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GENERALMAJOR G. A. ALEXANDROW, HILFSANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Geben Sie zu, daß die Hitler-Jugend sich zur Aufgabe gestellt hatte, der deutschen Jugend und den Kindern vom neunten Lebensjahr an die faschistischen Ideen einzuimpfen?

Hören Sie mich?

VON SCHIRACH: Ja. Ich habe die Frage so verstanden, ob ich bekenne, in der Hitler-Jugend zehn- bis vierzehnjährigen Kindern faschistische Ideen eingeimpft zu haben.

Ich habe, wie ich schon in meinen Ausführungen vor ein paar Tagen sagte, meinen Auftrag und meine Pflicht darin gesehen, die deutsche Jugend zu Staatsbürgern des nationalsozialistischen Staates heranzubilden...

VORSITZENDER: Das ist keine Antwort auf die Frage. Sie brauchen uns nicht zu erzählen, was Sie uns schon in Ihren früheren Aussagen angaben. Wollen Sie nun die Frage beantworten: Geben Sie zu, daß Sie der Hitler-Jugend Hitlers Weltanschauung eingepflanzt haben? Sie können mit Ja oder Nein antworten.

VON SCHIRACH: Ich kann darauf nicht mit Ja antworten, weil von »Faschismus« die Rede war. Zwischen »Faschismus« und »Nationalsozialismus« ist ein großer Unterschied. Ich kann diese Frage nicht bejahen. Ich habe die deutsche Jugend nationalsozialistisch erzogen. Dazu kann ich Ja sagen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich möchte jetzt, daß Sie mir die Aussagen, die Sie am 16. November 1945 während Ihres Verhörs gemacht haben, bestätigen. Damals haben Sie selbst Ihre persönliche Einstellung zu Hitler folgendermaßen definiert; ich zitiere Ihre Aussage: »Ich war ein begeisterter Anhänger Hitlers und nahm alles, was er sagte und schrieb, wie von einer Gottheit an.«

Bestätigen Sie diese Aussage?

VON SCHIRACH: Das habe ich nicht gesagt. Das ist auch kein Protokoll, das ich gesehen habe. Ich habe niemals von Hitler als von einer »Gottheit« gesprochen; niemals. Ich erinnere mich ganz genau an diese Einvernahme durch Sie, Herr General, da wurde ich gefragt, ob ich ein begeisterter Anhänger gewesen sei. Ich habe das bejaht. Ich habe über die Zeit gesprochen, wie ich zur Bewegung kam. Ich habe niemals diesen Vergleich gebraucht, der mir in der Übersetzung hier vorgehalten wird. »Ich hätte an Hitler wie an eine Gottheit geglaubt«, das habe ich niemals gesagt, nie.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben mich nicht richtig verstanden. Hier ist keine Rede von »Gottheit«. In Ihrer Aussage steht es, ich wiederhole: »Ich war ein begeisterter Anhänger Hitlers und nahm alles, was er sagte und schrieb, als Wahrheit an.« Bestätigen Sie diese Aussage? Antworten Sie direkt auf meine Frage.

VON SCHIRACH: Die Übersetzung ist sehr ungenau. Ich bitte, mir die Frage noch einmal genau zu stellen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich zitiere Ihre Aussage: »Ich war ein begeisterter Anhänger Hitlers und nahm Stellung zu allem, was er sagte und schrieb, wie zu einer Aufrichtigkeit.«

VON SCHIRACH: Es ist mir eben vorgehalten worden, ich soll gesagt haben:

»Ich war ein begeisterter Anhänger Hitlers und nahm Stellung zu allem, was er sagte und schrieb, wie zu einer Aufrichtigkeit.«

So habe ich das verstanden. Einen solchen Unsinn kann ich gar nicht ausgesagt haben.

DR. SERVATIUS: Darf ich vielleicht eine Erklärung geben zu der Übersetzung? Es müßte meiner Ansicht nach richtig heißen auf deutsch: »Ich betrachtete es als Offenbarung, was Hitler sagte« und nicht als eine »Aufrichtigkeit«, es ist ein Fehler der Übersetzung, dann wird es verständlich.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ihr Verteidiger hat Ihnen geholfen, meine Frage zu beantworten.

VON SCHIRACH: Herr General! Das war nicht mein Verteidiger, sondern das war der Verteidiger des Angeklagten Sauckel. Und wenn man es so übersetzt mit »Offenbarung«, dann bekommt das Ganze einen Sinn und entspricht auch dem etwa, was ich ausgeführt habe Ihnen gegenüber bei der Darstellung meiner Jugendzeit.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Gut. In Ihrem Buch »Die Hitler-Jugend« haben Sie auf Seite 17 geschrieben, Hitlers Buch »Mein Kampf« ist uns, ich zitiere, »wie eine Bibel«. Bestätigen Sie es? Haben Sie das geschrieben?

VON SCHIRACH: Ich habe dem noch etwas hinzugefügt in dem Buch »Die Hitler-Jugend, Idee und Gestalt«. Ich habe das Buch, das möchte ich zunächst sagen, geschrieben. Ich habe es geschrieben...

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich muß Sie unterbrechen. Ich brauche keine solche ausführliche Erklärung, ich möchte die Antwort auf meine Frage haben: Steht dieser Satz in Ihrem Buch oder nicht?

VON SCHIRACH: Ich habe das ja eben bestätigt, aber ich möchte einer solchen Bestätigung eine Erklärung hinzusetzen, und diese Erklärung will ich jetzt geben. Ich sagte in meinem Buch, das ich 1933 schrieb und das 1934 publiziert wurde:

»Wir konnten unsere Auffassung noch nicht im einzelnen begründen. Wir glaubten einfach. Und als dann Hit lers ›Kampf‹ erschien, war uns dieses Buch wie eine Bibel, die wir fast auswendig lernten, um die Fragen der Zweifler und überlegenen Kritiker beantworten zu können.«

Ich habe das damals so geschrieben, das ist richtig.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Jetzt möchte ich noch eine präzisere Frage an Sie stellen. Geben Sie zu, daß die Hitler-Jugend eine politische Organisation war, die unter Führung der NSDAP die Politik dieser Partei innerhalb der deutschen Jugend durchführte?

VON SCHIRACH: Die Hitler-Jugend war eine große Erziehungsgemeinschaft auf politischer Basis. Ich kann nicht anerkennen, daß sie von der Partei geleitet wurde; sie wurde von mir geleitet. Insofern, als ich ein Mitglied der Parteileitung war, kann man von einer Mitwirkung der Partei sprechen. Aber ich weiß nicht, warum ich das bestätigen soll; ich habe es ja schon ausgesagt. Richtig ist, daß die Hitler-Jugend die Jugendorganisation der Partei war.

Wenn das der Sinn Ihrer Frage ist, will ich es bestätigen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ja, das hatte ich gemeint.

Ich möchte Sie jetzt an die Aufgaben, die Hitler für die Erziehung der deutschen Jugend stellte, erinnern. Darüber wird in Rauschnings Buch gesprochen, das dem Gerichtshof bereits als Urkundenbeweis unter USSR-378 vorgelegt worden ist. Ich zitiere von Seite 252 dieses Buches:

»In meinen Ordensburgen wird eine Jugend aufwachsen, vor der die Welt zurückschrecken wird. Ich will eine gewalttätig aktive, beherrschende, unerschrockene und brutale Jugend. Die Jugend muß Schmerzen gegenüber immun sein; sie darf weder Schwäche noch Zärtlichkeit kennen; ich will in ihren Augen wiederum den Strahl von Stolz und Unabhängigkeit eines grausamen Tieres sehen.«

Und Sie haben die deutsche Jugend in Übereinstimmung mit diesen Forderungen Hitlers erzogen. Geben Sie das zu?

VON SCHIRACH: Das erkenne ich nicht an, was Herr Rauschning schreibt. Ich bin ganz zufällig Zeuge einer Unterhaltung zwischen Hitler und Rauschning gewesen, und danach muß ich sagen, daß das, was Herr Rauschning in seinem Buch schreibt, eine unrichtige Wiedergabe Hitlerscher Äußerungen darstellt. Zufällig bin ich einmal Zeuge einer solchen Unterhaltung gewesen.

Über die Erziehung hat Hitler mir nicht die Anweisungen gegeben, die Herr Rauschning hier als Aufgaben der Hitler-Jugend, wie sie Hitler mir gestellt habe, schildert.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wir verlangten von Ihnen keine derartig ausführliche Erklärung. Ich möchte bitten, auf meine Fragen kürzer zu antworten, um die Zeit der Vernehmung zu verkürzen. Sie haben hier behauptet, daß die Hitler-Jugend die Jugend nicht in militärischem Geist erzogen und sie nicht für zukünftige Angriffskriege vorbereitet hat. Ich möchte Sie an einige Ihrer Äußerungen aus Ihrem Buch »Hitler-Jugend« erinnern. Auf Seite 83 dieses Buches, wo Sie über die jüngste Generation, das sogenannte Jungvolk, sprechen, schrieben Sie:

»So ist es auch verständlich, daß die Jungvolkgeneration die Trägerin des nationalsozialistischen Stils ist.... Die Spielwarenhändler haben sich bei mir beschwert, daß die Buben kein Spielzeug mehr haben wollen. Ihr Interesse sei ausschließlich auf Zeltbahnen, Wurfspeer, Kompaß und Karte gerichtet.... Das Verbrennen ist überhaupt eine Spezialität der neuen Jugend... was gegen unsere Einheit ist, muß auf den Scheiterhaufen.«

Und das waren die Weisungen, die die in der Hitler-Jugend erzogenen deutschen Soldaten befolgten, wenn sie die Häuser der friedlichen Bevölkerung in den besetzten Gebieten in Brand steckten? Nicht wahr? Steht das, was ich soeben zitiert habe, in Ihrem Buch geschrieben?

VON SCHIRACH: Das, was vor mir liegt, steht in meinem Buch geschrieben, das was aus der Übersetzung kam, steht nicht in meinem Buch.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Gut, dann korrigieren Sie.

VON SCHIRACH: Ich muß deshalb darum bitten, daß ich die richtige Stelle verlesen darf:

»Die Spielwarenhändler haben sich bei mir beschwert, daß diese Buben«, sie sprechen vom Jungvolk, »kein Spielzeug mehr haben wollen. Ihr Interesse sei ausschließlich auf Zeltbahnen, Wurfspeere, Kompaß und Karte gerichtet. Ich kann den Spielwarenhändlern nicht helfen, denn auch ich meine mit den Pimpfen, daß die Zeit der Indianer nun endgültig vorbei ist. Was ist ›Old Shatterhand‹, was ist überhaupt ein Trapper im amerikanischen Urwald im Vergleich zu einem Fähnleinsführer? Ein armseliges, verstaubtes Requisit aus der Rumpelkammer unserer Väter. Nicht nur die Spielwarenhändler beschweren sich, sondern auch die Schulmützenfabrikanten. Wer trägt heute noch Schülermützen? Wer ist heute überhaupt ein höherer Schüler oder eine höhere Tochter? Mancherorts haben sich Jungvolk und Hitlerjungen zusammengetan und solche Schülermützen öffentlich verbrannt. Das Verbrennen ist überhaupt eine Spezialität der neuen Jugend. Die Grenzpfähle der deutschen Kleinstaaten sind auch im Feuer der Jugend verkohlt. Es ist eine einfache, aber heroische Philosophie; was gegen unsere Einheit ist, muß auf den Scheiterhaufen.«

Das, Herr General, ist der Ausdruck des Sturmes und Dranges einer Jugend, die ihre soziale Einheit findet.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nach Ihrer Meinung also geht die Philosophie dahin, daß die Kinder nicht mehr mit Spielzeug spielen, sondern andere Dinge tun sollen. Habe ich Sie richtig verstanden? Ich sehe keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem, was ich sagte und dem, was Sie vorlasen.

VON SCHIRACH: Ich darf dazu bemerken, daß in Bezug auf die militärische Erziehung die deutsche Jugend doch wohl sehr weit hinter der der Sowjetunion zurücksteht.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dies ist ein unerheblicher Vergleich. Auf Seite 98 Ihres Buches sagen Sie: »Sie«, die deutsche Jugend, »strebt es an, politische Soldaten zu sein, ihr Vorbild ist Adolf Hitler.« Haben Sie das geschrieben?

VON SCHIRACH: Ich habe die Stelle nicht, Seite 98?

VORSITZENDER: Der Zeuge hat doch zugegeben, daß er das ganze Buch geschrieben hat, nicht wahr?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Um keine Zeit zu vergeuden, gehen wir zur zweiten Frage über.

Sie haben bereits von der besonders errichteten motorisierten Hitler-Jugend gesprochen. Sie behaupten, daß diese Organisation nur sportliche Ziele verfolgte, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Ich habe auch im Zusammenhang mit der Ausbildung der Motor-HJ von Geländesport und Geländefahren gesprochen. Ich habe auch gesagt, daß ich anerkenne, daß die Motor-HJ eine vormilitärische Bedeutung hat. Ich habe da nichts bestritten.

VORSITZENDER: Herr Dodd hat den Zeugen längere Zeit kreuzverhört über diese besonderen Einheiten der Hitler-Jugend, ich glaube wirklich, daß es nicht viel Zweck hat, wenn wir uns nochmals damit beschäftigen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Präsident! Einige Punkte, die noch nicht geklärt sind, werden durch die nachfolgenden Fragen geklärt werden.

Haben Sie gewußt, daß Ende 1938 die Organisation der motorisierten Hitler-Jugend aus 92 Abteilungen, das heißt aus 100000 jungen Menschen bestand?

VON SCHIRACH: Ob sie aus 92 Abteilungen bestand, kann ich aus dem Gedächtnis nicht sagen, weil das übersetzte Wort »Abteilung« keinem Einheitsbegriff in der HJ entspricht. Die exakte Stärke der Motor-HJ 1938 habe ich in meiner eigenen Aussage hier entweder gegenüber meinem Verteidiger oder gegenüber Mr. Dodd ausgesagt; ich habe genaue Zahlenangaben über die Stärke der Motor-HJ 1938 gemacht.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich spreche von 1938 und gebe die Zahl von 100000 Jungen an, die der Organisation der Motor-HJ angehörten. Ist es Ihnen bekannt?

VON SCHIRACH: Ich kann aus dem Gedächtnis nicht sagen, ob 1938 100000 Jungens in der Motor- HJ waren oder nicht; es können 60000, es können 120000 gewesen sein, ich kann das nicht sagen, ich weiß es nicht, mir fehlen die Unterlagen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich nenne diese Ziffer aus den in der Zeitschrift »Das Archiv« befindlichen Angaben. Ich erinnere an die Aufgaben dieser Organisation laut Angaben, die in dieser Zeitschrift im November/Dezember 1939 erschienen sind. Ich zitiere:

»Hiernach erfolgt... eine Vorschulung der Jungen soll in besonderen Lehrscharen.... Den Abschluß der Schulung der Motorsportscharen bildet ein Kursus auf einer der Motorsportschulen des NSKK.«

Ich zitiere diesen Auszug aus dem Dokumentenbuch der Verteidigung. Es ist Dokument Nummer 20, Seite 50 des russischen Textes. Ich wiederhole das Zitat vom Anfang an:

»Vereinbarung über die Ausbildung der Motorsportscharen der HJ.« »Hiernach erfolgt... eine Vorschulung der Jungen in besonderen Lehrscharen.... Den Abschluß der Schulung der Motorsportscharen bildet ein Kursus auf einer der Motorsportschulen des NSKK. Zu diesem Lehrgang können jedoch nur Hitlerjungen zugelassen werden, die im 18. Lebensjahr stehen oder das 18. Lebensjahr vollendet haben. Das Lehrprogramm der Motorsportschule umfaßt neben der kraftfahrtechnischen Ausbildung, dem Erwerb des Führerscheins und der Unterweisung in der Kunst des Geländefahrens auch die weltanschauliche Schulung. Hitlerjungen, die an einem Kursus mit Erfolg teilgenommen haben, werden als Nachwuchs in das NSKK übernommen.«

Das stimmt mit Ihrer Erklärung, daß die Ziele sportliche waren, nicht ganz überein. Nicht wahr?

VORSITZENDER: Wir haben ein langes Kommentar über diese besonderen Einheiten gehört, und wir wollen es nicht nochmals hören. Wenn Sie neue Fragen haben, die von Herrn Dodd noch nicht behandelt worden sind, dann wollen wir sie gerne hören, aber wir wollen keine Einzelheiten mehr darüber, ob die Kraftfahrerkorps aus 60000, 70000 oder 100000 oder 120000 Hitlerjungen bestanden.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe Punkte zitiert, die bisher noch nicht zitiert wurden.

VORSITZENDER: Wir wollen das nicht hören, General, wir wollen es nicht hören.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich gehe nun zur nächsten Frage über.

Sie haben das für das ganze Land geltende Ausbildungsbuch für die Mitglieder der HJ, »HJ im Dienst« herausgegeben. In Ihren Vorschriften waren folgende Übungen mit der Jugend vorgesehen: Die Waffenlehre, die Theorie des Schießens, Zielübungen, Schießübungen, militärische Übungen, topographische Übungen, Geländeübungen; ein Anhang enthält außerdem Anweisungen zum Gebrauch von Kompaß und Winkelmesser. Kennen Sie diese Vorschriften? Haben auch diese Vorschriften, Ihrer Meinung nach, mit der Vorbereitung der deutschen Jugend zum Krieg nichts zu tun?

VON SCHIRACH: Ich habe über das Ausbildungsbuch »HJ im Dienst« hier in meiner Aussage am vergangenen Donnerstag ausführlich gesprochen, insbesondere auch über die Schießausbildung, die in diesem Buch 40 Seiten umfaßt, und habe in diesem Zusammenhang bemerkt, daß diese Schießausbildung nach den Regeln des internationalen Sportschießens für Kleinkaliberbüchsen durchgeführt wird und daß die britische Board of Education allen Boy-Scouts diese Schießausbildung sowohl als das ganze Buch empfohlen hat. Mehr kann ich nicht dazu sagen. Ich bestreite nicht, daß ich dieses. Buch »Hitler-Jugend« herausgegeben habe und daß es für die Ausbildung als Richtlinie diente. Das habe ich aber neulich auch schon gesagt.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben hier verneint, daß die Hitler-Jugend eine wichtige Rolle in der Fünften Kolonne in Polen spielte. Dieselben Methoden wurden besonders auch in Jugoslawien angewandt. Die Jugoslawische Regierung hat der Sowjetischen Anklagebehörde verschiedene Dokumente zur Verfügung gestellt, die die Mitwirkung der deutschen Jugendorganisation unter Führung der »Hitler-Jugend« bei der Schaffung der Fünften Kolonne auf jugoslawischem Gebiet feststellt. Ist Ihnen etwas darüber bekannt, wissen Sie etwas darüber?

VON SCHIRACH: Die Hitler-Jugend hat nie in einer Fünften Kolonne gearbeitet, weder in Jugoslawien noch anderswo.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich verlese Auszüge aus dem offiziellen Bericht der Jugoslawischen Regierung. Dieses Dokument wurde dem Gerichtshof bereits als USSR-36 vorgelegt. Ich zittere Seite 3 des russischen Textes:

»Die Regierung des Dritten Reiches und Hitlers Partei organisierten in geheimer Weise die deutsche Minderheit.... Seit 1930 hatten sie ihre Massenorganisation, den schwäbisch-deutschen Kulturbund.... Schon 1932 vertritt Dr. Jakob Awender,.. den Standpunkt der gänzlichen Faschisierung des Kulturbundes.

Im Jahre 1935 stellte er sich an die Spitze der ›aktiven Jugendlichen‹, die sich bald darauf ›Erneuerer‹ nennen.«

Wissen Sie etwas darüber?

VON SCHIRACH: Nach den Mitteilungen, die Sie eben gegeben haben, kann ich mich nicht dazu äußern. Ich verstand soviel, daß Bohle einige Jugendführer als Beauftragte dort gehabt hat. Ich weiß darüber nichts Genaues, ich kann Ihnen zur Frage Jugoslawien aus meiner früheren Tätigkeit sagen, daß ich eine sehr gute Beziehung zur jugoslawischen Jugend unterhielt, eine sehr freundschaftliche und kameradschaftliche Beziehung, in der Zeit vor dem Kriege.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das interessiert mich nicht. Ich möchte versuchen, Ihrem Gedächtnis zu helfen durch Zitierung einiger Auszüge aus dem ergänzenden Bericht der Jugoslawischen Regierung, der dem Gerichtshof als Beweisstück USSR- 357 vorliegt. Auf Seite 5, Zeile 3 des russischen Textes dieses Dokuments wird gesagt:

»Vom Jahre 1937 an,... begann unter den Volksdeutschen in unserem Lande eine nazistische Orientierung, und die ersten volksdeutschen Jünglinge begaben sich in nazistische Spezialkurse ins Reich.«

Weiter auf Seite 8 lesen wir:

»Später, aber noch vor dem Ausbruch des Krieges mit der Sowjetunion, traten die meisten als aktive Offiziere in die deutsche Armee.... Außerdem wurde von jüngeren und älteren Jahrgängen die SS-Division ›Prinz Eugen‹ gebildet.« Leugnen Sie diese Tatsachen?

VON SCHIRACH: Ich kann einige zugeben, andere muß ich verneinen; mit anderen Worten, ich muß also eine Erklärung abgeben. Seit 1933 habe ich mich bemüht, ein gutes Verhältnis mit der jugoslawischen Jugend herzustellen. Ungefähr seit 1936 oder 1937 liefen auch Einladungen von mir an jugoslawische Jugendgruppen, genau so wie an Jugendgruppen aller Länder Europas, sich deutsche Jugendeinrichtungen anzusehen. Es sind also jugoslawische Jugendliche tatsächlich in Erwiderung solcher Einladungen nach Deutschland gekommen. Von einem Eintritt jugoslawischer Jugendlicher in die deutsche Armee weiß ich nichts, ich glaube nicht daran. Ich kann nur sagen, daß in der Zeit, als der Prinzregent Paul in Jugoslawien regierte, eine sehr enge Zusammenarbeit mit der jugoslawischen Jugend war. Während des Krieges haben wir sowohl mit serbischer als auch mit kroatischer Jugend gute Beziehungen unterhalten. Es waren sowohl deutsche Jugendliche dort gewesen als auch serbische und kroatische Jugendliche in deutschen Jugendlagern, deutschen Führerschulen und so weiter und haben sich unsere Einrichtungen angesehen. Das ist so ungefähr alles, was ich darüber mitteilen kann. Das war aber nicht nur eine Beziehung zwischen uns und Jugoslawien, sondern auch eine Beziehung, die mit sehr vielen anderen Ländern bestand.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben mich nicht richtig verstanden. Ich meine ja nicht die jugoslawische und kroatische Jugend, ich spreche von der Jugend der deutschen Minderheit in Jugoslawien, die in diesem Bericht erwähnt wird und die mit Hilfe der Hitler-Jugend Zentren für die Tätigkeit der Fünften Kolonne in Jugoslawien schuf, um subversive Handlungen durchzuführen und für die Waffen-SS und die Wehrmacht Rekruten zu stellen. Das ist, worüber ich spreche. Sind Ihnen diese Tatsachen bekannt?

VON SCHIRACH: Ich weiß, daß es volksdeutsche Jugend in Jugoslawien gab, genau so, wie es volksdeutsche Jugend in Rumänien und Ungarn gab. Ich weiß, daß diese Jugend sich als Hitler-Jugend fühlte. Daß sie beim Einmarsch der deutschen Truppen diese Truppen begrüßt hat, halte ich auch für selbstverständlich. Inwieweit eine direkte Zusammenarbeit bestand zwischen den Truppen und der Jugend, darüber kann ich nichts sagen; aber sie ist ganz natürlich. Es ist natürlich keine militärische Zusammenarbeit, sondern eine Zusammenarbeit, wie sie sich eben zwischen einer Besatzungstruppe und der Jugend, die der gleichen Nation oder dem gleichen Volkstum angehört wie die Besatzungstruppe, immer ergeben wird. Es hat deshalb nichts mit Spionage oder Agententätigkeit zu tun.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Aber der größte Teil der SS-Division »Prinz Eugen«, die auf jugoslawischem Boden aufgestellt worden war, wurde aus Mitgliedern der Hitler-Jugend, die der deutschen Minderheit in Jugoslawien angehörten, gebildet. Dies war das Ergebnis der vorbereitenden Arbeit der Hitler-Jugend. Geben Sie das zu?

VON SCHIRACH: Ich weiß nicht, wie sich die Divisionen der Waffen-SS, deren es sehr, sehr viele gab, rekrutiert haben. Es ist möglich, daß sie sich an Ort und Stelle auch aus volksdeutschen Elementen rekrutiert haben; genaues kann ich darüber nicht sagen, ich weiß es nicht.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich möchte jetzt aus zwei deutschen Dokumenten zitieren. Sie sind dem Gerichtshof noch nicht vorgelegt worden. Das erste ist ein Auszug aus einem Buch von Dr. Janko Sepp, Jugendführer in Jugoslawien. Es ist »Reden und Aufsätze« betitelt. Er schrieb:

»Unsere gesamte nationale Arbeit war bis zum 1. September 1939 von der Hilfe des Reiches abhängig. Als am 1. September 1939 der Krieg ausbrach und es anfangs unmöglich erschien, daß wir auch weiter unterstützt werden, bestand die Gefahr, daß unsere ganze Arbeit unterbrochen wird...«

Und weiter:

»... Daß sich aber im großen gesehen die gesamte deut sche Volksgruppe im einstigen Jugoslawischen Staate in dieser für ein Volk und für die Wertung eines Volkes entscheidenden Frage hundertprozentig dem Führer zur Verfügung stellte und ihm so viele freiwillige Soldaten gab, macht mich persönlich ungemein stolz...«.

Ich lege den Auszug aus diesem Buch dem Gerichtshof als Beweisstück USSR-459 vor.

Der zweite Auszug ist aus einem Artikel »Wir in der Batschka«, den der Bannführer der deutschen Jugend dieser Gegend, Otto Kohler, im Jahre 1943 schrieb. Ich lege dieses Dokument dem Gerichtshof als USSR-456 vor. Otto Kohler schrieb: »... daß sich 90 Prozent der deutschen Menschen hier in diesem Lande zu dieser Volksgemeinschaft bekennen. Auch unsere Jugend steht 90prozentig in den Reihen der Dj.«

Diese Erklärungen sollten Sie davon überzeugen, daß die subversive Tätigkeit und die Organisation einer Fünften Kolonne, die Propagierung des nazistischen Gedankens bei der deutschen Minderheit und die Bildung von militärischen Einheiten aus dieser Minderheit auf jugoslawischem Gebiet durch die Hitler-Jugend durchgeführt wurden. Bitte, antworten Sie mit Ja oder Nein!

VON SCHIRACH: Nein. Ich möchte aber zu den Dokumenten Stellung nehmen. Dieser Dr. Sepp Janko, der Führer der Volksdeutschen in Jugoslawien gewesen sein soll, ist mir sowohl dem Namen nach unbekannt, als auch der Person nach unbekannt. Ich habe Jugoslawien mehrfach früher besucht. Ich habe weder in der Zeit als ich, ich glaube 1937, zum erstenmal dort war, noch 1938, als ich den Prinzregenten Paul besuchte, mich mit der volksdeutschen Jugend und volksdeutschen Jugendführern dort überhaupt befaßt. Ich habe damals ausschließlich nur mit national-jugoslawischen Jugendlichen gesprochen. Das ist alles, was ich zum ersten Dokument zu sagen habe, das sich ja im übrigen auch überhaupt nicht auf die Jugend bezieht. Zum zweiten Dokument, das unterschrieben ist von einem Otto Kohler, der sich »D.J.-Führer« im Bann 7 nennt, also wahrscheinlich soll es heißen »Deutscher Jugendführer«, kann ich nur sagen, daß es einem Buch über die deutsche Jugend in Ungarn entstammt, das 1943 erschienen ist. Wir haben in der Batschka eine sehr, sehr große Siedlung von Deutschen gehabt, die seit 150 Jahren dort lebten oder 200 Jahren, und dieser Jugendführer hat die deutsche Jugend dort organisiert, und zwar mit Genehmigung der Ungarischen Regierung, mit Genehmigung des ungarischen Unterrichtsministers und in Zusammenarbeit mit den sonstigen ungarischen Stellen. Es ist eine völlig legale Maßnahme, wegen der zwischen den beiden Ländern gar keine Kontroverse bestanden. Diese Jugendlichen waren nicht Mitglieder der deutschen Hitler-Jugend, sondern national-ungarische Jugendliche deutscher Volkszugehörigkeit, der deutschen Minderheit in Ungarn.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Hatte denn die Reichsleitung mit solchen Organisationen der Hitler-Jugend im Ausland nichts zu tun?

VON SCHIRACH: Natürlich haben wir diese Jugendlichen auch besucht. Wenn ich zum Beispiel in Budapest zu Gast war, ist mir von den Ungarn selbst angeboten worden, ob ich einmal ein volksdeutsches Dorf und volksdeutsche Jugend besuchen wollte. Dagegen hatte weder der Reichsverweser etwas einzuwenden noch sonst eine Regierungsstelle. Ich hatte gar keine Veranlassung, durch deutsche Jugendführer etwa Spionage in Ungarn zu betreiben. Ich hätte ja genau so gut ungarische Jugendführer fragen können, mit denen ich sehr, sehr gute Beziehungen unterhielt.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wer hatte die Leitung der Auslandsorganisationen der Hitler-Jugend inne? Es gab doch eine spezielle Auslandsabteilung bei der Reichsjugendführung, deren Aufgabe es war, die deutschen Jugendorganisationen im Auslande zu leiten?

VON SCHIRACH: Das ist nicht richtig. Das Auslandsamt der Reichsjugendführung war, wenn man so sagen kann, das Foreign Office der jungen Generation. Die Aufgabe des Auslandsamtes bestand darin, die Verbindungen mit anderen nationalen Jugendorganisationen zu unterhalten, also die fremdvölkischen Jugendführer einzuladen, die Wanderungen fremder Jugend in Deutschland zu organisieren und die Fahrten deutscher Jugend in anderen Ländern im Zusammenwirken der Auswärtigen Ämter zu regem, das heißt, dieses Auslandsamt der Reichsjugendführung wandte sich in einem solchen Fall ans Auswärtige Amt, das dann seinerseits sich an den Botschafter oder Gesandten des betreffenden Staates, um den es sich handelte, wandte. Die Organisation der Jugend im Auslande, wie Sie hier meinen, das war eine Untergliederung der AO, deren Chef Gauleiter Bohle war, der hier in diesem Gericht schon gesprochen hat. Diese Auslandsjugend war deutsche nationale Jugend, also Jugend deutscher Staatsangehörigkeit in anderen Ländern, die dort eben Einheiten der Hitler-Jugend bildete; also sagen wir einmal in Budapest die Kinder der deutschen Kolonie, von den Kindern des Gesandten angefangen über die Kinder...

VORSITZENDER: Angeklagter! Es ist sicherlich nicht notwendig, eine so lange Rede darüber zu halten.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie verlieren sich zu sehr in Einzelheiten.

Nun die nächste Frage: Beim Ministerium für die besetzten Ostgebiete wurde im ersten Hauptamt eine besondere Jugendabteilung gegründet. Was wissen Sie über die Tätigkeit dieser Abteilung und darüber, in welcher Beziehung diese zu der Reichsjugendführung stand? Antworten Sie bitte kurz!

VON SCHIRACH: Aus meiner Kenntnis heraus kann ich sagen, daß bei der Bildung des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete Reichsleiter Rosenberg damals den Wunsch gegenüber dem Reichsjugendführer aussprach, er möge ihm einen Mitarbeiter für das »Amt Jugend« oder die »Abteilung Jugend« im Ministerium benennen. Dieser Mitarbeiter wurde benannt, er ist dann ins Ministerium eingebaut worden und hat dort die Jugendabteilung geleitet, natürlich unter der Verantwortung des Ostministers. Mehr kann ich darüber nicht sagen. Berichte dieser Abteilung habe ich nicht bekommen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie wollen also sagen, daß die Reichsjugendführung einen Vertreter in das Ministerium für die besetzten Ostgebiete ernannte und daß dieser Herr keine Berichte an die Reichsjugendführung erstattete, ist das richtig?

VON SCHIRACH: Herr General! Ich wollte sagen, dieser Abteilungschef oder wer es gewesen ist, oder Beamte im Ostministerium, der aus der Hitler-Jugend stammte, hat mir nicht Bericht erstattet. Er hat selbstverständlich seinen nächsten Vorgesetzten in der Reichsjugendführung Bericht erstattet. Die Reichsjugendführung befindet sich bekanntlich in Berlin, und ich nehme an, daß die Mitarbeiter des Stabes der Reichsjugendführung mit ihm in ständiger Verbindung standen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich verstehe. Demnach sind alle Maßnahmen der Jugendabteilung im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete im Einklang mit der Führung der Hitler-Jugend durchgeführt worden, ist das richtig?

VON SCHIRACH: Die Maßnahmen, die dort durchgeführt wurden, wurden vollzogen nach den Richtlinien des Reichsministers, der ja der unmittelbare Vorgesetzte seiner Beamten war. Soweit es sich um ausgesprochene Jugendmaßnahmen handelte, Behandlung von Jugendlichen und so weiter, hat sicherlich dieser betreffende Beamte oder Jugendführer sich bei der Reichsjugendführung unterrichtet und entsprechend Bericht erstattet. Verantwortlich, muß ich sagen, ist immer für den Jugenddezernenten in einem Ministerium der Minister, nicht das Haus, aus dem der Jugenddezernent stammt.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich verstehe. Auf die Frage Ihres Verteidigers hinsichtlich der Teilnahme der Hitler-Jugend an den Greueltaten in Lemberg, haben Sie geantwortet, daß die diesbezüglichen Aussagen der Französin Ida Vasseau, die im Bericht der Außerordentlichen Staatskommission enthalten sind, unwahr wären.

Herr Präsident! Die Sowjetische Anklagebehörde hatte Gelegenheit, die Zeugin Ida Vasseau zu vernehmen. Der Verteidiger des Angeklagten Schirach suchte ebenfalls um eine Vernehmung nach. Ich lege dem Gerichtshof jetzt Auszüge aus der Aussage der Zeugin Ida Vasseau vom 16. Mai 1946 vor und möchte dem Dokument die Bezeichnung USSR-455 geben. Ich verlese diese Auszüge:

»An den Grausamkeiten, die gegen die Juden und die polnische und sowjetische Bevölkerung in der Stadt Lemberg verübt worden sind, nahmen nicht nur erwachsene Deutsche und alte Nazis teil, sondern auch die deutsche Jugend, vertreten durch Mitglieder der faschistischen Jugendorganisation in Lemberg, der ›Hitler-Jugend‹.

Diese in Uniform gekleideten, mit Jagdmesser, Knüppeln, Schwertern und oft mit Pistolen bewaffneten Burschen rannten in Banden in der Stadt herum, stürzten in jüdische Wohnungen und verwüsteten sie, töteten die Bewohner, Erwachsene und Rinder. Sehr oft hielten sie die ihnen verdächtig vorkommenden Kinder auf der Straße an mit dem Ruf: ›Du bist ein Jude!‹ oder ›Du bist eine Jüdin!‹ und erschossen sie auf der Stelle. Diese Mitglieder der Hitler-Jugend hatten den besonderen Auftrag, jüdische Wohnungen ausfindig zu machen, versteckte Juden zu finden, Fallen zu stellen und Straßenpassanten zu überfallen, wobei sie einige von ihnen unter dem Vorwand, sie seien Juden, auf der Stelle töteten und andere zur Gestapo schleppten; ihre Opfer waren oft Russen, Polen, Ukrainer oder Personen anderer Nationalitäten. Dieser Terror der erwachsenen und jungen Deutschen herrschte bis zum letzten Tag der deutschen Besetzung.... Es war offenbar, daß die Deutschen die vollständige Vernichtung der Juden anstrebten, indem sie sogar die jüdische Nachkommenschaft auszurotten trachteten. Diese Absicht konnte genau beobachtet werden bei den Ghettoaktionen, wo Kinder verschiedenen Alters systematisch und planmäßig umgebracht wurden, nachdem man sie in besonderen jüdischen Kinderheimen versammelt hatte. Sobald genügend Kinder beisammen waren, drangen die Gestapo und SS-Leute, begleitet von Hitler-Jugend ein.... Sie töteten sie auf der Stelle...«

Ende des Zitats.

Demnach nahm die Hitler-Jugend im Dienst der Deutschen Wehrmacht, der SS und der Gestapo an diesen und ähnlichen Greueltaten teil. Geben Sie das zu?

VON SCHIRACH: Ich glaube kein Wort von dem, was hier in diesem Protokoll steht.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Gut, das ist Ihre Sache.

Herr Präsident! Ich lege dem Gerichtshof ein weiteres Dokument, USSR-454 vor, das Auszüge aus den Aussagen des deutschen Kriegsgefangenen Gert Bruno Knittel enthält.

Gert Bruno Knittel, Hutmacher von Beruf, wurde im Jahre 1924 in Sachsen, Kreis Rochlitz, geboren. Seit 1938 war er Mitglied der Hitler-Jugend. Seine Schwester Ursula war Mitglied des Nationalsozialistischen Bundes Deutscher Mädel.

Im Jahre 1942, also im Alter von 18 Jahren, wurde er zur Deutschen Wehrmacht eingezogen. Er ist also ein typischer Vertreter der Hitler-Jugend und gerade deswegen ist seine Aussage von Interesse. Ich lese das, was er über seinen Dienst in der Deutschen Wehrmacht aussagt, vor:

»Mindestens zweimal wöchentlich ließ man uns Wälder durchkämmen...«

DR. SAUTER: Herr Präsident! Gegen die Verwertung dieser Urkunde, von der uns eben eine Abschrift übergeben worden ist, muß ich Verwahrung einlegen. Aus dem, was ich da habe, ergibt sich überhaupt nicht, ob diese Urkunde unterzeichnet wurde. Es ergibt sich auch nicht, ob diese Urkunde beschworen worden ist, und es ist auch nicht ersichtlich, wer diese Urkunde, die anscheinend ein Protokoll sein soll, im einzelnen aufgenommen hat. Diese Fragen müssen meines Erachtens geklärt werden, und solange diese Klärung nicht erfolgt ist, muß ich Widerspruch erheben. Ich darf vielleicht, Herr Präsident, in diesem Zusammenhang gleich auch zu der anderen Urkunde Stellung nehmen, die vorhin verlesen worden ist, nämlich zu der Vernehmung einer Ida Vasseau, ich kann den Namen schwer lesen, wie er eigentlich geschrieben ist.

Ich vermute, daß diese Zeugin identisch ist mit derselben französischen Staatsangehörigen Ida Vasseau, bezüglich der Sie, meine Herren Richter, einen Fragebogen gebilligt haben und für die auch seinerzeit schon längst Fragen vorgelegt worden sind. Wir warten nun auf die Rückkehr der Antworten auf diesen Fragebogen und bekommen nun heute ein Protokoll, das sich anscheinend auf dieselbe Zeugin bezieht, vom 16. Mai 1946. Und hier ist es nun auffällig, daß diese Zeugin...

VORSITZENDER: Ich kann dem, was Sie sagen, nicht ganz folgen. Wollen Sie sagen, daß Sie an die Person, die angeblich dieses Dokument ausgefertigt hat, einen Fragebogen gerichtet haben?

DR. SAUTER: Ich nehme als sicher an, daß es dieselbe Person ist. Es ist zwar in dem Protokoll vom 16. Mai der Name anders geschrieben, aber es müßte ja merkwürdig sein...

VORSITZENDER: Ich höre die Übersetzung nicht. Ich kann nicht hören, was Sie sagen. Sagen Sie, daß Sie an die Person, die dieses Dokument ausgestellt hat, einen Fragebogen gerichtet haben?

DR. SAUTER: Das Hohe Gericht hat einen Fragebogen für die Französin Ida Vasseau genehmigt. Vasseau, ich buchstabiere: V-a-s-s-e-a-u. Es ist das die Französin Ida Vasseau, die in einer Anstalt in Lemberg tätig war und die in dem Lemberger Kommissionsbericht erwähnt wird. Sie erinnern sich vielleicht, Herr Präsident, in einem dieser Berichte ist doch erwähnt, daß Kinder aus dem Ghetto an die Hitler-Jugend verschenkt worden seien und daß die Hitler-Jugend auf diese Kinder dann Schießübungen veranstaltet habe. Das ist die Zeugin Ida Vasseau, und ich glaube bestimmt, daß das dieselbe Ida Vasseau ist, die jetzt in dem Protokoll vom 16. Mai 1946 erscheint. Nun ist das Merkwürdige: Im Protokoll vom 16. Mai 1946 äußert sie sich nicht zu dem, worüber sie nach dem Fragebogen vernommen werden sollte. Statt dessen bringt sie hier weitere Behauptungen, die sie früher in dem Lemberger Kommissionsbericht offenbar nicht aufgestellt hat. Das ist also eine ganz mysteriöse Angelegenheit, und ich glaube, ich würde dem Recht des Angeklagten Schirach etwas vergeben, wenn ich gegen diese..., wenn ich Ihre Aufmerksamkeit nicht auf diese Widersprüche lenken würde.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Darf ich eine Erklärung abgeben?

VORSITZENDER: Wir würden gern Ihre ausführliche Antwort auf das hören, General, was Dr. Sauter soeben gesagt hat.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ida Vasseau, aus deren Erzählungen ich Auszüge verlesen habe, ist zweifelsohne die gleiche Person, von der Dr. Sauter spricht. Nur weiß ich nicht, durch wen, wohin und auf welchem Wege der Fragebogen an sie gesandt wurde. Er ist nicht durch unsere Büros gegangen. Ida Vasseau wurde auf unsere eigene Initiative hin verhört, und wir konnten dies nur am 16. Mai tun. Da wir keinen Fragebogen erhalten haben, konnten wir diesen auch nicht weitersenden, weil das Verhör...

VORSITZENDER: Mir liegt das Dokument nur in deutscher Sprache vor. Es scheint überhaupt nicht von einer Person namens Vasseau unterschrieben oder ausgestellt worden zu sein. Ich weiß nicht, ob es sich mit etwas beschäftigt, was Ida Vasseau gesagt haben soll.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Das Dokument ist unterschrieben.

VORSITZENDER: Ich habe gesagt, daß das Dokument nicht von der Vasseau unterschrieben ist.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dieses Dokument ist unterschrieben. Ich lese: Ida Vasseau-Thom, es folgen die Unterschriften derjenigen, die das Verhör durchgeführt haben, nämlich des Chefs der Untersuchungsabteilung von der Staatsanwaltschaft des Lemberger Gebietes, Kryzanowsky, und des Staatsanwalts für das Lemberger Gebiet, Kornetow. Das Verhör wurde am 16. Mai durchgeführt.

VORSITZENDER: Sehen Sie sich das Dokument an, und stellen Sie fest, ob es das richtige Dokument ist!

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Jawohl, dies sind Auszüge aus dem Verhör der Ida Vasseau.

VORSITZENDER: Ist das dasselbe Dokument?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Jawohl, jawohl, es ist dasselbe Dokument, das wir jetzt dem Gerichtshof vorlegen.

VORSITZENDER: Haben Sie das Original vor sich?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nein. Das ist ein Auszug aus dem Protokoll, der vom Leiter der Dokumentenabteilung der Sowjetischen Delegation, Oberst Karew, beglaubigt ist. Es ist nicht das Originalprotokoll des Verhörs. Es sind Auszüge aus diesem Protokoll.

VORSITZENDER: Sagen Sie, daß es sich um ein Dokument handelt, das gemäß Artikel 21 des Statuts zulässig ist, oder was sagen Sie dazu?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Wir legen es vor. Sollte der Gerichtshof der Auffassung sein, daß das Originalprotokoll, welches sich in Lemberg befindet, beigebracht werden muß, so kann es in kurzer Zeit geschehen. Sollten dem Gerichtshof diese Auszüge nicht genügen, so können wir sehr leicht das ganze Protokoll nachträglich vorlegen.

VORSITZENDER: Wollen Sie uns bitte sagen, was das Dokument ist? Ist es ein Affidavit? Ist es beschworen? Ist es vor einer Behörde der Sowjetunion ausgestellt worden?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Hier ist ein Verweis auf die Verantwortlichkeit für falsche Aussagen laut Artikel 89 des Strafgesetzbuches der Ukrainischen SSR. Diese Warnung entspricht dem in der Sowjetunion geltenden gesetzlichen Verfahren, und diese Warnung ist auch Ida Vasseau gegeben worden. Darüber ist ein besonderer Vermerk im Protokoll zu finden.

VORSITZENDER: Sagen Sie, daß es sich um ein Dokument handelt, das unter Artikel 21 des Statuts fällt?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Jawohl, aber wenn der Gerichtshof es für nötig hält, so werden wir später die Möglichkeit haben, das Originalprotokoll vorzulegen. Jetzt aber möchte ich Sie bitten, diese Auszüge, die vom Leiter unserer Dokumentenabteilung beglaubigt sind, anzunehmen.

VORSITZENDER: Dr. Sauter! An welchem Tage wurde Ihr Fragebogen vom Gerichtshof genehmigt, und wann wurde er an diese Person gesandt?

DR. SAUTER: Herr Präsident! Der Fragebogen trägt das Datum vom 11. April.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Der Fragebogen konnte nicht befördert werden, weil wir nicht wußten, wo die Zeugin Vasseau sich aufhielt. Wir konnten sie erst kürzlich ausfindig machen.

VORSITZENDER: Wollen Sie sagen, daß der Fragebogen der Person, die diese Aussage gemacht hat, noch nicht vorgelegt worden ist?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Dieser Fragebogen ist und konnte seine Bestimmung noch nicht erreichen, da wir, ich wiederhole, bis vor ganz kurzer Zeit noch nicht wußten, wo sich die Zeugin Vasseau aufhielt.

VORSITZENDER: Als Sie den Aufenthaltsort der Zeugin festgestellt hatten, wäre der Fragebogen vorzulegen gewesen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Jawohl, das kann jetzt geschehen, wenn dies nötig ist.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Darf ich auf folgendes hinweisen:

Diese Frau Ida Vasseau war doch bei Abgabe der Erklärung, die im Kommissionsbericht kurz wiedergegeben ist, in Lemberg; das ergibt sich aus dem Kommissionsbericht. Ich glaube, es ist USSR-6, ich weiß es aber nicht bestimmt. Und jetzt, am 16. Mai 1946, war diese Frau, Ida Vasseau, ja auch in Lemberg. Diese Frau ist also nicht unbekannten Aufenthaltes; sie ist ja am 16. Mai vernommen worden. Nun habe ich über den Fragebogen, der an Frau Ida Vasseau gerichtet ist, mich ja mit der Staatsanwaltschaft seinerzeit wegen der Fassung der Fragen geeinigt, weil es zunächst geheißen hat, es seien Suggestivfragen enthalten, beziehungsweise irgend etwas stimme nicht ganz. Und ich habe dann die Fragen, die ich dem Gericht vorgelegt habe, entsprechend den Wünschen der Staatsanwaltschaft abgeändert. Also könnte Ida Vasseau, wenn die Sowjetrussische Delegation dazu bereit ist, ja jederzeit vernommen werden. Merkwürdig ist nun, in der neuen Erklärung äußert sich die Frau über etwas ganz anderes als das, was in ihrer früheren Erklärung steht und über etwas ganz anderes als das, worüber sie sich nach dem Fragebogen äußern sollte. Ich bin der Meinung, daß es wohl zweckmäßig wäre, Frau Ida Vasseau hierher kommen zu lassen.

VORSITZENDER: Einen Augenblick, welche frühere Erklärung meinen Sie? Welche frühere Erklärungen meinen Sie?

DR. SAUTER: Die Erklärung in dem Kommissionsbericht der Stadt Lemberg. Dieser Kommissionsbericht ist einmal verlesen worden und in ihm steht eben, daß die Hitler-Jugend das mit den Kindern gemacht haben soll, und darauf bezieht sich ja auch mein Fragebogen, den Sie genehmigt haben.

VORSITZENDER: General! Wurde der von Dr. Sauter eingereichte Fragebogen der Zeugin Vasseau vorgelegt?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Nein, er wurde nicht an die Zeugin gesandt.

Darf ich, um die Sache zu klären, auf die Geschichte dieses Fragebogens noch einmal zurückkommen?

Die Sowjetische Anklagebehörde legte dem Gerichtshof ein Dokument vor, den Bericht der Außerordentlichen Staatskommission über die deutschen Greueltaten im Lemberger Gebiet. In diesem Dokument war eine Aussage der Zeugin Vasseau enthalten. Sie wurde damals von niemandem verhört. In dieser Aussage teilte sie mit, daß sie Augenzeuge davon war, wie die Hitler-Jugend kleine Kinder als Zielscheibe benützte. Das war die Erklärung in dem Bericht der Außerordentlichen Staatskommission. Dieses Dokument wurde vom Gerichtshof angenommen. Dann wurde auf unsere Initiative hin – der Fragebogen Dr. Sauters gelangte nicht zu uns, und wir haben ihn auch nicht abgesandt – der Aufenthaltsort von Ida Vasseau festgestellt. Sie wurde in Ergänzung zu dem, was sie der Außerordentlichen Staatskommission bereits ausgesagt hatte, erneut von Untersuchungsbehörden vernommen.

Ich lege dem Gerichtshof nun Auszüge aus ihrem Verhör vom 16. Mai vor, in welchem sie über einige Einzelheiten der Behandlung von Kindern durch die Hitler-Jugend aussagt.

VORSITZENDER: Wir alle verstehen das, General. Die Frage ist jedoch: Warum, wenn Fragebogen vom Gerichtshof genehmigt und von der Anklagebehörde gesehen worden sind, die von irgendwann im April stammen, warum wurde diese Zeugin im Mai verhört, ohne daß sie diesen Fragebogen zu sehen bekam? Dr. Sauter, dieses Dokument ist doch vom 16. Mai 1946 datiert?

Dr. Sauter sagt uns, daß der Fragebogen vom Gerichtshof im April genehmigt wurde.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich weiß nicht, an wen Dr. Sauter seinen Fragebogen gesandt hat. Er sandte ihn nicht durch unser Büro. Ich wiederhole, daß wir diesen Fragebogen nicht weitergeleitet haben und nicht weiterleiten konnten, da wir nicht wußten, wo Ida Vasseau sich aufhielt. Sie wurde auf unsere Veranlassung ausfindig gemacht und nach Feststellung ihres Aufenthaltsortes vernommen, nämlich am 16. Mai.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Sitzung unterbrechen.