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[Zum Zeugen gewandt:]

Haben Sie es jetzt gefunden?

VON SCHIRACH: Ja.

MR. DODD: Sie sagen dort, daß Sie sich freuen würden, wenn die SA zu diesem Zweck Personal zur Verfügung stellen würde, ähnlich wie die SS und die Polizei dies schon lange taten. Und Sie weisen in dem Absatz vor diesem Satz auf die Ausbildung der jungen Leute hin. Sie sprechen über Hitler-Schulen und die Ausbildung der Hitler-Jugend. Es ist doch vollständig klar, nicht wahr, daß Sie von der SS unterstützt wurden gemäß Ihren eigenen Methoden, von der SS und der Polizei, lange Zeit bevor Sie diesen Bericht gesandt haben?

VON SCHIRACH: Im Kriege, ja. Wir haben ja seit 1939 Krieg gehabt, und seit Ausbruch des Krieges haben wir Wehrertüchtigungslager gehabt, und für diese Wehrertüchtigungslager suchte ich nach Ausbildern für die Jugend, und das Heer konnte mir nicht Ausbilder in genügender Anzahl zur Verfügung stellen. Die SA konnte es auch nicht, die SS konnte mir einige junge Offiziere zur Verfügung stellen. Das konnte auch die Polizei.

MR. DODD: Also hatten Sie erst seit Kriegsbeginn Personal von der SS und von der Polizei zur Ausbildung der jungen Leute, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Ich glaube nicht, daß wir sonst SS-Ausbilder für etwas gebraucht hätten. Wir haben ja, wie ich ausgeführt habe, ein Führerkorps in der Jugend aus der Jugend heraus geschaffen.

MR. DODD: Ich frage Sie noch einmal, wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß Sie erst seit Kriegsbeginn die Hilfe von SS- und Polizeipersonal für Ihre Jugendorganisation hatten bei der Ausbildung der jungen Leute?

VON SCHIRACH: Ich kann diese Frage nicht ganz eindeutig beantworten, und zwar aus folgendem Grunde: Wenn wir im Schießsport zum Beispiel ein Trainingslager hatten, dann konnte es sein, daß einer der Trainer SA-Mann oder SS-Mann war, weil er eben zufällig einer der besten Sportsleute gewesen ist. Ich weiß aber sonst nicht, wo eine Zusammenarbeit stattgefunden hätte.

MR. DODD: Können Sie sagen, daß Sie kein SS-Personal für die Ausbildung der Jugend hatten? Ich spreche nicht von einigen einzelnen Skilehrern, ich spreche von einem regulären Unterstützungsprogramm seitens der SS bei der Ausbildung Ihrer jungen Leute.

VON SCHIRACH: In der Wehrausbildung ist erst durch dieses Fernschreiben Hilfe angefordert worden für Ausbildungszwecke. Sonst ist mir nicht erinnerlich, wo eine Zusammenarbeit stattgefunden hätte.

MR. DODD: Kennen Sie den Ausdruck »Heuaktion«?

VON SCHIRACH: Heuaktion? Ich kann mich nicht daran erinnern, ich weiß nicht, was damit gemeint ist.

MR. DODD: Nun, Sie sind doch täglich im Gerichtssaal gewesen. Erinnern Sie sich nicht, daß von der Anklage bezüglich des Angeklagten Rosenberg Beweismaterial über eine Aktion mit dem Namen »Heuaktion« vorgelegt wurde?

VON SCHIRACH: Nein, ich kann das im Augenblick nicht sagen, ich weiß es nicht.

MR. DODD: Erinnern Sie sich nicht, daß hier im Gerichtssaal etwas über die Festnahme von jungen Menschen im Osten gesprochen wurde, die zwangsweise nach Deutschland gebracht wurden, 40000 oder 50000 Jugendliche im Alter von zehn bis vierzehn Jahren? Sie erinnern sich daran, nicht wahr, und daß einer der Zwecke war, das biologische Potential dieser Menschen zu zerstören. Wissen Sie nicht, worauf ich hinweise?

VON SCHIRACH: Das ist eine Aktion, deren ich mich jetzt im Zusammenhang mit dem Prozeß erinnere. Das einzige, was ich dienstlich dazu sagen kann, ist folgendes, daß mir Axmann im Krieg – ich weiß nicht mehr genau in welchem Jahre – mitgeteilt hat, daß er bei Junkers in Dessau eine große Anzahl von russischen Jugendlichen in Lehrlingsheimen und Lehrlingswerkstätten untergebracht hätte und daß diese Jugend dort sehr gut aufgehoben wäre und sehr gut betreut würde. Ich bin mit dieser Aktion vorher nicht befaßt worden, aber ich habe zu Beginn meiner Aussagen erklärt, daß ich für das, was die Jugend in diesem Krieg getan hat, die Verantwortung übernehme, und ich bleibe dabei. Ich glaube aber, daß die Jugend nicht hierfür verantwortlich ist, sondern erinnere mich aus der Aussage des Mitangeklagten Rosenberg, daß er dem Wunsche des Heeres und einer Heeresgruppe damit entsprach.

MR. DODD: Gut. Wir haben das Dokument hier. Es ist bereits als US-171 zum Beweis eingeführt worden und dem Gerichtshof bekannt, und ich möchte Sie auf die Tatsache aufmerksam machen, daß in diesem Dokument steht, daß Rosenberg mit dem Programm einverstanden war, 40000 bis 50000 Jugendliche im Alter von zehn bis vierzehn Jahren zu ergreifen oder festzunehmen und ins Reich zu transportieren. Es besagt auch, daß dieses Programm mit Hilfe der Hitler- Jugend-Führer durch das Jugendamt des Ministeriums Rosenberg durchgeführt werden kann. Weiter besagt es, daß eine Anzahl dieser jungen Leute der SS und den SS-Hilfseinheiten zugeteilt werden sollen. Nun, wonach ich Sie nun ganz besonders frage, ist: was wissen Sie über dieses Programm und wie die Hitler- Jugend daran mitarbeitete?

VON SCHIRACH: Ich kann über dieses Programm nicht mehr sagen, als was ich vorhin ausführte.

MR. DODD: Sie waren doch mit dem Kriegseinsatz der Hitlerjugend betraut?

VON SCHIRACH: Der Kriegseinsatz der deutschen Jugend stand unmittelbar unter dem Befehl des Reichsjugendführers. Ich kann darüber aus eigener Kenntnis nur allgemein, aber nicht speziell Auskunft geben

MR. DODD: Herr Zeuge! Ich frage Sie nochmals, wurden Sie nicht ernannt, und dienten Sie nicht als Verantwortlicher für den Kriegseinsatz der deutschen Jugend? Ich habe das Dokument Ihrer Ernennung, wenn Sie es sehen wollen.

VON SCHIRACH: Ja, das will ich durchaus nicht bestreiten. 1939 und 1940, solange ich Reichsjugendführer war, habe ich selbst diesen Kriegseinsatz geleitet.

MR. DODD: Ich spreche über eine Ernennung, die sogar später als 1939 oder 1940 erfolgt ist. Sie sind zum Hauptbevollmächtigten für den Kriegseinsatz der deutschen Jugend durch den Führer in seinem Hauptquartier im März 1942 ernannt worden, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Ich bitte, mir das Dokument zu zeigen. Ich halte es für möglich. Ich habe keine genaue Erinnerung.

MR. DODD: Gut. Es ist 3933-PS und wird US-868. Aber zuerst einmal: Sie wissen nicht, daß Sie zu dem Verantwortlichen für den Kriegseinsatz der Jugend ernannt wurden, ohne daß Sie das Dokument sehen?

VON SCHIRACH: Nein! Ich kann nur das Datum nicht genau aus meiner Erinnerung sagen. Ich befand mich in der Meinung, daß ich von 1939 ab für den Kriegseinsatz zuständig war.

MR. DODD: Gut, das ist alles, was ich feststellen wollte. Sie waren tatsächlich dafür verantwortlich und blieben bis ganz zum Schluß des Krieges dafür verantwortlich. Ich habe Sie eben dahin verstanden, daß Sie sagten, der Reichsjugendführer sei der Verantwortliche gewesen und nicht Sie.

VON SCHIRACH: Nein! Ich habe gesagt, ich könnte nur allgemeine Auskunft und nicht spezielle Auskunft geben, weil die Durchführung des Kriegseinsatzes bei Axmann lag. Meine Verantwortlichkeit will ich damit in keiner Weise beeinträchtigen.

MR. DODD: Sehr gut. Ich denke, wir sind uns nun genügend über die Tatsache klar, daß Sie ganz bestimmt in dieser Stellung ernannt waren, gleichgültig, wie Sie auch jetzt wünschen, Ihre Verantwortlichkeit zu verwässern. Wann, sagen Sie, wurde Ihnen zuerst die Verantwortung für den Kriegseinsatz der Jugend übertragen?

VON SCHIRACH: Ich war nach meinem Gedächtnis bereits seit 1939, seit Kriegsausbruch dafür verantwortlich. Ich sehe aber, daß der Erlaß erst 1942 unterschrieben wurde.

MR. DODD: Gut. Wir wollen uns also darüber einigen, daß Sie von März 1942 an verantwortlich waren. Nun möchte ich Sie bitten, ein anderes Dokument anzusehen.

VON SCHIRACH: Einen Augenblick, ich möchte dazu etwas erklären. Es handelt sich hier um einen Erlaß, von dem ich nicht weiß, wann er unterschrieben wurde. Ich kann also nicht sagen, daß in diesen Märztagen 1942 der Erlaß von Hitler unterschrieben wurde. Hier teilt mir Axmann mit:

»Der Erlaßentwurf geht nunmehr an den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, der die beteiligten obersten Reichsbehörden offiziell um ihre Zustimmung bitten wird und der sodann den Erlaß gemeinsam mit Reichsleiter Bormann...«

MR. DODD: Sie brauchen es wirklich nicht zu verlesen. Was wollen Sie jetzt sagen? Vielleicht, daß es nicht unterschrieben war oder daß Sie vielleicht nicht ernannt wurden, oder wollen Sie sagen, daß Sie ernannt wurden? Wollen Sie uns bitte eine Antwort geben.

VON SCHIRACH: In keiner Weise. Ich kann doch nicht sagen, daß das Datum für die Verkündung des Erlasses der März 1942 war. Es kann sein, daß der Erlaß erst im Mai verkündigt wurde.

MR. DODD: Ich messe dem Datum keine große Bedeutung bei. Ich möchte, daß Sie sich jetzt Dokument 345-PS ansehen, welches wir als US-869 anbieten, das wird Ihnen helfen, sich bezüglich des Programmes dieser Heuaktion zu erinnern.

Das ist ein Telegramm, das der Angeklagte Rosenberg an Dr. Lammers in der Reichskanzlei für das Führerhauptquartier am 20. Juli 1944 abgesandt hat. Sie werden sehen, daß es im ersten Absatz heißt:

»Auf Grund einer Vereinbarung zwischen dem Reichsmarschall als Oberbefehlshaber der Luftwaffe, dem Reichsführer-SS, dem Jugendführer des Deutschen Reiches und dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, findet durch Kriegseinsatzkommandos eine Anwerbung auf freiwilliger Basis von Jugendlichen russischen, ukrainischen, weißruthenischen, litauischen und tatarischen Volkstums im Alter von 15 bis 20 Jahren für einen Kriegseinsatz im Reich statt.«

»Kriegseinsatz« war doch ein Programm, wofür Sie zweifellos damals verantwortlich waren.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nun etwas weiter unten auf Absatz 3 lenken und Sie an das Dokument Heuaktion erinnern, das bereits als Beweisstück vorliegt. Das Telegramm besagt:

»Auf Grund einer Anregung militärischer Dienststellen findet in einem Teil des Operationsgebietes die Erfassung und Überführung von Jugendlichen im Alter von 10-14 Jahren in das Reichsgebiet statt (Heuaktion), da die Jugendlichen im Operationsgebiet eine nicht unerhebliche Belastung darstellen.«

Dann geht es weiter:

»Das Ziel der Aktion ist eine weitere Betreuung der Jugendlichen unter Einschaltung der Reichsjugendfüh rung und die Heranbildung von Anlernlingen für die deutsche Wirtschaft in ähnlicher Form, wie dies beim Weißruthenischen Jugendwerk bereits mit Erfolg im Einvernehmen mit dem GBA durchgeführt worden ist.«

Ich möchte Sie besonders auf den letzten Satz aufmerksam machen: »wie dies... bereits mit Erfolg... durchgeführt worden ist.«

Dann der Schluß des nächsten Satzes, wo es heißt:

»... da diese Jugendlichen später als besonders zuverlässige Aufbaukräfte in den besetzten Ostgebieten verwendet werden sollen.«

Sie werden bemerken, daß es im letzten Absatz heißt:

»Die Aktionen unter Punkt 1.) und 3.) sind dem Führer bekannt.«

Und dann steht da etwas über die Hilfe der SS bei dieser Aktion. Sie setzten einen Termin dafür fest.

Die nächste Seite des Dokuments enthält den Verteiler an den Reichsmarschall, den Reichsführer-SS, den Reichsjugendführer, den Reichsinnenminister und ganz unten unter anderem an ein Gauleiterbüro.

Was wissen Sie über diese Ergreifung junger Menschen zwischen zehn und vierzehn Jahren und ihre Übergabe an Ihre Jugendorganisation in Deutschland während dieser Kriegsjahre, und wie viele Tausend ungefähr wurden auf diese Weise geraubt, wenn Sie das wissen?

VON SCHIRACH: Ich sagte vorhin schon, daß ich die Verantwortlichkeit, die ich dafür habe, nicht einschränken will, daß ich aber erst später davon Kenntnis erhielt. Der Jugendführer des Deutschen Reiches war ja nicht ich in dem Jahr, sondern ein anderer. Die Abkommen traf er mit dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe und dem Reichsführer-SS. Ich decke aber seine Maßnahmen...

MR. DODD: Sie waren doch später der Reichsjugendführer in Deutschland, und Sie waren doch auch der Bevollmächtigte für den Kriegseinsatz der deutschen Jugend in der Zeit?

VON SCHIRACH: Ich saß in Wien, und das Datum ist der 20. Juli 1944. Sie werden sich erinnern, daß die historischen Ereignisse jener Zeit in Deutschland alle Funktionäre außerordentlich in Anspruch genommen haben. Ich habe später von Axmann über die Durchführung erfahren, und ich weiß, daß die Unterbringung, Ausbildung, Verpflegung und überhaupt die Behandlung dieser russischen Jugendlichen eine geradezu hervorragende gewesen ist.

MR. DODD: Sie wissen aber auch, daß die alliierten Streitkräfte noch jetzt damit beschäftigt sind, Tausende von diesen jungen Menschen zu suchen, um sie dorthin zurückzubringen, wo sie hingehören? Wissen Sie, daß in der heutigen Zeitung zu lesen ist, daß noch immer ungefähr 10000 Menschen nicht aufgefunden werden konnten?

VON SCHIRACH: Ich glaube nicht, daß es sich um Jugendliche handelt, die in Lehrlingsheimen untergebracht wurden und unter den bestgeordneten Verhältnissen einer sehr guten Berufsausbildung zugeführt wurden.

MR. DODD: Aus diesem Dokument 345-PS geht deutlich hervor, daß dieses Programm tatsächlich durchgeführt wurde. Das Schreiben von Rosenberg besagt das. Er sagt: »Wie dies... bereits mit Erfolg... durchgeführt worden ist.« Ihre Jugendorganisation muß also etwas damit zu tun gehabt haben, bevor diese Mitteilung abgesandt wurde.

VON SCHIRACH: Ich habe das ja gar nicht bestritten. Im Rahmen des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete waren auch Jugendführer tätig, und ich möchte aus dem, was ich hier in der Verhandlung gehört habe, sagen, daß ich es durchaus verstehe, wenn die Generale im Osten sagten, die Jugend muß aus diesem Kriegsgebiet heraus. Es handelt sich darum, daß man diese Jugend zwischen zehn bis vierzehn Jahren von der Front wegbringen mußte.

MR. DODD: Mit der Hilfe der SS?

Ich möchte Ihnen jetzt ein anderes Dokument 1137-PS vorlegen, das Ihnen eine Idee davon geben wird, wenn Sie sich nicht daran erinnern sollten, was mit diesen jungen Menschen geschah und um wie viele es sich dabei handelte.

Dies wird US-870.

VORSITZENDER: Mr. Dodd! Unten auf Seite 1 ist ein Absatz in diesem Dokument, der sich auf einen anderen Angeklagten bezieht.

MR. DODD: Jawohl, Herr Präsident. Ich bedauere, ich habe es übersehen. Ich werde es jetzt in das Protokoll verlesen, wenn es mir gestattet ist.

Herr Zeuge! Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf 345-PS lenken, damit Sie auch wissen, was ich verlese. Im letzten Absatz der Mitteilung Rosenbergs an Dr. Lammers finden wir diesen Satz:

»Wie ich erfahre, ist Gauleiter Sauckel am 21. 7. 1944 im Führerhauptquartier. Ich bitte, dort mit ihm Fühlung zu nehmen und alsdann dem Führer Vortrag zu halten.«

Sauckel hat also ebenfalls an der Entführung dieser Zehn- bis Vierzehnjährigen teilgenommen. Ist Ihnen das bekannt?

VON SCHIRACH: Darüber habe ich keine Kenntnis, ich kann darüber keine Auskunft geben.

MR. DODD: Dieses – Dokument 1137-PS beginnt mit einem Schreiben eines Generals, vielmehr einer Mitteilung einer zwischenamtlichen Notiz, datiert vom 27. Oktober 1944, und es schließt mit einem Bericht des Brigadegenerals der Hitler-Jugend, eines Mannes namens Nickel.

Kannten Sie Nickel übrigens? Nickel?

VON SCHIRACH: Der Name ist mir bekannt. Ich kenne ihn wahrscheinlich auch persönlich. Ich finde im Augenblick keinen Begriff mit diesem Namen, er ist aber kein Brigadegeneral, sondern ein Hauptbannführer.

MR. DODD: Gut, was er auch immer war, er war ein Funktionär der Jugendorganisation. Das ist alles, was ich hier feststellen will. Vielleicht habe ich einen falschen Titel genannt. Wir haben es hier als Brigadegeneral.

Jedenfalls, wenn Sie das Dokument lesen, dann sehen Sie, daß er über die Ergreifung dieser Jungen in den besetzten Ostgebieten berichtet. Das ist Oktober 1944. Und er beginnt wie folgt:

»Am 5. 3. 1944 wurde mir der Auftrag erteilt, eine Dienststelle zu errichten, die eine Anwerbung 15-20jähriger junger Kräfte aus den Völkern der besetzten Ostgebiete für einen Kriegseinsatz im Reich vornehmen sollte.«

Dann zitiert er Zahlen und berichtet, wo er mit seiner Arbeit begann: in Litauen, Estland, Lettland, im mittleren Abschnitt der damaligen Ostfront, im Südabschnitt der damaligen Ostfront.

Dann auf der nächsten Seite des englischen Textes – ich nehme an, daß es auch bei Ihnen auf der nächsten Seite ist – steht, wie Ale Zurückgebrachten eingeteilt, wurden: »138S russische SS-Helfer, 5953 ukrainische SS-Helfer, 2354 weißruthenische SS-Helfer, 1012 litauische SS-Helfer«, dann betrifft es die Luftwaffe: »– 3000 estnische Luftwaffenhelfer« und so weiter.

Einige davon gingen zur Marine.

Ich lese nicht alles, aber Sie erhalten einen Begriff, wie man diese Männer, vielmehr Jungen und Mädchen, verteilte.

Sie werden bemerken, daß eine beträchtliche Anzahl in die SS kam.

VON SCHIRACH: Ja, aber Hauptbannführer Nickel hat auf diesem Brief einen Stempel, der die Überschrift trägt »Der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete«. Er hat hier nicht im Auftrage der Reichsjugendführung, sondern im Auftrage des Ostministeriums gehandelt.

MR. DODD: Ja, ich bitte Sie, auch noch Seite 6 anzusehen. Es ist wohl Seite 5 im deutschen Originaltext. Sie finden dort, welches Personal der Hauptbannführer Nickel zur Durchführung dieser Aufgabe verwandte. Er hatte Mitglieder der Hitler-Jugend, wie er sagt: »5 Führer, 3 BDM-Führerinnen, 71 volksdeutsche Jugendführer als Sprachmittler und Hilfsausbilder, 26 SS-Führer, 234 Unterführer und Mannschaften, Kraftfahrer und Sprachmittler«, alles »SS-Angehörige«. Außerdem »Luftwaffenangehörige: 37 Offiziere, 221 Unteroffiziere...« und so weiter.

Hilft das Ihrem Gedächtnis? Können Sie sich jetzt etwas besser an das Programm erinnern, mit dem Ihre Jugendleute beschäftigt waren? Erinnern Sie sich jetzt daran?

VON SCHIRACH: Es hilft meinem Gedächtnis insofern gar nicht, als ich es von... aus diesem Dokument davon erfahre. Ich bin über die Aktion des Ostministeriums auf russischem Gebiet nicht unterrichtet, und ich weiß nicht, welche Aufträge der Hitler-Jugend- Führer Nickel im Ostministerium hatte. Ich übernehme die Verantwortung für das, was auf meine Anordnungen hin geschehen ist. Das, was auf die Anordnung von anderen hin vollzogen wurde, müssen andere verantworten.

MR. DODD: Auf Ihre Antwort hin, die Sie soeben gaben, möchte ich Ihnen etwas zeigen. Das Personal, von dem ich Ihnen vorlas, wie Sie wissen, gehörte nur zu einem Teil des Programms. Aus der letzten Seite des Dokuments ersehen Sie, wie groß das Gebiet war, in dem Nickel arbeitete. Er arbeitete im Zusammenhang mit dem »HJ-Kriegseinsatzkommando Niederlande«, mit dem »HJ-Kriegseinsatzkommando Adria«, mit dem »HJ-Kriegseinsatzkommando Süd in der Slowakei und in Ungarn«, mit dem »Sonderkommando Oberleutnant Nagel in den Flüchtlingslagern im Reich« und dann, das ist interessant genug, mit den »Außenstellen Wien...«. Das ist doch dort, wo Sie sich damals befanden, nicht wahr? Und Sie sagen dem Gerichtshof, Sie wußten nichts von diesem Programm und über die Teilnahme Ihrer Hitler-Jugend- Führer?

VON SCHIRACH: Ich habe weder Vortrag von Nickel gehabt, weder schriftlich noch mündlich. Sein Bericht ging, wie es aus dem Brief ersichtlich ist, an den Reichsminister für die besetzten Ostgebiete. Inwieweit der Reichsjugendführer unterrichtet wurde, ist mir nicht bekannt. Ich selbst kenne die Vorgänge nicht. Das, was ich davon weiß, habe ich ganz genau in meiner Aussage vorher wiedergegeben. Es bezog sich auf die Junkers-Werke, es bezog sich auf die Berufsausbildung, die den Jugendlichen in Deutschland zuteil wurde, ich habe sonst keine weitere Kenntnis.

MR. DODD: Beachten Sie bitte auch, Herr Zeuge, daß Ihr Hitler-Jugend-Kriegseinsatzkommando in Polen war und sogar in Norditalien. Ich frage. Sie nochmals als den langjährigen Hitler-Jugend-Führer, als den Führer für den Kriegseinsatz der Jugend und später Gauleiter von Wien, wo ein Teil dieses Programms durchgeführt wurde und im Hinblick darauf, daß das gesamte Programm in diesem großen Umfang ausgeführt wurde: Wollen Sie wirklich den Gerichtshof glauben machen, daß Sie nichts davon wußten?

VON SCHIRACH: Ich habe davon keine Kenntnis, aber ich übernehme dafür die Verantwortung.

MR. DODD: Sie sagten dem Gerichtshof in Ihrem direkten Verhör, daß Sie diesen Brief an Streichers »Stürmer« geschrieben haben.

Ich möchte ihn gern als Beweisstück vorlegen, Herr Präsident, so daß der Gerichtshof eine Idee davon bekommt, wie er auf der ersten Seite des »Stürmer« erschienen ist.

Vielleicht, wenn Sie das Dokument sehen wollen, können Sie dies tun, Herr Zeuge. Es ist US-871. Ich möchte gern, daß Sie es sich kurz ansehen, bevor es überreicht wird. Sie kennen es ja ohnedies schon.

VON SCHIRACH: Ich habe darüber neulich schon meine Aussage gemacht.

MR. DODD: Ja, ich möchte nicht weiter darauf eingehen. Was ich Sie fragen möchte, Herr Zeuge, ob ich Sie richtig verstanden habe, wenn ich sage, daß wir aus Ihrer Aussage entnehmen, daß es Hitler war, der die Evakuierung der Juden aus Wien befahl und daß Sie dies wirklich nicht vorgeschlagen haben oder ausgeführt wünschten. Ist das eine richtige Wiedergabe Ihrer Aussage von gestern oder vorgestern?

VON SCHIRACH: Ich habe neulich festgestellt und wiederhole, daß die Idee der Evakuierung der Juden aus Wien die Idee Hitlers war, die er mir 1940 im Hauptquartier darlegte. Ich habe weiter ausgeführt, daß ich unter dem Eindruck der Ereignisse der Novembertage 1938 tatsächlich der Meinung war, es sei besser für die jüdische Bevölkerung, in einem geschlossenen Siedlungsgebiet untergebracht zu werden, als von Zeit zu Zeit der Goebbels'schen Propaganda und Goebbels'schen Aktionen zur Zielscheibe zu dienen. Ich möchte das ganz klar hier feststellen, und ich habe im weiteren Zusammenhang gesagt, daß ich mich also mit dieser Aktion identifiziert habe, ohne sie durchgeführt zu haben.

MR. DODD: Im Oktober 1940 hatten Sie eine Sitzung im Hauptquartier des Führers. Der Angeklagte Frank war anwesend und der jetzt berüchtigte Koch, über den wir schon so viel gehört haben. Können Sie sich an diese Sitzung erinnern?

VON SCHIRACH: Ich weiß nicht mehr genau.

MR. DODD: Meinen Sie, daß Sie sich an diese Sitzung überhaupt nicht mehr erinnern?

VON SCHIRACH: Oktober 1940 bin ich in der Reichskanzlei gewesen, weil das die Zeit war, in der ich die Evakuierung der Jugend organisierte, und es ist möglich, daß ich beim Mittagessen...

VORSITZENDER: Sie wurden gefragt, ob Sie sich an eine bestimmte Sitzung mit gewissen Leuten im Oktober 1940 erinnern können. Erinnern Sie sich daran oder nicht?

VON SCHIRACH: Ich habe keine Erinnerung mehr daran. Wenn ich ein Dokument bekomme, kann ich es bestätigen.

MR. DODD: Gut, das wollte ich wissen. Ich werde Ihnen nun das Dokument USSR-172 vorlegen. Ein Teil des Dokuments wurde durch Oberst Pokrowsky über die Mikrophonanlage verlesen. Sie werden bemerken, daß am 2. Oktober ein Aktenvermerk über diese Sitzung verfaßt wurde. Diese Notizen hat Martin Bormann zusammengestellt, daher nehme ich an, daß er auch zugegen war:

»Am 2. 10. 1940 entspann sich nach Tisch in der Wohnung des Führers eine Unterhaltung über den Charakter des Gouvernements, über die Behandlung der Polen und über die vom Führer bereits angeordnete Abtretung der Kreise Petrikau und Tomaschow an den Warthegau«

und dann heißt es:

»Die Unterhaltung wurde dadurch ausgelöst, daß Reichsminister Dr. Frank dem Führer berichtete, die Tä tigkeit im Generalgouvernement könne als durchaus erfolgreich bezeichnet werden. Die Juden in Warschau und anderen Städten seien jetzt in Ghettos abgeschlossen. Krakau werde in ganz kurzer Zeit judenrein sein.

Reichsleiter von Schirach, der an der anderen Seite des Führers Platz genommen hatte, warf ein, er habe in Wien noch über 50000 Juden, die Dr. Frank ihm abnehmen müsse. Pg. Dr. Frank bezeichnete dies als nicht möglich! Gauleiter Koch wies darauf hin, daß auch er bisher weder Polen noch Juden aus dem Ziechenauer Gebiet abgeschoben habe; selbstverständlich müßten diese Juden und Polen aber vom Generalgouvernement nunmehr aufgenommen werden.«

Und dann heißt es weiter, daß Dr. Frank auch dagegen Widerspruch erhob, er betonte, daß dort keinerlei Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden seien – ich zitiere das nicht direkt, ich will nicht alles verlesen – und daß dort auch nicht genügend andere Einrichtungen wären. Können Sie sich jetzt auf diese Zusammenkunft erinnern?

VON SCHIRACH: Ja, ich habe jetzt meine Erinnerung aufgefrischt.

MR. DODD: Ja, und Sie schlugen vor, 50000 Juden aus Wien in das Gebiet Franks abzuschieben, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Das ist so nicht richtig, sondern der Führer hatte mich gefragt, wieviel Juden noch in Wien wären. Das habe ich mit meiner eigenen Aussage neulich festgestellt, das liegt auch in den Akten fest, daß damals 60000 Juden noch in Wien gewesen sind. Und bei dieser Unterhaltung, wo es um die Ansiedlung der Juden im Generalgouvernement ging, habe ich auch gesagt, es sollen ja die 50000 Juden aus Wien auch noch ins Generalgouvernement. Ich sagte Ihnen ja vorhin, ich habe wegen der Ereignisse vom November 1938 diesen Plan des Führers, die Juden in ein geschlossenes Siedlungsgebiet zu bringen, für richtig gehalten.

MR. DODD: Gut, später, wie Sie aus US-681 wissen, nach welchem Dokument Ihr eigener Verteidiger sich erkundigt hat, sandte Dr. Lammers Ihnen eine Mitteilung nach Wien, daß der Führer nach Eintreffen eines Ihrer Berichte entschieden hätte, daß die 60000 Juden von Wien auf schnellste Art und Weise deportiert werden sollten, und das war genau zwei Monate nach der Besprechung, die Sie mit Frank, Koch und Hitler hatten, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Ja, der Führer hat ja seit 1937 – ich finde, das geht schon aus den Hoßbach-Notizen hervor – den Gedanken einer Aussiedlung der jüdischen Bevölkerung gehabt. Mir ist der Plan erst bekanntgeworden und übermittelt worden im August 1940, als ich mich wegen der Übernahme des Reichsgaues Wien bei ihm meldete. Er hat mich gefragt: Wie viele Juden sind in Wien? Ich habe diese Frage beantwortet, und nun wollte er, daß sie tatsächlich alle im Generalgouvernement angesiedelt würden.

MR. DODD: Wie viele Juden haben Sie als Gauleiter tatsächlich aus Ihrem Gau deportiert?

VON SCHIRACH: Erstens habe ich die Durchführung dieser Aktion nicht in Händen gehabt. Ich weiß nicht, wieviel von den 60000 Juden von Wien wegtransportiert worden sind.

MR. DODD: Haben Sie irgendeine Idee, wohin Sie gebracht wurden?

VON SCHIRACH: Ich habe mitgeteilt bekommen, daß die Alten nach Theresienstadt kommen und die anderen nach Polen gefahren werden, ins Generalgouvernement. Ich habe sogar einmal, ich glaube anläßlich meiner Vereidigung entweder als Statthalter oder eines Vortrages über die Kinderlandverschickung, Hitler gefragt, wie denn diese Juden beschäftigt werden, und da hat er mir gesagt, entsprechend ihren Berufen.

MR. DODD: Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Sie erinnern sich doch, nicht wahr, daß zumindest einige von ihnen nach Riga und Minsk geschickt wurden, und davon wurden Sie unterrichtet. Erinnern Sie sich, diese Nachricht erhalten zu haben?

VON SCHIRACH: Nein.

MR. DODD: Werfen Sie einen Blick auf Dokument 3921-PS, das Beweisstück US-872 wird. Es ist ein Bericht über die Evakuierung der Juden und besagt, daß 50000 Juden in das Gebiet Riga-Minsk verschickt werden sollten. Sie erhielten als Reichsverteidigungskommissar eine Durchschrift dieses Berichtes. Wenn Sie sich die letzte Seite ansehen, werden Sie dort die Paraphe Ihres Hauptmitarbeiters, des SS- Mannes Dellbrügge, und auch den Empfangsstempel Ihres eigenen Büros finden.

VON SCHIRACH: Ich sehe nur, daß Dr. Dellbrügge den Vorgang zu den Akten geschrieben hat. Es stehen die Zeichen dabei z.d.A., zu den Akten.

MR. DODD: Und er hat Sie nicht von diesem Bericht über die Juden unterrichtet? Obwohl Sie darüber mit Hitler gesprochen hatten, daß Sie aus Ihrem Gebiet deportiert werden sollten; ich nehme also an, daß Ihr Hauptmitarbeiter sich nicht die Mühe machte. Ihnen davon etwas zu sagen. Wollen Sie, daß wir das so verstehen?

VON SCHIRACH: Ja.

MR. DODD: Nun, sehen Sie sich ein weiteres Dokument an, das etwas Licht auf diese Sache werfen wird. Es liegt schon als US-808 vor. Es sagt Ihnen, was mit den Juden in Minsk und Riga geschah; und das Dokument gelangte auch in Ihr Büro, wenn Sie sich daran erinnern. Vielleicht ist es gar nicht nötig, Ihnen das noch einmal zu zeigen. Sie erinnern sich an das Dokument. Es ist einer der monatlichen Berichte von Heydrich, worin er sagt, daß 29000 Juden in Riga gewesen wären, die auf 2500 reduziert worden seien, und daß 33210 von der Einsatzgruppe erschossen worden sind. Erinnern Sie sich daran?

VON SCHIRACH: Ich habe während der vergangenen zwei Tage mir diese Monatsberichte genau angesehen. Die Monatsberichte, dazu muß ich grundsätzlich hier folgendes feststellen, tragen auf dem Deckblatt unten rechts eine Initiale, die Dr. Fsch. etwa lautet. Das sind die Initialen von Dr. Fischer. Sie sind oben abgezeichnet nicht von mir, sondern mit vom Regierungspräsidenten, mit dem Zusatz »zu den Akten«. Wenn ich sie gelesen hätte...

MR. DODD: Ich behaupte nicht, daß Ihre Paraphe auf einem derartigen Dokument stand, aber ich behaupte, daß diese Dokumente in Ihre Organisation und in die Hände Ihres Hauptmitarbeiters gelangten.

VON SCHIRACH: Ich muß aber hier feststellen, wenn sie mir vorgetragen sind, befindet sich ein Vermerk darauf »dem Reichsleiter vorgetragen«, und der vortragende Referent zeichnet diesen Vermerk ab. Wenn ich davon Kenntnis genommen habe, sind meine eigenen Initialen drauf mit einem »K.g.«, Kenntnis genommen.

MR. DODD: Ja. Ich möchte Sie daran erinnern, daß das Datum dieses Berichts Februar 1942 ist, und außerdem möchte ich Sie daran erinnern, daß Heydrich Ihnen darin sagt, wie viele Juden in Minsk getötet worden sind. Nun hielten Sie einmal eine Rede in Polen über die Polen- oder die Ostpolitik Deutschlands. Erinnern Sie sich daran, Herr Zeuge?

VON SCHIRACH: In Polen?

MR. DODD: Ja, in Polen.

VON SCHIRACH: Ich habe in Polen 1939 mich vorübergehend aufgehalten, später glaube ich nicht.

MR. DODD: Ihr Gedächtnis scheint heute morgen ganz besonders schwach zu sein. Erinnern Sie sich nicht daran, daß Sie am 20. Januar 1942 in Kattowitz gesprochen haben?

VON SCHIRACH: Das ist Oberschlesien.

MR. DODD: Oberschlesien, gut. Erinnern Sie sich an diese Rede?

VON SCHIRACH: Ja, in Kattowitz habe ich eine Rede gehalten.

MR. DODD: Und haben Sie über Hitlers Politik für die Ostgebiete gesprochen?

VON SCHIRACH: Das weiß ich aus dem Gedächtnis nicht, was ich da gesagt habe. Ich habe viele Reden gehalten.

MR. DODD: Gut. Ich werde Ihnen das Dokument D-664, welches Beweisstück US-873 wird, vorlegen lassen. Sie haben zu einer Gruppe von Parteiführern und deutschen Jugendführern gesprochen?

VON SCHIRACH: Ja.

MR. DODD: Im Absatz 7 beschäftigten Sie sich mit den Aufgaben der deutschen Jugend im Osten. Die Hitler-Jugend hatte politische Schulungen gemäß der Ostpolitik des Führers durchgeführt, und Sie sagten, wie dankbar Sie dem Führer waren, daß er das deutsche Volk dem Osten zugewandt habe, denn der Osten wäre die Bestimmung Ihres Volkes. Was haben Sie unter der Ostpolitik des Führers verstanden? Oder haben Sie in dieser Zeit eine gute Vorstellung davon gehabt?

VON SCHIRACH: Das ist gesprochen in Oberschlesien und gesprochen aus der Dankbarkeit heraus dafür, daß wir dieses Land zurück hatten.

MR. DODD: Gut, danach habe ich Sie wirklich nicht gefragt. Ich fragte Sie, ob Sie damals, als Sie diese Rede hielten, die Politik des Führers verstanden hatten?

VON SCHIRACH: Ich habe damals natürlich unter dem Eindruck unseres Sieges über Polen und über die Rückgewinnung deutschen Bodens die Ostpolitik bejaht.

MR. DODD: Sie haben sie nicht nur bejaht; ich möchte wissen, ob Sie sie tatsächlich verstanden haben?

VON SCHIRACH: Ich weiß nicht, wie ich diese Frage beantworten soll. Wahrscheinlich hat Hitler unter Ostpolitik etwas ganz anderes verstanden als ich.

MR. DODD: Aber worauf ich hinaus will: Er hat Ihnen davon erzählt, nicht wahr, und zwar einige Zeit, bevor Sie diese Rede gehalten haben.

Sehen Sie sich noch einmal dieses Dokument in Ihren Händen an, USSR-172, und Sie werden finden, daß, nachdem Sie, Frank, Koch und Hitler Ihre Unterhaltung über die Judendeportationen aus Wien beendet hatten, der Führer Ihnen dann gesagt hat, was er mit den Polen zu tun beabsichtige. Und das ist keine schöne Geschichte, wenn Sie es sich ansehen.

VON SCHIRACH: Hitler sagt hier:

»Das Idealbild sei: Der Pole darf im Gouvernement nur kleine Grundparzellen besitzen, die seine eigene Ernährung, bzw. die seiner Familie einigermaßen sicherstellen. Was er sonst an Geld für Kleidung, zusätzliche Nahrung usw., usw. braucht, müsse er durch Arbeit in Deutschland verdienen. Das Gouvernement sei die Ausleihzentrale für ungelernte Arbeiter, insbesondere für landwirtschaftliche Arbeiter. Die Existenz dieser Arbeiter sei eine völlig gesicherte, denn sie würden immer als billige Arbeitskräfte gebraucht werden.«

Polnische landwirtschaftliche Arbeitskräfte kamen nicht mehr in Frage.

MR. DODD: Lassen Sie mich Ihnen einige Auszüge verlesen, die Sie ausgelassen haben:

»Der Führer betonte weiter, der Pole sei im Gegensatz zu unserem deutschen Arbeiter geradezu zu niedriger Arbeit geboren...«, und so weiter.

»Das Lebensniveau in Polen müsse sogar niedrig sein bzw. gehalten werden.«

Auf der nächsten Seite:

»Wir«, die Deutschen, »hätten auf der einen Seite übersiedelte Industriegebiete, auf der anderen Seite Mangel an Arbeitskräften in der Landwirtschaft usw. Hierfür würden die polnischen Arbeiter gebraucht. Es sei also durchaus richtig, wenn im Gouvernement eine starke Übersetzung an Arbeitskräften vorhanden sei, damit von dort aus wirklich alljährlich die notwendigen Arbeiter in das Reich kämen. Unbedingt zu beachten sei, daß es keine ›polnischen Herren‹ geben dürfte; wo polnische Herren vorhanden seien, sollten sie, so hart das klingen möge, umgebracht werden.

Blutlich dürften wir uns natürlich nicht mit den Polen vermischen.«

Etwas weiter betont er noch einmal:

»Noch einmal müsse der Führer betonen, daß es für die Polen nur einen Herrn geben dürfe, und das sei der Deutsche; zwei Herren nebeneinander könne es nicht geben. Daher seien alle Vertreter der polnischen Intelligenz umzubringen. Dies klinge hart, aber es sei nun einmal das Lebensgesetz.«

Halten wir hier eine Minute inne. Herr Zeuge, Sie sind doch, nebenbei bemerkt, ein Kulturmensch, wie Sie dem Gerichtshof gesagt haben. Was für einen Eindruck hat dieses vom Führer ausgedrückte Gefühl auf Sie gemacht?

VON SCHIRACH: Ich habe mit diesen Ansichten des Führers nie übereingestimmt, und ich habe hier auch gesagt, daß ich wegen der Politik in der Ukraine 1943 den Führer angesprochen habe. Wenn ich von Ostpolitik sprach, 1942 in Kattowitz, im deutschen Kattowitz, vor deutscher Bevölkerung in Oberschlesien, dann meinte ich dort selbstverständlich nicht diese brutale Polenpolitik Hitlers.

MR. DODD: Aber Sie wußten davon, als Sie die Rede hielten, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Ich habe das nicht in Erinnerung gehabt zwei Jahre später und habe das auch nicht gemeint.

MR. DODD: Sie vergaßen, daß Hitler sagte, er müsse die Intelligenz ausrotten, Sie müßten die Herren dieser Leute sein, sie mußten auf einem niedrigen Lebensniveau gehalten werden? Ist das so leicht Ihrem Gedächtnis entfallen?

VON SCHIRACH: Ich habe bei dieser Rede in Kattowitz, an die ich mich erinnere, von ganz, ganz anderen Dingen gesprochen, und ich nehme an, daß die Staatsanwaltschaft sogar das Stenogramm dieser Rede hat. Die bräuchte man hier nur vorzulegen. Das hier ist ja nur ein kleiner Auszug.

MR. DODD: Aber Herr Zeuge, es kommt darauf an, ob man gewußt hat, wie die Politik beschaffen war. Ich möchte gerne, daß Sie dem Gerichtshof sagen, wie Sie diese Politik vor einer Gruppe junger Menschen und Parteiführern anläßlich Ihrer Rede in Kattowitz unterstützen und loben konnten.

VON SCHIRACH: Die Politik, die ich dort den Jugendführern empfahl, war nicht die Politik, die Hitler hier in seiner Tischrede entwickelt hat.

MR. DODD: Natürlich sagten Sie in Ihrer Rede, daß es die Politik des Führers wäre, und Sie wußten, was sie war. Aber ich werde nicht länger darauf drängen, wenn das Ihre Antwort ist.

VON SCHIRACH: Ich habe – ich habe das schon einmal ausgeführt – vielleicht sehr häufig aus falscher Loyalität die Politik des Führers gedeckt. Ich weiß, daß es nicht richtig war.

MR. DODD: Ja, das ist, was ich wissen wollte. Also, Sie haben auf Grund des Gefühls der Treue zum Führer gehandelt. Jetzt sehen Sie ein, daß es ein Irrtum war. Und das ist alles, wonach ich frage. Wenn Sie das dem Gerichtshof sagen, werde ich vollkommen zufrieden sein.

VON SCHIRACH: Jawohl, ich bin bereit, dies einzugestehen.

MR. DODD: Sehr gut. Und, Herr Zeuge, jetzt kommen wir dazu: das gilt für alle diese Dinge, die sich ereignet haben?

VON SCHIRACH: Nein, das nicht.

MR. DODD: Sollten Sie nicht dem Gerichtshof sagen hinsichtlich Ihres Briefes an den »Stürmer« und hinsichtlich aller dieser Dinge über die Juden, von denen Sie zu der Jugend sprachen, und hinsichtlich dieses langsamen Aufbaues des Rassenhasses in ihnen, hinsichtlich der Zusammenarbeit mit der SS und Ihrer Behandlung der Juden in Wien, sollten Sie nicht sagen, daß Sie für alle diese Dinge, für alle, verantwortlich sind?

VON SCHIRACH: Nein.

MR. DODD: Abschließend möchte ich zum Beweis einige Auszüge von diesen Wochenberichten der SS überreichen, Herr Präsident, auf welche ich am Freitag kurz hingewiesen habe, damit sie dem Gerichtshof vorliegen. Es gibt 55 dieser Berichte, Herr Präsident, die wöchentlich erschienen sind und die alle den Empfangsstempel des Büros dieses Angeklagten tragen. Sie ersetzten die Monatsberichte, die bis zum Erscheinen der Wochenberichte einliefen.

Wir haben nicht alle übersetzen und vervielfältigen lassen, aber wenn der Angeklagte noch andere vorlegen will, werden wir sie natürlich zugänglich machen. Wir haben nur einige als Beispiele ausgewählt, um die Art der Berichte zu illustrieren, die in den Wochenberichten enthalten waren, und ich möchte sie vorlegen:

Der erste ist Nummer 1, beginnt mit 1. Mai 1942, dann Nummer 4, 6, 7, 9, 38, 41 und 49.

Aus Fairheit möchte ich Ihnen dieses klarmachen, Herr Zeuge. Neben Feststellungen über das, was mit den Juden geschehen ist, finden Sie in diesen Wochenberichten eine Anzahl von Mitteilungen über die Partisanenangelegenheiten im Osten. Diese Auszüge befassen sich meistens mit der Behandlung der Juden, und wir haben, Herr Vorsitzender, bezüglich der Partisanen keine größere Zahl von Auszügen gemacht. Es ist jedoch eine Anzahl vorhanden, die sich nur mit den Partisanen und nicht mit den Juden befaßt. Wir wollen also keinen Zweifel darüber bestehen lassen, wie wir diese Wochenberichte anbieten.

Ich möchte Sie bezüglich der Wochenberichte nur fragen: Erinnern Sie sich heute morgen daran, daß Sie sie jede Woche in Ihrem Büro erhielten?

VON SCHIRACH: Das ist ja nicht mein Büro. Mein Büro ist das Zentralbüro. Dieses Büro, das von dem Regierungspräsidenten geleitet wurde, hat, wie hier aus den Akteneinzeichnungen hervorgeht und was jeder in der deutschen Bürokratie geschulte Beamte bestätigen kann, dieses Büro hat durch seinen Referenten den Akt abgezeichnet, dem Regierungspräsidenten vorgelegt, und der Regierungspräsident hat »zu den Akten« daraufgeschrieben und seine Initiale daraufgesetzt. Ich kann diese Akte gar nicht kennen.

MR. DODD: Einen Moment, bitte. Sie waren der Reichsverteidigungskommissar für dieses Gebiet, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Ja.

MR. DODD: Und dies ist der Stempel, der sich auf diesen Wochenberichten befindet, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Ja.

MR. DODD: Was meinen Sie nun damit, wenn Sie sagen, das war nicht Ihr Büro?

VON SCHIRACH: Weil die Post, die zu mir kam, ähnlich wie in einem Ministerium, wo sie in ein Ministerbüro kommt, zu mir in das Zentralbüro gelangte. Es müßten entsprechende Vermerke dann auf diesen Akten sein. Ich verstehe durchaus, warum bei meiner Arbeitsüberlastung der Regierungspräsident Akten, die in gar keinem Zusammenhang mit Wien und meiner Tätigkeit standen, sondern nur informatorisch waren und Vorgänge in Rußland, zu 90 Prozent Bandenkämpfe in Rußland betrafen, mir überhaupt nicht vorlegte.

MR. DODD: Ich möchte Sie nun nochmal fragen, wie ich das schon so oft während dieses Verhörs getan habe: Dellbrügge, der diese abgezeichnet hat, war Ihr Hauptmitarbeiter, nicht wahr? Ja oder Nein?

VON SCHIRACH: Ja. Er war einer meiner drei Vertreter.

MR. DODD: Und er war außerdem SS-Mann, wie auch Ihre anderen Hauptmitarbeiter, wie wir Sie neulich fragten?

VON SCHIRACH: Dellbrügge war ein hoher SS- Führer. Er war ein besonderer Vertrauensmann des Reichsführers-SS.

MR. DODD: Wie kam es, daß er für Sie arbeitete?

VON SCHIRACH: Er wurde mir dort hingesetzt.

MR. DODD: Herr Präsident! Ich halte es nicht für notwendig, Auszüge aus diesen Wochenberichten vorzulesen. Sie wurden in die vier Sprachen übersetzt.. Nein, ich bin nicht richtig unterrichtet. Ich dachte, sie wären übersetzt. Dann wäre es, glaube ich, besser, wenn wir sie übersetzen lassen und später vorlegen, als uns die Zeit zu nehmen, sie jetzt vorzulesen. Ich habe keine weiteren Fragen.

VORSITZENDER: Wollen Sie ein Rückverhör führen? Wir vertagen uns besser jetzt.