[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]
VORSITZENDER: Geben Sie Ihren vollen Namen an.
ZEUGE GUSTAV DIETRICH HÖPKEN: Gustav Dietrich Höpken.
VORSITZENDER: Sprechen Sie mir folgenden Eid nach: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«
[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]
VORSITZENDER: Sie können sich setzen.
DR. SAUTER: Herr Höpken! Ich habe Sie zum Falle Schirach bereits im Gefängnis vernommen, nicht wahr?
HÖPKEN: Ja, Sie haben mich bereits vernommen.
DR. SAUTER: Wie alt sind Sie?
HÖPKEN: Ich bin 36 Jahre alt.
DR. SAUTER: Was ist Ihr Vater?
HÖPKEN: Mein Vater ist Hafenarbeiter.
DR. SAUTER: Was sind Sie selbst von Hause aus?
HÖPKEN: Ich war Zeitungsjunge, Hafenarbeiter, Werkstudent und Sportlehrer.
DR. SAUTER: Sportlehrer. Sie befinden sich jetzt in amerikanischer Gefangenschaft?
HÖPKEN: Ja, ich befinde mich in amerikanischer Gefangenschaft.
DR. SAUTER: Seit wann?
HÖPKEN: Seit dem 19. Mai 1945.
DR. SAUTER: Sind Sie schon einmal in dieser Sache von der Staatsanwaltschaft vernommen worden?
HÖPKEN: Ich bin bisher von der Staatsanwaltschaft nicht vernommen worden.
DR. SAUTER: Wann sind Sie denn zur Hitler-Jugend gekommen?
HÖPKEN: Ich bin im Jahre 1933 zur Hitler-Jugend gekommen.
DR. SAUTER: Im Jahre 1933 sind Sie zur Hitler-Jugend gekommen Damals waren Sie wie alt?
HÖPKEN: Damals war ich 23 Jahre alt.
DR. SAUTER: Als was sind Sie zur Hitler-Jugend gekommen, in welcher Eigenschaft?
HÖPKEN: Zunächst als einfacher HJ-Junge, und im September 1933 wurde ich Unterbannführer der Hitler-Jugend.
DR. SAUTER: Unterbannführer, 1933?
HÖPKEN: 1933, im September.
DR. SAUTER: 1933, waren Sie da hauptamtlich, oder war das ehrenamtlich?
HÖPKEN: Ich habe von 1933 bis 1935 als Sportlehrer in der Hitler-Jugend gearbeitet.
DR. SAUTER: Und 1935?
HÖPKEN: Im Jahre 1935 kam ich zur Regierung nach Potsdam als Sachbearbeiter für das Schulturnen.
DR. SAUTER: Das hat mit der Hitler-Jugend nichts mehr zu tun gehabt?
HÖPKEN: In Potsdam habe ich nebenamtlich den Bann Potsdam und den Standort Potsdam der Hitler- Jugend geführt.
DR. SAUTER: Sie waren also damals Staatsbeamter... Sie waren also dann in der Folgezeit Staatsbeamter und nebenbei ehrenamtlich Führer bei der Hitler-Jugend.
HÖPKEN: Ich war von 1935 bis zum Jahre 1939 Beamter an der Regierung in Potsdam und habe nebenamtlich und ehrenamtlich den Bann Potsdam und den Standort Potsdam der Hitler-Jugend geführt.
DR. SAUTER: Im Sommer 1939 kamen Sie dann zur Reichsjugendführung?
HÖPKEN: Im Juni 1939 kam ich zur Reichsjugendführung und wurde begleitender Adjutant des damaligen Reichsjugendführers Baldur von Schirach.
DR. SAUTER: Vom Jahre 1939 an. Wie lange blieben Sie dann?
HÖPKEN: Geblieben bin ich bis zum August 1939, und dann bin ich Soldat geworden.
DR. SAUTER: Eine Frage dazwischen: Hatten Sie vorher bevor Sie zu Schirach kamen, nicht beim Militär Dienst gemacht?
HÖPKEN: Bevor ich zu Schirach kam, im Jahre 1939, hatte ich eine pflichtmäßige Achtwochenübung bei der Luftwaffe gemacht.
DR. SAUTER: Sonst waren Sie nicht ausgebildet?
HÖPKEN: Sonst war ich nicht militärisch ausgebildet.
DR. SAUTER: Waren Sie Offizier?
HÖPKEN: Offizier war ich nicht bis dorthin.
DR. SAUTER: Hat Schirach bei seinen anderen Mitarbeitern Wert darauf gelegt, daß sie Offiziere oder ausgebildete Soldaten seien?
HÖPKEN: Meines Wissens hat Schirach keinen Wert darauf gelegt, daß seine Mitarbeiter Soldaten oder Offiziere waren, im Gegenteil, er war der Auffassung, die er mir wiederholt gesagt hat, daß Soldaten und Offiziere nach seinem Dafürhalten weniger geeignet seien zur Führung der Jugend.
DR. SAUTER: Auf die Frage der Ausbildung der Hitler-Jugend möchte ich im allgemeinen nicht eingehen, sondern nur eine einzige Frage in dieser Beziehung stellen, und zwar deshalb, weil Sie Sportlehrer von Beruf sind. Und zwar eine Frage nach der Ausbildung der Hitler-Jugend im Schießen. Ist die Hitler-Jugend mit Militärgewehren ausgebildet worden, oder womit wurde sie ausgebildet im Schießen?
HÖPKEN: Die Hitler-Jugend wurde ausgebildet im Schießen mit Luftgewehren oder Kleinkaliberbüchsen. Mit Militärwaffen wurde nicht geschossen in der Hitler-Jugend.
DR. SAUTER: Ich will dann auch an Sie keine weiteren Fragen bezüglich der Frage der Uniform stellen, denn diese Fragen sind bereits geklärt. Mich würde aber dies interessieren, bezüglich des Verhältnisses zur Kirche: Ist Ihnen bekannt, Herr Zeuge, daß der Angeklagte von Schirach im Jahre 1937, und zwar in der Nummer vom 14. Januar 1937, in der Berliner Zeitung »Berliner Tageblatt« einen Artikel erscheinen ließ, der von seinem Pressereferenten Günther Kaufmann stammte und der die Überschrift trug »Ist die Kluft zu überbrücken?« Dieser Artikel, der mir in Abschrift vorliegt, beschäftigt sich mit einem Problem, das mich interessiert und darum würde ich Sie fragen:
Wissen Sie, was Schirach in diesem Artikel durch seinen Referenten über die Frage schreiben ließ, ob die Hitler-Jugend auf die gottesdienstlichen Bedürfnisse der Jugend Rücksicht nehmen soll oder nicht?
HÖPKEN: Der Artikel ist mir bekannt.
DR. SAUTER: Ist Ihnen bekannt?
HÖPKEN: Ich kenne auch den Befehl des damaligen Reichsjugendführers, daß an Tagen, das heißt an Sonntagen, kein Hitler-Jugend-Dienst stattfinden soll für all die Jungen und Mädels, die das Bedürfnis haben, den Gottesdienst zu besuchen. Es solle jedem Jungen und jedem Mädel der damaligen HJ die Möglichkeit gegeben werden, den Gottesdienst nach eigenem freien Willen zu besuchen, und er hat es den HJ-Führern damals zur Pflicht gemacht, sich in keinerlei Diskussionen über irgendwelche Streitfragen über HJ und Kirche einzulassen. Er hat es verboten.
DR. SAUTER: Herr Zeuge! Das ist das Wesentliche in diesem Artikel vom 14. Januar 1937. Sie wissen aber, daß wegen dieses Artikels der Angeklagte von Schirach dann gewisse Schwierigkeiten seitens Hitler bekam. Wollen Sie das kurz erzählen, was Sie darüber wissen?
HÖPKEN: Unmittelbar, nachdem die Vereinbarung zwischen Kirche und HJ getroffen war, erschien dieser besagte Artikel im »Berliner Tageblatt«. Am Tage des Erscheinens dieses Artikels befand sich von Schirach zu einer Besprechung im Büro Rosenbergs. Zu dieser Zeit wurde Schirach von Hitler ans Telephon gerufen. Schirach wurde von Hitler erstens wegen der Vereinbarung zwischen Kirche und HJ, zum zweiten wegen der Veröffentlichung dieses Artikels energisch zur Rede gestellt mit dem Ziel, die Vereinbarung rückgängig zu machen und den weiteren Druck der Zeitungen sofort einstellen zu lassen. Beides ist nicht geschehen.
DR. SAUTER: Hat Schirach es abgelehnt, den Zeitungsartikel zurückzunehmen?
HÖPKEN: Meines Wissens, ja.
DR. SAUTER: Sie sind dann im Jahre 1940 mit Schirach nach Wien gegangen?
HÖPKEN: Nein, das bin ich nicht.
DR. SAUTER: Sondern?
HÖPKEN: Ich bin erstmalig im September 1941 nach Wien gekommen.
DR. SAUTER: Wo waren Sie in der Zwischenzeit?
HÖPKEN: Ich sagte bereits, daß ich im August 1939 Soldat geworden bin in der Luftwaffe; ich war in der Zeit Soldat, und zwar Truppenfluglehrer bei einer Fliegerschule der Luftwaffe.
DR. SAUTER: Und kamen dann erst wieder 1941 zu Schirach, und zwar jetzt nach Wien?
HÖPKEN: Ja, im September 1941 kam ich zu Schirach nach Wien.
DR. SAUTER: Der oberste katholische Geistliche von Wien ist Kardinal Innitzer?
HÖPKEN: Ja.
DR. SAUTER: Wissen Sie, wie Schirach sich zu dem Kardinal Innitzer stellte, insbesondere... , um Ihnen gleich zu sagen, weshalb ich Sie frage... Ob es richtig ist, daß Schirach gegen Belästigungen des Kardinals Innitzer durch Hitlerjungen Stellung nahm? Was er da getan hat und so weiter?
HÖPKEN: Schirach hat mir gegenüber wiederholt gesagt, daß er gern einmal mit dem Kardinal Innitzer sich aussprechen würde. Er dürfe das aber nicht tun, erstens gäbe es einen Erlaß des früheren Chefs der Parteikanzlei, Bormann, der es Gauleitern verbiete, mit höheren Würdenträgern der Kirche zu konferieren. Zweitens war es Schirach bekannt, daß er selbst unter Überwachung stand.
DR. SAUTER: Wer, Schirach?
HÖPKEN: Daß Schirach unter Überwachung stand und der Auffassung war, daß, wenn er eine solche Besprechung durchführen würde, es am nächsten Tage sicherlich Bormann erfahren hätte, und das wäre für beide, das heißt sowohl für von Schirach als auch für den Herrn Kardinal Innitzer sehr abträglich gewesen. Umgekehrt war Schirach der Auffassung, daß sicherlich der Herr Kardinal Innitzer auch gern einmal mit von Schirach sich ausgesprochen hätte, und Schirach meinte, das wäre sicherlich nicht der Fall, wenn der Herr Kardinal Innitzer von seiner toleranten Haltung gegenüber der Kirche und der christlichen Religion nichts wissen würde. Mir ist auch bekannt, ich glaube, es war im Winter 1944/1945, daß der Herr Kardinal Innitzer auf dem Rückweg von einer gelesenen Messe von jugendlichen Zivilisten belästigt worden ist. Der Herr Kardinal Innitzer ließ durch die Polizei die Namen dieser Jugendlichen feststellen. Es stellte sich heraus, daß es HJ-Führer waren. Noch am selben Tage bestellte Schirach den zuständigen Gebietsführer der HJ zu sich und hat ihn schärfstens zur Rede gestellt mit der Forderung, daß die betreffenden HJ-Führer sofort abgesetzt werden sollen. Dies ist meines Wissens auch geschehen. Ich glaube, mich auch erinnern zu können, daß Schirach entweder selbst oder durch einen seiner Mitarbeiter einen Entschuldigungsbrief an den Herrn Kardinal Innitzer schreiben ließ.
VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre besser, wenn wir jetzt die Sitzung vertagen würden.