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[Zum Verteidiger gewandt:]

Nun, was haben Sie zu Sir Davids Einspruch gegen die Dokumente 1 bis 7 zu sagen?

DR. BERGOLD: Euer Lordschaft! Ich habe meinen Standpunkt bereits in meinem Antrag niedergelegt. Um dem Gericht Zeit zu sparen: darf ich mir vielleicht erlauben, auf diese schriftlichen Ausführungen Bezug zu nehmen? Mehr will ich im gegenwärtigen Augenblick nicht dazu sagen. Wenn aber Euer Lordschaft wünschen, daß ich es hier mündlich begründe, bin ich dazu bereit.

VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird die Angelegenheit entscheiden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Würden Euer Lordschaft es vorziehen, über die anderen noch ausstehenden Anträge jetzt zu verhandeln, oder wollen Sie diese später behandeln, am Ende des Falles von Schirach?

VORSITZENDER: Ich glaube, wir haben die Unterlagen nicht hier. Wir wollten ja heute morgen nur über den Bormann-Antrag verhandeln.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn es Euer Lordschaft genehm ist.

[Mr. Dodd tritt zum Pult.]

VORSITZENDER: Herr Dodd! Wir haben hier ein Dokument D-880. Es sollen Auszüge aus der Zeugenaussage von Admiral Raeder sein, die in Nürnberg am 10. November 1945 von Major John Monigan aufgenommen wurde. Haben Sie dieses Dokument als Beweismittel angeboten oder nicht?

MR. DODD: Darf ich eben nachsehen? Ich bin nicht sicher.

VORSITZENDER: Wir werden Ihnen das Dokument geben.

MR. DODD: Ich glaube nicht, Herr Vorsitzender, ich glaube nicht, daß es als Beweismittel vorgelegt wurde.

VORSITZENDER: Es scheint, daß das gestern oder vorgestern vorgelegt worden ist...

MR. DODD: Ich glaube irrtümlicherweise.

VORSITZENDER:... oder letzte Woche. Ja. Aber Sie werden es aufklären und uns das Ergebnis wissen lassen.

MR. DODD: Sehr gut, Herr Vorsitzender. Wollen Sie diese Abschrift zurück haben?

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Sie wollen Gustav Höpken weiter verhören, nicht wahr?

DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich fahre dann in der Vernehmung des Zeugen Höpken fort.

Herr Höpken! Wir sind gestern stehengeblieben bei der Behandlung der Frage, ob der Angeklagte von Schirach während seiner Wiener Zeit eine kirchenfeindliche oder in dieser Beziehung eine tolerante Stellung eingenommen hat. Und die letzte Antwort, die Sie mir gestern gaben, bezog sich auf das Verhältnis des Angeklagten von Schirach zu dem Wiener Kardinal Innitzer. Ist es richtig, Herr Zeuge, daß Sie auf Veranlassung und mit Vorwissen des Angeklagten von Schirach während der Wiener Zeit periodisch Besprechungen mit einem dortigen katholischen Geistlichen, einem Dekan Professor Ens, zu dem Zweck hatten, um mit ihm kirchliche Fragen zu besprechen und eintretende Differenzen zu beseitigen?

HÖPKEN: Ja, das ist richtig. Der Dekan Professor Ens war aber nicht, wie Sie annehmen, Katholik, sondern Protestant. Er war Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Wien. Er hat mir bei seinen jeweiligen Besuchen viele kirchliche und religiöse Fragen vorgelegt. Ich habe sie mit ihm besprochen. Er hat mich dann gebeten, dies Herrn von Schirach vorzutragen, und wenn es in seiner Macht stünde, Abhilfe zu schaffen. Das ist dann auch, soweit es möglich war, geschehen.

DR. SAUTER: Ist Ihnen bekannt, Herr Zeuge, daß der Angeklagte von Schirach zum Beispiel angeordnet hat, daß bei Weihnachtsfeiern der Partei nicht neue nationalsozialistische Weihnachtslieder gesungen werden sollten, sondern die alten christlichen Weihnachtslieder?

HÖPKEN: Mir ist bekannt, daß bei Weihnachtsfeiern der Partei, der Hitler-Jugend und zu Weihnachtsfeiern von verwundeten Soldaten die alten christlichen Weihnachtslieder wie »Es ist ein Ros' entsprungen« und »Stille Nacht, heilige Nacht« und andere...

VORSITZENDER: Das ist wohl kaum ein Punkt, den es sich lohnt, als Beweismittel vorzubringen.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ist Ihnen bekannt, daß der Angeklagte von Schirach in der offiziellen Zeitschrift der Hitler-Jugend eine Sondernummer herausgeben ließ, die sich für eine humane Behandlung der Ostvölker einsetzte? Und wann war das?

HÖPKEN: Das ist mir bekannt, und zwar war es das Vierteljahrheft April-Juni des Jahres 1943.

DR. SAUTER: Ist Ihnen bekannt, daß in derselben offiziellen Zeitschrift der Hitler-Jugend auf Wunsch des Mitangeklagten Bormann eine antisemitische Sondernummer erscheinen sollte, daß aber Schirach das abgelehnt hat?

HÖPKEN: Das ist mir bekannt, und zwar wurde es verlangt sowohl vom damaligen Propagandaministerium als auch von der damaligen Parteikanzlei. Von Schirach hat das jedesmal abgelehnt.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Es ist Ihnen bekannt, daß Schirach einmal ein Konzentrationslager besichtigt hat?

HÖPKEN: Ja, das ist mir bekannt.

DR. SAUTER: Welches?

HÖPKEN: Und zwar das Konzentrationslager Mauthausen.

DR. SAUTER: Mich interessiert hinsichtlich dieses Punktes, der ja durch andere Zeugenaussagen bereits ziemlich geklärt ist, die eine Frage, wann dieser Besuch in Mauthausen gewesen ist.

HÖPKEN: Das kann ich nicht genau sagen, ich kann aber mit Bestimmtheit sagen, daß es nicht nach April 1943 gewesen ist.

DR. SAUTER: Warum können Sie das sagen?

HÖPKEN: Im Jahre 1943, und zwar im April, wurde ich aus dem Lazarett entlassen und habe meinen Dienst angetreten in Wien. Von dem Tag an wußte ich also bis zum April 1945 jeden Tag, wo sich von Schirach aufhielt. Außerdem hat er mir unmittelbar nach meiner Ankunft in Wien im April 1943, wo ich ihn bat, da ich körperlich auf Grund meiner Verwundung ziemlich heruntergekommen war – außerdem war ich Sportlehrer..., gebeten habe, ob ich nicht morgens zwischen 7 und 8 Uhr etwas Sport treiben könnte...

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Wir wollen doch nichts über die Gesundheit des Zeugen hören.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Sie haben gehört, was der Herr Präsident eben sagte. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, mich würde interessieren, wann dieser Besuch in Mauthausen war, und Sie sagten, wenn ich Sie richtig verstanden habe...

VORSITZENDER: Er sagte, er könne nicht sagen, wann es gewesen ist und daß es nach April 1943 war. Er sagte, er könne nicht sagen, wann es war.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich glaube, Sie haben den Zeugen falsch verstanden. Herr Zeuge! Bitte Obacht zu geben, ob das richtig ist. Ich habe den Zeugen dahin verstanden, daß es vor April 1943 gewesen ist. Vor April 1943 muß der Besuch gewesen sein, später kann er nicht gewesen sein.

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Er hat auch gesagt, so wie ich die Übersetzung verstanden und aufgeschrieben habe, daß er den genauen Zeitpunkt nicht angeben könne.

DR. SAUTER: Jawohl, das schon. Ich möchte durch die Bekundung des Zeugen feststellen, daß es jedenfalls nicht später als April 1943 war.

VORSITZENDER: Das hat er schon gesagt. Er sagte: »Ich kann nicht sagen, wann es war, aber es war nicht nach April 1943.«

Er sagte: »Im April 1943 wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen und begann meinen Dienst in Wien. Ich wußte jeden Tag, wo Schirach war.« Ich habe das alles niedergeschrieben.

DR. SAUTER: Ja.

Herr Zeuge: Hat bei dieser Unterhaltung über seinen Besuch in Mauthausen der Angeklagte von Schirach Ihnen etwas erzählt, daß er bei diesem Besuch von Greueltaten, von Mißhandlungen und dergleichen Kenntnis bekommen habe?

HÖPKEN: Nein, darüber hat er nichts gesagt.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ich wende mich dann zur Frage der Judenverschickung aus Wien. Sie waren, soviel ich weiß, Ohrenzeuge eines Gesprächs zwischen dem Reichsführer-SS Himmler und dem Angeklagten Schirach. Wollen Sie sich darüber auslassen? Was ist bei diesem Gespräch über die Frage der Judenverschickung gesagt worden?

HÖPKEN: Ich glaube, es war im November 1941. Da fuhren Himmler und von Schirach in Ostpreußen von einem Quartier Himmlers zu seinem Sonderzug. Im Auto fragte Himmler von Schirach: »Sagen Sie mal, von Schirach, wie viele Juden gibt es noch in Wien?« Von Schirach antwortete: »Ich kann es nicht genau sagen, ich schätze 40000 bis 50000.« Darauf Himmler: »Ich muß diese Juden jetzt schnellstens aus Wien evakuieren.« Darauf von Schirach: »Sie machen mir keine Schwierigkeiten, die Juden, zumal sie jetzt ihren gelben Stern tragen.« Darauf Himmler: »Der Führer ist bereits böse, daß Wien auch in diesem Punkt wie in vielen anderen wieder eine Ausnahme macht, und ich werde meinen zuständigen SS-Dienststellen die Weisung geben müssen, daß das jetzt beschleunigt durchgeführt wird.« Soweit das, woran ich mich erinnere.

DR. SAUTER: Wissen Sie etwas von der antisemitischen Rede, die der Angeklagte von Schirach im September 1942 auf einem Kongreß in Wien gehalten hat und die von der Staatsanwaltschaft dem Gericht vorgelegt wurde?

HÖPKEN: Ja, der Inhalt der Rede ist uns bekannt.

DR. SAUTER: Mich interessiert, ob Sie etwas davon wissen, insbesondere, ob vielleicht Schirach sich Ihnen gegenüber darüber geäußert hat, warum er eigentlich diese antisemitische Rede gehalten hat.

HÖPKEN: Ich weiß von dem bereits gestern genannten Pressereferenten Günther Kaufmann, daß unmittelbar nach dieser Rede von Schirach diesem Günther Kaufmann Weisung gegeben hat, jeden Punkt aus der Rede insbesondere an das DNB Berlin durchzutelephonieren mit der Bemerkung, er habe allen Grund, Bormann gegenüber in diesem Punkt eine Konzession machen zu müssen.

DR. SAUTER: Warum eine Konzession?

HÖPKEN: Ich nehme an, daß Schirach wußte, daß seine Stellung in Wien eine prekäre war und er laufend, insbesondere von der Parteikanzlei aus, dies zu hören bekam, daß er einen schärferen Kurs in Wien einschlagen müßte.

DR. SAUTER: Sie waren bei Schirach in Wien Chef des Zentralbüros. Ist in dieser Eigenschaft die ganze Post, die an Schirach eintraf, über Sie gelaufen?

HÖPKEN: Nicht die ganze Post, aber der weitaus größte Teil der Post. Post mit dem Stempel »Nur direkt« und »Persönlich« ging nicht durch meine Hand.

DR. SAUTER: Und die andere Post?

HÖPKEN: Die ging durch mein Büro.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Sie haben hier eine Reihe von Urkunden, die dem Gericht vorgelegt worden sind. Es sind das diese Tätigkeits- und Lagemeldungen, welche der Chef der Sicherheitspolizei – ich glaube, alle Monate oder alle Wochen – erstattet hat und die dem Gericht vorgelegt sind unter der Nummer 3943-PS. Diese Meldungen stammen jetzt aus Wien, und nachdem Sie die Büroverhältnisse des Zentralbüros in Wien aus Ihrer Tätigkeit genau kennen, lasse, ich Ihnen verschiedene dieser Urkunden jetzt übergeben. Ich bitte, die Urkunden anzusehen und uns dann zu sagen, ob Sie aus diesen Urkunden, die lauter Photokopien sind, feststellen können, ob diese Berichte der SS zu Ihnen oder zu dem Angeklagten Schirach gekommen sind oder ob sie an ein anderes Büro gingen. Dabei, Herr Zeuge, lenke ich Ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Art, wie diese Urkunden abgezeichnet sind. Ich bitte, bei den einzelnen Urkunden festzustellen, wer nach dem Handzeichen die Urkunde abgezeichnet hat und was dann mit den Urkunden weiter geschehen ist. Ich bitte dann auch, sich darüber zu äußern, wer diese Beamten sind, die in den Urkunden als Beamte des Reichsverteidigungskommissars aufgeführt sind, zum Beispiel ein Dr. Fischer und dergleichen.

Es sind das die Urkunden, Herr Präsident, bezüglich deren das Gericht neulich von sich aus schon Fragen gestellt hat.

VORSITZENDER: Ja, ich weiß, daß es diese Urkunde ist, aber ich weiß nicht genau, um was es sich bei der Frage handelt. Es scheinen sehr viele Fragen zu sein. Fahren Sie fort, Dr. Sauter! Wir werden, wie Sie wissen, diese Dokumente berücksichtigen, und der Zeuge müßte nun seine Antwort geben können.

DR. SAUTER: Ja, Herr Präsident, der Zeuge muß natürlich die Dokumente zunächst ansehen, muß insbesondere nachsehen, welcher Beamte sein Handzeichen auf die Urkunden gesetzt hat und was der betreffende Beamte dann eigentlich veranlaßt hat. Das ist ja das, was ich den Zeugen fragen muß, um festzustellen, was die Urkunden...

VORSITZENDER: Ich hatte gedacht, daß er die Urkunden schon vorher gesehen hat.

DR. SAUTER: Nein, die sind jetzt erst übergeben worden bei dem Kreuzverhör, die konnte ich nicht früher mit dem Zeugen besprechen.

VORSITZENDER: Sie sind doch sicherlich schon vor heute morgen übergeben worden?

DR. SAUTER: Dem Zeugen, nein. Mir, ja.

VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Sauter, fahren Sie fort.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Was sehen Sie aus diesen Urkunden, sind diese Urkunden zur Kenntnis des Angeklagten von Schirach gekommen, oder wie war die tatsächliche Sachbehandlung?

HÖPKEN: Diese Urkunden sind nicht durch das Zentralbüro gelaufen, sie sind abgezeichnet, wie ich hier sehe, von einem Dr. Felber. Der ist mir bekannt. Er war der Sachbearbeiter des damaligen Regierungspräsidenten in Wien, und zwar in allen Angelegenheiten, die den Reichsverteidigungskommissar betrafen. Ich muß aus der Erledigung dieser Akten entnehmen, daß sie unmittelbar von der Berliner SD-Dienststelle an das Büro des Regierungspräsidenten gegangen sind und von dort, wie ich hier sehe, zu den Akten geschrieben wurden. Eine Paraphe des von Schirach sehe ich hierauf nicht.

DR. SAUTER: Regierungspräsident war ein gewisser Dellbrügge?

HÖPKEN: Doktor Dellbrügge.

DR. SAUTER: Und dieser Dr. Felber, von dem Sie hier sprechen, war ein Beamter des Regierungspräsidenten?

HÖPKEN: War ein Beamter des Regierungspräsidenten.

DR. SAUTER: Und wenn nun so eine Urkunde gekommen ist, wie sie Ihnen vorliegen, wo ist sie dann von der Post oder von einer anderen Stelle abgegeben worden? Ist diese bei Ihnen abgegeben worden, oder hatte der Regierungspräsident ein eigenes Einlaufbüro? Wie war das?

HÖPKEN: Ich sagte schon, daß sie unmittelbar an das Büro des Regierungspräsidenten gegangen sein muß, der eine eigene Posteinlaufstelle hatte.

DR. SAUTER: Woraus ersehen Sie nun, daß der Angeklagte von Schirach von diesen Urkunden keine Kenntnis bekommen hat?

HÖPKEN: Weil er diese Urkunden nicht abgezeichnet hat. Sonst, wenn ihm Schriftstücke vorgelegt wurden, stand drauf »z.K.g.«, das heißt, zur Kenntnis genommen, »B.v.S.«, Baldur von Schirach, und das steht auf diesen Urkunden, wie ich sehe, nicht darauf.

DR. SAUTER: Wenn Ihnen aber nun der Regierungspräsident Dellbrügge...

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Ich glaube kaum, daß die Anklagebehörde behauptet hat, von Schirach hätte sie abgezeichnet. Es wurde in von Schirachs Beweisaufnahme ganz klar dargelegt, daß er sie nicht abgezeichnet hatte, und Herr Dodd hat diese Tatsache nicht bestritten.

DR. SAUTER: Ja, Herr Präsident, ich glaube schon, daß ein ausschlaggebendes Gewicht darauf zu legen ist, ob der Angeklagte von Schirach von diesen Urkunden überhaupt Kenntnis bekam.

VORSITZENDER: Warum fragen Sie ihn fortwährend, ob er sie abgezeichnet habe. Diese Tatsache ist, wie ich hervorgehoben habe, schon bewiesen worden und wird nicht bestritten.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ich habe hier eine Sammlung weiterer Urkunden, die alle unter der gemeinsamen Nummer 3876-PS vorgelegt wurden. Es sind das weitere Berichte vom Chef der Sicherheitspolizei, und zwar ist hier eine andere Adressierung immer gewählt. Es heißt hier unter anderem:

»An den Reichsverteidigungskommissar für den Wehrkreis XVII«, das war Wien, »zu Händen von R. R. Dr. Fischer, Wien.«

Mich würde nun interessieren, wer ist der Dr. Fischer? War der im Zentralbüro, oder wer war das?

HÖPKEN: Ich kenne keinen Dr. Fischer, weder im Zentralbüro noch in der Reichsstatthalterei.

DR. SAUTER: Ja, wie erklären Sie sich dann, daß es in diesen laufenden Berichten immer heißt: »An den Reichsverteidigungskommissar für den Wehrkreis XVII zu Händen von Regierungsrat Dr. Fischer?«

HÖPKEN: Ich nehme an, daß das ein Mitarbeiter von Oberregierungsrat Dr. Felber war, der diese Dinge speziell bearbeitet hat, und da es, wie ich sehe, Geheimschreiben sind, sind sie persönlich an ihn adressiert worden.

DR. SAUTER: Hat der Regierungspräsident Dellbrügge über derartige Berichte, die bei ihm eingelaufen sind, dem Angeklagten von Schirach nach Ihrer Kenntnis der Verhältnisse nicht Bericht erstattet oder Bericht erstatten lassen durch einen seiner Beamten?

HÖPKEN: Der Regierungspräsident hat in Sachen des Reichsstatthalters und des Reichsverteidigungskommissars unmittelbar Herrn von Schirach Bericht erstattet. Ich war bei diesen Besprechungen nicht dabei, kann also nicht sagen, wie weit er über diese Dinge von Schirach Bericht erstattet hat.

DR. SAUTER: Wenn der Regierungspräsident oder einer seiner Beamten dem Angeklagten von Schirach über diese Berichte Vortrag gehalten hat, würde sich das aus den Urkunden ergeben?

HÖPKEN: Wahrscheinlich ja, denn dann hätte ja der Regierungspräsident oder der Beamte darauf schreiben müssen, »nach Vortrag beim Reichsstatthalter zu den Akten« oder »zur weiteren Veranlassung«.

DR. SAUTER: Auf Ihren Urkunden, die ich Ihnen vorgelegt habe, steht so etwas nicht.

HÖPKEN: Auf diesen Urkunden steht so etwas nicht, nein.

DR. SAUTER: Und auf den Urkunden, die hier sind, steht auch nichts. Ziehen Sie daraus den Schluß, daß dem Angeklagten von Schirach kein Vortrag darüber gehalten wurde?

HÖPKEN: Ich muß daraus den Schluß ziehen, daß von Schirach über diese Dinge nicht informiert worden ist.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Der Angeklagte von Schirach war in Wien sowohl Chef der staatlichen Verwaltung in seiner Eigenschaft als Reichsstatthalter wie auch Chef der Gemeindeverwaltung, gewissermaßen als Oberbürgermeister, und endlich Chef der Partei als Gauleiter. Nun hören wir, daß er in jeder dieser Eigenschaften einen ständigen Vertreter gehabt habe. Mich würde nun interessieren, wer hat normalerweise zum Beispiel die Geschäfte des Reichsverteidigungskommissars und des Reichsstatthalters, also die Geschäfte der staatlichen Verwaltung besorgt?

HÖPKEN: Das sagte ich bereits, daß es der damalige Regierungspräsident Dr. Dellbrügge gemacht hat.

DR. SAUTER: Und was hat dann zum Beispiel auf dem Gebiete der staatlichen Verwaltung der Angeklagte von Schirach getan?

HÖPKEN: Ihm ist laufend vom Regierungspräsidenten Vortrag gehalten worden, und nach Vortrag hat von Schirach seine Entscheidungen getroffen, und die sind dann von den jeweiligen Beamten oder Abteilungen zur Durchführung gelangt.

DR. SAUTER: Der Angeklagte von Schirach hat also, wenn ich Sie recht verstehe, sich nur um solche Angelegenheiten gekümmert, die ihm entweder der Regierungspräsident vorgetragen oder irgendwie schriftlich zur besonderen Kenntnis gebracht hat. Stimmt das?

HÖPKEN: Ja, das stimmt.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Waren Sie selber Mitglied der SS?

HÖPKEN: Nein, ich war nie Mitglied der SS.

DR. SAUTER: Der SA?

HÖPKEN: Nein, auch nicht.

DR. SAUTER: Ist Ihnen bekannt, daß diese drei ständigen Vertreter, die der Angeklagte von Schirach in Wien hatte, also der Regierungspräsident, der stellvertretende Gauleiter und der Bürgermeister, daß diese alle drei SS-Führer waren?

HÖPKEN: Ja, das ist mir bekannt.

DR. SAUTER: Wie kommt das? Hat der Angeklagte von Schirach selber diese Leute ausgewählt, oder wie erklären Sie sich das, daß alle seine drei Vertreter SS-Führer waren?

HÖPKEN: Der stellvertretende Gauleiter Scharizer war ehrenhalber SS-Führer und, soweit ich mich erinnere, Oberbefehlsleiter der Partei. Als von Schirach nach Wien kam, war Scharizer bereits mehrere Jahre in Wien tätig.

DR. SAUTER: Als was?

HÖPKEN: Als stellvertretender Gauleiter. Ich weiß nicht, wann der Regierungspräsident Dr. Dellbrügge nach Wien gekommen ist. Ich nehme aber an, entweder vorher oder ziemlich gleichzeitig wie von Schirach. Außerdem wurden ja die Regierungspräsidenten vom Innenministerium eingesetzt, so daß er, glaube ich, kaum einen Einfluß darauf gehabt hätte, dies zu verweigern oder sich einen besonderen Regierungspräsidenten auszusuchen. Beim Bürgermeister lagen die Dinge ähnlich.

DR. SAUTER: Das war ein gewisser Blaschke?

HÖPKEN: Ja, das war SS-Brigadeführer Blaschke, der aber gleichfalls vom Innenminister zum kommissarischen Bürgermeister bestellt worden ist.

DR. SAUTER: Vom Innenminister?

HÖPKEN: Ja, vom Innenminister.

DR. SAUTER: Wann war das?

HÖPKEN: Das war, ich glaube, im Jahre 1944, und zwar im Januar oder Februar 1944.

DR. SAUTER: Wissen Sie, daß dieser SS-Brigadeführer oder was er war, Blaschke schon vor der Zeit des Angeklagten von Schirach in Wien als Stadtrat und, ich glaube, auch als Vizebürgermeister tätig gewesen ist?

HÖPKEN: Stadtrat war er vorher, und als Vizebürgermeister ist er, glaube ich, tätig gewesen, allerdings in einer Zeit bevor ich nach Wien kam.

DR. SAUTER: Ist Ihnen bekannt, daß der Angeklagte von Schirach sich längere Zeit dagegen gesträubt hat, daß dieser SS-Oberführer oder Brigadeführer Blaschke zum Bürgermeister von Wien ernannt werden soll?

HÖPKEN: Er hat sich schätzungsweise ein halbes bis dreiviertel Jahr dagegen gesträubt und hat nachher auch, so glaube ich, eine endgültige Bestätigung als Bürgermeister vom Innenminister, glaube ich, nicht aussprechen lassen.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Wie war denn überhaupt das Verhältnis des Angeklagten von Schirach zur SS und zu den SS-Offizieren? War das besonders freundschaftlich und herzlich, oder wie war das?

HÖPKEN: Nach meiner Kenntnis der Dinge verkehrte Schirach mit SS-Führern im Rahmen des dienstlich Notwendigen und nicht mehr.

DR. SAUTER: War er befreundet mit Leuten von der SS?

HÖPKEN: Nein, das weiß ich nicht. Ich habe jedenfalls keine dieser Freundschaften kennengelernt.

DR. SAUTER: Hat er sich Ihnen gegenüber nicht über seine Stellung zur SS ausgesprochen?

HÖPKEN: Er hatte, das sagte ich bereits vorher, immer das Gefühl, als wenn er von hier aus unter gewisser Überwachung, stand und hegte deshalb ziemliches Mißtrauen.

DR. SAUTER: Mißtrauen gegenüber?

HÖPKEN: Gegenüber der SS.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Wissen Sie, auf welchem Wege der Angeklagte von Schirach seine Information über ausländische Presse und ausländische Pressemeldungen erhielt?

HÖPKEN: Die erhielt er vom Reichspropagandaamt Wien, und zwar waren das Auszüge, die vom Propagandaministerium in Zusammenarbeit mit dem damaligen Reichspressechef Dr. Dietrich herausgegeben wurden. Sie waren aber meines Wissens ausgesucht und ausgesiebt.

DR. SAUTER: Haben Sie längere Zeit mit Herrn von Schirach in Wien zusammengewohnt?

HÖPKEN: Seit dem Jahre 1944 habe ich im Hause von Schirachs gewohnt.

DR. SAUTER: Auch Ihre Mahlzeiten mit ihm eingenommen?

HÖPKEN: Ja, auch meine Mahlzeiten mit ihm eingenommen.

DR. SAUTER: Hat sich der Angeklagte von Schirach über Auslandsnachrichten nicht etwa durch ausländische Sender Informationen verschafft?

HÖPKEN: Nein, das glaube ich auf keinen Fall, weil er mit mir und einigen anderen Mitarbeitern nach jeder gemeinsamen Mahlzeit den offiziellen deutschen Nachrichtendienst hörte. Außerdem wäre es doch sehr bald, wenn er das getan hätte, nach meinem Dafürhalten bekanntgeworden, denn er war der Auffassung, so sagte ich schon, daß er überwacht würde.

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Der Zeuge kann uns nur sagen, was er weiß. Woher soll er denn wissen, ob von Schirach sich jemals ausländische Rundfunkberichte angehört hat? Warum gehen Sie, wenn er es nicht weiß, nicht zu anderen Fragen über?

DR. SAUTER: Der Zeuge hat ja erzählt, Herr Präsident, daß in der letzten Wiener Zeit, ich glaube, ich habe verstanden seit Frühjahr 1944, er in der Wohnung des Angeklagten von Schirach gewohnt hat.

VORSITZENDER: Ja, ich weiß, er hat es gesagt, und er hat auch gesagt, er glaube nicht, daß er ausländische Sender abgehört habe. Was soll er denn sonst noch sagen? Welchen Beweis soll er noch zu diesem Thema erbringen?

DR. SAUTER: Das wollte ich ja hören, Herr Präsident.

VORSITZENDER: Aber er hat uns das ja schon gesagt; ich habe es niedergeschrieben. Warum gehen Sie nicht zu etwas anderem über?

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ist Ihnen bekannt, daß in den letzten Wochen des Widerstandes nach Wien ein Befehl von Berlin kam, wonach alle Defaitisten, gleichviel ob Mann oder Frau, aufgehängt werden sollen, und welche Stellung hat Schirach zu diesem Befehl genommen?

HÖPKEN: Mir ist bekannt, daß sogenannte Standgerichte aufgestellt werden sollten mit dem Ziel, im Schnellverfahren Leute abzuurteilen, die sich gegen die Kriegführung oder sich als Defaitisten zeigten. Dieses Standgericht ist in Wien aufgestellt worden, besser gesagt, ernannt worden. Es ist aber nicht einmal zusammengetreten und hat deshalb auch keine Urteile ausgesprochen.

DR. SAUTER: Hat das Standgericht überhaupt..., das Standgericht des Angeklagten von Schirach überhaupt keine Verhandlung durchgeführt?

HÖPKEN: Nein, meines Wissens nicht.

DR. SAUTER: Wissen Sie etwas davon?...

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Auch dieser Punkt ist in der Zeugenaussage des von Schirach erwähnt worden, und man ist im Kreuzverhör nicht darauf eingegangen, daß das Standgericht nie zusammengetreten ist.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß in den letzten Wochen von Wien aus ein Befehl kam, Partisanenverbände in Zivil aufzustellen, und welche Stellung hat dazu der Angeklagte von Schirach genommen?

HÖPKEN: Mir ist nicht bekannt, daß Partisanenverbände aufgestellt werden sollten, sondern daß ein Freikorps »Hitler« aufgestellt werden sollte. Dieses sollte allerdings in Zivil gekleidet werden. Schirach hat befohlen, daß aus dem damaligen Reichsgau Wien zu diesem Freikorps keine Leute abgeordnet werden sollten.

DR. SAUTER: Warum nicht?

HÖPKEN: Weil er zu dieser Zeit den Widerstand für sinnlos hielt und zweitens, weil er es für vollkommen völkerrechtswidrig hielt.

DR. SAUTER: Dann habe ich noch eine letzte Frage, Herr Zeuge, an Sie: Sie waren bei Schirach bis zum letzten Augenblick, bis er Wien verlassen hat?

HÖPKEN: Jawohl.

DR. SAUTER: Hat Schirach irgendeinen Befehl gegeben, in Wien Brücken oder Kirchen oder Wohnviertel oder so etwas zu zerstören?

HÖPKEN: Nein, das ist mir nicht bekannt.

DR. SAUTER: Sondern?

HÖPKEN: Befehle zu Brückensprengungen beziehungsweise zu irgendwelchen Verteidigungsmaßnahmen wurden meines Wissens nur von militärischen Dienststellen gegeben.

DR. SAUTER: Aber nicht von Schirach?

HÖPKEN: Nein.

DR. SAUTER: Ich habe dann, Herr Präsident, an diesen Zeugen keine Frage mehr.

VORSITZENDER: Möchte ein anderer Verteidiger Fragen stellen?... Die Anklagebehörde?

MR. DODD: Zeuge! Haben Sie nun alle Akten gesehen, die sich in Schirachs Büro befanden, während Sie sein Adjutant waren?

HÖPKEN: Ich sagte Ihnen schon, beziehungsweise dem Verteidiger, daß der größte Teil der Post durch das Zentralbüro einlief.

MR. DODD: Ich möchte Ihnen ein Dokument zeigen, das schon als Beweismittel hier vorliegt und Sie fragen, ob es Ihnen möglich ist, uns zu sagen, ob Sie das schon gesehen haben oder nicht.