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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Der Gerichtshof meint, daß dieser Zeuge sich sehr stark mit Fragen beschäftigt, die von sehr geringer Bedeutung sind. Der Gerichtshof wünscht, daß Sie ihn auf ein Thema von wirklicher Bedeutung hinlenken.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich habe ohnehin nur noch eine Frage.

Herr Zeuge! Eine letzte Frage. Sie haben sich seit 1940 von Schirach getrennt. Sie wurden, glaube ich, Gauleiter.

LAUTERBACHER: Jawohl.

DR. SAUTER: Schirach ging nach Wien. Sie haben aber dann im Jahre 1943 noch einmal eine lange Unterredung gehabt, hauptsächlich über die Frage, warum Schirach von seinem Posten nicht zurücktrat. Ich greife diese Frage deshalb auf, weil einer der Herren Anklagevertreter heute schon auf diese Frage eingegangen ist. Wollen Sie uns kurz sagen, was Schirach damals gesagt hat, warum er auf seinem Posten bleibt, oder warum er nicht zurücktritt, und wie er den Krieg 1943 beurteilt, damals meine ich?

LAUTERBACHER: Ja. Es hat im März 1943 gelegentlich eines Besuches, den ich privat in Wien durchführte, eine sehr lange Unterhaltung zwischen von Schirach und mir stattgefunden. Von Schirach äußerte sich damals über die Kriegsaussichten außerordentlich pessimistisch und erklärte mir, daß wir in Kürze vor Wien, in den Alpen und am Rhein werden kämpfen müssen. Er sagte bei dieser Gelegenheit, daß es ihm schon seit langer, langer Zeit nicht mehr möglich wäre, mit Adolf Hitler zusammenzukommen, daß er keine Gelegenheit mehr hätte, ihn, wie das früher einmal der Fall gewesen war, zu unterrichten, daß der Leiter der Parteikanzlei, Bormann, ihn von jedem Zutritt und jeder Unterhaltung unter vier Augen mit Adolf Hitler konsequent abschlösse, und daß er so überhaupt nicht mehr Gelegenheit hätte, über Wiener Fragen und über allgemeine Fragen mit Hitler zu sprechen. Er sagte in diesem Zusammenhang auch, daß er von Bormann jeden Tag mit Einsprüchen und mit Beschwerden, mit der Aufhebung von ihm gegebener Weisungen und Befehle in seiner Eigenschaft als Gauleiter in Wien traktiert werde und daß es im Grunde genommen nicht mehr möglich sei, im Amt zu bleiben und die Verantwortung zu tragen.

Er sagte dann im weiteren Verlauf unserer Unterhaltung – wir haben dabei die verschiedensten Möglichkeiten abgewogen –, daß er aber, da er Hitler einmal die Treue geschworen hätte, unter allen Umständen glaube, im Amt bleiben zu müssen und daß er vor allen Dingen glaube, es nicht verantworten zu können, in dieser Situation des Krieges die Bevölkerung, der er als Gauleiter vorgesetzt war, im Stiche zu lassen.

Er sah die Katastrophe kommen, sagte aber, daß ja auch ein Rücktritt oder irgendein Unternehmen irgendeiner Art keinen Einfluß hätte auf die Staatsführung und auf Hitler selbst, und daß er so also, seinem Eid getreu wie ein Soldat, im Amte bleiben wolle.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Damit bin ich bereits am Ende mit der Vernehmung dieses Zeugen.

VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen zustellen?

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Sie waren Gauleiter in Hannover von 1940 an?

LAUTERBACHER: Jawohl, von 1940 an.

DR. SERVATIUS: Sie waren in dieser Eigenschaft auch Bevollmächtigter für den Arbeitseinsatz?

LAUTERBACHER: Jawohl.

DR. SERVATIUS: Waren in Ihrem Gau viele Fremdarbeiter?

LAUTERBACHER: Ja. In meinem Gau waren sehr viele Fremdarbeiter, hervorgerufen im wesentlichen durch die Reichswerke »Hermann Göring«, die in der Nähe von Braunschweig entstanden waren.

DR. SERVATIUS: Hatten Sie sich um die Betreuung zu kümmern?

LAUTERBACHER: Jawohl. Meine Aufgaben als Bevollmächtigter für den Arbeitseinsatz beschränkten sich ja auf die Betreuung der ausländischen Zivilarbeiter.

DR. SERVATIUS: Bekamen Sie Anordnungen Sauckels hierüber?

LAUTERBACHER: Ja! Ich habe, wie alle anderen Gauleiter der NSDAP, auch laufend Anordnungen Sauckels zum Arbeitseinsatz, das heißt zur Betreuung dieser Zivilarbeiter erhalten.

DR. SERVATIUS: Wie war die Art der Anordnungen?

LAUTERBACHER: Die Anordnungen, die ich als Gauleiter erhielt, beschäftigten sich nahezu ausschließlich mit dem immer wiederkehrenden Aufruf, alles zu tun, die zivilen ausländischen Arbeitskräfte sowohl hinsichtlich ihrer Unterbringung, ihrer Verpflegung, ihrer Kleidung wie auch ihrer kulturellen Betreuung zufriedenzustellen.

DR. SERVATIUS: Wurde das praktisch auch durchgeführt?

LAUTERBACHER: Das wurde natürlich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten durchgeführt.

DR. SERVATIUS: Haben Sie Lager oder Werke inspiziert, wo diese Arbeiter beschäftigt waren?

LAUTERBACHER: Jawohl. Ich habe selbst gelegentlich meiner Dienstreisen solche Lager, vor allen Dingen aber die Industriewerke selbst inspiziert. Ich hatte im übrigen aber in der Person meines Gauobmannes der Deutschen Arbeitsfront einen Mann, der mich bei dieser Gelegenheit in dieser Arbeit unterstützte.

DR. SERVATIUS: Haben Sie selbst oder Ihr Obmann katastrophale Zustände festgestellt?

LAUTERBACHER: Ja. Ich habe nach Luftangriffen, die ja seit 1943 gerade die Stadt Hannover und Braunschweig ganz besonders getroffen haben, in den Lagern ausländischer Zivilarbeiter, wie im übrigen aber auch in den Wohngebieten, der deutschen Menschen, gelegentlich, ich möchte nicht sagen, katastrophale, aber doch ernste Zustände angetroffen, und ich habe mich dann in der Folge im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten bemüht, beispielsweise zerstörte Unterkünfte reparieren zu lassen oder neue errichten zu lassen.

DR. SERVATIUS: Haben Sie Mißstände gesehen, die durch Verschulden seitens der Betriebe oder der Aufsichtsstellen hervorgerufen waren?

LAUTERBACHER: Ja, mir sind zwei Fälle in Erinnerung.

In Hannover hatten sich einige Betriebe zu einer Art Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, zu einer Art Genossenschaft, und ein Lager für ihre ausländischen Zivilarbeiter errichtet. Die Verantwortung für dieses Lager lag bei den Beauftragten dieser Betriebe. Der Gauobmann der DAF hat mir dann eines Tages gemeldet, daß die Unterkunftsbedingungen nicht den Anordnungen entsprächen und hat meine Genehmigung erbeten, eingreifen zu dürfen, das heißt, von der Deutschen Arbeitsfront aus die Verantwortung für dieses Gemeinschaftslager übernehmen zu dürfen. Diesen Auftrag habe ich ihm dann gegeben, und er hat mir einige Zeit später gemeldet, daß die Schwierigkeiten behoben seien.

Ein zweites Beispiel dieser Art sind die Reichswerke Hermann Göring. Ich muß hier, da ich unter Eid aussage, erwähnen, daß dieser Betrieb die Anordnungen Sauckels in mancher Beziehung außer acht gelassen hat. Einmal hat er außerhalb der Zuständigkeit der Arbeitsverwaltung selbständig über seine Filialbetriebe in der Ukraine, aber auch in anderen Ländern, Arbeitskräfte angeworben. Diese Arbeitskräfte sind außerhalb der Kontingente des Generalbevollmächtigten und damit auch außerhalb seiner Verantwortung nach Watenstedt in den Bereich der Reichswerke gekommen.

Ich selbst konnte mir erst über sehr große Schwierigkeiten Eingang in die Werke und in die Lager verschaffen. Es ist nämlich durchaus nicht so gewesen, daß ich als Gauleiter und Bevollmächtigter ohne weiteres...

VORSITZENDER: Einen Augenblick. Was hat das mit dem Angeklagten Sauckel zu tun?

DR. SERVATIUS: Ich habe ihn gefragt über Mißstände, die er festgestellt hat, denn er war ja der Bevollmächtigte für den Einsatz ausländischer Arbeiter und hatte zu kontrollieren, wo solche Mißstände vorliegen. Diese mußte er melden, daß sie zum Schluß an Sauckel gingen. Er ist etwas weit gegangen bei seiner Erzählung und schilderte nun die Hermann-Göring- Werke.

VORSITZENDER: Dann sollten Sie ihn unterbrechen, Dr. Servatius, Sie kennen doch die Fragen, die Sie gestellt haben.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Haben Sie dort Mißstände festgestellt in diesem Lager?

LAUTERBACHER: Ich konnte das Lager nicht betreten, da das Betreten nicht erlaubt war.

DR. SERVATIUS: Hat Sauckel selbst in Ihrem Gau gesprochen zu den Arbeitern?

LAUTERBACHER: Nein, während meiner Tätigkeit nicht. Er hat aber wiederholt seine Beauftragten entsandt.

DR. SERVATIUS: Ich habe noch einige Fragen für die Politischen Leiter, die ich vertrete. Haben Sie, wie Sie zum Gauleiter ernannt wurden, besondere Instruktionen vom Führer bekommen?

LAUTERBACHER: Nein, ich bin anläßlich meiner Ernennung zum Gauleiter lediglich in einer Gauleitertagung durch Herrn Heß als Gauleiter eingeführt worden, habe aber gelegentlich dieser Tagung keinerlei spezielle Weisungen erhalten und habe auch während meiner...

VORSITZENDER: Zeuge! Die Antwort war »Nein«, und Sie brauchten daher nichts weiter hinzuzufügen.

DR. SERVATIUS: Haben Sie später mit dem Führer gesprochen? Haben Sie spezielle oder geheime Anweisungen bekommen?

LAUTERBACHER: Ich war nur gelegentlich bei Gauleitertagungen beim Führer und hatte niemals dienstliche Besprechungen mit Adolf Hitler.

DR. SERVATIUS: Kennen Sie die Tätigkeit der Blockleiter? Insbesondere habe ich die Frage an Sie: Sind die Blockleiter zu Spitzeldiensten eingesetzt worden?

LAUTERBACHER: Nein.

DR. SERVATIUS: Es ist aber die Ansicht sehr weit verbreitet, daß tatsächlich der Blockleiter gespitzelt hat, und dies ist auch von der Anklage vorgebracht worden. Hat der SD vielleicht die Blockleiter dazu benutzt?

LAUTERBACHER: Der SD hatte seine eigenen Organe, seine eigenen Treuhänder, die der Partei nicht bekannt waren, Die Blockleiter hatten jedenfalls keinerlei Aufträge, für den SD tätig zu sein.

DR. SERVATIUS: Wurde nicht eine Kartei der Parteigegner geführt?

LAUTERBACHER: In den Parteiorganisationen nicht; diese Kartei wurde meines Wissens, wie anläßlich des Anschlags vom 20. Juli 1944 bekanntgegeben wurde, durch die Geheime Polizei geführt.

DR. SERVATIUS: Beschäftigte die Partei Vertrauensleute zur Bespitzelung, die zwar keine Blockleiter waren, aber für Sie als Gauleiter arbeiteten?

LAUTERBACHER: Nein.

DR. SERVATIUS: Ich habe keine weiteren Fragen.

MR. DODD: Wann sind Sie der SS beigetreten, Herr Zeuge?

LAUTERBACHER: Ich wurde anläßlich meiner Ernennung zum stellvertretenden Gauleiter am 2. August 1940 SS-Brigadeführer.

MR. DODD: Ich habe Ihre Antwort, wann Sie der SS beigetreten sind, nicht gehört; bitte, wiederholen Sie.

LAUTERBACHER: Am 2. August 1940.

MR. DODD: Vor diesem Datum gehörten Sie dieser Organisation überhaupt nicht an?

LAUTERBACHER: Ich gehörte vor diesem Datum nicht der SS an, ich hatte allerdings in der Waffen-SS vom 26. Mai 1940 bis September 1940 als Soldat gedient.

MR. DODD: Und später wurden Sie dann SS-Obergruppenführer, nicht wahr?

LAUTERBACHER: Am 20. April 1944.

MR. DODD: Und wann sind Sie dem Stab Himmlers beigetreten?

LAUTERBACHER: Dem Stab Himmlers habe ich nie angehört.

MR. DODD: Sind Sie nicht im Januar 1944 beigetreten, oder wie würden Sie sonst die Organisation bei dem Reichsführer-SS, der Sie beigetreten sind, nennen? Vielleicht war »Stab« nicht die richtige Bezeichnung. Es gibt auch andere Bezeichnungen dafür. Waren Sie nicht auf irgendeine Art mit Himmler verbunden?

LAUTERBACHER: Nein, ich hatte niemals Aufträge der SS.

MR. DODD: Hatten Sie seit Januar 1944 irgendeine Verbindung mit dem Reichsführer-SS?

LAUTERBACHER: Der Reichsführer-SS war im Oktober 1944 mit seinem Sonderzug bei Bad Pyrmont anläßlich einer Tagung der westdeutschen Gauleiter und Höheren SS- und Polizeiführer. Bei dieser Gelegenheit war ich befohlen und hatte mit ihm im Zuge der offiziellen Tagung eine Besprechung.

MR. DODD: Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ich will aber weitergehen. Wurden Sie im Jahre 1944 sowohl SA-Obergruppenführer als auch SS-Obergruppenführer?

LAUTERBACHER: SA-Obergruppenführer wurde ich, ich glaube, 1944 oder 1943.

MR. DODD: Sie waren auch Mitglied des Reichstages im Jahre 1936, nicht wahr?

LAUTERBACHER: Jawohl.

MR. DODD: Und wie Sie, glaube ich, gesagt haben, Mitglied der Partei seit 1927, nicht wahr?

LAUTERBACHER: Seit 1927.

MR. DODD: Und Mitglied der Hitler-Jugend oder der NSDAP seit 1923?

LAUTERBACHER: Mitglied der Hitler-Jugend im Jahre 1927. Die Hitler-Jugend wurde erst im Jahre 1927 gegründet.

MR. DODD: Gut, es kommt nicht darauf an, wann es war, ich meine die Jugendorganisation der Partei.

Wie viele Leute haben Sie öffentlich gehängt, als Sie Gauleiter von Hannover waren?

LAUTERBACHER: Ich habe die Frage nicht verstanden.

MR. DODD: Ich habe gefragt, wie viele Leute Sie öffentlich hängen ließen, als Sie Gauleiter in Hannover waren?

LAUTERBACHER: Ich habe niemanden und keinen Menschen öffentlich aufgehängt.

MR. DODD: Sind Sie ganz sicher?

LAUTERBACHER: Jawohl.

MR. DODD: Wieviel Leute haben Sie in die Konzentrationslager gebracht?

LAUTERBACHER: Ich habe vielleicht fünf oder zehn Personen wegen Vergehen gegen die Kriegswirtschaftsbestimmungen den ordentlichen Gerichten überstellt und habe in einem mir besonders erinnerlichen Falle für zwei Personen, die sich weigerten, Waren...

MR. DODD: Einzelheiten interessieren mich nicht, sagen Sie mir nur, wie viele Sie dorthin hingeschickt haben?

LAUTERBACHER: Das sind zwei Personen gewesen. Ob diese in das Konzentrationslager kamen, weiß ich nicht, da ich sie selbst nicht einweisen konnte. Die Einweisung geschah ja über Berlin.

MR. DODD: Kennen Sie einen Mann namens Huck? H-u-c-k, Heinrich Huck?

LAUTERBACHER: Huck, nein, ist mir im Augenblick nicht erinnerlich.

MR. DODD: Den Polizeikommissar, der Ihrem Gau unterstand oder in Ihrem Gau war?

LAUTERBACHER: Nein, ist mir nicht bekannt.

MR. DODD: Ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht einmal, als Sie dort Gauleiter waren, einen ausländischen Arbeiter aus dem Osten haben hängen lassen, und zwar öffentlich auf dem Marktplatz, damit er dort den ganzen Tag über hängen sollte?

LAUTERBACHER: Nein, wo soll das gewesen sein?

MR. DODD: Es soll sich in Hildesheim ereignet haben.

LAUTERBACHER: Nein.

MR. DODD: Und zwar ungefähr im März 1945, kurz vor Kriegsende?

LAUTERBACHER: Nein, das ist mir unbekannt, ich habe niemals solche Weisungen gegeben.

MR. DODD: Haben Sie angeordnet, daß 400 oder 500 Gefangene kurz vor der Einnahme der Stadt durch die Alliierten vergiftet oder erschossen werden sollten?

LAUTERBACHER: Nein, dieser Fall ist mir in London vorgelegt worden, und ich glaube, ihn aufgeklärt zu haben.

MR. DODD: Sie wissen also, worüber ich spreche?

LAUTERBACHER: Ja, über das Zuchthaus in Hameln.

MR. DODD: Sie wissen, daß Ihr Kreisleiter erklärt, Sie hätten befohlen, sie entweder mit Blausäure oder Strychnin zu vergiften oder sie erschießen zu lassen. Sie wissen auch davon, nicht wahr?

LAUTERBACHER: Das ist mir in London mitgeteilt worden.

MR. DODD: Und nicht nur Ihr Kreisleiter hat so ausgesagt, sondern auch Richard Rother, ein Gefängnisinspektor in Hameln. Er bestätigt, daß der Befehl weitergegeben wurde, daß sie vergiftet oder erschossen werden sollten. Wissen Sie auch das?

LAUTERBACHER: Ich habe diesen Befehl niemals erteilt.

MR. DODD: Ich frage Sie, ob Sie wissen, daß diese Leute, die mit Ihnen in Verbindung standen, geschworen haben, daß Sie das getan haben? Sie haben doch diese Affidavits gesehen, nicht wahr?

LAUTERBACHER: Das ist mir in London mitgeteilt worden. Es ist mir aber auch mitgeteilt worden, daß diese Zuchthausinsassen nicht vergiftet, sondern zurückgeschickt Worden sind.

MR. DODD: Ja, sie wurden zwar zurückgeschickt, aber nicht, weil Sie es angeordnet hatten, sondern weil Ihre Leute sich weigerten, Ihre Befehle auszuführen; stimmt das nicht?

LAUTERBACHER: Das entzieht sich meiner Kenntnis, weil ich nicht mehr in Hameln beziehungsweise nicht mehr Gauleiter war.

MR. DODD: Sie haben doch diese Affidavits gesehen, ich glaube nicht, daß es notwendig ist, sie Ihnen zu überreichen. Ich möchte Sie aber zum Beweis vorlegen.

LAUTERBACHER: Ich habe in London die Aussage des kommissarischen Kreisleiters Dr. Krämer erhalten und auf diese Aussage geantwortet.

MR. DODD: Gut, dann wissen Sie also, was er sagt?

Herr Präsident! Ich biete das Dokument D-861 als Beweisstück US-874 an. Es ist ein Dokument, das aus sieben eidesstattlichen Erklärungen besteht von Personen, die mit diesem Zeugen in seiner Eigenschaft als Gauleiter in Verbindung standen und mit seinem Verhalten während seiner Tätigkeit als Gauleiter zu tun hatten.

VORSITZENDER: In welcher Hinsicht meinen Sie, daß dieses Beweismaterial erheblich ist?

MR. DODD: Ich lege es als Beweismaterial mit Bezug auf die Glaubwürdigkeit oder besser gesagt, auf die mangelnde Glaubwürdigkeit dieses Mannes vor. Ich glaube nicht, daß es mit diesem Fall direkt etwas zu tun hat, außer daß es zeigt, was für eine Art von Mensch er ist, wie wir behaupten und daß der Gerichtshof diese Information vor Augen haben sollte, wenn er die Zeugenaussage wertet.

Ich wurde gerade von meinem Freund, Herrn Elwyn Jones, darauf hingewiesen, daß dieses Beweismaterial natürlich auch einen Einfluß auf die Beurteilung des Führerkorps der Nazi-Partei haben wird, dessen Mitglied er ja war. Das war mir nicht gegenwärtig. Ich möchte aber diesen Umstand auch als einen der Gründe für die Vorlage dieses Dokuments angeben.

VORSITZENDER: Wo sind die Personen, die diese eidesstattlichen Erklärungen abgegeben haben?

MR. DODD: Danach muß ich mich noch erkundigen. Herr Präsident, ich weiß es nicht. Sie sind in Haft, zum mindesten einige von ihnen, in der Britischen Zone in Deutschland.

VORSITZENDER: Bitte, Dr. Sauter.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Sie haben gerade gefragt, wo diese Leute sind, von denen die eidesstattlichen Versicherungen abgegeben wurden. Ich kann Ihnen vielleicht bei der Aufklärung dieser Frage etwas behilflich sein. Dieser Herr Josef Krämer, den die Anklage gerade als Kronzeugen gegen den Zeugen Lauterbacher anführt, ist vor ungefähr acht oder zehn Tagen von einem englischen Gericht zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden, und zwar in derselben Angelegenheit, wie der Herr Anklagevertreter eben erwähnt. Von dieser Sache weiß zwar der Herr Lauterbacher nichts, aber ich habe zufällig in einer deutschen Zeitung den Bericht über diese Verhandlung gelesen, und ich habe diesen Bericht hier. In dem Bericht, datiert vom 2. Mai dieses Jahres, ist erwähnt, daß der ehemalige Kreisleiter von Hameln, Dr. Josef Krämer, vom Gericht der 5. Britischen Division zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Es heißt hier wörtlich: Krämer hatte beim Anrücken der alliierten Truppen den Befehl zur Liquidierung der Insassen des Zuchthauses Hameln gegeben. Es darf kein gefährlicher Gefangener und kein Ausländer in die Hand des Feindes fallen, war sein Befehl, sie müssen alle durch Blausäure vergiftet werden oder, wenn das nicht geht, erschossen werden. So lautete der Befehl des Kreisleiters Josef Krämer, der jetzt als Zeuge gegen diesen meinen Zeugen angeführt wird. Dieser Bericht sagt weiter, daß Beamte dieses Zuchthauses, die als Zeugen vernommen wurden, erklärten, daß sie, trotz dieses Befehls des Dr. Krämer, die Beseitigung der Gefangenen abgelehnt hätten. Das Weitere interessiert nicht, aber ich dachte mir, es ist vielleicht für das Gericht für die Behandlung der Frage von Bedeutung, wenn Sie hier urkundlich lesen können, wie in Wirklichkeit dieser frühere Kreisleiter sich benommen hat. Den Zeitungsausschnitt, wenn er Sie interessieren sollte, Herr Präsident – aber er ist deutsch –, kann ich Ihnen übergeben.

MR. DODD: Ich möchte bemerken, Herr Präsident, daß hiermit das Dokument vollkommen bestätigt wird; das heißt: Krämer sagt aus, was er getan hat, nämlich, daß er die Befehle weitergegeben habe, aber auch, daß er sie von diesem Manne bekommen habe. Es unterstützt also zum mindesten unsere Behauptung und kann uns, was den Wert dieses Dokuments anbelangt, keineswegs schaden. Nach Durchsicht der Affidavits scheint es mir das beste, wenn ich nur das erste und das letzte Dokument vorlege. Dann sind noch einige andere in dieser Gruppe, die meiner Ansicht nach dem Gerichtshof wenig nützen würden. Daher werde ich alle Dokumente bis auf das erste und das letzte zurückziehen und nur das Affidavit von Krämer und das von Huck vorlegen.

VORSITZENDER: Herr Dodd! Der Gerichtshof ist nicht der Ansicht, daß diese Dokumente zugelassen werden sollten. Vor allem, soweit die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen in Betracht kommt, glauben wir nicht, daß seine Antworten auf Fragen über Glaubwürdigkeit durch andere Beweismittel in Frage gestellt werden sollten. Was nun das Führerkorps anlangt, so glauben wir, daß diese Dokumente nur Beweismittel für ein individuelles Verbrechen darstellen.

MR. DODD: Sehr gut, Herr Präsident.

Zeuge! Wie ich Sie verstand, sagten Sie, daß Sie den Angeklagten von Schirach niemals etwas Abfälliges über das jüdische Volk haben sagen hören, und daß Sie im Gegenteil gehört haben, wie er sich ganz offen nach den Vorfällen des 9. November 1938 geäußert habe. Habe ich Sie richtig verstanden?

LAUTERBACHER: Ja. Er hat sich in der Tagung der Gebietsführer unmißverständlich gegen die Ausschreitungen ausgesprochen. Er hatte dabei keinen Zweifel, daß...

MR. DODD: Sie brauchen nicht das Ganze zu wiederholen. Ich wollte nur wissen, ob ich Sie richtig verstanden habe.

Ich nehme an, daß Sie als Stellvertreter des Reichsjugendführers das Hitler-Jugend-Jahrbuch für das Jahr 1938 gelesen haben?

LAUTERBACHER: Ich kann mich an dieses Buch im Augenblick nicht erinnern; wenn ich es vielleicht mal ansehen darf?

MR. DODD: Natürlich erwarte ich das auch nicht, aber ich wollte nur feststellen, ob Sie es tatsächlich gelesen haben. Ich nehme an, daß Sie Ihr Jahrbuch immer gelesen haben?

LAUTERBACHER: Nein.

MR. DODD: Wie, Sie haben es nicht gelesen?

LAUTERBACHER: Ich kann mich nicht entsinnen, nein.

MR. DODD: Gut. Wäre es nicht für Sie üblich gewesen, dieses Jahrbuch zu lesen? Wollen wir die Frage so stellen.

LAUTERBACHER: Das Jahrbuch wurde zusammengestellt von dem Presseamt, und auf die Einzelheiten der journalistischen Gestaltung unserer Zeitungen, Zeitschriften, Jahrbücher, hatte ich keinen Einfluß, und ich habe dieses Jahrbuch auch, jedenfalls soweit es antisemitische Ausschreitungen oder soweit es eine Gewaltpolitik forderte, nicht in Erinnerung.

MR. DODD: Gut. Ich werde es Ihnen auf jeden Fall zeigen, und ich will Ihre Aufmerksamkeit auf einen Artikel in dem Jahrbuch lenken, der sich mit den Juden befaßt. Wissen Sie, wovon ich spreche? Von der Stelle, wo sie beschuldigt werden, im Laufe der Geschichte das Blut von Millionen vergossen zu haben. Ich nehme an, daß das nach den mutigen Behauptungen des Angeklagten im November 1938 erschien, da das Buch das ganze Jahr 1938 betrifft. Sie werden den Artikel, von dem ich spreche, auf Seite 192 finden.

LAUTERBACHER: Jawohl.

MR. DODD: Haben Sie den Artikel vorher gelesen?

LAUTERBACHER: Nein, dieses Jahrbuch hat keinen amtlichen Charakter, und ist eine private Angelegenheit der Herausgeber gewesen.

MR. DODD: Einen Augenblick. Was wollen Sie sagen mit »es hatte keinen amtlichen Charakter«? Es war das Jahrbuch der Hitler-Jugend, nicht wahr?

LAUTERBACHER: Dieses Buch ist nicht Hitler-Jugend-amtlich oder Partei-amtlich. Ich habe dieses Buch immer erst hinterher zur Kenntnis erhalten.

MR. DODD: Es wurde von dem Zentralverlag der NSDAP veröffentlicht, stimmt das?

LAUTERBACHER: Das stimmt, das sehe ich.

MR. DODD: Es hatte den Titel »Jahrbuch der Hitler- Jugend«. Sie haben es eine Reihe von Jahren laufend herausgegeben, nicht wahr? Ich meine nicht Sie persönlich, sondern die Partei und die Hitler-Jugend.

LAUTERBACHER: Nein. Dieses Jahrbuch ist in jedem Jahr von den hier erwähnten Herren, beziehungsweise auch anderen Herren zusammengestellt und herausgegeben worden.

MR. DODD: Das weiß ich. Ich versuche nur zu beweisen, daß es das Jahrbuch der Hitler-Jugend war, und zwar das einzige, das erschien, und daß es jedes Jahr erschienen ist. Stimmt das nicht?

LAUTERBACHER: Dieses Buch ist jedes Jahr herausgekommen, aber es hatte, ich wiederhole noch einmal, keinen amtlichen Charakter, und ich glaube auch nicht, daß...

MR. DODD: Gut. Was glauben Sie, würde dem Buch einen amtlichen Charakter geben?

LAUTERBACHER: Wenn hier stünde: »Herausgegeben von der Reichsjugendführung«, in diesem Augenblick hätte es amtlichen Charakter.

MR. DODD: Und die Tatsache, daß da stand: »Herausgegeben vom Zentralverlag der NSDAP«, genügt dazu nicht, meinen Sie?

LAUTERBACHER: Keineswegs.

MR. DODD: Sie haben keine anderen Veröffentlichungen in der Art eines Jahrbuches außer diesem Jahrbuch herausgegeben?

LAUTERBACHER: Ein Kalender ist jährlich herausgegeben worden.

MR. DODD: Ich spreche durchaus nicht von einem Kalender; ich spreche von einem Bericht oder Buch.

LAUTERBACHER: Nein.

MR. DODD: Und Sie wollen immer noch dem Gerichtshof sagen, daß das nicht das Jahrbuch der Hitler-Jugend war und das einzige, das in Deutschland herausgegeben wurde?

LAUTERBACHER: Ich erkläre noch einmal, daß dieses Jahrbuch keinen amtlichen Charakter hatte.

MR. DODD: Gut, nachdem Sie das Zitat gelesen haben, glauben Sie immer noch, daß von Schirach als Führer der Jugend des Reichs tatsächlich nichts Herabsetzendes über die Juden gesprochen hat oder daß Reden dieser Art unter seiner Führung nicht vorkamen?

LAUTERBACHER: Von Schirach hat an seiner antisemitischen Einstellung, solange er Reichsjugendführer war, nie einen Zweifel gelassen.

MR. DODD: Kennen Sie die Rede, die er im Jahre 1942 gehalten hat und worin er sich das Verdienst, die Juden von Wien deportiert zu haben, zuschrieb? Kennen Sie diese Rede?

LAUTERBACHER: Nein, diese Rede kenne ich nicht. Während dieser Zeit war ich ja in Hannover und von Schirach in Wien.

MR. DODD: Ja, er war um diese Zeit einer Ihrer Gauleiterkollegen. Erhielten Sie jemals irgendwelche SS-Berichte über das, was im Osten mit den Juden geschah?

LAUTERBACHER: Niemals. Mir sind niemals SS-Berichte oder SS-Rundschreiben, oder Befehle zugänglich gewesen.

MR. DODD: Haben Sie irgendwelche Juden aus Ihrem Gau deportieren lassen?

LAUTERBACHER: Als ich den Gau bekam im Dezember 1940, waren die Juden bereits abgewandert.

MR. DODD: Sie waren schon fort, als Sie hinkamen?

LAUTERBACHER: Ja.

MR. DODD: Haben Sie jemals von Gauleitern gehört, die Berichte von Heydrich oder von Himmler bekamen über das, was mit den Juden im Osten geschah? Hat irgendeiner Ihrer Gauleiterkollegen Ihnen jemals erzählt, daß er diese Berichte regelmäßig erhielt, sagen wir monatlich oder wöchentlich?

LAUTERBACHER: Nein, die Berichte Himmlers waren den Gauleitern ebensowenig zugänglich wie den Ehrenführern der SS. Ich habe als Obergruppenführer der SS niemals einen Bericht oder eine Anordnung von Himmler erhalten.

MR. DODD: Mit diesen Himmler-Berichten wurde doch sehr sorgfältig umgegangen, nicht wahr? Und nun frage ich Sie – und ich nehme an, daß Sie als SS-Obergruppenführer etwas darüber wissen – ging man mit diesen Himmler- und Heydrich-Berichten nicht sehr sorgfältig um?

LAUTERBACHER: Ich habe als SS-Obergruppenführer niemals Berichte von Himmler erhalten, und ich weiß, daß Himmler alle Berichte über vertrauliche oder interne SS-Angelegenheiten lediglich den SS- und Polizeiführern, also den im Dienste der SS stehenden Führern, zuleitete, aber niemals den Ehrenführern.

MR. DODD: Nun, was ich Sie wirklich fragte, war, ob die Berichte, wenn sie abgesandt wurden, nicht sehr sorgfältig behandelt wurden. Können Sie mir darauf antworten?

LAUTERBACHER: Das weiß ich nicht. Wie diese Berichte behandelt wurden, weiß ich nicht.

MR. DODD: Was war Ihrer Ansicht nach Heydrichs Ruf im Jahre 1942? Hatten Sie eine sehr gute oder eine sehr schlechte Meinung von ihm, bevor er getötet wurde?

LAUTERBACHER: Ich habe Heydrich nur aus einigen Begegnungen in der Reichsjugendführung kennengelernt und hatte persönlich von ihm einen guten Eindruck. Meine Meinung über ihn muß heute zwangsläufig eine andere sein, aber erst heute, nachdem ich seine Maßnahmen kenne.

MR. DODD: Was tat er bei den seltenen Begegnungen, die Sie mit ihm im Amt der Reichsjugendführung hatten? Was hatte er dort zu tun?

LAUTERBACHER: Er hat von sich aus in Fällen der Homosexualität durch seine Organe eingegriffen, und das hat sich von Schirach verbeten und erklärt, daß auch diese Fälle zunächst seiner Zuständigkeit unterliegen.

MR. DODD: Sie haben doch allen Besprechungen mit Heydrich beigewohnt, ganz gleich wie viele es waren, nicht wahr?

LAUTERBACHER: Ich habe bei einer Konferenz über die Frage der Homosexualität in der Hitler-Jugend teilgenommen.

MR. DODD: Sagen Sie uns, hatten Sie nach dem, was Sie dort sahen und hörten, den Eindruck, daß Heydrich und Schirach sehr befreundet waren oder auf sehr freundschaftlichem Fuße standen?

LAUTERBACHER: Diese Besprechung hat nicht mit von Schirach stattgefunden, sondern mit einem Beauftragten der Reichsjugendführung, der als Chef der HJ-Gerichtsbarkeit mit Heydrich die Besprechungen führte.

MR. DODD: Waren Sie jemals anwesend, wenn Heydrich mit Schirach sprach? Waren Sie jemals dabei?

LAUTERBACHER: Nein.

MR. DODD: Sprach Heydrich jemals zu Ihnen oder besser gesagt, sprach Schirach jemals zu Ihnen über Heydrich?

LAUTERBACHER: Nein, darauf kann ich mich nicht besinnen.

MR. DODD: Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Dr. Sauter?

DR. SAUTER: Ich habe keine weiteren Fragen, danke sehr.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.

DR. SAUTER: Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten rufe ich als nächsten Zeugen Gustav Höpken.