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[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

Nachmittagssitzung.

[Der Angeklagte von Schirach im Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird dieses Dokument zur Zeit nicht zulassen, wünscht jedoch, daß Sie uns das Originaldokument gleichzeitig mit den Antworten auf die Fragebogen, die vom Gerichtshof angeordnet wurden, vorlegen. Der Gerichtshof wird das Generalsekretariat um einen Bericht über die ganze Angelegenheit ersuchen.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Herr Präsident! In der Pause habe ich Gelegenheit gehabt, mit Dr. Sauter zu sprechen, und er erklärte, er werde mir den Fragebogen geben, und wir werden Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Antworten von der Zeugin schnellstens zu erhalten. Ebenso wird auch dem Wunsch des Gerichtshofs entsprechend das Original des Protokolls der Aussagen der Zeugin Vasseau so rasch als möglich vorgelegt werden.

Darf ich nunmehr mit dem Verhör fortfahren?

VORSITZENDER: Ja, bitte!

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich bin bei der Zeugenaussage von Gert Bruno Knittel stehengeblieben. Er hat folgendes über seinen Dienst in der Deutschen Wehrmacht ausgesagt:

»Mindestens zweimal wöchentlich ließ man uns Wälder ›durchkämmen‹, Razzien gegen Partisanen bezw. sonstige dem Deutschen Regime negativ gegenüberstehende Personen in Ortschaften veranstalten, um sie zu verhaften und zu erschießen. Von unserer 3. Kompanie, Feldersatzbataillon 375, wurden im Walde 5 Personen angetroffen und erschossen. Diese Personen waren möglicherweise auch keine Partisanen sondern Ortsbewohner, die im Walde zu tun hatten. Aber bei uns lag der Befehl vor, alle zu erschießen, die uns im Walde in den Weg laufen würden. Ich schoß mit auf diese Angehaltenen samt den übrigen Soldaten meiner Kompanie.

An einer Razzia im Orte Lischaysk im Juni 1943...« wurde »der ganze Ort mit 3-4 Kompanien umstellt, so daß niemand weder ein noch aus konnte.... Außerhalb jedes zu durchsuchenden Hauses...«

VORSITZENDER: Sie vernehmen den Angeklagten von Schirach, der in Wien war, im Kreuzverhör. Was hat dieses Schriftstück damit zu tun?

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Es handelt sich um die Zeugenaussage eines Mitgliedes der Hitler-Jugend über seine Teilnahme an den Verbrechen in den besetzten Gebieten während seines Dienstes in der Deutschen Wehrmacht. Dieses Schriftstück ist in die deutsche Sprache übersetzt, und ich könnte vom Verlesen dieser Aussage absehen. Ich möchte aber, daß der Zeuge Schirach sich mit diesem Dokument vertraut macht. Haben Sie dieses Dokument gelesen? Ich frage Sie, Zeuge, haben Sie das Dokument gelesen?

VON SCHIRACH: Ich habe es gelesen. Der Knittel, der hier die Aussage macht, ist aber kein Mitglied der Hitler-Jugend, sondern ein Mitglied entweder des Arbeitsdienstes oder irgendeiner Einheit des Heeres. Er ist in einem früheren Zeitpunkt seines Lebens wie alle jungen Deutschen Mitglied der Hitler-Jugend gewesen. Das gibt er ja an. Aber hier hat er als Angehöriger irgendeiner Wehrmachtseinheit gehandelt, nicht als Angehöriger der Hitler-Jugend. Die ganze Aussage erscheint mir überhaupt wenig glaubhaft. Er spricht zum Beispiel von einer Hitler-Jugend-Partei...

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Haben Sie die ganze hier vorliegende Aussage gelesen?

VON SCHIRACH: Ja.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Geben Sie in diesem Zusammenhang zu, daß die Teilnahme der deutschen Jugend an solchen Greueltaten durch eine entsprechende Schulung bei der Hitler-Jugend bedingt war?

VON SCHIRACH: Nein, das gebe ich nicht zu.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe noch zum Schluß zwei weitere Fragen: Bis zu welchem Zeitpunkt haben Sie Ihr Amt als Reichsstatthalter von Wien und Reichsleiter für die Jugenderziehung innegehabt?

VON SCHIRACH: Ich war Reichsleiter für die Jugenderziehung seit 1931 und Reichsstatthalter in Wien seit 1940.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Mich interessiert zu wissen bis wann, bis zu welchem Moment?

VON SCHIRACH: Ich habe beide Posten bis zum Zusammenbruch innegehabt.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Sie haben hier ausführlich über Ihren Bruch mit Hitler im Jahre 1943 erzählt. Sie erklärten, daß Sie von diesem Zeitpunkt an politisch tot waren. Sie behielten jedoch ihre Ämter bis zum Zusammenbruch. Somit war Ihr Bruch mit Hitler nur theoretisch, denn in Wirklichkeit hat er keine Folgen für Sie gehabt. Ist das richtig?

VON SCHIRACH: Das ist falsch. Die Folgen, die es für mich hatte, habe ich in meiner Aussage am Donnerstag oder Freitag geschildert. Ich habe aber auch zum Ausdruck gebracht, daß ich bis zum letzten Augenblick meinen Hitler geleisteten Eid als Jugendführer, Beamter und Offizier gehalten habe.

GENERALMAJOR ALEXANDROW: Ich habe keine weiteren Fragen, Herr Präsident.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Damit wir vorwärtskommen, möchte ich nur zwei kurze Fragen an den Angeklagten von Schirach stellen.

Die eine Frage: Herr Zeuge! Sie sind im Verlauf des Kreuzverhörs gefragt worden, ob Sie den Befehl gegeben haben, Wien unter allen Umständen zu halten und bis zum letzten Mann zu verteidigen. Sie haben, soviel ich, weiß, die Frage mit »Nein« beantwortet. Nun würde mich interessieren: Welche Befehle in dieser Beziehung haben Sie damals, also in den letzten Tagen von Wien, Ihren Untergebenen gegeben, wobei ich an den stellvertretenden Gauleiter Scharizer und den damaligen Bürgermeister Blaschke denke?

VON SCHIRACH: Der Befehl für die Verteidigung Wiens erging von Hitler. Die Verteidigung Wiens oblag den militärischen Dienststellen, also dem Stadtkommandanten von Wien, dann dem Armeeführer, der die sechste SS-Panzer-Armee befehligte...

DR. SAUTER: Namens?

VON SCHIRACH: Sepp Dietrich, und dem Führer der Heeresgruppe Süd, Generaloberst Rendulic.

DR. SAUTER: Haben die den Befehl gegeben?

VON SCHIRACH: Sie haben in Vollzug des von Hitler gegebenen Befehls für die Verteidigung Wiens Wien verteidigt.

DR. SAUTER: Und welche Befehle haben Sie, Herr Zeuge, Ihren Untergebenen gegeben in dieser Beziehung?

VON SCHIRACH: Ich habe für die Verteidigung Wiens lediglich Befehle gegeben, die sich auf den Volkssturm bezogen, beziehungsweise auf die Lebensmittelversorgung der Stadt und ähnliche Dinge, die mir oblagen. Ich selbst hatte an sich mit der Verteidigung Wiens nichts zu tun. Denn auch die Zerstörungen, die im Verlauf der militärischen Verteidigung Wiens notwendig waren, sind auf Befehle zurückzuführen, die vom Führerhauptquartier dem Führer der Heeresgruppe beziehungsweise dem Armeeführer und dem Stadtkommandanten gegeben wurden.

DR. SAUTER: Und eine zweite Frage, Herr Zeuge:

Sie sind im Kreuzverhör gefragt worden zu dem Dokument 3763. Ich wiederhole 3763-PS. Es ist dies das Dokument, das sich mit den Liedern der Jugend befaßt und aus denen die Anklagevertretung eine andere Einstellung herausliest, als Sie dargelegt haben. Haben Sie Ihre Aussage zu diesem Punkt noch zu ergänzen?

VON SCHIRACH: Ja, ich muß sie kurz ergänzen.

DR. SAUTER: Bitte.

VON SCHIRACH: Es wird mir von der Anklage ein Lied vorgehalten, das beginnt: »Wir sind des Geyers schwarze Haufen« und den Refrain hat: »Spieß voran, drauf und dran, setzt aufs Klosterdach den roten Hahn«.

Und ein Vers lautet: »Wir wollns dem Herrn im Himmel klagen, daß wir den Pfaffen wolln totschlagen.«

Dieses Lied ist ein christliches Lied.

DR. SAUTER: Wieso?

VON SCHIRACH: Das geht aus der fünften und aus der vierten Strophe hervor. Es ist nämlich das Lied der protestantischen Bauern unter Florian Geyer.

Die vierte Strophe lautet: »Jetzt gilt es Schloß, Abtei und Stift, uns gilt nichts als die Heilige Schrift.«

Und in der nächsten Strophe heißt es: »Ein gleich Gesetz, das wolln wir han, vom Fürsten bis zum Bauersmann.«

Auch der Protestantismus war einmal eine Revolution. Die aufständischen Bauern haben dieses Lied gesungen, und es mag als Beispiel dienen – dieses Lied aus dem 16. Jahrhundert, ebenso wie manche Lieder der französischen Revolution – es mag als Beispiel dienen, wie eben Revolutionen radikal und nicht tolerant beginnen.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Damit beschließe ich meine Vernehmung des Angeklagten von Schirach. Danke sehr, ich habe keine weiteren Fragen mehr.

VORSITZENDER: Wer waren Ihre Hauptmitarbeiter in Wien?

VON SCHIRACH: Erstens der Chef meines Zentralbüros, Höpken; zweitens der Regierungspräsident Dr. Dellbrügge; drittens der Bürgermeister Blaschke; viertens der stellvertretende Gauleiter Scharizer; das sind die wesentlichsten Mitarbeiter.

VORSITZENDER: Das sind vier, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Jawohl.

VORSITZENDER: Arbeiteten diese Personen die ganze Arbeitszeit für Sie in Ihrem Amt?

VON SCHIRACH: Nicht alle; der stellvertretende Gauleiter war bereits in seiner Funktion unter meinem Amtsvorgänger Bürckel tätig; der Bürgermeister Blaschke wurde, soviel ich mich erinnere, erst 1943 Bürgermeister; vor ihm war ein Herr Jung Bürgermeister; der Regierungspräsident Dr. Dellbrügge wurde Regierungspräsident 1940, nach meinem Eintreffen in Wien. Er wurde mir vom Reich aus zugeteilt.

VORSITZENDER: Also waren diese Männer von dem Zeitpunkt an, da Sie Ihr Amt in Wien antraten, Ihnen unterstellt, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Ja, ich muß noch erwähnen, daß der von mir erwähnte Chef des Zentralbüros, Höpken, zunächst als Adjutant bei mir tätig war und seine Stellung als Chef des Zentralbüros erst übernahm, als der frühere Chef dieses Büros, Obergebietsführer Müller, bei einem Luftangriff ums Leben kam.

VORSITZENDER: Wer von diesen Vier hat diese wöchentlichen Berichte, die Ihr Amt bekam, mit seinen Initialen gezeichnet?

VON SCHIRACH: Das war der Regierungspräsident Dr. Dellbrügge.

VORSITZENDER: Dellbrügge?

VON SCHIRACH: Ja.

VORSITZENDER: Und zu der Zeit, als er die Berichte erhielt, war er in Ihrem Amt als einer Ihrer Hauptmitarbeiter tätig?

VON SCHIRACH: Er war mein Vertreter in der staatlichen Verwaltung.

VORSITZENDER: War das Ihr Amt?

VON SCHIRACH: Das war eines meiner Ämter.

VORSITZENDER: Also eine Abteilung innerhalb Ihres Amtes, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Jawohl. Darf ich noch einmal erläutern: Es gab verschiedene Säulen, die staatliche Verwaltung, die städtische Verwaltung, die Parteiführung und das Reichsverteidigungskommissariat. Reichsverteidigungskommissariat und staatliche Verwaltung waren in Personalunion verbunden, was die Vertretung betrifft; zusammengefaßt wurde alles im Zentralbüro.

VORSITZENDER: Gut. In welchem Amt war nun dieser Hauptmitarbeiter, der die Dokumente abzeichnete; von welcher Abteilung war er der Chef?

VON SCHIRACH: Er war leitend tätig in der Reichsstatthalterei, als Chef der staatlichen Verwaltung.

VORSITZENDER: Der Zivilverwaltung?

VON SCHIRACH: Zivil-Staatsverwaltung.

VORSITZENDER: War er auch der stellvertretende Reichsverteidigungskommissar?

VON SCHIRACH: Jawohl.

VORSITZENDER: Und Sie waren der Reichsverteidigungskommissar für den Wehrkreis XVII, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Ja.

VORSITZENDER: Und er war Ihr Vertreter in diesem Wehrkreis?

VON SCHIRACH: Ja.

VORSITZENDER: Und er hat jene Berichte in diesem Amt erhalten und abgezeichnet, nicht wahr?

VON SCHIRACH: Jawohl.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann in die Anklagebank zurückkehren.