[Das Gericht vertagt sich bis
28. Mai 1946, 10.00 Uhr.]
Einhundertvierzigster Tag.
Dienstag, 28. Mai 1946.
Vormittagssitzung.
[Der Zeuge Höpken im Zeugenstand.]
GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Es wird gemeldet, daß der Angeklagte Göring der Sitzung fernbleibt.
VORSITZENDER: Wir wollten über die Dokumente des Angeklagten Bormann sprechen, nicht wahr?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn es Euer Lordschaft genehm ist.
DR. SERVATIUS: In der Sache Sauckel sind bisher nur zwei Zeugen eingetroffen. Drei wesentliche Zeugen fehlen noch, vielleicht kann der Gerichtshof einmal helfen, daß diese Zeugen bald herankommen, damit der Fall nicht zerrissen wird. Es sind die Zeugen Stothfang, DR. Jäger und Hildebrand. Ich habe mich wiederholt bei der Staatsanwaltschaft bemüht, sie zu bekommen, aber sie sind bis heute noch nicht hier. Ich habe die Zeugen noch nicht gesprochen.
VORSITZENDER: Ist schon festgestellt worden, wo sich die Zeugen befinden?
DR. SERVATIUS: Jawohl, einer ist im Lager Kassel, was nur einige Stunden von hier ist; der andere ist in Neumünster, das ist etwas weiter, vielleicht sechs bis sieben Stunden; Dr. Jäger ist auf freiem Fuß.
VORSITZENDER: Das ist aber nicht in Übereinstimmung mit den Informationen des Gerichtshofs. Dem Gerichtshof ist mitgeteilt worden, daß die Zeugen nicht zu finden seien.
DR. SERVATIUS: Ich habe Nachricht, daß der Aufenthaltsort festgestellt ist.
VORSITZENDER: Von wem haben Sie diese Nachricht?
DR. SERVATIUS: Auf dem amtlichen Wege vom Herrn Generalsekretär.
VORSITZENDER: Nun gut, wir werden uns danach erkundigen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Zunächst möchte ich zu den für den Angeklagten Bormann beantragten Zeugen Stellung nehmen. Es sind dies, soviel ich weiß, Fräulein Krüger, gegen die wir nichts einzuwenden haben. Wird der Zeuge Müller nicht mehr gewünscht?
DR. BERGOLD: Nein, auf den habe ich verzichtet.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann die Zeugen Klopper und zuletzt Friedrich. Beide in Bezug auf die gesetzgeberische Tätigkeit Bormanns. Die Anklagebehörde erhebt keinen Einspruch.
DR. BERGOLD: Hohes Gericht! An Stelle des Zeugen Müller, den ich zurückgezogen habe, habe ich in einem zusätzlichen Antrag auf Vernehmung der Zeugin Gerta Christian für das gleiche Beweisthema beantragt, für das der Zeuge Müller von mir benannt worden ist.
VORSITZENDER: Fräulein Krüger, die erste Zeugin, wird über die gleiche Tatsache aussagen, über den Tod Bormanns, nicht wahr?
DR. BERGOLD: Ja; Hohes Gericht! Es ist nur so, die letzten Lebensumstände des Angeklagten Bormann sind nicht sehr klar, und es ist sehr notwendig, alle darüber erreichbaren Zeugen zu hören, weil man nur aus der Gesamtheit der Zeugenaussagen den Eindruck und die Sicherheit gewinnen kann, die ich anstrebe, nämlich, daß der Angeklagte Bormann bereits gestorben ist.
VORSITZENDER: Das scheint nicht sehr erheblich zu sein; es ist ganz unerheblich, ob er tot ist oder lebendig. Die Frage ist, ob er schuldig oder unschuldig ist.
DR. BERGOLD: Hohes Gericht! Ich stehe auf dem Standpunkt, daß gegen einen Toten ein Urteilsspruch nicht mehr gefällt werden kann. Das ist auch nicht im Statut vorgesehen. Im Statut darf das Gericht nur judizieren gegen einen Abwesenden. Man kann aber unter den juristischen Begriff »abwesend« nicht einen Toten subsumieren. Wenn der Angeklagte tot ist, dann gibt das Statut keine Möglichkeit, im Verfahren gegen ihn fortzufahren.
VORSITZENDER: Sir David! Haben Sie etwas gegen den anderen Zeugen einzuwenden?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Euer Lordschaft. Die Anklagebehörde hat keinen Einspruch zu erheben.
VORSITZENDER: Sehr gut.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jetzt komme ich zu den Dokumenten, Euer Lordschaft. Bei der ersten Gruppe der Dokumente handelt es sich um eine Reihe von Verträgen sowie diplomatischen Erklärungen und Dokumenten, die die Erklärung von Sir Hartley Shawcross über den Stand des Völkerrechts vor Abfassung des Statuts entkräften sollen. In dieser Erklärung legte Sir Hartley dar, daß das Völkerrecht den Angriffskrieg bereits vor Errichtung dieses Gerichtshofs und bevor dessen Statut Teil des öffentlichen Rechts der Welt geworden war, zum internationalen Verbrechen gestempelt hatte. Die Anklagebehörde nimmt den Standpunkt ein, daß die Beweisführung in diesem Punkt wirklich unerheblich ist, denn schließlich ist ja der Gerichtshof durch das Statut gedeckt. Es scheint mir unnötig, alle diese Punkte, die der Verteidiger in seinem Antrag dargelegt hat, zu übersetzen und in Form von Dokumentenbüchern herauszugeben. Das ist kurz gesagt die Stellungnahme der Anklagebehörde im Hinblick auf die erste Gruppe von Urkunden. Ich will dieses Problem aus dem angeführten Grunde nicht diskutieren.
VORSITZENDER: Ja, welche Nummern sind dies?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es sind die Nummern 1 bis 11... nein, 1 bis 7 im Antrag.
VORSITZENDER: Ja. Sind es lange Dokumente?
DR. BERGOLD: Euer Lordschaft! Ich habe sie noch nicht gesehen. Ich habe schon vor drei Monaten beantragt, diese Dokumente mir vorzulegen zur Einsichtnahme. Ich habe sie aber leider bis heute noch nicht bekommen. Ich kann daher dem Hohen Gerichtshof keine Auskunft darüber geben, ob die Dokumente lang sind oder nicht und welche Teile aus diesen Dokumenten ich für meine Verteidigung benötigen würde.
VORSITZENDER: Nummer 2 sieht aus, als ob es ein langes Dokument wäre.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft.
DR. BERGOLD: Aber ich werde von diesen Dokumenten nicht alle brauchen, wenn ich sie habe. Ich werde vermutlich einige nehmen; ich werde aus diesen Dokumenten, Euer Lordschaft, nur eines...
VORSITZENDER: Wenn Sie sagen, daß Sie schon vor drei Monaten dafür den Antrag gestellt haben, dann meinen Sie doch nicht, daß Sie den Antrag an den Gerichtshof gestellt haben?
DR. BERGOLD: Den Antrag habe ich an das Generalsekretariat gestellt, aber er ist vielleicht beiseite gelegt worden, als seinerzeit Euer Lordschaft entschieden haben, daß mein Fall bis zum Ende zurückgestellt werden soll. Vielleicht ist er dadurch in Vergessenheit geraten.
VORSITZENDER: Haben Sie auf Ihren Antrag einen Bescheid erhalten?
DR. BERGOLD: Nein.
VORSITZENDER: Ich glaube, Sie haben eine Vertagung beantragt, um die Sache später vorbringen zu können, nicht wahr?
DR. BERGOLD: Ja, Euer Lordschaft, ich bin in einer ganz besonders schwierigen Lage, Ich habe schon sehr viele Zeugen gehört und habe mich sehr viel bemüht, aber kann nichts Entlastendes finden. Die Zeugen sind alle mit einem erheblichen Groll gegen den Angeklagten Bormann erfüllt und haben das Bestreben, ihn zu belasten, um sich zu entlasten. Das macht die besondere Schwierigkeit meines Falles. Der Mann selbst ist wahrscheinlich tot und kann mir Information nicht geben. Jeden Tag können mir neue Informationen zugehen. So ist jetzt zum Beispiel vor wenigen Tagen ein Mitarbeiter Bormanns, ein Dr. von Hummeln, in Salzburg verhaftet worden. Ich werde zu ihm fahren. Vielleicht werde ich wieder neue Informationen bekommen, vielleicht auch keine. Ich muß auch annehmen...
VORSITZENDER: Darüber brauchen wir uns jetzt keine Sorgen zu machen. Wir fragen nur nach Ihrem Antrag in Bezug auf die Dokumente.
Sir David! Haben Sie noch irgend etwas über die Dokumente zu sagen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, ich habe meine Ansicht bereits kurz dargelegt. Ich will meine Begründungen nicht im einzelnen erörtern, weil sie sich gerade auf die von mir als unerheblich betrachtete Frage beziehen.
VORSITZENDER: Wie steht es mit Nummer 11?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe nicht die Absicht, gegen die anderen Dokumente Einspruch zu erheben, Euer Lordschaft.
VORSITZENDER: Gibt es noch andere außer...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nummer 11; es könnte Anlaß zu einer Diskussion geben, Euer Lordschaft, und ich will deshalb dagegen keinen Einspruch erheben. Soweit die anderen Dokumente in Frage kommen, haben wir natürlich keinen Einspruch gegen die Verordnungen des Stellvertreters des Führers, und...
VORSITZENDER: Alle unter »B«?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, die Anklagebehörde hat dagegen keinen Einspruch zu erheben.
VORSITZENDER: Ja.