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[Zum Zeugen gewandt:]

Sie sagten, Sie seien nicht gedienter Soldat gewesen. Hat Schirach nicht Wert darauf gelegt, daß unter seinen Mitarbeitern sich soundso viele Offiziere oder wenigstens gediente Soldaten befanden, die bei der Jugenderziehung hätten als Erzieher eingesetzt werden können? Das können Sie noch kurz sagen.

LAUTERBACHER: Nein, zuerst, also in den ersten Jahren der Entwicklung, lehnte von Schirach Offiziere sowohl aus ideologischen wie auch aus erzieherischen Gründen als Jugendführer ab. Das Ziel und die Aufgabe der Hitler-Jugend waren die sozialistische Gemeinschaft und der sozialistische Staat. Denn damit war der Typ des alten, des damaligen Offiziers, der Vertreter einer reaktionären Epoche war, völlig unvereinbar.

DR. SAUTER: Völlig unvereinbar? Wollen Sie sagen mit den...

LAUTERBACHER:... mit den erzieherischen Richtlinien, die Schirach der Hitler-Jugend gestellt hatte.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß Schirach sich stets sehr ablehnend verhielt oder umgekehrt, ist Ihnen bekannt, daß er damit einverstanden war, wenn irgendwelche militärischen Stellen Einfluß auf die Art der Jugendführung nehmen wollten? Auch da können Sie sich vielleicht ganz kurz fassen.

LAUTERBACHER: Es waren schon im Jahre 1933 Versuche, in die Hitler-Jugend Offiziere als Führer zu lancieren, zu verzeichnen. Es waren auch vor meiner Tätigkeit als Stabsführer, soweit ich unterrichtet bin, zwei Offiziere in mehr oder weniger direktem Auftrag Hitlers in der Hitler-Jugend tätig geworden. Sie waren aber am Wesen der Jugend schlechthin gescheitert, und ihr Auftreten war ein, ich kann wohl sagen, hundertprozentiges Versagen.

DR. SAUTER: Wo sind die hingekommen?

LAUTERBACHER: Schirach hat sich dann zu Adolf Hitler begeben und dort die Zurückziehung dieser Herren erreicht, beziehungsweise eine Weisung Adolf Hitlers erreicht, die vorsah, daß Offiziere in der Hitler-Jugend nicht tätig werden sollten.

DR. SAUTER: Sind dann auch keine weiteren solche Versuche mehr gemacht worden, ihm Offiziere von irgendwoher aufzudrängen?

LAUTERBACHER: O doch. Es sind im Jahre 1936 und 1937 und dann wieder 1938 Versuche unternommen worden, über sogenannte Verbindungsoffiziere Einfluß auf die Erziehung der Hitlerjugend zu nehmen. Es sind jedoch auch diese Unternehmungen gescheitert, und es sind bis zuletzt, von den Hitler-Jugend-Führern, die gedient hatten und Offiziere wurden abgesehen, bis zuletzt in der Hitler-Jugend Offiziere, die einer anderen Stelle verantwortlich gewesen wären als Schirach, nicht tätig geworden.

DR. SAUTER: Wenn ich Sie recht verstanden habe, dann wollen Sie sagen, ich bitte das zu beantworten, ob ich Sie recht verstehe, daß Schirach sich gegenüber solchen Versuchen ablehnend verhalten hat. Stimmt das?

LAUTERBACHER: Jawohl.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Warum hat dann die Hitler-Jugend mit Einschluß der Mädchen Uniform getragen?

LAUTERBACHER: Uniform ist vielleicht nicht der unbedingt richtige Ausdruck für die Kleidung, die die Hitler-Jugend trug. Es war doch wohl mehr eine Tracht, wie sie schon vor der Hitler-Jugend und nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten, die Jugendorganisationen trugen. Im übrigen legte von Schirach Wert darauf, daß alle Jungen und Mädel, wie er sich ausdrückte, das Kleid der sozialistischen Gemeinschaft trugen.

DR. SAUTER: Der sozialistischen Gemeinschaft, das heißt also, es sollte die Gemeinschaft aller, die Gemeinschaft aller Jungen und Mädel aus allen Schichten der deutschen Bevölkerung ohne Unterschied...

LAUTERBACHER:... ohne Unterschied der Herkunft, der Konfession, und so weiter.

DR. SAUTER: Ob arm oder reich?

LAUTERBACHER: Jawohl.

DR. SAUTER: Hat die Hitler-Jugend Waffen besessen, und wurde sie auch mit militärischen Waffen ausgebildet? Sie müssen das ja wissen.

LAUTERBACHER: Nein, sie wurde während Schirachs und meiner Tätigkeit in militärischen Waffen nicht ausgebildet.

DR. SAUTER: Hatte sie insbesondere Tanks und Panzerwagen und dergleichen, weil im Zusammenhang mit der Frage der Sonderformation auf die Ausbildung der Jungen in der sogenannten Motor-HJ hingewiesen wurde; Tanks, Panzerwagen?

LAUTERBACHER: Nein, die Hitler-Jugend hat meines Wissens niemals, auch nach Schirachs Tätigkeit nicht, eine Ausbildung an Panzerwagen, Tanks und so weiter erfahren, jedenfalls zur...

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Die von dem Angeklagten ausgesagten Tatsachen über die Waffen der Hitler-Jugend und ihrer Formationen sind nicht Gegenstand des Kreuzverhörs gewesen. Damit brauchen Sie sich nicht zu befassen. Herr Dodd hat nicht gefragt, ob sie auch Tanks hatten.

DR. SAUTER: Danke sehr, Herr Vorsitzender. Dann kann ich mich da vielleicht etwas kürzer fassen.

Ich komme dann, Herr Lauterbacher, zur Einstellung des Angeklagten Schirach und zu seinem Auftreten hinsichtlich der Judentrage. War die Hitler-Jugend irgendwie bei den Judenpogromen vom November 1938 beteiligt?

LAUTERBACHER: Ich glaube, daß ich Ihre Frage mit einem eindeutigen Nein beantworten kann.

DR. SAUTER: Herr Lauterbacher! Sie haben mir etwas von einer Rede erzählt, die einige Tage nach dem 9. November 1938 der Angeklagte von Schirach wegen dieser Judenpogrome gehalten hat. Sagen Sie, wann und vor wem hat er diese Rede gehalten, und was hat er in dieser Rede ausgeführt?

LAUTERBACHER: Schirach gab mir am 10. November 1938, er war in München und ich selbst in Berlin, telephonisch den Auftrag, die Gebietsführer der Hitler-Jugend anzuweisen, ihre Organisationen unter allen Umständen aus den antijüdischen Demonstrationen herauszuhalten und sie zur Entgegennahme einer speziellen Erklärung zu diesem Punkt, zu einer Tagung der Gebietsführer einzuberufen. Diese Tagung hat dann um den 15. November 1938 herum stattgefunden.

DR. SAUTER: Wo?

LAUTERBACHER: In Berlin.

Schirach forderte zunächst die Gebietsführer auf, zu berichten, und er gab dann seiner Freude Ausdruck, daß er auch über mittlerweile eingegangene Berichte verfügte, daß die Hitler-Jugend an den Ausschreitungen nicht beteiligt gewesen war. Er bezeichnete dann in seiner Rede die Ausschreitungen – ich kann mich an diese Rede, weil sie besonders eindrucksvoll war, noch besonders gut erinnern – als eine Kulturschande und als einen Angriff auf unsere eigene Würde. Er sagte, daß so etwas bei einem unzivilisierten Volk, aber nicht im deutschen Volke hätte vorkommen dürfen. Er erklärte weiter, daß wir uns durch diese Demonstrationen die Welt, darüber hinaus aber auch alle Anständigen in Deutschland selbst zum Gegner gemacht hätten. Er befürchtete ernsthafte innerpolitische Schwierigkeiten und auch Schwierigkeiten in der Partei selbst. Die Partei war sich ja, wie wir wissen, keineswegs einig in der Beurteilung dieser Vorkommnisse. Ein sehr großer Teil der Parteigenossen und der Parteiführung verurteilte die Ausschreitungen.

DR. SAUTER: Jetzt reden Sie weiter von dem, was Herr von Schirach damals gesagt hat, das würde mich sehr interessieren.

LAUTERBACHER: Herr von Schirach gab dann der Jugendführerschaft noch die besondere Anweisung, sich auch in Zukunft unter allen Umständen aus Demonstrationen dieser oder ähnlicher Art herauszuhalten und verurteilte schon aus erzieherischen Gründen jede Gewalt. Er hat dann noch zum Abschluß dieser Tagung den »Stürmer« als Zeitung, die in der Hitler- Jugend etwa bei Heimabenden oder sonstwo Verwendung hätte finden können, verboten.

DR. SAUTER: Hat Schirach bei dieser Gelegenheit, Herr Lauterbacher, auch etwas davon gesprochen, daß so viele Kulturwerte, Kunstschätze, Volksvermögen und dergleichen nutzlos vernichtet worden seien, und hat er in diesem Zusammenhang nicht auch gewisse Beispiele angeführt?

LAUTERBACHER: Ja. Er hat in diesem Zusammenhang als besonders drastisches Beispiel die versuchte oder zum Teil wenigstens durchgeführte Plünderung des jüdischen Kunsthauses Bernheimer in München angeführt.

DR. SAUTER: München?

LAUTERBACHER: Ja, und an Hand dieses Beispiels der Jugendführerschaft aufgezeigt, welche gefährlichen und nicht wiedereinzubringenden Eingriffe in den Schatz unserer Kultur und Kulturgüter durch die Demonstrationen erfolgt waren.

DR. SAUTER: Ist es richtig, daß der Angeklagte von Schirach im Anschluß an diese Berliner Rede, die Sie uns eben erzählt haben, dann von Berlin aus durch Ihre Vermittlung die einzelnen Dienststellen der Hitler-Jugend anrufen und mit bestimmten Weisungen versehen ließ?

LAUTERBACHER: Das ist also schon am 10. November, also am Tag nach der Münchener Tagung erfolgt. Das ist unabhängig von der Tagung der Gebietsführer, die erst am 15. November herum stattfand, geschehen.

DR. SAUTER: Herr Lauterbacher! Ich nehme an, daß Sie im Laufe der Jahre bei manchen Reden, die der Angeklagte von Schirach an seine Unterführer oder an die Hitler-Jugend gehalten hat, dabei waren, und manche dieser Reden selbst angehört haben. Hat bei solchen oder anderen Gelegenheiten der Angeklagte gegen die Juden gehetzt, hat er zu Gewalttätigkeiten gegen die Juden aufgefordert? Wie war das?

LAUTERBACHER: Ja. Ich habe wohl alle wesentlichen Reden, die von Schirach vor dem Führerkorps der Hitler-Jugend gehalten hat, mit angehört, und ich habe gelegentlich dieser Reden niemals Aufforderungen zu Gewalttaten, die schon seinem gesamten Wesen völlig fern lagen, gehört. Jedenfalls kann ich mich nicht entsinnen, daß von Schirach jemals die Jugendführerschaft direkt oder indirekt aufgefordert hätte, sich an Gewalttätigkeiten irgendwelcher Art und gegen irgend jemanden zu beteiligen.

DR. SAUTER: Worüber hat dann eigentlich Schirach meist gesprochen, wenn er eine seiner vielen Reden an die Jugend gehalten hat? Kurz nur das Hauptthema.

LAUTERBACHER: Man muß hier zweifellos unterscheiden zwischen den großen öffentlichen Kundgebungsreden und den Reden vor der Führerschaft der Hitler-Jugend. In den Reden vor der Führerschaft hat er immer über die großen politischen und weltanschaulichen Aufgaben, die sozialpolitischen, kulturpolitischen und berufserzieherischen Aufgaben, die er der Hitler-Jugend gestellt hatte, gesprochen.

DR. SAUTER: Ich komme dann zu einem anderen Kapitel. Herr Lauterbacher. Hat Schirach Sie veranlaßt, aus der Kirche auszutreten?

LAUTERBACHER: Nein.

DR. SAUTER: Sind Sie ausgetreten?

LAUTERBACHER: Ich glaube nicht, daß Herr von Schirach überhaupt wußte, welcher Konfession ich angehörte und ob ich aus der Kirche ausgetreten bin oder nicht. Ich bin im Jahre 1937 oder 1938, ohne daß mich irgend jemand dazu angehalten oder gar gezwungen hätte, aus der Kirche ausgetreten.

DR. SAUTER: Hat Schirach seine anderen Mitarbeiter angehalten, aus der Kirche auszutreten, soweit Sie darüber informiert sind?

LAUTERBACHER: Nein.

DR. SAUTER: Hat Schirach bei den zahlreichen Reden, von denen Sie uns vorhin sagten, daß Sie sie mit angehört haben, gegen das Christentum geschimpft oder gehetzt?

LAUTERBACHER: Schirach predigte der Jugend immer Achtung vor der religiösen Überzeugung und hat bei dieser Gelegenheit nicht einmal sondern häufig jede Gottlosigkeit als Übel bezeichnet. Schirach hat sich in seinen Reden sehr wohl mit den vor 1933 und auch noch anschließend existierenden konfessionellen Sportvereinen, um ein Beispiel zu erwähnen, auseinandergesetzt und die Einheit der Jugend gefordert; aber dabei weder öffentlich noch intern das Christentum als solches und die religiöse Überzeugung anderer angegriffen.

DR. SAUTER: Herr Lauterbacher! Während der Zeit, als der Angeklagte von Schirach Reichsjugendführer war, schwebten die Verhandlungen zwecks Abschluß eines Konkordats mit der Katholischen Kirche, durch das die Beziehungen zwischen Staat und Kirche vertraglich geregelt werden sollten. Wissen Sie etwas davon, daß Schirach sich wegen dieser Konkordatsverhandlungen einschaltete und ob er sich große Mühe gegeben hat, eine Verständigung mit der Kirche auf einer Grundlage herbeizuführen, die beide Teile befriedigen sollte?

LAUTERBACHER: Ja. Es haben in den Jahren 1933 und auch 1934 sehr viele Besprechungen Schirachs mit den kirchlichen Vertretern, mit dem damaligen Reichsbischof der evangelischen Kirche Müller und dem Vertreter der Fuldaer Bischofskonferenz, Bischof Berning, Osnabrück, stattgefunden. Ich kann mich entsinnen, daß Schirach eine Abgrenzung der Rechte und Zuständigkeiten anstrebte, etwa auf der Basis: Gott sei, was Gottes ist, und dem Staat, was des Staates ist.

DR. SAUTER: Eine andere Frage: Herr Zeuge, wissen Sie, ob Schirach sich tatsächlich bemüht hat, eine Verständigung der von ihm geführten Hitler-Jugend mit der Jugend anderer Völker zu erreichen, und können Sie uns beispielsweise anführen, was er alles in dieser Richtung getan und unternommen hat?

LAUTERBACHER: Die freundschaftliche Verständigung der deutschen Jugend mit der Jugend der Welt gehörte zweifellos zu den Aufgaben, die Schirach seiner Jugendführerschaft immer wieder besonders ans Herz legte, und ich hatte immer den Eindruck, daß diese Aufgabe, ich möchte fast sagen, seine persönliche Passion gewesen ist. Ich bin selbst in seinem Auftrag – und insofern bin ich vielleicht ein Kronzeuge gerade dafür – von 1935 an jährlich mindestens einmal, ja sogar zwei- oder dreimal, in die verschiedensten europäischen Länder gefahren, um dort mit den bestehenden Jugendorganisationen, aber auch mit den Frontkämpferorganisationen des ersten Weltkrieges, Berührung zu suchen.

DR. SAUTER: Welche Staaten?

LAUTERBACHER: Die Hitler-Jugend hat, man kann wohl sagen, mit allen europäischen Staaten diese Beziehungen gesucht, und ich selbst bin in unmittelbarem Auftrag Schirachs mehrere Male in England gewesen und habe dort mit dem Führer der englischen Boy Scouts und seinem Mitarbeiter, aber auch mit anderen...

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß diese Tatsachen hier bestritten werden. Es handelt sich lediglich um die Folgerung aus den Tatsachen, auf die sich die Anklagebehörde stützen will. Es besteht deshalb keine Notwendigkeit für Sie, nochmals auf die Tatsache einzugehen, hinsichtlich der Beziehungen der Hitler-Jugend zu der Jugend im Ausland.

DR. SAUTER: Jawohl, Herr Vorsitzender.

Herr Zeuge! Sie hören, diese Tatsachen sind an sich unbestritten. Wir können infolgedessen zu etwas anderem übergehen. Sie waren Stabsführer der Hitler- Jugend in der Hitler-Jugend-Führung. Ist Ihnen etwas davon bekannt, ob die Hitler-Jugend-Führung im Ausland Spione oder Agenten und dergleichen unterhalten hatte oder ob sie Leute für die sogenannte Fünfte Kolonne – Sie wissen, was das ist – in anderen Ländern ausbildete, ob sie junge Leute herübergeholt hat, damit sie als Fallschirmspringer bei uns ausgebildet werden und dann zurückgeschickt werden in ihre Heimat. Ist Ihnen so etwas während Ihrer ganzen Tätigkeit als Stabsführer jemals bekanntgeworden?

LAUTERBACHER: Die Hitler-Jugend hatte weder Spione noch Agenten, noch Fallschirmspringer zum Einsatz in irgendeinem Land Europas ausgebildet. Mir hätte eine solche Tatsache oder eine solche Anordnung unter allen Umständen bekannt werden müssen.

DR. SAUTER: Wenn Schirach hinter Ihrem Rücken eine solche Anordnung getroffen hätte, glauben Sie denn, daß Sie dann auf dem Weg der Meldungen über die Gebietsführer und dergleichen unter allen Umständen davon wieder hätten Kenntnis bekommen müssen?

LAUTERBACHER: Das hätte ich gelegentlich meiner vielen Dienstreisen unter allen Umständen in den Gebieten erfahren oder feststellen müssen.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ich möchte dann zu einem anderen Kapitel übergehen: Sie haben mir neulich von einem Gespräch erzählt; Sie haben erzählt, daß Sie nach dem Polenfeldzug, also vermutlich Ende September oder Anfang Oktober 1939, und vor dem eigentlichen Frankreichkrieg mit dem Angeklagten von Schirach in Ihrer Wohnung in Berlin-Dahlem eine Zusammenkunft hatten, wobei sich der Angeklagte von Schirach über seine Einstellung zum Krieg aussprach. Wollen Sie das in Kürze dem Gericht erzählen?

LAUTEBBACHER: Jawohl, Herr von Schirach besuchte mich Ende September oder Anfang Oktober 1939 in meiner damaligen Berliner Wohnung. Wir kamen sehr schnell auf den Krieg zu sprechen, und Schirach sagte dann etwa, daß nach seiner Meinung dieser Krieg hätte verhindert werden müssen. Er machte den damaligen Außenminister verantwortlich, Adolf Hitler ungenügend und falsch unterrichtet zu haben. Er bedauerte, daß Adolf Hitler und die maßgebenden Männer des Staates und der Partei Europa und die Welt überhaupt nicht kannten, und daß sie so ohne Kenntnis der Folgen in diesen Krieg hineingesteuert waren. Er meinte damals, daß wir diesen Krieg, wenn er nicht innerhalb kürzester Zeit beendigt werden könnte, verlieren müßten. Er wies in diesem Zusammenhang auf das außerordentliche Kräftepotential Englands und Amerikas hin und sagte – ich kann mich an dieses Wort noch besonders erinnern – daß dieser Krieg ein unseliger Krieg sei, und daß man, wenn das deutsche Volk nicht mit diesem Krieg und durch diesen Krieg ins Unglück gestürzt werden soll, den Führer unterrichten müßte, welche Gefahr für Deutschland entsteht, wenn Amerika, sei es durch wirtschaftliche Lieferungen oder durch den Krieg selbst, eingreift. Wir überlegten damals, wer Adolf Hitler informieren könnte, ja, wer überhaupt Zutritt bekommen kann.

Schirach schlug damals vor, auf irgendeine Weise zu versuchen, Herrn Colin Roß zu Adolf Hitler zu bringen. Colin Roß sollte Adolf Hitler auf die drohende Katastrophe aufmerksam machen und außerhalb der Zuständigkeit und auch außerhalb der Anwesenheit des Außenministers Adolf Hitler informieren. Colin Roß befand sich damals noch nicht in Deutschland. Ich kann mich entsinnen, daß er dann, als er zurückgekehrt war, tatsächlich über Schirach zu Hitler gebracht worden war.

DR. SAUTER: Wollen Sie zuerst vielleicht, Herr Zeuge, noch bei der Unterredung etwas bleiben, 1939, wie Sie uns berichtet haben; und wollen Sie mir die Frage beantworten: Wie kam er denn gerade auf Dr. Colin Roß? Warum ist man gerade auf den Gedanken gekommen?

LAUTERBACHER: Ich erwähnte schon, daß die Führer des nationalsozialistischen Staates und der Partei das Ausland und die Welt so gut wie überhaupt nicht kannten und infolgedessen verfiel man auf diesen Mann, der ja sehr häufig in der Welt gewesen war. Colin Roß hatte in all den Jahren von 1939 gelegentlich dieser oder jener Tagung der Führerschaft der Hitler-Jugend zu ihr gesprochen..

DR. SAUTER: Worüber?

LAUTERBACHER:... und er war somit Schirach und der Jugend bekanntgeworden.

DR. SAUTER: Worüber hat er zur Hitler-Jugend gesprochen?

LAUTERBACHER: Colin Roß sprach über seine Erlebnisse in allen Kontinenten.

DR. SAUTER: Wie war Colin Roß der Hitler-Jugend bekanntgeworden? Ist bei dieser Gelegenheit auch davon gesprochen worden, ob nicht an eine Lösung des Judenproblems herangegangen werden solle, damit man leichter mit dem Ausland zu einer Verständigung komme? Und eventuell auf welcher Basis?

LAUTERBACHER: Jawohl, Schirach wies in dieser Unterhaltung auf die Ausschreitungen vom 9. November 1938 und auf seine anschließende Rede hin und meinte, daß es natürlich unter diesen Umständen außerordentlich schwierig werden würde, mit Amerika überhaupt ins Gespräch zu kommen und daß man unter Umständen vorher versuchen müßte – und das wollte er gelegentlich einer Rücksprache Hitler vorschlagen...

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Der Gerichtshof hält die Privatgespräche Schirachs nicht für wichtig genug, als daß Sie den Zeugen darüber befragen sollten. Wenn er etwas darüber aussagen kann, was Schirach getan hat, so mag das etwas anderes sein. Aber augenblicklich gibt der Zeuge ja nur seine Gespräche mit Schirach wieder, nichts als Privatgespräche.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Was hat dann auf Grund dieser Besprechungen zwischen Ihnen und dem Angeklagten von Schirach dieser letztere tatsächlich im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens oder im Interesse einer Abkürzung des Krieges unternommen? Hat er was unternommen und was?

LAUTERBACHER: Jawohl, Schirach hat, wie er mir gelegentlich einer späteren Besprechung erzählte, jede Gelegenheit zu Beginn des Krieges benutzt, Adolf Hitler von der Notwendigkeit, mit Amerika in ein Gespräch zu kommen, zu überzeugen, und er hat ja tatsächlich Herrn Colin Roß, wie er mir selbst erzählte, im Verfolg dieser Absichten zu Hitler gebracht. Und Colin Roß ist ja mehrere Stunden bei Hitler gewesen. Colin Roß hat mir anläßlich eines Besuches, den er bei mir in Hannover durchführte, von dieser Besprechung erzählt und bei dieser Gelegenheit gesagt, daß Hitler sehr nachdenklich geworden wäre. Er sagte allerdings gleichzeitig, daß die geplante zweite Unterhaltung mit Hitler nicht mehr zustande gekommen sei, weil nach seiner Darstellung das Auswärtige Amt gegen diese Art von Information Protest erhoben hatte.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird jetzt die Sitzung unterbrechen.