[Der Angeklagte von Schwach verläßt den Zeugenstand.]
DR. SAUTER: Herr Präsident! Mit Ihrer Genehmigung rufe ich dann auf den Zeugenstand den Zeugen Lauterbacher.
[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Bitte, geben Sie Ihren Vor- und Nachnamen an!
ZEUGE HARTMANN LAUTERBACHER: Hartmann Lauterbacher.
VORSITZENDER: Ist das Ihr voller Name?
LAUTERBACHER: Lauterbacher.
VORSITZENDER: Wollen Sie mir den folgenden Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen.
DR. SAUTER: Herr Lauterbacher! Ich habe die Sachen mit Ihnen im Gefängnis bereits besprochen, nicht wahr?
LAUTERBACHER: Jawohl.
DR. SAUTER: Ich bitte, nach jeder Frage etwas zu warten mit der Antwort, damit die Übersetzer nachkommen.
LAUTERBACHER: Jawohl.
DR. SAUTER: Wann sind Sie geboren?
LAUTERBACHER: Am 24. Mai 1909.
DR. SAUTER: 1909?
LAUTERBACHER: 1909.
DR. SAUTER: Sind Sie verheiratet?
LAUTERBACHER: Jawohl.
DR. SAUTER: Haben drei Kinder?
LAUTERBACHER: Jawohl.
DR. SAUTER: Was sind Sie von Beruf?
LAUTERBACHER: Drogist.
DR. SAUTER: Drogist, Kaufmann?
LAUTERBACHER: Jawohl.
DR. SAUTER: Sie befinden sich in amerikanischer Gefangenschaft?
LAUTERBACHER: In englischer Gefangenschaft.
DR. SAUTER: Seit wann?
LAUTERBACHER: Seit 29. Mai 1945.
DR. SAUTER: Sind Sie über die Sache schon einmal vernommen worden von der Staatsanwaltschaft?
LAUTERBACHER: Nein.
DR. SAUTER: Wann sind Sie hauptamtlich, also gegen Bezahlung, Angestellter in der Hitler-Jugend geworden?
LAUTERBACHER: Ich bin hauptamtlich, das heißt gegen Bezahlung, Angestellter in der Hitler-Jugend geworden mit meiner Ernennung zum Gebietsführer des Gebietes Westfalen-Niederrhein.
DR. SAUTER: Wann war das?
LAUTERBACHER: Im April 1932.
DR. SAUTER: April 1932, also mit 23 Jahren?
LAUTERBACHER: Mit 23 Jahren.
DR. SAUTER: Waren Sie vorher schon bei der Hitler-Jugend?
LAUTERBACHER: Jawohl. Ich bin...
DR. SAUTER: Immer etwas warten mit der Antwort, wenn die Frage fertig ist, ja?
LAUTERBACHER: Jawohl.
DR. SAUTER: Ich habe gefragt, waren Sie vorher schon bei der Hitler-Jugend gewesen, bevor Sie dort hauptamtlich im Jahre 1932 angestellt worden sind?
LAUTERBACHER: Jawohl. Ich bin als Dreizehnjähriger im Jahre 1922 in die damalige nationalsozialistische Jugend eingetreten und habe dann als Achtzehnjähriger im Jahre 1927 in meiner Heimat Tirol eine Unterführeraufgabe übernommen...
DR. SAUTER: Und hauptamtlich wurden Sie...
LAUTERBACHER:... habe dann in Braunschweig wiederum ehrenamtlich von 1929 bis 1932 gearbeitet und im Anschluß hauptamtlich.
DR. SAUTER: Also seit 1932?
LAUTERBACHER: Jawohl.
DR. SAUTER: Was wurden Sie im Jahre 1932; welchen Posten haben Sie damals bekommen?
LAUTERBACHER: Im Jahre 1932 erhielt ich die Führung des damaligen Gebiets Westfalen-Niederrhein.
DR. SAUTER: Wann kamen Sie zum Angeklagten Schirach?
LAUTERBACHER: Am 22. Mai 1934.
DR. SAUTER: Was wurden Sie bei ihm?
LAUTERBACHER: Stabsführer.
DR. SAUTER: Stabsführer? Und wie lange blieben Sie Stabsführer bei ihm?
LAUTERBACHER: Bis August 1940.
DR. SAUTER: Also bis er sein Amt als Reichsjugendführer abgab, wahrscheinlich?
LAUTERBACHER: Jawohl.
DR. SAUTER: Bevor Sie bei der Hitler-Jugend hauptamtlich wurden, haben Sie da schon beim Militär gedient gehabt?
LAUTERBACHER: Nein.
DR. SAUTER: Sie waren also auch nicht Offizier gewesen?
LAUTERBACHER: Nein.
DR. SAUTER: Sie sagten uns, Sie seien ab 1934, glaube ich, Stabsführer der Reichsjugendführung gewesen. Welche Aufgabe hat denn der Stabsführer der Reichsjugendführung gehabt? Kurz, nur damit man weiß, was Sie für Kompetenzen hatten.
LAUTERBACHER: Wie die Dienstbezeichnung »Stabsführer« schon zum Ausdruck bringt, war ich in erster Linie Führer des Stabes der Reichsjugendführung und hatte die Aufgabe, die allgemeinen Weisungen des Reichsjugendführers, insbesondere der Ämter und der Gebiete der Hitler-Jugend, soweit dies der Reichsjugendführer nicht selbst tat, umzuarbeiten. Ich hatte die Ämter der Reichsjugendführung zu koordinieren und im besonderen organisatorische und personelle Aufgaben.
Außerdem führte ich im Auftrag Schirachs in den Jahren zwischen 1935 bis 1939 eine Anzahl von Auslandsreisen durch.
DR. SAUTER: Bei Verhinderung des Reichsjugendführers, war wer sein Vertreter?
LAUTERBACHER: Im Falle der Verhinderung war ich sein Vertreter.
DR. SAUTER: Sie waren also anscheinend neben Schirach der erste Mann in der Reichsjugendführung?
LAUTERBACHER: Jawohl.
DR. SAUTER: Hat sich Ihr Verkehr mit dem Angeklagten von Schirach nur auf das dienstliche Gebiet beschränkt oder waren Sie darüber hinaus auch befreundet?
LAUTERBACHER: Unser Verkehr beschränkte sich nicht nur auf das Dienstliche, wir waren darüber hinaus auch persönlich befreundet, daher wurden unsere persönlichen Verbindungen auch durch Schirachs Wiener Auftrag nicht unterbrochen.
DR. SAUTER: Glauben Sie, Herr Lauterbacher, mit Rücksicht auf dieses freundschaftliche Verhältnis, daß der Angeklagte von Schirach Ihnen manche Dinge verheimlichte, oder haben Sie die Überzeugung, daß er vor Ihnen in dienstlichen Sachen keine Geheimnisse hatte?
LAUTERBACHER: Ich war immer und bin auch heute noch davon überzeugt, daß mir Schirach alle seine Absichten und erzieherischen Maßnahmen laufend mitteilte.
DR. SAUTER: Also nichts verheimlichte?
LAUTERBACHER: Nichts verheimlichte. Ich bin durch Schirach, wenn er während der ersten Jahre noch Besprechungen mit Adolf Hitler hatte, jeweils anschließend unterrichtet worden.
DR. SAUTER: Herr Zeuge! Im Jahre 1939 ist es dann zum Weltkrieg gekommen. Hat der Angeklagte von Schirach mit Ihnen in den letzten Jahren vor dem Weltkrieg irgendwelche Besprechungen dahingehend gepflogen, daß die Jugend für den Krieg erzogen werden müsse, daß man also mit anderen Worten bei der Jugenderziehung auf die Notwendigkeiten und Bedürfnisse des kommenden Krieges Rücksicht nehmen müsse? Also, was ist über diese Punkte zwischen Ihnen und Schirach besprochen worden vor dem Kriege?
LAUTERBACHER: Über einen möglichen Krieg ist niemals gesprochen worden. Ich habe gelegentlich in Begleitung Schirachs an Tagungen der Partei teilgenommen, und bei dieser Gelegenheit, wenn Adolf Hitler sprach, immer nur Beteuerungen... gelegentlich dieser Tagungen immer den festen und unumstößlichen Eindruck, daß Adolf Hitler und das nationalsozialistische Reich an Frieden und an einer friedlichen Entwicklung festhalten wollten. Daher ist mir niemals der Gedanke gekommen, die Jugend spezifisch auf den Krieg vorzubereiten.
DR. SAUTER: Haben Sie, Herr Zeuge, in Ihrer Eigenschaft als Stabsführer des Reichsjugendführers auch Einblick m die gesamte Post bekommen, die entweder an Schirach kam oder von Schirach hinausging?
LAUTERBACHER: Ich habe die gesamte Dienstpost auf alle Fälle zur Kenntnis bekommen.
DR. SAUTER: Haben, Sie in dieser Post, die an Schirach kam, irgend etwas wahrgenommen von Direktiven, die die Reichsjugendführung von Hitler oder von der Parteileitung oder vom OKW oder von irgendeiner anderen Stelle, von Staat oder Partei, in Bezug auf Kriegsvorbereitungen bekommen hätte?
LAUTERBACHER: Nein, weder offen noch verschleiert.
DR. SAUTER: Herr Zeuge! Wir haben uns schon in den letzten Tagen berichten lassen über die Hauptaufgaben der Jugenderziehung. Ich glaube, Herr Präsident, auf diese Punkte brauche ich wohl im einzelnen nicht mehr einzugehen. Der Zeuge könnte darüber am besten Auskunft geben, aber die Aufgabe der Jugenderziehung darf ich wohl als geklärt betrachten.
VORSITZENDER: Ich glaube es auch, die Tatsachen zu diesem Thema sind genügend behandelt worden.
DR. SAUTER: Danke. Ich kann dann gleich auf ein anderes Kapitel übergehen.