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[Pause von 10 Minuten.]

DR. SAUTER: Herr Präsident! Nach dieser Erklärung des Angeklagten von Schirach hätte ich am liebsten auf alle weiteren Fragen verzichtet. Aber es sind von der Staatsanwaltschaft dem Angeklagten noch einige Spezialvorwürfe gemacht worden, und ich müßte befürchten, daß diese Vorwürfe als stillschweigend anerkannt betrachtet würden, wenn der Angeklagte nicht kurz dazu Stellung nehmen würde. Ich werde aber sehen, daß ich mit Rücksicht hierauf diese Schlußvernehmung möglichst abkürzen kann.

Herr Zeuge! Sie haben eben die Eindrücke geschildert, die Sie aus den Verhandlungen dieses Prozesses gewonnen haben. Waren Sie früher einmal selber in einem Konzentrationslager?

VON SCHIRACH: Jawohl.

DR. SAUTER: Wann und aus welchem Anlaß?

VON SCHIRACH: Ich war, wie der Zeuge Höllriegel hier angegeben hat, im Jahre 1942 in dem Konzentrationslager Mauthausen. Die Aussage des anderen Zeugen, Marsalek, wonach dieser Besuch 1944 stattgefunden haben soll, ist irrig. Ich habe mich bei meiner Vernehmung, als ich mich in Gefangenschaft begab im Juni 1945 bereits über diesen Besuch geäußert und habe auch hier in Nürnberg bei den Vernehmungen diesen Besuch erwähnt.

DR. SAUTER: Noch vor der Vernehmung des Höllriegel?

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER: Ja?

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Die Übersetzung lautete, daß er im Juni 1940 interniert worden sei, stimmt das?

DR. SAUTER: 1945, nicht 1940, nicht wahr, Herr von Schirach?

VON SCHIRACH: Ja, ich habe mich 1945 freiwillig in Gefangenschaft begeben.

DR. SAUTER: Sie haben also 1942, das wissen Sie bestimmt, Mauthausen einmal besucht? Aus welchem Anlaß und wie ist...

VON SCHIRACH: Es war eine Tagung....

DR. SAUTER: Moment.

VORSITZENDER: Was heißt, er hat sich freiwillig in die Gefangenschaft begeben?

DR. SAUTER: Der Angeklagte von Schirach hat damals unter einem fremden Namen in Tirol gelebt, und er hat dann in dem Ort, wo er gewohnt hat – vielleicht kann das der Angeklagte Schirach selbst sagen, wie diese freiwillige Gefangennahme vor sich gegangen ist, aber ganz kurz, bitte.

VON SCHIRACH: Ich habe mich auf freiem Fuß befunden. Ich habe durch meinen Adjutanten einen Brief an den amerikanischen Ortskommandanten gerichtet, in dem stand, daß ich mich in Gefangenschaft begeben möchte, um vor ein Alliiertes Gericht gestellt zu werden. Das war im Juni 1945. Der CIC-Offizier, der nachher feststellte, wo ich gelebt hatte, hat mir bestätigt, daß ich mich dort noch lange hätte aufhalten können. Ich persönlich bin der Überzeugung, daß ich dort und an anderen Orten mich hätte verborgen halten können, solange ich hätte wollen, jahrelang.

DR. SAUTER: Herr von Schirach! Wir kommen dann auf den Besuch von Mauthausen zurück, den Sie mit Bestimmtheit und unter Ihrem Eid für das Jahr 1942 angeben können. Stimmt das?

VON SCHIRACH: Ich glaube, daß das Datum stimmt, das der Zeuge Höllriegel angegeben hat. Ich weiß ganz genau, daß das Datum, das Marsalek angibt, nicht stimmt.

DR. SAUTER: Also nicht 1944?

VON SCHIRACH: Es ist wahrscheinlich 1942. Ich bestätige also die Aussage Höllriegels.

Es war eine Zusammenkunft in Linz, an der verschiedene Dienststellen der Ostmark teilnahmen. Es waren Besprechungen über wirtschaftliche oder landwirtschaftliche Probleme, und am späten Nachmittag sind wir dann in das Konzentrationslager Mauthausen gefahren, auf Einladung des Gauleiters Eigruber. Ich habe mich damals etwas darüber gewundert, daß der Gauleiter diese Einladung aussprechen konnte; ich nahm an, er hatte vorher mit den SS-Dienststellen Fühlung genommen, und Eigruber hatte deswegen uns dorthin eingeladen, weil er, ich glaube, eine Gewehrfabrik oder so etwas Ähnliches dort zu errichten beabsichtigte; es stand jedenfalls, genau weiß ich es nicht mehr, im, Zusammenhang mit der Fertigung der Steyr-Werke.

DR. SAUTER: Und was war die Führung, und was haben Sie gesehen?

VON SCHIRACH: Wir wurden geführt durch den Kommandanten...

DR. SAUTER: Namens?

VON SCHIRACH: Das war dieser Ziereis oder so ähnlich, der hier erwähnt worden ist.

DR. SAUTER: SS-Führer?

VON SCHIRACH: Der SS-Lagerkommandant; und ich will zunächst meinen allgemeinen Eindruck schildern. Es war eine sehr große Lagerstadt. Ich habe gleich gefragt, wieviel Häftlinge sich dort befänden. Es wurde mir gesagt, ich glaube 20000 oder 15000, jedenfalls bewegte sich die Zahl zwischen 15000 und 20000. Ich fragte, was für Häftlinge das sind. Daraufhin ist mir geantwortet worden, etwas, was ich immer wieder bei Fragen über Konzentrationslager erfahren habe, daß zwei Drittel der Insassen Schwerverbrecher seien, die aus den Zuchthäusern und Gefängnissen dort zusammengeholt seien, um zu arbeiten. Das restliche Drittel solle sich zusammensetzen aus politischen Häftlingen und aus Hoch- und Landesverrätern, die ja im Kriege ganz besonders streng bestraft wurden.

DR. SAUTER: Haben Sie sich in dem Lager überzeugt, wie die Häftlinge untergebracht waren und wie sie verpflegt wurden und dergleichen?

VON SCHIRACH: Ich habe eine Verpflegsausgabe gesehen und hatte den Eindruck, daß diese Verpflegung eine normale, ausreichende Lagerverpflegung war. Ich habe dann besucht den großen Steinbruch, den berühmten und jetzt berüchtigten Steinbruch, aus dem seit Jahrhunderten die Steine für Wien gebrochen werden. Es wurde nicht daran gearbeitet, es war schon Feierabend. Ich habe aber eine Steinmetzwerkstatt gesehen, in der noch gearbeitet wurde. Ich habe ein Gebäude gesehen, in dem sich eine geradezu hervorragend eingerichtete zahnärztliche Behandlungsstation befand. Diese Station wurde mir gezeigt, weil ich Ziereis nach der ärztlichen Versorgung fragte. Ich muß sagen, daß ich im allgemeinen bei diesem Lagerbesuch die Fragen stellte, die ich von meinen unendlich vielen Besuchen von großen Lagern in der Jugend und so weiter her gewohnt bin, also Verpflegung, Zahl der Untergebrachten, ärztliche Versorgung und so fort. Dann wurde ich in einen großen Raum geführt, in dem Häftlinge musizierten. Es war ein ganzes Symphonieorchester, was da zusammengestellt war, und es wurde mir gesagt, daß nach Feierabend die Häftlinge die Möglichkeit hätten, sich nun auf ihre Weise zu unterhalten, und in diesem Falle zum Beispiel fänden sich hier die Häftlinge zusammen, die musizieren wollten. Bei der Gelegenheit sang auch ein Tenor; daran erinnere ich mich besonders.

Dann habe ich gefragt nach der Sterblichkeit. Es ist mir dann ein Raum gezeigt worden, in dem drei Leichen waren. Ob ich ein Krematorium gesehen habe, kann ich auf meinen Eid nicht nehmen. Marsalek behauptet es. Es hätte mich nicht gewundert, wenn in einem so großen Komplex, fern ab von einer Stadt, ein Krematorium oder ein Friedhof sich befand, das war ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

DR. SAUTER: Herr von Schirach! Haben Sie bei Gelegenheit dieses offiziellen Besuches unter Führung des Lagerkommandanten Ziereis irgend etwas erfahren von Mißhandlungen oder von Greueltaten oder von Folterungen, die vorgekommen sein sollen?

Sie können die Frage kurz beantworten; wahrscheinlich mit Ja oder Nein.

VON SCHIRACH: Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte ich natürlich etwas unternommen. Aber ich hatte den Eindruck, daß alles in Ordnung war. Ich habe zum Beispiel mir Häftlinge angesehen, unter anderem erinnere ich mich, sah ich den bekannten Mittelstreckenläufer Peltzer, der ein berüchtigter Sittlichkeitsverbrecher war. Er war bestraft worden, weil er als Erzieher in einem Landerziehungsheim sich an unzähligen Jugendlichen laufend vergangen hatte.

Ich habe an Ziereis die Frage gestellt: »Wie kommt man denn aus dem Konzentrationslager wieder heraus? Entlassen Sie denn hier laufend auch Menschen?« Worauf er mir etwa vier oder fünf Häftlinge vorführen ließ, die nach seinen Angaben am nächsten Tage entlassen werden sollten. Er fragte die Häftlinge in meiner Gegenwart: »Habt Ihr schon alles gepackt?« oder: »Habt Ihr Euch vorbereitet für Eure Entlassung?«, worauf sie also strahlend das bejahten.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Können Sie sich erinnern, ob Sie bei dieser Gelegenheit den Kommandanten Ziereis auch gefragt haben, ob auch aus Ihrem Gaubezirk Wien, also aus der Stadt Wien, politische Häftlinge da seien? Und ob Sie sich daraufhin eine Reihe von solchen politischen Häftlingen aus Wien haben vorführen lassen?

VON SCHIRACH: Diese Frage haben Sie mir schon bei einer Besprechung vorgelegt, Herr Verteidiger. Ich kann hier unter Eid nur folgendes sagen:

Ich erinnere mich daran nicht. Es ist aber absolut selbstverständlich, daß ich bei solcher Gelegenheit gefragt habe nach Häftlingen aus meinem Gau. Ich kann mich aber daran nicht erinnern. Herr Marsalek sagt es – es ist seine Aussage zwar – und ich halte es für wahrscheinlich. Ich muß hier überhaupt zu diesem Besuch noch folgendes bemerken:

Ich bin in meiner Erinnerung an Mauthausen außerordentlich gehemmt...

DR. SAUTER: Wodurch?

VON SCHIRACH: Dadurch, daß ich vom Mai 1945 an unzählige Radioberichte zunächst über Mauthausen und andere Konzentrationslager gehört habe. Ich habe alles, was ich an schriftlichen Berichten über Mauthausen kriegen konnte, aus den Zeitungen gelesen und ich habe mir immer wieder überlegt: Hast du etwas dort gesehen, was auf eine Massenvernichtung von Menschen hindeutete? Ich las zum Beispiel neulich erst von einem Fließband, auf dem Leichen befördert wurden. Ich habe das nicht gesehen.

Ich muß hier auch noch sagen: Ich habe Dachau auch besucht; das darf ich nicht vergessen. Ich habe 1935 mit der gesamten Parteiführung von München aus einen Besuch in Dachau gemacht. Der erfolgte deswegen, weil verschiedene politische Führer dem Stellvertreter des Führers, Heß, ihre Bedenken wegen der Sicherheitsverwahrung gesagt hätten. Heß hatte diese Bedenken an Himmler weiterübermittelt, und es erfolgte eine Einladung Himmlers hierauf zur Besichtigung Dachaus. Dachau hatte damals meiner Erinnerung nach etwa 800 oder 1000 Häftlinge.

Ich habe nicht diese ganze Besichtigung mitgemacht, weil ich mich mit einigen Gauleitern, die dort geführt wurden, unterhalten habe. Ich habe aber gesehen eine Unterkunftsbaracke in Dachau, die tadellos war, und ich habe, weil mich das besonders interessierte, die Bibliotheksbaracke gesehen, und gesehen, daß auch gute ärztliche Einrichtungen dort waren.

Ich habe dann – ich glaube, das ist wichtig, hier noch zu bemerken – im Anschluß an die Dachauer Besichtigung mich mit vielen Gauleitern und auch anderen Reichsleitern unterhalten über ihre Eindrücke. Diese Eindrücke waren alle so, daß sämtliche Bedenken gegen die Himmlersche Sicherheitsverwahrung verschwunden waren und daß man allgemein sagte, die Unterbringung ist besser als in einer Strafanstalt der Justizverwaltung. Das war der Eindruck von Dachau im Jahre 1935. Und ich muß sagen, daß ich seit dieser Zeit eigentlich im Hinblick auf die Konzentrationslager sehr beruhigt war; und ich glaube, auch hier folgendes noch ergänzend anführen zu müssen:

Ich habe bis zum Zusammenbruch fest geglaubt, daß wir in Mauthausen 20000 Menschen hatten; in Oranienburg und Dachau, das waren zwei weitere Lager, die mir dem Namen nach – und das eine habe ich ja besucht – noch sonst bekannt waren, 10000; und in Buchenwald bei Weimar, das ich auch nicht besucht habe, aber von dessen Existenz ich wußte, etwa 10000, Also, ich glaubte wir hatten rund 50000 Menschen in deutschen Konzentrationslagern, und ich glaubte fest, daß zwei Drittel von diesen Menschen Schwerverbrecher, Zuchthäusler, Sittlichkeitsverbrecher wären und ein Drittel politische Häftlinge. Und zu diesem Glauben komme ich vor allem deswegen, weil ich selbst ja keine Menschen ins Konzentrationslager geschickt habe und der Meinung war, andere handelten genau so. Ich konnte mir nicht vorstellen zunächst nach dem Zusammenbruch, als ich das hörte, daß Hunderttausende von Menschen in Deutschland politische Verbrecher sein sollten.

Und nun kommt noch eines, was zu dem ganzen Konzentrationslagerkomplex, glaube ich, zu sagen ist:

Der Dichter Hans Carossa hat für mich hier ein Affidavit gemacht, und in diesem Affidavit steht auch etwas darin über einen Verleger, den ich aus dem Konzentrationslager befreit habe. Ich möchte das deswegen erwähnen, weil hier einer der typischen Fälle vorliegt; man setzt sich ein dafür, daß ein Mann freikommt, aber er teilt einem hinterher nicht mit, wie es ihm im Konzentrationslager ergangen ist. Ich habe im Laufe der Jahre verschiedene Zuschriften bekommen aus der Bevölkerung, von Menschen, deren Angehörige im Konzentrationslager seien.

Ich hatte auch durch meine Einrichtung des Volkssprechtages in Wien, wo jeder Volksgenosse, der mich sprechen wollte, zu mir kommen konnte... ich habe ja auf diese Weise mit Tausenden von Menschen aller Bevölkerungsschichten persönlich gesprochen.

Bei solcher Gelegenheit sprach auch einmal ein solcher eine Bitte aus für einen Verwandten oder Bekannten, der im Konzentrationslager saß. Ich pflegte in solchen Fällen dann einen Brief zu schreiben an das Reichssicherheitshauptamt, an Herrn Heydrich früher oder an Herrn Kaltenbrunner und bekam dann nach einiger Zeit die Mitteilung, daß der Betreffende entlassen sei oder nicht entlassen sei, je nachdem, ob er ganz schwerer Verbrechen angeklagt war. Aber die Betreffenden selbst haben niemals mir nun mitgeteilt, wie es ihnen im Lager erging.

Mißhandelte sah man nicht im Lager, und so kommt es, daß eben vom Konzentrationslagerwesen ich selbst und auch viele andere in Deutschland keine wirkliche Vorstellung hatten.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Dieses Affidavit des Dichters Hans Carossa, das der Angeklagte eben erwähnt hat, ist das Dokument Nummer 3 a, ich wiederhole 3 a, des Dokumentenbuches Schirach, eine eidesstattliche Versicherung des Dichters Carossa. Ich bitte, von dem ganzen Inhalt zu Beweiszwecken Kenntnis zu nehmen.

Im letzten Absatz ist der Fall erwähnt, von dem der Angeklagte eben gesprochen hat, die Befreiung eines Verlegers, Suhrkamp, aus einem Konzentrationslager.

VORSITZENDER: Welche Seite?

DR. SAUTER: Seite 25 des Dokumentenbuches, Dokument Nummer 3 a, Hans, Carossa.

Und der übrige Inhalt dieses Affidavits beschäftigt sich mit der menschlichen Beurteilung des Angeklagten durch den Dr. Carossa und mit dem Eintreten des Angeklagten von Schirach für politisch Verfolgte.

Herr Zeuge! Von wievielen Konzentrationslagern haben Sie denn überhaupt etwas gewußt?

VON SCHIRACH: Ich habe das eben gesagt: Oranienburg, Dachau, Buchenwald und Mauthausen.

DR. SAUTER: Befand sich in Ihrem Gaubezirk ein Konzentrationslager?

VON SCHIRACH: Nein.

DR. SAUTER: Ich komme dann im Zusammenhang mit diesem Komplex, betreffend Judenbehandlung, auf Befehle, die Himmler in Ihrer Gegenwart, Herr Zeuge, im März 1945 dem Kommandanten von Mauthausen gegeben haben soll. Es ist das die von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Urkunde 3870-PS. Danach soll Himmler im März 1945 den Befehl gegeben haben, die Juden vom Südostwall bei Wien im Fußmarsch nach Mauthausen marschieren zu lassen. Hatten Sie mit dieser Sache etwas zu tun?

VON SCHIRACH: Ich kann aus ganz deutlicher Erinnerung wiedergeben, was Himmler damals gesagt hat.

Himmler kam nach Wien Mitte März oder Ende März, um den Führer der Heeresgruppe Süd zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit – der Heeresführer der Heeresgruppe Süd saß natürlich nicht in Wien – bei dieser Gelegenheit hat er nach Wien die Reichsstatthalter der Ostmark bestellt und hat ihnen die Standrechtsvollmachten übertragen für die kommende Zeit, weil ja Wien und einige andere Ostmark-Gaue inzwischen frontnahes Gebiet geworden waren. Anläßlich dieser Besprechung hat Himmler, während draußen im Vorzimmer die Standrechtsvollmachten getippt wurden, den Ziereis hereinrufen lassen durch seinen Adjutanten. Dadurch habe ich den Ziereis das zweitemal in meinem Leben gesehen.

Und nun hat Himmler dem Ziereis nicht, wie Marsalek aussagt, gesagt, daß die Juden im Fußmarsch vom Südostwall nach Mauthausen gebracht werden müßten, sondern er hat etwas gesagt, was mich außerordentlich überraschte. Er sagte: »Ich möchte, daß die Juden, die im Arbeitseinsatz sind, möglichst durch Schiffe oder Omnibusse bei bester Verpflegung, ärztlicher Versorgung und so weiter nach Linz oder Mauthausen« – ich weiß nicht genau, ob er sagte Mauthausen – »gebracht werden.« Und er sagte dabei dem Ziereis gegenüber: »Passen Sie gut auf diese Juden auf und behandeln Sie sie gut, das ist mein bestes Kapital.«

Aus dieser Äußerung entnahm ich im ersten Augenblick – das war mein allererster, flüchtiger Eindruck –, daß Himmler mich irgendwie täuschen wolle, aber dann wurde mir klar, daß er irgendwelche außenpolitische Absichten in den letzten Minuten des Krieges verfolgte durch diese Weisungen für eine ganz betont gute Behandlung der Juden.

Also, das ist falsch wiedergegeben, was Marsalek sagte, mit dem Fußmarsch. Er wollte, wie gesagt, damals unter allen Umständen eine sehr gute Behandlung der Juden. Ich hatte den Eindruck – das hat sich ja dann später durch das, was wir gehört haben, bestätigt –, daß er sich durch diese Behandlung der Juden in der letzten Minute irgendwie loskaufen wollte.

DR. SAUTER: Das war Ende März 1945?

VON SCHIRACH: Das war Ende März 1945 anläßlich der Übergabe der Standrechtsvollmachten an die Statthalter der Ostmark.

DR. SAUTER: Also unmittelbar vor dem Zusammenbruch?

VON SCHIRACH: Jawohl.

DR. SAUTER: Mit Ihrer Wiener Tätigkeit hängt noch der Vorwurf zusammen, Herr Zeuge, der Ihnen von der Staatsanwaltschaft gemacht worden ist, Sie hätten sich in Wien an der Kirchenverfolgung beteiligt. Und dieser Vorwurf wird gestützt, soviel ich sehe, ausschließlich auf das Dokument R-146. Ich wiederhole Dokument R-146, das von der Staatsanwaltschaft bereits vorgelegt wurde.

Es ist das, Herr Zeuge, ein Schreiben des hier vernommenen Zeugen Dr. Lammers an den Reichsminister des Innern vom 14. März 1941 und ferner ein Rundschreiben von Bormann an alle Gauleiter vom 20. März 1941.

Ich bitte nun, zu diesen beiden Schreiben Stellung zu nehmen, insbesondere auch deshalb, weil im Schreiben Dr. Lammers vom 14. März die Rede ist von volks- und staatsfeindlichen Vermögen, während in dem Rundschreiben Bormanns vom 20. März 1941 die Rede ist von Beschlagnahmungen von Kirchengütern, Klosterbesitz und dergleichen. Was wissen Sie, wie es zu diesem Schreiben gekommen ist, und welche Rolle haben Sie selbst dabei gespielt?

VON SCHIRACH: Das Schreiben von Lammers ist richtig. Der Begleitbrief von Bormann spricht von Kirchenvermögen. Ich habe mich bezogen auf volks- und staatsfeindliches Vermögen, das war ein technischer Ausdruck damals. Und zur Sache selbst will ich bemerken, daß ich erst bekanntlich im August 1940 nach Wien kam und daß damals Beschlagnahmungen solcher Vermögen in der Ostmark bereits im Gange waren. Es war dadurch eine Streitfrage aufgeworfen worden zwischen den Gauleitern und dem Reichsfinanzminister.

Der Reichsfinanzminister wollte diesen beschlagnahmten Besitz dem Reiche zuführen, und ich stand, das ist richtig, grundsätzlich auf dem Standpunkt, solchen Besitz den Gauen zu erhalten.

Soweit ich mich erinnere, war ich lediglich beteiligt an dieser Frage durch folgende Beschlagnahmungen:

Es hatte der Fürst Schwarzenberg einen Besitz, dessen größerer Teil in Oberdonau und dessen kleinerer Teil im bekannten Palais in Wien lag. Und dieser Fürst Schwarzenberg hatte vor meiner Zeit bereits sich gegenüber einem deutschen Generalkonsul oder Konsul im Ausland geweigert, nach Deutschland zu gehen und seiner Wehrpflicht zu genügen. Daraufhin war sein Vermögen beschlagnahmt worden. Ich war im Interesse des Reiches nun bemüht, diesen Besitz dem Reichsgau Wien zu erhalten und zu verhindern, daß er in das Reich überging. Sonst kann ich aus meinem Gedächtnis – ich habe keine Aktenunterlagen – zu solchen Aktionen nichts aussagen.

Für die Aktionen in den anderen Gauen Österreichs bin ich nicht verantwortlich. Ich kann aber hier vielleicht eines feststellen, daß ich alle Beschlagnahmungsaktionen im ganzen Reich persönlich zum Stillstand gebracht habe, und zwar, als sich durch eine Mittelsperson an mich Klosterfrauen gewandt haben aus einem österreichischen Kloster, habe ich meinen Schwiegervater gebeten, hinter dem Rücken Bormanns unter Darlegung der ungeheueren politischen Folgen, die diese Aktionen haben, zu erreichen, daß Hitler einen direkten Befehl für das Niederschlagen dieser Aktionen gibt. Das ist erfolgt, und Bormann hat, nachdem das erreicht worden war, ja sich auch gegen meinen Schwiegervater gewandt. Ich hatte seitdem überhaupt keine Möglichkeit mehr, diese Frage an den Führer heranzutragen.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Sie haben zu dem Schreiben Dr. Lammers vom 14. März 1941 noch nicht vollständig Stellung genommen. Ich möchte Ihnen den ersten Satz dieses Schreibens verlesen, um Ihnen den Vorfall besser in Erinnerung zu bringen. Es heißt hier in dem Schreiben Lammers vom 14. März 1941, Dokument R-146, ich zitiere:

»Die Reichsstatthalter und Gauleiter von Schirach, sowie Dr. Jury und Eigruber haben kürzlich beim Führer Klage darüber geführt, daß der Reichsfinanzminister immer noch den Standpunkt vertrete, die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens müsse zugunsten des Reiches und nicht zugunsten der Reichsgaue erfolgen.«

Soweit das Zitat.

Und wegen dieses Vorfalles ist Ihnen von der Staatsanwaltschaft der Vorwurf gemacht worden, daß Sie sich an der Kirchenverfolgung in Wien beteiligt hätten. Ich bitte nun, uns zu sagen, was Sie da eigentlich getan haben?

VON SCHIRACH: Also eine Kirchenverfolgung in Wien bestand, das kann man feststellen, unter meinem Vorgänger Bürckel. Ich habe gestern die Demonstration gegen das erzbischöfliche Palais erwähnt. Von dem Tage meines Eintreffens in Wien ab hat keinerlei antikirchliche Aktion im Sinne einer politischen Hetze stattgefunden. Ich habe sofort nach meinem Eintreffen meine politischen Funktionäre und sonstigen Mitarbeiter des Gaues zusammengefaßt und habe von ihnen verlangt, daß sie in Wort und Schrift nichts zum Ausdruck bringen, was die religiösen Gefühle anderer verletzen könnte. Ich glaube, daß das eine Tatsache ist, die von der gesamten Wiener Bevölkerung dankbar registriert wurde. Von dem Tage ab hat es Aktionen nicht gegeben. Inwieweit nun kirchlicher Besitz nach dem Kriegsleistungsgesetz in Anspruch genommen werden mußte, genau so wie anderer Besitz während des Krieges, das kann ich ohne Aktenunterlagen hier nicht beantworten.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Aus der Urkunde ergibt sich, daß Sie hierwegen mit Hitler selber gesprochen haben müssen...

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER:... weil es heißt, daß der Reichsleiter und Gauleiter von Schirach beim Führer darüber Klage geführt hat. Das haben Sie uns bisher noch nicht erzählt.

VON SCHIRACH: Ja, ich selbst habe Hitler, bei einer Anwesenheit Hitlers in Wien, wo er einen Südostpakt unterschrieb, gesagt, daß ich auf dem Standpunkt stehe, beschlagnahmter Besitz gehört den Gauen und nicht dem Reich. Das ist mein Standpunkt gewesen, den ich für völlig richtig ansehe.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Es ist Ihnen in der Anklageschrift weiter vorgeworfen, daß Sie irgendwelche Beziehungen zur SS gehabt, dadurch die SS gefördert haben et cetera. Waren Sie selbst jemals Mitglied der SS?

VON SCHIRACH: Nein.

DR. SAUTER: Hat Himmler, der Führer der SS, irgendwelchen Einfluß auf die Jugendorganisation und auf die Jugenderziehung gehabt?

VON SCHIRACH: Nein.

DR. SAUTER: Ist der Nachwuchs für die SS und insbesondere für das SS-Führerkorps aus der HJ gekommen und eventuell warum?

VON SCHIRACH: Der Nachwuchs sämtlicher Führerkorps in Deutschland ist aus der Jugend gekommen. Wir hatten ja eine Staatsdjugend. Sie meinen wahrscheinlich in diesem Zusammenhang ein Abkommen, das ich mit Himmler wegen des Streifendienstes getroffen habe?

DR. SAUTER: Ja, das spielt auch hier eine Rolle.

VON SCHIRACH: Solche Abkommen...

DR. SAUTER: Einen Moment noch, Herr von Schirach. Dieses Abkommen ist niedergelegt in der Urkunde der Staatsanwaltschaft Nummer 2396-PS – ich wiederhole 2396-PS –, wo insbesondere, Herr von Schirach – und dazu bitte ich Sie auch, sich zu äußern –, eine Bemerkung vorkommt, daß die SS ihren Nachwuchs aus dem Streifendienst der HJ bekommen solle. – Abkommen vom Oktober 1938. – Ich bitte Sie zu sagen, wie steht es damit, was war der Streifendienst überhaupt?

VON SCHIRACH: Der Streifendienst war eine der Sondereinheiten der HJ, die ich gestern vergessen habe zu erwähnen. Der Streifendienst war ein Ordnungsdienst der Jugend. Er bestand aus besonders ordentlichen Jungens, die keine Polizeiaufgaben hatten, sie hatten – ich berichte jetzt auf Grund einer aktenmäßigen Unterlage, die ich mir verschafft habe – sie hatten das allgemeine Verhalten der Jugend zu überprüfen, den Dienstanzug, den Besuch Jugendlicher von Lokalen zu überwachen, sie hatten die Kontrolle der HJ-Heime auf Sauberkeit und Ordnung durchzuführen, ihnen oblag die Überwachung des Jugendwanderns und der Jugendherbergen, sie hatten bei Großveranstaltungen Ordnungs- und Wachdienst, sie stellten Feldlagerwachen und Transportbegleitung, sie wurden mit eingesetzt bei der Fahndung nach vermißten Jugendlichen, sie waren für die Beratung der wandernden Jugend eingesetzt, versahen den Bahnhofsdienst, sollten Jugendliche vor verbrecherischen Elementen schützen und hatten vor allem, das war eine ihrer Hauptaufgaben, auf den Schutz des Volksvermögens, also der Wälder und Fluren zum Beispiel, zu achten, so daß keine Feuer entstanden und so weiter.

Da nun Himmler möglicherweise der Tätigkeit eines solchen Ordnungsdienstes in der Jugend Schwierigkeiten bereiten würde, lag mir daran, daß er, also die Polizei, meinen Streifendienst anerkennen sollte; denn nach meiner Vorstellung von der Staatsjugend als einem Jugendstaat sollte nicht Polizei gegen die Jugend angewendet werden, sondern die Jugend sollte ihre eigene Ordnung unter sich selbst aufrechterhalten. Daß dieses Prinzip richtig war, ergibt sich aus dem ungeheuren Rückgang der Jugendkriminalität von 1933 bis zum Ausbruch des Krieges.

DR. SAUTER: Herr Zeuge...

VON SCHIRACH: Einen Augenblick, ich bin noch nicht fertig; nach dieser Vereinbarung nun...

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Wir haben doch über diese Einheit schon genügend gehört. Der Kernpunkt der Anklage war doch, daß sie zur Rekrutierung für die SS benutzt wurde. Das ist der Vorwurf der Anklage.

DR. SAUTER: Ja, der Streifendienst, Herr Präsident...

VORSITZENDER: Wir haben eine langatmige Beschreibung über seine Tätigkeit, den Jugendschutz, gehört. Wir haben bestimmt genug darüber gehört.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Diese sogenannten Sondereinheiten sind ja von der Staatsanwaltschaft insbesondere erwähnt worden als Mittel der Vorbereitung zum Krieg, also als Mittel der militärischen Erziehung der Jugend. In diesem Zusammenhang sind alle diese Sondereinheiten erwähnt worden, und aus diesem Grunde hielten wir es für notwendig, daß der Angeklagte Ihnen Auskunft gibt, was dieser Streifendienst eigentlich darstellte. Aber ich kann dieses Thema ohnehin verlassen, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Wir haben zur Genüge darüber gehört.

DR. SAUTER: Gut.

Herr Zeuge! Aus welchen Formationen entnahm denn in der Hauptsache die SS ihren Führernachwuchs?

VON SCHIRACH: Um ihren Führernachwuchs zu sichern, hat die SS eigene Erziehungsanstalten gegründet, die ganz außerhalb meiner Zuständigkeit lagen. Das waren die sogenannten Nationalsozialistischen Erziehungsanstalten.

DR. SAUTER: Im Zusammenhang mit der SS hat die Staatsanwaltschaft, Herr Zeuge, ein weiteres Abkommen zwischen Ihnen und dem Reichsführer-SS Himmler vorgebracht, ein Abkommen vom Dezember 1938 unter der Nummer 2567-PS über den sogenannten Landdienst der HJ. Warum wurde dieses Abkommen mit dem Reichsführer-SS abgeschlossen?

VON SCHIRACH: Es ist sehr schwierig, das kurz zu beantworten. Der Reichsführer-SS war Diplomlandwirt. Er war in seiner Studentenzeit in einer sogenannten Artamanenbewegung gewesen, deren Programm es war, die Landflucht zu bekämpfen, und deshalb war er besonders daran interessiert in der SS zusammenzuarbeiten mit den Landhelfergruppen der HJ, die sich dieselbe Aufgabe gestellt hatte wie die ehemalige Artamanenbewegung. Ich möchte zu beiden abschließend – Streifendienst und Landdienst – sagen, daß ein Zwang auf die Jugendlichen, die dem Landdienst oder dem Streifendienst angehörten, in die SS einzutreten, nicht ausgeübt wurde. Es konnte selbstverständlich ein Streifendienstjunge ganz genau so SA-Mann werden oder NSKK-Mann – und ist es auch geworden – oder Politischer Leiter wie jeder andere Landdienstjunge oder Hitlerjunge das werden konnte.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Es ist in der Anklage Ihnen unter anderem auch vorgeworfen, es sei ein Befehl an die Politischen Leiter ergangen, HJ-Führer, also Führer, die Ihnen unterstanden, in ihre Stäbe aufzunehmen. Was können Sie dazu sagen?

VON SCHIRACH: Dazu kann ich sagen, daß das einen der vielen Versuche darstellt, der Parteikanzlei, eine Hereinnahme der Jugendführung in die politische Führung herbeizuführen. Praktisch wirkte sich diese Anordnung so aus, daß eine Reihe von Jugendführern für unwesentliche Adjutantendienste verwendet wurden. Sie führten darüber bei mir lebhafte Klage, und ich zog sie zurück. Es ist eine historische Tatsache, daß ein wirklicher Übergang von der Jugendführung in die politische Führung in Deutschland nicht stattgefunden hat. Ich kann diejenigen Jugendführer in Deutschland, die in die politische Führung hineingekommen sind, namentlich aufzählen, so wenige sind es.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Die Sowjetrussische Anklage hat ein Dokument vorgelegt, USSR-6, einen Kommissionsbericht von Lemberg. Und in diesem Bericht ist folgendes erwähnt: Eine Französin, Ida Vasseaux, Leiterin eines französischen Altersheims in Lemberg, habe folgendes schriftlich bekundet; ich gebe nur das Wesentliche wieder: Es seien Kinder aus dem Ghetto verschenkt worden an die Hitler-Jugend, und diese seien als lebende Zielscheiben für die Übungen der HJ benutzt worden. Ich frage Sie, ist Ihnen jemals, solange Sie in der Reichsjugendführung tätig waren, irgend etwas über derartige Mißstände berichtet oder sonst zu Ihrer Kenntnis gebracht worden?

VON SCHIRACH: Nein, es handelt sich um die erste und bisher einzige Aussage über Verbrechen der HJ, die mir zur Kenntnis gebracht wurde.

Es gab keine HJ-Kommandos weder im Osten noch im Westen, die solche Verbrechen hätten durchführen können.

Ich halte die Aussagen in diesem Affidavit für falsch. Das ist alles, was ich dazu erklären kann.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ihr Mitangeklagter Dr. Schacht hat bei seiner Vernehmung erwähnt, daß man seinerzeit Mr. Eden angeboten hätte, die SS, die SA und die HJ ihres militärischen Charakters zu entkleiden, falls die anderen Mächte abrüsten würden. Was wissen Sie von solchen Verhandlungen oder Angeboten?

VON SCHIRACH: Ich weiß von einem solchen Angebot, soweit es die Hitler-Jugend betrifft, nichts. Ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß Mr. Eden gegenüber hinsichtlich der HJ ein solches Angebot hat gemacht werden können, denn Hitler selbst hat die Jugend nicht als militärische oder halbmilitärische Organisation angesehen. Eine Abrüstung der HJ hätte ja praktisch gar nicht stattfinden können. Die einzige Waffe, die die Hitler-Jugend trug, war das Fahrtenmesser der Jungvolk-Pimpfen, das ja dem entsprechenden Fahrtenmesser eines Boy Scouts entspricht.

DR. SAUTER: Die Anklage hat Ihnen ferner vorgeworfen, Sie hätten 1933 ein Abkommen mit dem VDA, das ist die Abkürzung für Verein für das Deutschtum im Ausland, getroffen. Ist das richtig, und was haben Sie mit diesem Abkommen beabsichtigt?

VON SCHIRACH: Das ist richtig. Ich möchte mich über Zweck und Ziel des VDA nicht äußern. Das hat, glaube ich, bereits der Herr Verteidiger des Angeklagten Frick hier getan. Ich beziehe mich auf diese Äußerungen, ich will nur erwähnen, daß ich den begreiflichen Wunsch hatte, die zahlenmäßig sehr starke VDA-Jugend in die HJ aufzunehmen, eine Jugend, die übrigens vorwiegend aus höheren Schülern bestand, und daß es meine zweite Absicht war, durch Entsendung eines Mitarbeiters in den Vorstand des VDA mich über die auslandsdeutsche Jugend laufend zu orientieren.

DR. SAUTER: Die Anklage hat Ihnen weiter zum Vorwurf gemacht, daß Sie die sogenannten Adolf-Hitler-Schulen gegründet hätten und daß dort die Ausbildung junger Führer für den nationalsozialistischen Staat und für die Partei erfolgt sei. Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

VON SCHIRACH: Ich könnte zu diesem Vorwurf sehr viel sagen, will mich aber auf das Allernotwendigste beschränken.

Die Adolf-Hitler-Schulen wurden als Schuleinheiten der Hitlerjugend gegründet mit Mitteln, die mir Dr. Ley zur Verfügung stellte, als ich ihm einmal von meinem Plan dieser Erziehung, die ich vorhatte, berichtete. Die Schulen sollten nicht nur Führer für die Partei heranbilden, sondern sie sollten für alle Berufe Jungens ausbilden. Ich habe selbst auf den Abschlußjahrgängen der Schulen verschiedentlich mit den Jungens gesprochen und habe ihnen immer wieder gesagt: Ihr könnt jeden Beruf wählen, den ihr wählen wollt. Die Erziehung auf dieser Schule bedeutet keinerlei moralische oder sonstige Verpflichtung, um Politischer Leiter oder etwas anderes zu werden. De facto sind aus diesen Adolf-Hitler-Schulen nur verhältnismäßig wenige Politische Leiter hervorgegangen, sehr viele sind Arzt, Beamte und so fort geworden. Ich kann die einzelnen Zahlen hier aus dem Gedächtnis nicht sagen, aber in den Zusendungen der Jugend, unter denen sich auch Aussagen von Erziehern der Adolf-Hitler-Schulen befinden, ist ja zu diesen Punkten der Anklage Stellung genommen, und ich möchte überhaupt darum bitten, daß vielleicht wenigstens 50 oder 60 von diesen zahlreichen Affidavits, die ja alles, was ich hier ausgesagt habe, noch bestätigen, vielleicht eingereicht werden, um meine Aussagen zu bekräftigen.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Eine Frage aus einem anderen Gebiet:

Haben Sie auch von Hitler oder von irgendeiner anderen Seite eine sogenannte Dotation oder so etwas Ähnliches erhalten?

VON SCHIRACH: Nein, ich habe keine Dotation erhalten.

DR. SAUTER: Haben Sie Sachwerte bekommen, zum Beispiel wertvolle Gemälde oder sonstige kostbare Geschenke?

VON SCHIRACH: Das einzige, was mir Hitler geschenkt hat, ist seine Photographie gewesen, zu meinem dreißigsten Geburtstag.

DR. SAUTER: Seine Photographie, wahrscheinlich mit Widmung?

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER: Dann habe ich noch ein paar ganz kurze letzte Fragen.

Sie beziehen sich auch auf die letzte Zeit Ihrer Tätigkeit in Wien. Sie haben schon einmal erwähnt, im Zusammenhang mit diesem Besuch Himmlers in Wien, Ende März 1945, daß Sie damals von Himmler die sogenannte Standrechtsvollmacht erhalten haben. Das war also die Vollmacht, wenn ich recht verstehe, daß Sie in Ihrer Eigenschaft als Reichsverteidigungskommissar ein Standgericht einsetzten. Stimmt das?

VON SCHIRACH: Ja, ich wurde damit Herr über Leben und Tod.

DR. SAUTER: Dieses Standgericht sollte, soviel ich weiß, nur Todesurteile aussprechen?

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER: Haben Sie für Wien dieses Standgericht eingesetzt und zusammenberufen?

VON SCHIRACH: Ich habe die Mitglieder des Standgerichts ernannt, den Vorsitz hatte ein hervorragender Jurist. Ich habe das Standgericht niemals zusammentreten lassen und habe kein einziges Todesurteil gefällt. Das militärische Standgericht des militärischen Kommandanten hat, meiner Erinnerung nach, vier Todesurteile gegen vier militärische Verräter ausgesprochen. Mein Standgericht ist nie zusammengetreten und hat nie ein Todesurteil gefällt.

DR. SAUTER: Hatten Sie etwas mit dem militärischen Standgericht zu tun?

VON SCHIRACH: Nein. Der Gerichtsherr des militärischen Standgerichts war natürlich der Kommandant von Wien. Der Gerichtsherr des Standgerichts »Schirach« war ich.

DR. SAUTER: Sie sagten, als Vorsitzenden hatten Sie einen hervorragenden Juristen bestellt?

VON SCHIRACH: Ja.

DR. SAUTER: Was war der von Beruf?

VON SCHIRACH: Ich glaube, er war Landgerichtsdirektor oder so etwas; ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, ich habe das vergessen.

DR. SAUTER: Also ein Richterbeamter aus Wien?

VON SCHIRACH: Jawohl.

DR. SAUTER: Haben Sie dann in Wien den Befehl gegeben, irgendwelche lebenswichtige Betriebe zu sprengen oder zu zerstören, wie es in anderen Gauen vielfach der Fall war, zum Beispiel auch hier in Nürnberg?

VON SCHIRACH: Nein. Es entzieht sich jedoch meiner Kenntnis – das muß ich hier auch ausführen – inwieweit Lähmungsmaßnahmen und Zerstörungsmaßnahmen auf Grund zentraler Reichsweisungen im militärischen Sektor und im Rüstungssektor erfolgt sind. Die Sprengung der Brücken zum Beispiel war eine militärische Maßnahme. Der Befehl dafür konnte gar nicht von mir gegeben werden. Es hat sich Hitler selbst den Befehl über Sprengung von Donaubrücken vorbehalten. Der Führer der Heeresgruppe Süd, Generaloberst Rendulic, mußte, bevor die Sprengung dieser Brücke befohlen werden konnte, mit dem Führerhauptquartier telephonisch Rücksprache pflegen.

DR. SAUTER: Wann haben Sie selbst Wien verlassen?

VON SCHIRACH: Ich habe den Gau Wien verlassen, nachdem die letzten Truppen aus der Stadt herausgezogen worden waren und der Gefechtsstand des II. Korps der 6. SS-Panzerarmee auf das Gebiet von Niederdonau verlegt wurde.

DR. SAUTER: Wann war das?

VON SCHIRACH: Das war – ich kann Ihnen aus dem Kopf nicht mehr das Datum sagen – es war am Ende des Kampfes um Wien.

DR. SAUTER: Und dann habe ich eine letzte Frage: Sie wissen, daß aus den Kreisen der Parteileitung, der Reichskanzlei, schließlich der Befehl kam, es solle eine »Werwolf«-Bewegung inszeniert werden zur Bekämpfung der anrückenden Truppen. Wie haben Sie sich dazu gestellt.

VON SCHIRACH: Ich habe jede Werwolforganisation in meinem Gau verboten. Ich möchte aber, um nicht mißverstanden zu werden, sagen, es gab ein Bataillon Jugend, ein Bataillon Volkssturm, was also zur kämpfenden Truppe gehörte, das den Namen »Werwolf« trug, aber es gab keine Werwolfeinheit. Ich habe immer abgelehnt, für die Jugend und für Erwachsene, eine Kampfesweise, die gegen die völkerrechtlichen Bestimmungen geht.

DR. Sauter: Ich habe dann keine Frage mehr, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Wünscht irgendein anderer Verteidiger Fragen zu stellen?

DR. ALFRED THOMA, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN ROSENBERG: Herr Zeuge! Welche Beziehungen hatte Rosenberg als Beauftragter des Führers für die weltanschauliche Erziehung der Partei zur Reichsjugendführung?

VON SCHIRACH: Der Chef des Schulungsamtes in der Reichsjugendführung mußte, ich glaube, durchschnittlich zwei-, vielleicht auch dreimal im Jahr an einer Sitzung teilnehmen, an der die Schulungsleiter der anderen Organisationen der Partei auch beteiligt waren und die unter dem Vorsitz des Reichsleiters Rosenberg stattfand. Bei dieser Gelegenheit gab, nach dem, was mir erzählt worden ist von dem Amtschef, Rosenberg allgemeine Richtlinien und Weisungen und ließ sich wohl auch über die Schulungsarbeit der einzelnen Organisationen Vortrag halten.

DR. THOMA: Hat Rosenberg auch bestimmte Themen als Vortrag gewählt bei diesen Tagungen?

VON SCHIRACH: Das weiß ich nicht genau. Auf Jugendführertagungen, auf denen Rosenberg einmal im Jahr gesprochen hat, hat er meistens erzieherische, charakterbildende Themen sich gewählt. Er hat über Einsamkeit und Kameradschaft zum Beispiel gesprochen, dessen erinnere ich mich, über die Persönlichkeit, über Ehre und so weiter.

DR. THOMA: Hat Rosenberg auf solchen Tagungen auch die Judenfrage und konfessionelle Probleme erörtert?

VON SCHIRACH: Er hat auf Führertagungen der Jugend gegen Juden keine Vorträge gehalten. Er hat auch, meiner Erinnerung nach, das konfessionelle Problem bei der Jugend jedenfalls in meiner Gegenwart nicht angeschnitten. Ich habe ihn meistens über solche Themen reden hören, wie ich eben einige nannte.

DR. THOMA: Haben Sie, Herr Zeuge, Rosenbergs »Mythus des 20. Jahrhunderts« gelesen und wann?

VON SCHIRACH: Nein, ich habe es angefangen zu lesen, aber ich habe es nicht ganz gelesen.

DR. THOMA: Hat dieser Rosenbergsche »Mythus« Eindruck gemacht auf die Jugend, oder haben so ähnliche Erfahrungen, wie Sie eben geschildert haben, auch andere Jugendführer gemacht?

VON SCHIRACH: Die Jugendführer haben den »Mythus« bestimmt nicht gelesen.

DR. THOMA: Ich habe keine Frage mehr.

VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zu stellen? Vielleicht wollen wir uns jetzt vertagen