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[Der Angeklagte betritt den Zeugenstand.]

Wollen Sie Ihren vollen Namen angeben?

FRITZ SAUCKEL: Ernst Friedrich Christoph Sauckel.

VORSITZENDER: Wollen Sie mir die Eidesformel nachsprechen.

Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

VORSITZENDER: Sie können sich setzen.

DR. SERVATIUS: Herr Zeuge! Schildern Sie dem Gericht Ihren Werdegang.

SAUCKEL: Ich wurde geboren als das einzige Kind des Postboten Friedrich Sauckel in Haßfurt am Main, in der Nähe von Bamberg. Ich besuchte die Volksschule in Schweinfurt und das Gymnasium.

DR. SERVATIUS: Wie lange waren Sie auf dem Gymnasium?

SAUCKEL: Ich war fünf Jahre auf dem Gymnasium. Den Besuch dieser Schule ermöglichte, da mein Vater in sehr bescheidener Stellung war, meine Mutter, die eine Näherin war. Als sie sehr herzkrank wurde, sah ich ein, daß ein Studium für mich für meine Eltern nicht möglich sei, und ich erwirkte die Erlaubnis, zur See zu gehen, um dort mein Leben weiterzugestalten und vorwärtszukommen.

DR. SERVATIUS: Sie kamen zur Handelsmarine oder wo sind Sie hingegangen?

SAUCKEL: Ich kam zunächst zur norwegischen und schwedischen Handelsmarine, um dort nach der alten Seemannsausbildung auf den großen Segelschiffen und Klippern das Seemannsleben und die Seemannsarbeit von Grund auf kennenzulernen.

DR. SERVATIUS: Wie alt waren Sie damals?

SAUCKEL: Ich war fünfzehneinhalb Jahre.

DR. SERVATIUS: Und was verdienten Sie?

SAUCKEL: Ich verdiente als Schiffsjunge auf einem norwegischen Segelschiff damals bei freier Kost und Verpflegung fünf Kronen.

DR. SERVATIUS: Wo sind Sie nun hingekommen im Laufe Ihrer seemännischen Tätigkeit?

SAUCKEL: Ich bin im Laufe meiner seemännischen Tätigkeit und Ausbildung, die dann auf deutschen Segelschiffen weiterging, auf allen Meeren und in allen Erdteilen gewesen.

DR. SERVATIUS: Kamen Sie in Berührung mit ausländischen Familien?

SAUCKEL: Ich kam durch den Christlichen Verein Junger Männer hauptsächlich in Australien und in Nordamerika, ebenso in Südamerika, mit Familien dieser Staaten in Berührung.

DR. SERVATIUS: Wo waren Sie gewesen, als der Weltkrieg ausbrach?

SAUCKEL: Ich geriet auf einem deutschen Segelschiff auf der Reise nach Australien unversehens, da das Schiff gekapert wurde, auf hoher See in französische Gefangenschaft.

DR. SERVATIUS: Wie lange sind Sie da geblieben?

SAUCKEL: Fünf Jahre, bis zum November 1919.

DR. SERVATIUS: Sind Sie dann nach Hause zurückgekehrt?

SAUCKEL: Ich bin damals nach Hause zurückgekehrt.

DR. SERVATIUS: Und was haben Sie nun begonnen?

SAUCKEL: Ich hatte meine Ausbildung und die seemännischen Studien, die ich zu machen hatte, zwar beendet, konnte aber, da die Ersparnisse meiner Seefahrtszeit ja im Laufe der deutschen Inflation gegenstandslos geworden waren, nicht mehr zur See fahren und konnte meine Prüfungen nicht ablegen. Es gab auch wenig deutsche Schiffe und sehr viele arbeitslose deutsche Seeleute, so daß ich mich entschloß, in einer Fabrik meiner Heimatstadt Schweinfurt Arbeiter zu werden.

DR. SERVATIUS: Sind Sie nun in Ihrer Heimatstadt geblieben?

SAUCKEL: Ich bin zunächst in meiner Heimatstadt geblieben, lernte zugleich in der Kugellagerfabrik Fischer als Dreher und Maschinenbauer, um mir das Geld zu ersparen, um späterhin eine technische Schule, eine Ingenieurschule, besuchen zu können.

DR. SERVATIUS: Sind Sie damals schon politisch tätig geworden?

SAUCKEL: Ich bin, nachdem ich als Seemann es verachtet hatte, politisch orientiert zu sein – denn ich liebte meinen Seemannsberuf und liebe ihn auch heute noch –, so wurde ich durch die Verhältnisse gezwungen, zu den politischen Problemen Stellung zu nehmen, denn es konnte keiner, der damals in Deutschland war – ich hatte vor vielen Jahren ein schönes Land und ein reiches Volk verlassen, und bin in dieses Land nach sechs Jahren zurückgekehrt, um es von Grund auf verändert und aufgewühlt und in großer seelischer und materieller Not vorzufinden.

DR. SERVATIUS: Haben Sie sich einer Partei angeschlossen?

SAUCKEL: Nein, ich arbeitete in einer Fabrik, die man in meiner Heimatstadt als ultrarot bezeichnete. Ich arbeitete in der Werkzeugmacherei und rechts und links von mir arbeiteten – darunter auch mein jetziger Schwiegervater – Sozialdemokraten, Kommunisten, SPD-Leute, Anarchisten, und während der ganzen Zeit der Arbeitspausen gingen ja die Diskussionen, so daß man, ob man wollte oder nicht, in die sozialen Fragen jener Zeit hineingestellt wurde.

DR. SERVATIUS: Sie sprechen von Ihrem Schwiegervater. Haben Sie damals geheiratet?

SAUCKEL: Ich habe im Jahre 1923 geheiratet die Tochter eines deutschen Arbeiters, die ich damals kennenlernte und mit der ich heute noch glücklich verheiratet bin und zehn Kinder habe.

DR. SERVATIUS: Wann haben Sie sich der Partei angeschlossen?

SAUCKEL: Ich habe mich endgültig der Partei angeschlossen im Jahre 1923, nachdem ich vorher schon lose mit ihr sympathisiert hatte.

DR. SERVATIUS: Was veranlaßte Sie dazu?

SAUCKEL: Ich hörte in jenen Tagen eine Rede Hitlers. In dieser Rede brachte er zum Ausdruck, der deutsche Fabrikarbeiter, der deutsche Handarbeiter, müßte sich mit dem geistigen deutschen Arbeiter zusammenfinden. Die Gegensätze proletarischer und bürgerlicher Natur müßten durch dieses Kennen- und Verstehenlernen ausgeglichen und überbrückt werden. Daraus würde sich ein neues Volk der Gemeinschaft entwickeln, und nur eine solche Gemeinschaft, überbürgerlich und überproletarisch, könnte die Nöte jener Zeit, die Zerrissenheit des deutschen Volkes in Parteien und Konfessionen überbrücken. Diese Darstellung hat mich so erfaßt, mich so bezwungen, daß ich dieser Idee eines Ausgleiches scheinbar unüberbrückbarer Gegensätze mein Leben geweiht habe. Ich habe das um so mehr getan, wenn ich das sagen darf, als mir bewußt war, daß deutsche Menschen und überhaupt deutsches Wesen zu Extremen neigten. Ich habe mich ja sehr auseinandersetzen müssen, persönlich den richtigen Weg zu finden. Ich hatte mich, wie ich schon sagte, kaum mit Politik befaßt. Ich bin von meinen braven Eltern, die heute nicht mehr leben, sehr streng christlich, aber auch sehr vaterländisch erzogen worden. Mein Leben aber, als ich zur See ging, ging weiter im Matrosenlogis. Ich habe in Chile Salpeter geladen und in Kanada, in Quebeck in schwerem Holz gearbeitet. Ich habe unter dem Äquator Kohlen getrimmt und bin des öfteren um das Kap Horn gefahren – alles schwere Arbeit. Ich bitte...

DR. SERVATIUS: Kommen Sie allmählich zu der Parteifrage zurück.

SAUCKEL: Ja, ich bin bei der Parteifrage, denn wir müssen ja alle irgendwie begründen, wie wir dahin gekommen sind. Ich habe aus der...

VORSITZENDER: Dr. Servatius! Ich habe bei Beginn des Falles des Angeklagten gesagt, daß wir diese Darstellung schon vom Angeklagten Göring gehört haben und nicht im Sinne haben, es von den anderen 20 Angeklagten nochmals zu hören. Es scheint mir, daß wir dieselbe Geschichte von fast jedem Angeklagten anhören müssen.

DR. SERVATIUS: Ich glaube, Herr Präsident, es geht wohl doch darum, einen gewissen Eindruck von dem Angeklagten selbst zu bekommen. Die Tatsachen sehen ja von verschiedenen Gesichtspunkten anders aus. Ich werde jetzt kurz...

VORSITZENDER: Das ist ganz richtig, Dr. Servatius, aber wir hören dies nun fast seit einer halben Stunde.

DR. SERVATIUS: Ich werde es jetzt beschränken.

Die Partei wurde 1923 aufgelöst und neu gegründet 1925. Sie sind wieder beigetreten?

SAUCKEL: Jawohl.

DR. SERVATIUS: Sind Sie nun aktiv tätig gewesen in der Partei, oder waren Sie lediglich Mitglied?

SAUCKEL: Ich bin seit 1925 aktiv in der Partei tätig gewesen.

DR. SERVATIUS: Und was für eine Stellung hatten Sie?

SAUCKEL: Ich wurde damals Gaugeschäftsführer in Thüringen.

DR. SERVATIUS: Wurden Sie dies, um Arbeit zu bekommen, um in Verdienst zu kommen oder aus welchem Grunde?

SAUCKEL: Ich habe als Gaugeschäftsführer in Thüringen 150 Mark verdient. Ich hätte in jedem anderen Beruf unterkommen und mehr verdienen können.

DR. SERVATIUS: Wann lernten Sie Hitler kennen?

SAUCKEL: Ich lernte Hitler persönlich kennen, flüchtig, im Jahre 1925.

DR. SERVATIUS: Wann sind Sie Gauleiter geworden?

SAUCKEL: Ich bin Gauleiter geworden im Jahre 1927.

DR. SERVATIUS: Wie erfolgte Ihre Ernennung?

SAUCKEL: Meine Ernennung erfolgte brieflich.

DR. SERVATIUS: Haben Sie besondere Instruktionen bekommen, die sich auf geheime Absichten der Partei bezogen?

SAUCKEL: Wir wurden damals auf das strengste dahin erzogen, daß sich das Parteileben unter keinen Umständen in geheimen Kapiteln oder irgendwelchen Geheimnissen abspielen dürfe, sondern nur im öffentlichen Leben.

DR. SERVATIUS: Wer war Ihr Vorgänger?

SAUCKEL: Mein Vorgänger war Dr. Dinter.

DR. SERVATIUS: Warum wurde er abberufen?

SAUCKEL: Dr. Dinter wurde abberufen, weil er eine neue religiöse Bewegung innerhalb der Partei bilden wollte.

DR. SERVATIUS: Sie wurden 1929 Mitglied des Thüringischen Landtages.

SAUCKEL: Jawohl.

DR. SERVATIUS: Wurden Sie dazu gewählt?

SAUCKEL: Ich wurde wie bei jeder parlamentarischen Wahl parlamentarisch in den Landtag gewählt.

DR. SERVATIUS: Wurde damals bereits diktatorisch regiert?

SAUCKEL: Das war ja gar nicht möglich; es wurde nach der Thüringischen Landesverfassung regiert.

DR. SERVATIUS: Wie lange sind Sie Mitglied des Landtages gewesen?

SAUCKEL: Ich bin Mitglied des Landtages gewesen, solange er bestanden hat, bis zum Mai 1933.

DR. SERVATIUS: Wie wurde er aufgelöst?

SAUCKEL: Der Landtag wurde aufgelöst durch Gesetz der Reichsregierung.

DR. SERVATIUS: Nun waren Sie 1932 Mitglied der Landesregierung in Thüringen. Wie sind Sie zu dieser Stellung gekommen?

SAUCKEL: Es fanden im Jahre 1932 im Juni Neuwahlen zum Thüringer Landtag statt. Dort erhielt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei von 60 Sitzen 26 Sitze.

DR. SERVATIUS: Wurde damals bereits von einer Diktatur gesprochen, die anzustreben war?

SAUCKEL: Nein, es wurde auf parlamentarischer Grundlage eine Regierung gewählt.

DR. SERVATIUS: Nun hatten Sie doch die Mehrheit in der Thüringischen Regierung und konnten Ihren Einfluß geltend machen?

SAUCKEL: Es wurde mit den bürgerlichen Parteien mit absoluter Mehrheit eine nationalsozialistische Regierung gewählt.

DR. SERVATIUS: Was geschah mit den alten Beamten, wurden die entlassen?

SAUCKEL: Ich selbst wurde Vorsitzender und Innenminister der Regierung damals. Die alten Beamten wurden ausnahmslos in ihren Ämtern belassen.

DR. SERVATIUS: Womit befaßte sich nun die erste nationalsozialistische Regierung auf dem innenpolitischen Gebiet?

SAUCKEL: Es gab damals auf dem innenpolitischen Gebiet nur eine Frage, die Beseitigung einer unvorstellbaren, nur heute übertroffenen Not.

DR. SERVATIUS: Herr Präsident! Ich darf hier im Zusammenhang zwei Regierungsberichte übergeben. Ich verweise kurz auf zwei Stellen. Die eine, der Bericht, Dokument 96, aus dem sich die Tätigkeit der Regierung ergibt: Bekämpfung der sozialen Nöte. Vor allem ist wesentlich, wenn man das Schriftstück überfliegt, das, was nicht darin steht, es ist nämlich keine Rede von Kriegsfragen und sonstigen Dingen, sondern immer wieder von der Beseitigung der Not. Wesentlich sind ferner die Arbeiten, die ausgeführt wurden. Das ist im Dokument 97. In dem Buche hier auf Seite 45 sind die Arbeiten angegeben, mit denen sich die Regierung befaßte: Brückenbau, Straßenbau und sonstige Dinge, jedenfalls in keiner Weise irgendwie auf kriegerische Dinge gerichtet.

Dann überreiche ich aus der gleichen Zeit das Dokument 95, Das ist ein Buch, Kampfreden Sauckels; auch dieses Buch ist bemerkenswert durch das, was nicht darin steht. Nichts von kriegerischen Vorbereitungen, sondern Betonung der Not, die abgestellt werden soll. Es handelt sich um Reden, die über eine Reihe von Jahren gehalten worden sind und die gleichmäßig zeigen, um was der Angeklagte Sauckel sich gekümmert hat. Es fängt an 1932 mit einer Ansprache, die von Elend spricht, und endet mit Reden, in denen ebenfalls die Sorge um die Beseitigung der sozialen Not und um die Erhaltung des Friedens immer wiederkehrt. Das Gericht wird diese Artikel nachlesen können im Dokumentenbuch.