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[Pause von 10 Minuten.]

VORSITZENDER: In Bezug auf den Antrag für den Angeklagten Bormann genehmigt der Gerichtshof den Zeugen Nummer 1, Fräulein Elsa Krüger.

Der Gerichtshof genehmigt weiter die Zeugen Nummer 3 und Nummer 4, Dr. Klopper und Helmuth Friedrich.

Ferner genehmigt der Gerichtshof den Zeugen, dessen Name an Stelle von Nummer 2 genannt wird... Christians, glaube ich, war es.

Die Anträge für die Dokumente Nummer 1 bis 7 werden abgelehnt. Aber der Gerichtshof wird über alle Anträge für Dokumente beraten, deren Übersetzung von den Verteidigern, die für die Behandlung der allgemeinen Rechtsfragen im Namen aller Angeklagten bestimmt sind, gewünscht wird.

Dokument Nummer 11 kann übersetzt werden.

Der Verteidiger für den Angeklagten Bormann kann in die Dokumente, die im Antrag unter III erwähnt sind, Einsicht nehmen; ebenso kann dieser Verteidiger für den Angeklagten Bormann die unter B verzeichneten Dokumente verwenden.

Die endgültige Entscheidung über die Zulassung all dieser Dokumente wird natürlich erst bei Vorlage der Dokumente gefällt werden.

Ich möchte noch eine andere Angelegenheit mitteilen, und zwar handelt es sich um die Antwort auf einen Antrag von Dr. Servatius für den Angeklagten Sauckel.

Ich habe erfahren, daß sich der Zeuge Timm im Gefängnis in Nürnberg befindet. Ebenso ist der Zeuge Biedemann im Nürnberger Gefängnis. Der Zeuge Hildebrand wird wahrscheinlich heute in Nürnberg eintreffen. Sein Aufenthaltsort war unbekannt und wurde gerade jetzt ausfindig gemacht. Der Zeuge Jäger befindet sich in der britischen Zone. Das Britische Sekretariat wird mit Hilfe der Militärbehörden versuchen, seine Anwesenheit hier zu ermöglichen. Der Zeuge Stothfang konnte noch nicht aufgefunden werden. Es scheint im Hinblick auf die Personalangaben, die dem Generalsekretariat ursprünglich gemeldet wurden, ein Irrtum unterlaufen zu sein. Der Zeuge Mitschke wurde noch nicht aufgefunden, obwohl alle Anstrengungen gemacht werden, seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Das ist alles.

DR. SAUTER: Ich bitte dann, als weiteren Zeugen Fritz Wieshofer rufen zu dürfen, Fritz Wieshofer.

Herr Präsident! Ich werde diesen Zeugen nur sehr kurz zu vernehmen haben, weil die Mehrzahl der Punkte bereits durch die anderen Zeugen geklärt sind.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]

VORSITZENDER: Wollen Sie Ihren vollen Namen sagen?

ZEUGE FRITZ WIESHOFER: Fritz Wieshofer.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir folgenden Eid nachsprechen:

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, die reine Wahrheit zu sagen, nichts zu verschweigen und nichts hinzuzufügen.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können Platz nehmen.

DR. SAUTER: Herr Wieshofer, wie alt sind Sie?

WIESHOFER: 31 Jahre.

DR. SAUTER: Verheiratet?

WIESHOFER: Ja.

DR. SAUTER: Kinder?

WIESHOFER: Einen Sohn.

DR. SAUTER: Waren Sie Parteigenosse?

WIESHOFER: Ich war seit 1938 Parteianwärter.

DR. SAUTER: Nur Parteianwärter?

WIESHOFER: Ja.

DR. SAUTER: Waren Sie bei der SS oder SA?

WIESHOFER: Ich war in der Waffen-SS.

DR. SAUTER: Seit wann?

WIESHOFER: Seit Juni 1940.

DR. SAUTER: Sind Sie Österreicher von Geburt?

WIESHOFER: Ich bitte um Wiederholung, ich habe nichts verstanden.

DR. SAUTER: Sind Sie Österreicher von Geburt?

WIESHOFER: Ich bin Österreicher.

DR. SAUTER: Wann kamen Sie denn zur Reichsjugendführung?

WIESHOFER: Ich kam zu Herrn von Schirach am 3. Oktober 1940.

DR. SAUTER: Was waren Sie vorher?

WIESHOFER: Ich war vorher vorübergehend im Auswärtigen Amt tätig.

DR. SAUTER: Wie lange?

WIESHOFER: Nur von Mai bis Oktober 1940.

DR. SAUTER: Und vorher?

WIESHOFER: Und vorher war ich Angestellter der Gauleitung Kärnten.

DR. SAUTER: Haben Sie mit der HJ früher nichts zu tun gehabt?

WIESHOFER: Nein.

DR. SAUTER: Also Sie sind im Oktober 1940 zu Schirach gekommen, das war nach Wien?

WIESHOFER: Nach Wien.

DR. SAUTER: In welcher Eigenschaft kamen Sie hin?

WIESHOFER: Ich kam als Adjutant zu Herrn von Schirach.

DR. SAUTER: Und worin bestand Ihr Dienst in der Hauptsache?

WIESHOFER: Ich war als Adjutant verantwortlich für die Postvorlage, für Besprechungstermine, für die rechtzeitige Aktenbeschaffung bei Besprechungen, für Reisevorbereitung und Durchführung und so weiter.

DR. SAUTER: Waren Sie für Schirach nur tätig für den Reichsstatthalter oder nur für den Gauleiter oder nur für ihn als Bürgermeister?

WIESHOFER: Ich war...

DR. SAUTER: Etwas warten immer nach der Frage, damit die Übersetzer nachkommen.

WIESHOFER: Ich war in allen seinen Eigenschaften Adjutant bei Herrn von Schirach.

DR. SAUTER: Haben Sie auch die Geheimakten zu lesen bekommen?

WIESHOFER: Ja.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Ich hätte an Sie nur ein paar kurze Fragen. Einmal würde mich folgendes interessieren: In wessen Händen lag denn die Judenverschickung aus Wien?

WIESHOFER: Meines Wissens lag die Judenverschickung aus Wien in den Händen des Reichssicherheitshauptamtes. Der Vertreter in Wien war ein Dr. Brunner, ein Obersturmführer in der SS.

DR. SAUTER: Sind Sie dienstlich in Angelegenheiten der Judenverschickung öfters zu Dr. Brunner gekommen und aus welchem Anlaß?

WIESHOFER: Es kam vor, daß von der Verschickung betroffene Juden sich mit einem schriftlichen Gesuch an Herrn von Schirach wandten, von der Verschickung ausgenommen zu werden. In solchen Fällen ließ Herr von Schirach durch den Chef seines Zentralbüros bei der Dienststelle Dr. Brunner intervenieren, um der Bitte des Gesuchstellers zu entsprechen. Ich sagte, daß gewöhnlich der Chef des Zentralbüros damit beauftragt wurde. In zwei Fällen erinnere ich mich, daß ich selbst den Auftrag bekam, bei Dr. Brunner, und zwar nicht schriftlich oder telephonisch, sondern persönlich zu intervenieren.

DR. SAUTER: Was hat Ihnen dieser SS-Sturmführer Dr. Brunner darüber gesagt, was eigentlich mit den Juden geschehen soll, wenn sie aus Wien wegkommen?

WIESHOFER: Dr. Brunner erzählte mir nur bei einer dieser Interventionen, daß die Aktion der Judenumsiedlung eine Umsiedlung aus dem Gau Wien, also aus dem Bereich Wien, in den Bereich des ehemaligen Generalgouvernements sei. Er erzählte mir auch, in welcher Form das vor sich ginge. Er sagte zum Beispiel, daß für Frauen und Kleinkinder grundsätzlich Abteile zweiter Klasse zur Verfügung stünden, daß für genügend Reiseproviant und Milch für Kleinkinder gesorgt sei. Er erzählte mir weiter, daß die Umgesiedelten, am Bestimmungsort angelangt, soweit sie arbeitsfähig seien, sofort in den Arbeitseinsatz gebracht würden, daß sie zuerst in Sammellagern untergebracht würden, sofort aber, wenn Wohnmöglichkeit geschaffen worden sei, Wohnungen bekämen und derlei Dinge. Er sagte mir aber auch, daß durch die vielen Interventionen, die von Herrn von Schirach veranlaßt wurden, seine Arbeit sehr erschwert würde.

DR. SAUTER: Haben Sie mit dem Angeklagten von Schirach, oder haben Sie – will ich anders fragen – haben Sie einmal einen Befehl gesehen, in welchem den Gauleitern verboten wurde, sich irgendwie für Juden einzusetzen, und haben Sie über diesen Befehl mit Schirach gesprochen?

WIESHOFER: Ich erinnere mich an einen Befehl, der Ende 1940 oder Anfang 1941 bei uns schriftlich einlief. Und zwar hieß es: »Aus gegebener Veranlassung wird noch einmal darauf hingewiesen...« Es handelte sich offenbar um eine Wiederholung eines bereits einmal gegebenen Befehls. Der Inhalt des Befehls war, daß eben aus gegebener Veranlassung es Gauleitern verboten würde, sich in Zukunft für Juden einzusetzen.

DR. SAUTER: Haben Sie darüber mit Schirach gesprochen?

WIESHOFER: Ich habe darüber mit Herrn von Schirach gesprochen.

DR. SAUTER: Was hat er gesagt?

WIESHOFER: Herr von Schirach, soweit ich mich erinnere, schrieb auf den Befehl: »Zu den Akten.« Er hat aber sich weiter nicht darüber geäußert.

DR. SAUTER: Dann hätte ich eine andere Frage, Herr Zeuge: Der Angeklagte von Schirach war einmal im Konzentrationslager Mauthausen. Können Sie uns sagen, wann das war?

WIESHOFER: Das kann ich nicht genau sagen. Ich kann dazu nur folgendes sagen: Als ich von der Front zurückkam, und zwar entweder im Herbst 1942 oder im Juni 1943, erzählte mir der damals diensttuende Adjutant, daß er Herrn von Schirach in ein Konzentrationslager, und zwar Mauthausen, begleitet habe. Einige Zeit später, also das muß gewesen sein, als ich das zweitemal von der Front zurückkam, Ende 1943, erzählte mir auch Herr von Schirach, daß er in Mauthausen gewesen sei. Ich erinnere mich nur, daß er sagte, er habe dort ein Symphoniekonzert gehört...

DR. SAUTER: Das interessiert uns weniger, das haben wir schon gehört. Mich interessiert nur das eine: Hat er dann noch später nochmal Mauthausen oder ein anderes Konzentrationslager besucht? Können Sie uns darüber zuverlässige Auskunft geben oder nicht?

WIESHOFER: Darüber kann ich zuverlässige Auskunft geben. Das ist völlig ausgeschlossen, da ich von November 1943 bis zum Zusammenbruch ununterbrochen im Dienst war und Tag und Nacht gewußt habe, wo sich Herr von Schirach befindet.

DR. SAUTER: War er 1944 nochmals in Mauthausen?

WIESHOFER: Nein, bestimmt nicht, ausgeschlossen.

DR. SAUTER: Herr Zeuge! Sie erinnern sich, daß gegen Ende des Krieges Befehle von irgendeiner Seite kamen, daß feindliche Flieger, die zur Landung gezwungen würden, nicht mehr geschont werden sollten. Wissen Sie das?

WIESHOFER: Ja.

DR. SAUTER: Daß solche Befehle von irgendwoher kamen?

WIESHOFER: Ja.

DR. SAUTER: Wie hat sich der Angeklagte Schirach zu solchen Befehlen gestellt, und woher wissen Sie das?

WIESHOFER: Ich habe mit Herrn von Schirach über diese Befehle gesprochen. Herr von Schirach hat die darin enthaltene Auffassung immer abgelehnt und erklärt, daß auch derartige Flieger als Kriegsgefangene zu behandeln seien. Er sagte einmal, wenn wir das nicht machen, dann besteht Gefahr, daß auch unsere Gegner ihre Gefangenen, also Deutsche, gleich behandeln.

DR. SAUTER: Haben Sie selber Fälle erlebt, wo sich der Angeklagte von Schirach in dieser Weise feindlicher Flieger angenommen hat?

WIESHOFER: Ja.

DR. SAUTER: Erzählen Sie bitte.

WIESHOFER: Bei einem der letzten Fliegerangriffe auf Wien, im März 1945, wurde eine amerikanische Maschine abgeschossen und stürzte in der Nähe des Gaubefehlsstandes ab. Der Gaubefehlsstand befand sich auf einem bewaldeten Höhenrücken in Wien, der bei Fliegerangriffen von einem Teil der Bevölkerung aufgesucht wurde. Herr von Schirach beobachtete von einem 32 Meter hohen Eisengerüst, auf dem er bei Fliegerangriffen immer zu stehen pflegte, das Aussteigen eines amerikanischen Besatzungsangehörigen. Er befahl sofort dem Kommandanten des Gaubefehlsstandes mit dem Wagen zur Absprungstelle zu fahren, um den amerikanischen Soldaten vor der Menschenmenge in Sicherheit zu bringen.

Der Soldat wurde auf den Gaubefehlsstand eingebracht und nach dem Fliegerangriff dem Luftgaukommando XVII als Gefangener abgeliefert.

DR. SAUTER: Wann haben Sie Wien verlassen?

WIESHOFER: Ich habe Wien mit Herrn von Schirach am 13. April 1945 verlassen.

DR. SAUTER: Wann, am?

WIESHOFER: Am 13 April.

DR. SAUTER: Am 13. April, zusammen mit dem Angeklagten von Schirach.

WIESHOFER: Zusammen mit Herrn von Schirach.

DR. SAUTER: Haben Sie etwas, und das ist jetzt die letzte Frage, die ich an Sie zu stellen habe, Herr Zeuge, haben Sie jemals aus dem Munde des Angeklagten von Schirach etwas davon gehört, daß Wien unter allen Umständen »bis zum letzten Mann« gehalten werden solle oder daß Zerstörungen in Wien vorgenommen werden sollen?

WIESHOFER: Ich habe weder das eine noch das andere jemals von Herrn von Schirach gehört.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich habe keine weiteren Fragen an den Zeugen.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Kennen Sie den Prater in Wien?

WIESHOFER: Ja natürlich, ich bin Wiener.

DR. SERVATIUS: Was ist das für eine Anstalt?

WIESHOFER: Der Prater ist eine Vergnügungsstätte oder war es wenigstens.

DR. SERVATIUS: War er im Krieg geschlossen?

WIESHOFER: Der Prater war im Krieg nicht geschlossen.

DR. SERVATIUS: Was verkehrten dort für Leute?

WIESHOFER: Ja; während des Krieges?

DR. SERVATIUS: Ja.

WIESHOFER: Arbeiter, Angestellte, Beamte, der Wiener schlechthin, beziehungsweise alle Menschen, die in Wien waren.

DR. SERVATIUS: Haben Sie dort auch ausländische Arbeiter gesehen?

WIESHOFER: Jawohl.

DR. SERVATIUS: Zahlreiche oder vereinzelte?

WIESHOFER: In Wien war es so, daß man zu sagen pflegte, wenn man den Prater aufsuchen will, dann muß man französisch, russisch können, mit wienerisch kommt man nicht mehr durch; der Prater war überfüllt von ausländischen Arbeitern.

DR. SERVATIUS: Wie waren die Ausländer gekleidet, gut oder schlecht?

WIESHOFER: Die Ausländer waren gut gekleidet, so daß man sie von der Bevölkerung nicht unterscheiden konnte, sondern erst, wie ich schon sagte, an der Sprache erkennen konnte, daß es Ausländer waren.

DR. SERVATIUS: Wie sahen sie sonst aus, in der Ernährung – verhungert?

WIESHOFER: Soweit ich es beobachtet habe, sahen die Arbeiter durchaus gut genährt aus.

DR. SERVATIUS: Verfügten die Leute über Geld?

WIESHOFER: Die Leute verfügten über viel Geld. Es war bekannt, daß der schwarze Markt in Wien fast ausschließlich von den ausländischen Arbeitern beherrscht wurde.

DR. SERVATIUS: War das nur im Prater oder auch sonst in der Stadt, daß die Ausländer zu sehen waren?

WIESHOFER: Das war nicht nur im Prater, sondern das war auch sonst in der Stadt, in Kaffeehäusern, die es in Wien ja zahlreich gibt, in Gaststätten und in Hotels.

DR. SERVATIUS: Ich habe keine weiteren Fragen mehr.

MR. DODD: Wen, außer dem Angeklagten von Schirach, kennen Sie aus der Reihe der Angeklagten; wenn ich sage »kennen Sie«, meine ich, wen Sie persönlich kennen, ob Sie mit ihm bekannt waren oder irgend etwas mit ihm zu tun hatten?

WIESHOFER: Ich kenne persönlich nur Herrn Funk.

MR. DODD: Kennen Sie Sauckel?

WIESHOFER: Ja.

MR. DODD: Und wen noch?

WIESHOFER: Ich kenne Herrn Seyß-Inquart, aber ich hatte nichts Persönliches mit ihm zu tun, ich war ja Adjutant bei Herrn von Schirach.

MR. DODD: Wie lernten Sie Herrn Funk kennen?

WIESHOFER: Ich war bei Herrn Funk einige Male eingeladen. Ich hatte dienstlich in meiner Eigenschaft als Adjutant von Herrn von Schirach mit ihm zu tun, und da lud er mich dann darüber hinaus öfter auch privat ein.

MR. DODD: Waren Sie damals bei der SS, als Sie von Funk eingeladen wurden?

WIESHOFER: Ich war in der Zeit in der Waffen-SS als Offizier.

MR. DODD: Übrigens, wann waren Sie zuerst der SS beigetreten?

WIESHOFER: Ich bin in die Waffen-SS eingetreten am 26. Juni 1940.

MR. DODD: Waren Sie in irgendeiner anderen Abteilung der SS außer der Waffen-SS?

WIESHOFER: Ich war auch in der Allgemeinen SS.

MR. DODD: Wann sind Sie der Allgemeinen SS beigetreten?

WIESHOFER: Im Juni oder Juli 1939.

MR. DODD: Sie waren also tatsächlich schon vom Jahre 1939 an in der SS?

WIESHOFER: In der Allgemeinen SS, ja.

MR. DODD: Sie wurden einmal auch SS-Obersturmführer, nicht wahr?

WIESHOFER: Ja.

MR. DODD: Wann war das?

WIESHOFER: Ich wurde Obersturmführer am 21. Juni 1944.

MR. DODD: Wann sind Sie der SA beigetreten?

WIESHOFER: Ich bin der SA beigetreten am 9 Mai 1932.

MR. DODD: Kannten Sie das Lager Straßhof?

WIESHOFER: Ich höre den Namen zum erstenmal.

MR. DODD: Es ist vielleicht falsch ausgesprochen worden; das war ein Lager, das sich außerhalb von Wien befand.

WIESHOFER: Ich weiß nicht, um welches Lager es sich handelt; ich verstand Straßhof; so etwas kenne ich nicht.

MR. DODD: Ja, so ungefähr heißt es. Sie haben niemals von diesem Lager gehört?

WIESHOFER: Niemals.

MR. DODD: Und Sie waren in Wien, von welchem Jahre ab? 19...

WIESHOFER: Ich bin in Wien geboren.

MR. DODD: Ich weiß es. Ich rede aber von Ihrer Dienststellung beim Angeklagten Schirach. Wie lange waren Sie bei ihm?

WIESHOFER: Vom Oktober 1940 an.

MR. DODD: Und Sie haben niemals von dem Lager Straßhof gehört?

WIESHOFER: Nein.

MR. DODD: Hatten Sie viel mit den Akten des Angeklagten Schirach zu tun?

WIESHOFER: Jawohl.

MR. DODD: Und wie würden Sie Ihre Tätigkeit im Hinblick auf die Akten nennen? Worin lag Ihre Verantwortung?

WIESHOFER: Ich hatte lediglich dafür zu sorgen, daß die Akten rechtzeitig, beziehungsweise zu Besprechungen, vorgelegt wurden und daß sie nach Erledigung wieder zum Zentralbüro zurückkamen.

MR. DODD: Und wo hätten Sie einen Akt über den Reichsverteidigungsausschuß dieses Kreises oder dieses Wehrkreises für von Schirach geholt? Wo hätten Sie einen Akt über den Reichsverteidigungsausschuß geholt? Stellen Sie sich folgende Lage vor, ich mochte es Ihnen ganz klar machen: Wenn von Schirach Ihnen sagt, er möchte einen Akt über eine gewisse Angelegenheit des Reichsverteidigungsausschusses, so mußte er zu einer bestimmten Zeit auf seinem Schreibtisch liegen; Sie hatten dafür zu sorgen, daß er vorlag, wie Sie selbst sagten. Sagen Sie dem Gerichtshof, was Sie tun würden, wo Sie hingehen würden, mit wem Sie sprechen würden und wie Sie dieses Dokument dann für ihn heranschaffen würden.

WIESHOFER: Für mich wäre das einfach. Ich würde mich an den Chef des Zentralbüros wenden und wüßte, daß der sich wohl an den Regierungspräsidenten wenden müßte, um diese Akte zu bekommen. Das nehme ich an. Ich wäre nur zum Zentralbüro gegangen

MR. DODD: Sie hatten doch eine Zentralstelle für alle Ihre Akten, ob sie nun den Reichsverteidigungsausschuß, den Gauleiter oder die Zivilregierung von Wien betrafen; stimmt das nicht? Sie wurden doch alle an einem Platze aufbewahrt?

WIESHOFER: Sie waren nicht an einem Platz zusammengefaßt, sondern nur ein Teil der Akten war im Zentralbüro. Ich kann nicht sagen welcher Teil, weil ich damit nie etwas zu tun gehabt habe.

MR. DODD: Sie verließen Wien am 13. April mit von Schirach, sagen Sie?

WIESHOFER: Ja.

MR. DODD: Ich vermute, daß Sie als sein Adjutant doch einige Tage vorher beträchtliche Vorbereitungen für die Abreise zu treffen hatten, nicht wahr?

WIESHOFER: Ja.

MR. DODD: Was haben Sie verpackt, was haben Sie mitgenommen?

WIESHOFER: Wir haben aus Wien gar nichts mitgenommen. Herr von Schirach benutzte einen Wagen. Es waren außerdem noch etwa zwei bis drei Wagen, in denen die Herren der Begleitung fuhren; sonst wurde von Wien nichts mitgenommen.

MR. DODD: Nun, was haben Sie im Büro gemacht, wie haben Sie das Büro verlassen?

WIESHOFER: In dem Büro waren wir schon, ich glaube, seit Frühjahr oder Frühsommer 1944 nicht mehr, da der Ballhausplatz, also die Reichsstatthalterei, einen Volltreffer bekommen hatte und Herr von Schirach dort nicht mehr arbeiten konnte, sondern in seiner Wohnung arbeitete.

MR. DODD: Wo?

WIESHOFER: Wohnung.

MR. DODD: In seiner Wohnung? Und hatte er alle seine Akten in der Wohnung oder irgendwo in der Nähe?

WIESHOFER: Er hatte überhaupt keine Akten in seiner Wohnung gehabt, sondern die blieben im Büro, in dem Teil der Reichsstatthalterei, der noch bewohnt, beziehungsweise in dem man noch arbeiten konnte.

MR. DODD: Sind irgendwelche Akten aus dem Archiv der Reichsstatthalterei herausgenommen worden als Sie Wien verließen, oder bevor Sie Wien verließen?

WIESHOFER: Mir ist davon nichts bekannt. Ich weiß, daß ein Befehl bestand sowohl für die staatliche Verwaltung als auch für die Partei, bei Feindannäherung Akten zu vernichten. Ob das geschah, oder was mit den Akten überhaupt geschah, weiß ich nicht.

MR. DODD: Wer hat diesen Befehl erhalten?

WIESHOFER: Dieser Befehl... ich verstand nicht, bitte, die Frage zu wiederholen.

MR. DODD: Ich möchte wissen, an wen dieser Befehl gerichtet, worden ist, falls Sie es wissen. Der Befehl, die Akten zu vernichten?

WIESHOFER: Der Befehl wurde auf dem Parteisektor an den stellvertretenden Gauleiter gegeben und auf dem staatlichen Sektor an den Regierungspräsidenten.

MR. DODD: Haben Sie auch einen Befehl erhalten, allmählich Ihre Akten in Sicherheit zu bringen im Frühjahr 1945 oder Spätwinter 1944?

WIESHOFER: Ich kann mich an so einen Befehl nicht erinnern

MR. DODD: Wissen Sie, daß ungefähr 250 Ihrer Aktenordner in ein Salzbergwerk außerhalb Wiens gebracht worden sind; wissen Sie etwas darüber?

WIESHOFER: Nein, das höre ich zum erstenmal.

MR. DODD: Sie wissen, daß sich ein solches Bergwerk in der Nähe von Wien befindet? Sie haben dort geraume Zeit gewohnt, wie ich höre.

WIESHOFER: Nein, es befindet sich nicht in der Nähe von Wien, wenn ich bitte das richtigstellen darf, sondern bei Salzburg. Wir wohnten niemals dort, ich weiß nur von der Existenz dieses Bergwerks.

MR. DODD: Wie weit ist es von Wien entfernt?

WIESHOFER: Etwa 350 Kilometer.

MR. DODD: Sie wissen nichts darüber, daß irgendwelche Akten dorthin gebracht worden sind. Sie sind ganz sicher, nicht wahr?

WIESHOFER: Ich bin ganz sicher, ich weiß nichts davon.

MR. DODD: Ich habe nur noch eine andere Frage. Ich nehme an, daß Sie den Angeklagten ziemlich gut kannten. Er ist etwas älter als Sie, aber Sie haben eine ganze Zeit für ihn gearbeitet, nicht wahr?

WIESHOFER: Ja.

MR. DODD: Warum sind Sie nicht der Wehrmacht, anstatt der SS beigetreten, wenn Sie Ihrem Lande dienen wollten?

WIESHOFER: Als ich Soldat wurde, galt die Waffen-SS als Eliteformation, und ich wollte lieber in einer Gardeabteilung, wenn man so sagen kann, Dienst tun, als in der allgemeinen Wehrmacht.

MR. DODD: War es auch deswegen, weil Sie schon seit 1939 in der SS waren?

WIESHOFER: Nein, das hatte damit nichts zu tun; denn viele Angehörige der Allgemeinen SS gingen zur Wehrmacht.

MR. DODD: Haben Sie diese Sache mit Ihrem Vorgesetzten besprochen, dem Jugendführer von Schirach, bevor Sie der SS im Jahre 1939 und später der Waffen-SS beigetreten sind?

WIESHOFER: Nein, ich darf daran erinnern, daß ich zu Herrn von Schirach erst im Oktober 1940 kam, zur Waffen-SS aber bereits am 26. Juni 1940.

MR. DODD: Ja, aber Sie waren, wie ich annehme, doch ein junger Mann, und Sie standen doch in Verbindung mit der Reichsjugendorganisation im Jahre 1939, als Sie der Allgemeinen SS beitraten. Ist das nicht eine Tatsache? Gehörten Sie im Jahre 1939 nicht der Jugendorganisation an?

WIESHOFER: Nein, ich wurde in die Jugendführung erst übernommen im April 1944, und zwar als Bannführer. Vorher hatte ich nichts zu tun damit.

MR. DODD: Ich glaube nicht, daß Sie mich richtig verstehen. Es ist nicht so wichtig; aber wie alt waren Sie im Jahre 1939? Sie waren doch ungefähr 24 Jahre alt, nicht wahr?

WIESHOFER: Ja.

MR. DODD: Und standen Sie dann nicht in irgendeiner Weise mit der Hitler-Jugend oder der Jugendorganisation in Deutschland in Verbindung, entweder als Mitglied oder in irgendeiner anderen Weise?

WIESHOFER: Nein, weder als Mitglied noch in einer anderen Weise. Ich kannte natürlich in Kärnten Jugendführer, das wohl.

MR. DODD: Sie haben doch in Ihrem Leben ziemlich viele Reden für die Partei gehalten, nicht wahr?

WIESHOFER: Ich habe in Kärnten, und zwar in der Zeit von April 1938 bis Mai 1940 in verschiedenen Versammlungen gesprochen.

MR. DODD: In wieviel Versammlungen ungefähr, würden Sie sagen, haben Sie während dieser zwei Jahre Reden gehalten?

WIESHOFER: Ich habe in dieser Zeit in etwa 80 Versammlungen gesprochen.

MR. DODD: Und es waren durchschnittlich 3000 Menschen in der Versammlung?

WIESHOFER: Ich habe auch in ganz kleinen Dörfern gesprochen. Als Durchschnittszahl würde ich angeben etwa 200.

MR. DODD: Das ist alles.

VORSITZENDER: Wollen Sie ein Rückverhör vornehmen?

DR. THOMA: Herr Zeuge! Über welche Themen haben Sie bei diesen Versammlungen gesprochen?

WIESHOFER: Die Themen waren uns von der Reichspropagandaleitung vorgeschrieben. Sie waren immer so gehalten, daß jeder Redner die Möglichkeit hatte, über allgemeine Dinge zu sprechen. Zum Beispiel lautete das Thema: »Mit dem Führer zum Endsieg«, oder »Warum Volkswohlfahrt«, oder »Warum Winterhilfswerk«; also immer solche Themen wurden gegeben.

DR. THOMA: Haben Sie Rosenbergs »Mythus des 20. Jahrhunderts« verbreitet?

WIESHOFER: Nein.

DR. THOMA: Haben Sie über solche Sachen gesprochen?

WIESHOFER: Niemals, dazu wäre ich auf Grund meiner Vorbildung nicht in der Lage gewesen.

DR. THOMA: Haben Sie den »Mythus« mal gelesen?

WIESHOFER: Ich habe den »Mythus« nicht gelesen.

DR. THOMA: Haben Sie in diesen Versammlungen vor der Jugend gesprochen?

WIESHOFER: Ich habe vor der Jugend – also ausdrücklich vor der Jugend – nicht gesprochen.

DR. SAUTER: Herr Präsident! Ich will keine Fragen stellen, danke sehr.

MR. BIDDLE: Herr Zeuge! Besaß Schirach die Autorität in Fällen zu intervenieren, wo Juden aus Wien deportiert wurden?

WIESHOFER: Er hatte keine Autorität gehabt, das zu tun, er tat es aber.

MR. BIDDLE: Wie oft hat er sich eingesetzt?

WIESHOFER: Ich erinnere mich an keinen Fall, wo ein Gesuch einlief, in dem sich Herr von Schirach nicht eingesetzt hätte.

MR. BIDDLE: Das habe ich Sie nicht gefragt. Ich fragte Sie, wie oft hat er sich eingesetzt?

WIESHOFER: Ich kann da gar keine Zahl angeben, ohne ungenau zu sein. Das ist schwer zu sagen.

MR. BIDDLE: Hat er sich oft oder selten eingesetzt?

WIESHOFER: Nein, er hat sich oft eingesetzt.

MR. BIDDLE: Haben Sie den Befehl an die Polizei gesehen, Flieger nicht zu schützen? Sie haben gesagt, daß es ein schriftlicher Befehl gewesen sei, oder nicht?

WIESHOFER: Ja.

MR. BIDDLE: Wer hat ihn unterzeichnet?

WIESHOFER: Der Befehl war unterzeichnet von Bormann.

MR. BIDDLE: Und wurde er an die Polizei in Wien weitergeleitet?

WIESHOFER: Von der Polizei... ? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, handelt es sich um den Befehl, daß sich Gauleiter nicht für Juden einsetzen dürfen?

MR. BIDDLE: Nein, es war ein Befehl, abgestürzte Flieger nicht zu schützen. Sie sagten, daß Sie diesen Befehl gesehen hätten oder nicht?

WIESHOFER: Ich habe diesen Befehl gesehen. Ich erinnere mich nicht mehr, von wem er kam und an wen er ging. Er ging bei uns, in unserem Büro, nur zur Kenntnisnahme ein, also es war von uns aus nichts zu veranlassen.

MR. BIDDLE: Wissen Sie nicht, ob die Polizei eine Abschrift davon besaß oder nicht?

WIESHOFER: Ich bitte um die Wiederholung der Frage.

MR. BIDDLE: Wissen Sie, ob die Polizei in Wien Abschriften dieses Befehls hatte oder nicht?

WIESHOFER: Das weiß ich nicht.

MR. BIDDLE: Haben Sie Himmler je gekannt?

WIESHOFER: Ich habe ihn gesehen.

MR. BIDDLE: Hat er Ihnen irgendwelche Anweisungen erteilt?

WIESHOFER: Nein.

MR. BIDDLE: Haben Sie irgendwelche Anweisungen von der SS erhalten?

WIESHOFER: In welcher Richtung, bitte?

MR. BIDDLE: Irgendwelche Instruktionen von der SS direkt, als Sie in von Schirachs Büro waren?

WIESHOFER: Nein.

MR. BIDDLE: Überhaupt keine?

WIESHOFER: Überhaupt keine. Ich kann mich an keine erinnern.

MR. BIDDLE: Ich glaube, Sie sagten einmal, daß Schirach den Befehl erteilt habe, amerikanische Flieger vor der Menge zu schützen, nicht wahr? Verstehen Sie nicht?

WIESHOFER: Jawohl, ich verstehe, und das habe ich gesagt.

MR. BIDDLE: Und in welcher Weise hat sich von Schirach sonst noch bemüht, Flieger vor der Menge zu schützen? Hat er noch andere Bemühungen unternommen?

WIESHOFER: Jawohl.

MR. BIDDLE: Hat er der Polizei irgendwelche Befehle erteilt, oder hat er dies mit der Polizei besprochen?

WIESHOFER: Herrn von Schirachs Ansicht war bekannt. In den Kreisen...

MR. BIDDLE: Ich habe Sie nicht nach der Ansicht gefragt. Hatte er der Polizei irgendwelche Befehle gegeben oder ist er bei der Polizei vorstellig geworden?

WIESHOFER: Daran kann ich mich nicht erinnern.

MR. BIDDLE: Sie würden sich aber erinnern können, wenn er das getan hätte, nicht wahr?

WIESHOFER: Wenn ich dabeigewesen wäre, wenn er Befehle gab, würde ich es wissen; aber es kann sein, daß er gesprochen hat, ohne daß ich dabei war.

MR. BIDDLE: Sagten Sie nicht, daß Sie Zugang zu den Geheimakten hatten?

WIESHOFER: Ja.

MR. BIDDLE: Was wurde in den Geheimakten aufbewahrt?

WIESHOFER: Ich habe die Frage nicht verstanden.

MR. BIDDLE: Ich fragte Sie, was wurde aufbewahrt, was wurde als Geheimakt abgelegt, welche Art von Papieren?

WIESHOFER: Es gab Geheimakten, die von der obersten Parteileitung einliefen, es gab Geheimakten, die vom Innenministerium kamen; es waren Dinge enthalten, daß man sich oft wundern mußte, daß sie unter »Geheim« liefen. Aber an Einzelheiten dieser Akten kann ich mich natürlicherweise heute nicht mehr erinnern.

MR. BIDDLE: Und ich nehme an, sämtliche Dokumente oder Berichte, die mit »Geheim« bezeichnet waren, wurden bei diesen Geheimakten abgelegt, nicht wahr?

WIESHOFER: Berichte von uns an die höhere Dienststelle oder von oben herunter?

MR. BIDDLE: Berichte, die bei Ihnen einliefen.

WIESHOFER: Die wären dann abgelegt worden in der geheimen Registratur.

MR. BIDDLE: Und Geheimberichte der SS kamen auch in die Geheimakten oder nicht?

WIESHOFER: SS-Geheimberichte sind an uns nicht gekommen, weil wir keine Dienststelle der SS waren.

VORSITZENDER: Dr. Sauter! Wenn Sie selbst keine Fragen mehr haben, so kann sich der Zeuge zurückziehen.

DR. SAUTER: Nein.