten müssen, wenn sich solche Dinge ereignet hätten. Ich hätte aber durch das Auswärtige Amt davon erfahren müssen. Wenn Jugendliche der amerikanischen Kolonie dort belästigt worden wären, müßten ja doch Proteste über die Botschaft beim Auswärtigen Amt eingehen. Diese Proteste wären mir unter allen Umständen sofort zugeleitet, ja zu telephoniert worden. Ich kann mir nur vorstellen, daß es sich hier um eine sehr große Übertreibung handelt. Der amerikanische Botschafter Wilson hat, ich glaube, noch im Frühjahr 1939, ich glaube, mich nicht im Zeitpunkt zu irren, bei mir draußen in Gatow gefrühstückt.
DR. SAUTER: In dem Auslandshaus?
VON SCHIRACH: In dem Auslandshaus. Und wir haben uns dabei über verschiedene Dinge unterhalten unter vier Augen. Ich glaube, daß er bei dieser Gelegenheit oder nachträglich unter allen Umständen solche Zwischenfälle erwähnt haben würde, wenn sie sich in der Form ereignet hätten, wie sie Herr Ziemer darstellt.
DR. SAUTER: Ich glaube, von den Seiten des Affidavits kann ich bis zur Seite 2 übergehen. Es handelt sich...
VORSITZENDER: Dr. Sauter! Wieviel wurde von diesem Dokument von der Anklagevertretung verlesen? Soviel ich weiß, nur sehr wenig
DR. SAUTER: Bitte?
VORSITZENDER: Wieviel von dem Affidavit wurde verlesen und von der Anklagevertretung als Beweismaterial vorgelegt?
DR. SAUTER: Das kann ich auswendig jetzt nicht sagen, Herr Präsident, aber nach der Praxis muß ich annehmen, daß, wenn die Urkunde vorgelegt wird, die ganze Urkunde zur Kenntnis des Gerichts gebracht ist.
VORSITZENDER: Nein, das ist nicht richtig. Wir haben immer und immer wieder erklärt, daß wir nur solche Dokumente von Amts wegen zur Kenntnis nehmen, welche vor Gericht verlesen wurden, es sei denn, es wären Dokumente, von denen vollständige Übersetzungen angefertigt wurden. Dieses Dokument ist, glaube ich, im Laufe des Vortrags der Anklagevertretung vorgelegt worden, und wahrscheinlich ist nur ein Satz damals daraus verlesen worden. Ich weiß nicht, wieviel verlesen wurde, aber Sie und der Angeklagte sollten es wissen.
MR. DODD: Es wurde nur ein Absatz verlesen, Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Ein Absatz?
MR. DODD: Ein ganzer Absatz, und vielleicht noch ein kurzer auf Seite 21.
VORSITZENDER: Ja, ich habe es hier.
MR. DODD: Ich glaube, die Anklagevertretung hat bereits den Teil behandelt, der mit der Rede in Heidelberg zu tun hatte.
VORSITZENDER: Und das ist der einzige Teil, der auch verlesen wurde, und deshalb ist nur dieser Teil als Beweis beim Akt.
VON SCHIRACH: Ich darf vielleicht nur wegen der Glaubwürdigkeit – ich will mich im einzelnen nicht mit den Anschuldigungen, die in dem Affidavit enthalten sind, beschäftigen – sagen, daß mit einer einzigen Ausnahme sämtliche Jahresparolen der Hitler-Jugend hier falsch wiedergegeben sind und daß Herr Gregor Ziemer aber die Richtigkeit seiner Aussagen auf seinen Eid nimmt.
VORSITZENDER: Wäre es nicht am besten, Sie verweisen, wenn Sie auf dieses Affidavit antworten wollen, den Angeklagten auf den Teil, der bereits verlesen wurde? Dann könnte er darauf antworten.
DR. SAUTER: Herr Präsident! In dem Affidavit Ziemer, das der Angeklagte als eine ausgesprochene Hetzschrift bezeichnet hat mir gegenüber, sind die Jahresparolen angegeben, die der Angeklagte gegeben haben soll, also Jahresparolen, das heißt das Schlagwort, das für die Arbeit des nächsten Jahres innerhalb...
VORSITZENDER: Dr. Sauter! Es ist nur eine Stelle aus diesem Dokument vorgelegt worden. Wenn Sie auch den Rest vorlegen wollen, dann haben Sie das Recht dazu; aber ich dachte, es wäre das beste, wenn Sie zu der vorliegenden Stelle Stellung nehmen würden. Das übrige Affidavit liegt nicht als Beweisstück vor.
DR. SAUTER: Herr Präsident! Wir kommen dann zu kurz dabei, und zwar aus dem Grund, weil eine andere Stelle, die die Staatsanwaltschaft nicht verwertet hat...
VORSITZENDER: Ich sagte ja, Sie können von anderen Stellen Gebrauch machen, wenn Sie wollen.
DR. SAUTER: Freilich, daß ich aber nachweisen kann, daß die Angaben des Herrn Ziemer nicht richtig sind, und deswegen bin ich gerade dabei, die Frage der Jahresparolen mit dem Angeklagten zu besprechen. Das ist nur ein Beispiel.
VORSITZENDER: Dr. Sauter! Der Angeklagte behauptet anscheinend, das Affidavit sei unglaubwürdig wegen der zitierten Parolen. Genügt das nicht für Ihren Zweck?
DR. SAUTER: Ja, ich will Ihnen aber den Beweis dafür bringen, daß die Angaben des Herrn Ziemer nicht stimmen. Der Angeklagte behauptet, daß das nicht war sei, was da drin steht. Aber ich will Ihnen den Beweis dafür bringen, daß tatsächlich Herr Ziemer objektiv die Unwahrheit gesagt und geschworen hat.
VORSITZENDER: Sicherlich, Dr. Sauter. Da eine Stelle aus diesem Affidavit als Beweismittel vorliegt, können Sie die Frage der Glaubwürdigkeit der Person, die das Affidavit ausgestellt hat, kurz behandeln.
DR. SAUTER: Herr Zeuge! Dieser Herr Ziemer hat in seinem Affidavit Angaben gemacht über die Jahresparolen...
VON SCHIRACH: Ja.
DR. SAUTER:... die Sie für die HJ ausgegeben haben. Wie diese Jahresparolen lauten, ersieht ja das Gericht ohne weiteres aus dem Affidavit.
Ich möchte jetzt aber bitten, daß Sie aussagen, wie die Jahresparolen der HJ in Ihren Jahren, außer vor 1933, bis 1940 gelautet haben.
VON SCHIRACH: Herr Ziemer gibt die Parolen wieder auf Seite 16 des englischen Dokuments. Herr Ziemer sagt: 1933 habe die Parole der deutschen Jugend »Ein Reich, eine Nation, ein Führer« geheißen. Er meint wahrscheinlich »Ein Volk, ein Reich, ein Führer«. In Wirklichkeit war das Jahr 1933 das »Jahr der Einigung«.
DR. SAUTER: Was heißt das, »Einigung«?
VON SCHIRACH: Das Jahr, in dem sich die deutsche Jugend zu einer Einheit zusammenschloß.
DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ich möchte dann gleich einige Jahre überspringen und auf das Jahr 1938 eingehen.
Wie hat 1938 Ihre Parole für die HJ gelautet?
VON SCHIRACH: Das Jahr 1938 war das »Jahr der Verständigung«.
DR. SAUTER: Das »Jahr der Verständigung«?
VON SCHIRACH: Herr Ziemer sagt, die Parole habe geheißen: »Jeder Jugendliche ein Flieger«.
DR. SAUTER: Dann das Jahr 1939. Wie hat Ihre Parole gelautet?
VON SCHIRACH: Es war das »Jahr der Gesundheitspflicht«.
DR. SAUTER: »Jahr der Gesundheitspflicht«?
VON SCHIRACH: Nach Ziemer heißt es: »Hitler-Jugend marschiert«.
DR. SAUTER: Und schließlich das Jahr 1940, Ihr letztes Jahr?
VON SCHIRACH: Es war das »Jahr der Belehrung«. Er nannte es aber: »Wir fahren gegen Engelland«. Ich möchte aber hinzufügen, daß die erste Parole »Ein Volk, ein Reich, ein Führer«, von der Ziemer behauptet, daß sie 1933 die Jahresparole, die offizielle der deutschen Jugend war, das erstemal entstand 1938, als Hitler nach Österreich einfuhr. Vorher hat es diese Parole überhaupt nicht gegeben. Sie war niemals eine Jahresparole der deutschen Jugend.
DR. SAUTER: Herr Zeuge! Wir müssen dem Wunsche des Gerichts Rechnung tragen und uns nicht weiter mit dem Affidavit Ziemers befassen, außer mit dem einen Punkt, der von der Staatsanwaltschaft eigens zum. Gegenstand der Anklage gemacht wurde. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Antisemitismus.
Ich übergehe die weiteren Angaben von Herrn Ziemer und komme zu der Heidelberger Rede. Da bitte ich zunächst zu sagen, des Zusammenhanges wegen, was da Herr Ziemer behauptet und dann dazu Stellung zu nehmen.
VON SCHIRACH: Ja, Herr Ziemer behauptet, daß ich auf einer Studentenversammlung in Heidelberg – ich glaube 1938 Ende oder Anfang 1939 – eine Rede gegen Juden gehalten habe im Rahmen einer Kundgebung des Nationalsozialistischen Studentenbundes. Er sagt, daß ich bei dieser Gelegenheit die Studenten belobt habe wegen der Zerstörung der Synagoge von Heidelberg, daß ich dann anschließend die Studenten an mir habe vorbeimarschieren lassen und ihnen Medaillen und Zertifikate, Beförderungszertifikate, überreicht hätte. Zunächst folgendes:
Meine Tätigkeit in der Studentenbewegung habe ich vorhin schon erwähnt. Im Jahre 1934 gab ich auf Wunsch des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, die Leitung der Studentenbewegung an ihn ab. Er hat dann einen Reichsstudentenführer eingesetzt, und seit der Zeit habe ich in Studentenversammlungen nicht gesprochen. Heidelberg habe ich meiner Erinnerung nach im Sommer 1937 besucht und dort zur Jugend gesprochen, also ein Jahr beziehungsweise eineinhalb Jahre früher, als das, welches Herr Ziemer angibt. Ich bin auch einmal in Heidelberg bei den Festspielen gewesen.
DR. SAUTER: Das spielt ja alles keine Rolle.
VON SCHIRACH: Ich habe keine Erinnerung an eine Versammlung mit Studenten dieser Art, keine Erinnerung überhaupt, zu den Judenpogromen von 1938 in der Öffentlichkeit Stellung genommen zu haben. Über die Art, wie ich dazu in der Jugend Stellung nahm, werde ich an anderer Stelle aussagen, Ziemer sagt – ich übersetze aus dem Englischen – in seiner Angabe: der Tag würde kommen, wenn die Studenten von Heidelberg ihren Platz Seite an Seite nehmen würden mit den Legionen der anderen Studenten, um die Welt für die Ideologie des Nationalsozialismus zu erobern. In dieser Weise habe ich mich niemals in der Jugend, in der Öffentlichkeit oder im kleinen Kreis ausgedrückt. Das sind nicht meine Worte, das habe ich nicht gesagt. Ehrenzeichen, Zertifikate und so weiter für Studenten konnte ich überhaupt nicht verleihen. Medaillen zur Auszeichnung für Studierende gab es nicht. Außerdem verlieh das das Staatsoberhaupt. Ich selbst habe das Recht gehabt, das goldene Ehrenzeichen der Jugend zu verleihen. Dieses goldene Ehrenzeichen der Jugend ist von mir vielleicht 230mal verliehen worden, fast nur an Menschen, die sich außerordentlich verdient gemacht haben um die Erziehung, aber nicht an unbekannte Studenten.
DR. SAUTER: Herr Zeuge! Das Wesentliche an Ihrem Vortrag ist uns zu sagen, ob das stimmt, dieser Vortrag, der Ende 1938 bei der Studentenschaft in Heidelberg gehalten worden ist, und bei dem von dem Vortragenden auf die Trümmer der Synagogen hingewiesen wurde. Der Vortrag ist nicht von Ihnen gehalten worden, denn Sie hatten damals schon seit Jahren nichts mehr mit der studentischen Bewegung zu tun?
VON SCHIRACH: Ich habe mit der Studentenbewegung nichts zu tun gehabt, und ich erinnere mich nicht, in einer solchen Kundgebung gesprochen zu haben. Ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß diese Veranstaltung überhaupt mit Studenten stattfand. Ich habe das nicht gesagt.
DR. SAUTER: Haben Sie das Affidavit zur Hand?
VON SCHIRACH: Ja. Ich kann nur augenblicklich die Stelle nicht finden.
DR. SAUTER: Da steht etwas drin, was ich ins Deutsche übersetzt habe. Es spricht von einem kleinen dicken Studentenführer.
Haben Sie diese Stelle? Heißt es nicht so?
VON SCHIRACH: Ja, das steht drin.
DR. SAUTER: Nun, »kleiner, dicker Studentenführer« wird sich doch sicher auf Sie nicht beziehen können.
Ich darf Sie, Herr Präsident, in diesem Zusammenhang auf ein Affidavit hinweisen, das dem Dokument Schirach unter Nummer 3 beigefügt ist und das ich hiermit überreiche. Es ist das eine eidesstattliche Versicherung einer gewissen Höpken, die vom 1. Mai 1938 an bei dem Angeklagten von Schirach als Sekretärin beschäftigt war und die in dieser eidesstattlichen Versicherung unter Ziffer 16 – es ist das Blatt 22 des Dokumentenbuches – unter genauer Angabe von Details an Eides Statt geschworen hat, daß der Angeklagte in dieser Zeit, um die es sich hier handelt, überhaupt nicht in Heidelberg gewesen ist. Es ist wohl nicht notwendig, daß ich diesen Teil der eidesstattlichen Versicherung im einzelnen verlese. Ich bitte, zu Beweiszwecken davon Kenntnis zu nehmen.
VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre Zeit, eine Pause einzuschalten.